Beschluss vom 20.05.2003 -
BVerwG 7 B 68.02ECLI:DE:BVerwG:2003:200503B7B68.02.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 20.05.2003 - 7 B 68.02 - [ECLI:DE:BVerwG:2003:200503B7B68.02.0]

Beschluss

BVerwG 7 B 68.02

  • VG Berlin - 01.03.2002 - AZ: VG 31 A 311.00

In der Verwaltungsstreitsache hat der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 20. Mai 2003
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht
S a i l e r und die Richter am Bundesverwaltungsgericht
G ö d e l und N e u m a n n
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 1. März 2002 wird zurückgewiesen.
  2. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 500 000 € festgesetzt.

Der Kläger begehrt aus abgetretenem Recht die Rückübertragung des Grundstücks I.straße 12 in Berlin-Mitte. Auf diesem Grundstück betrieb Frau Margarete H. die einzelkaufmännische Firma C.A. L. Mit Urteil des Amtsgerichts Berlin-Mitte vom 14. Oktober 1952 wurde "der Betrieb der beschuldigten Margarete H., C.A. L. in Berlin N. 4, I.straße 12, ... mit seinem gesamten toten und lebenden Inventar ... gemäß § 16 WStVO und § 430 ff. StPO i.V.m. § 1 Abs. 1 Ziff. 3 WStVO eingezogen". Im Februar 1953 wurde im Grundbuch eingetragen, dass das Grundstück unter der Verwaltung des Magistrats von Groß-Berlin stehe. Mit Bescheid des Magistrats von Groß-Berlin vom 1. September 1976 wurde das Grundstück nach der Aufbauverordnung in Anspruch genommen. Das Landgericht Berlin hob mit Beschluss vom 27. Mai 1992 das Urteil des Amtsgerichts Berlin-Mitte vom 14. Oktober 1952 auf, weil die Vermögenseinziehung mit rechtsstaatlichen Maßstäben unvereinbar gewesen sei. Das Verwaltungsgericht wies die Klage auf Rückübertragung des Grundstücks mit Urteil vom 1. Juli 1998 ab. Auf die dagegen eingelegte Revision hob der 8. Senat des Bundesverwaltungsgerichts mit Urteil vom 19. Juli 2000 - BVerwG 8 C 6.99 - (Buchholz 428 § 1 Abs. 7 VermG Nr. 5) das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 1. Juli 1998 auf und verwies die Sache an die Vorinstanz zurück. Mit Urteil vom 1. März 2002 hat das Verwaltungsgericht die Klage erneut abgewiesen; die Revision hat es nicht zugelassen.
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision hat keinen Erfolg. Es sind keine Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 VwGO gegeben.
1. Der Kläger rügt als Verfahrensfehler im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO, dass das Verwaltungsgericht gegen die in § 144 Abs. 6 VwGO bestimmte Bindungswirkung verstoßen habe, weil es seiner Entscheidung nicht die rechtliche Beurteilung des 8. Senats des Bundesverwaltungsgerichts in dessen Urteil vom 19. Juli 2000 zugrunde gelegt habe. Der 8. Senat des Bundesverwaltungsgerichts habe in diesem Urteil für die Frage, ob das Grundstück im Zeitpunkt der Schädigung zum Betriebsvermögen des Unternehmens gehört habe, als entscheidend angesehen, ob das Grundstück im Eigentum des Unternehmers gestanden habe und betrieblichen Zwecken gewidmet gewesen sei. Das Verwaltungsgericht habe dies zwar bejaht, aber die Erfüllung dieser beiden Voraussetzungen nicht als ausschlaggebend erachtet. Vielmehr habe es aus anderen Umständen, die zum Teil erst zeitlich nach dem Urteil des Amtsgerichts Berlin-Mitte eingetreten seien, den Schluss gezogen, dass das Grundstück von der in dem amtsgerichtlichen Urteil bestimmten Einziehung des Betriebsvermögens nicht erfasst gewesen sei. Die Rüge des Klägers hat keinen Erfolg.
Nach § 144 Abs. 6 VwGO hat das Gericht, an das die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen worden ist, bei seiner Entscheidung die rechtliche Beurteilung des Revisionsgerichts zugrunde zu legen. Die Bindungswirkung bezieht sich auf alle Punkte der rechtlichen Würdigung, die für die Aufhebung des ersten Urteils ursächlich (tragend) gewesen sind, wobei auch die - möglicherweise nicht ausdrücklich angesprochenen - logischen Voraussetzungen für die rechtliche Beurteilung des Revisionsgerichts bindend sind (Beschluss vom 17. März 1994 - BVerwG 3 B 24.93 - Buchholz 310 § 144 VwGO Nr. 57 m.w.N.; Beschluss vom 11. Juli 2000 - BVerwG 8 B 154.00 - Buchholz 310 § 144 Nr. 68 S. 2). Die Bindungswirkung gemäß § 144 Abs. 6 VwGO erstreckt sich auch auf diejenigen Gründe, die eine Bestätigung des angefochtenen Urteils nach § 144 Abs. 4 VwGO ausgeschlossen haben und damit für dessen Aufhebung ebenfalls ursächlich gewesen sind (Beschluss vom 21. März 1986 - BVerwG 3 CB 30.84 - Buchholz 310 § 144 VwGO Nr. 46). Sie erfasst aber nicht die - über die Gründe für die Aufhebung des ersten Urteils hinausgehenden - Bemerkungen und Hinweise für die anderweitige Verhandlung und Entscheidung durch die Vorinstanz (Beschluss vom 19. Februar 1973 - BVerwG 3 B 25.72 - Buchholz 310 § 144 VwGO Nr. 21; Beschluss vom 3. April 1974 - BVerwG 2 B 72.73 - Buchholz 310 § 144 VwGO Nr. 29 S. 26; auch Beschluss vom 11. Juli 2000 a.a.O.); sie sollen lediglich den Weg für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts weisen.
Nach diesen Maßstäben hat das Verwaltungsgericht nicht gegen die Bindungswirkung des § 144 Abs. 6 VwGO verstoßen. Die Ausführungen des 8. Senats zu der Frage, ob das Grundstück zum Betriebsvermögen des Unternehmens gehörte, waren nicht Teil der rechtlichen Beurteilung, die für die Aufhebung des Urteils des Verwaltungsgerichts vom 1. Juli 1998 tragend gewesen waren. Die Aufhebung dieses Urteils ist vielmehr damit begründet worden, dass der Tatabstand des § 1 Abs. 7 VermG nicht - wie das Verwaltungsgericht fälschlich angenommen hatte - deshalb unberücksichtigt bleiben dürfe, weil zu einem späteren Zeitpunkt eine "rechtsstaatlich hinnehmbare" Enteignung nach dem Aufbaugesetz erfolgt sei. Ob die Voraussetzungen des § 1 Abs. 7 VermG im konkreten Fall gegeben waren, was das Verwaltungsgericht offen gelassen hatte, war für die Aufhebung nicht maßgeblich. Eine Bindungswirkung ergibt sich auch nicht aus Ausführungen zu § 144 Abs. 4 VwGO, ob das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 1. Juli 1998 sich aus anderen Gründen im Ergebnis als richtig darstellte. Der 8. Senat hat insoweit keine abschließende Beurteilung getroffen, weil hierfür die bisherigen Feststellungen des Verwaltungsgerichts nicht ausgereicht hatten. Die Ausführungen des 8. Senats dazu, ob das Grundstück zum eingezogenen Betriebsvermögen gehörte, sind vielmehr Teil der Hinweise für die anderweitige Verhandlung und Entscheidung durch das Verwaltungsgericht. Sie werden von der Bindungswirkung nicht erfasst.
2. Nach Auffassung des Klägers hat das Verwaltungsgericht dadurch gegen den Überzeugungsgrundsatz des § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO verstoßen, dass es für den Umfang der in dem Urteil des Amtsgerichts Berlin-Mitte vom 14. Oktober 1952 angeordneten Vermögenseinziehung auf Umstände abgestellt habe, die mit der Entscheidung des Amtsgerichts Berlin-Mitte nichts zu tun gehabt hätten und zeitlich zum überwiegenden Teil nach dieser Entscheidung gelegen hätten. Diese Art der Beweiswürdigung verstoße gegen die Denkgesetze, weil das Amtsgericht bei seiner Entscheidung im Oktober 1952 nicht durch Umstände, insbesondere den fehlenden Vollzug dieser Entscheidung, beeinflusst gewesen sein konnte, die sich erst nachträglich herausgestellt haben. Ebenso wenig könne aus der Auffassung von Verwaltungsstellen auf den Willen eines Gerichts geschlossen werden.
Ein Verstoß gegen Denkgesetze liegt nicht vor. Zwar hat das Verwaltungsgericht für die Frage, ob das streitige Grundstück von der Einziehung des Betriebes durch das Urteil des Amtsgerichts Berlin-Mitte vom 14. Oktober 1952 erfasst war, - offensichtlich mangels näherer Angaben im Urteilstenor und Urteilstext - auf Indizien abgestellt, die sich überwiegend erst nach der Entscheidung des Amtsgerichts ergeben haben. So hat es als Gesichtspunkt, der gegen die Erfassung des Grundstücks durch die Vermögenseinziehung spreche, die Eintragung (lediglich) eines Verwaltervermerks im Grundbuch für das Grundstück angesehen. Es hat aber gleichsam als "Brücke" zu der Entscheidung des Amtsgerichts im Oktober 1952 die Heranziehung dieser Indizien damit gerechtfertigt, dass angesichts der Verhältnisse im sowjetischen Sektor Berlins und in der DDR Anfang der 50er Jahre nicht angenommen werden könne, dieses (nachträgliche) Verhalten staatlicher Stellen sei von dem abgewichen, was das Amtsgericht gewollt und entschieden habe. Insbesondere hat es die Verbindung zu dem Urteil des Amtsgerichts damit begründet, dass die Staatsanwaltschaft als Vollstreckungsbehörde einen entscheidungswidrigen Vollzug des amtsgerichtlichen Urteils - z.B. die Eintragung des Verwaltervermerks aufgrund eines Ersuchens vom Januar 1953 statt der Umschreibung in Volkseigentum - nicht geduldet hätte. Die Folgerung aus nachträglichen Umständen, insbesondere aus dem Vollzug dieser Entscheidung, auf den Inhalt dieser Entscheidung ist mit der vom Verwaltungsgericht gegebenen Begründung kein Schluss, der denkgesetzlich schlechthin unmöglich ist (vgl. Beschluss vom 19. Oktober 1999 - BVerwG 9 B 407.99 - Buchholz 310 § 108 Abs. 1 VwGO Nr. 11 zu den Voraussetzungen eines Verstoßes gegen Denkgesetze). Zu keinem anderen Ergebnis führt die Rüge des Klägers, aus der Auffassung von Verwaltungsstellen könne nicht auf den Willen eines Gerichts geschlossen werden. Das Verwaltungsgericht hat insoweit auf Umstände aus der damaligen Verwaltungspraxis verwiesen, die gegen eine Zurechnung des Grundstücks zum Betriebsvermögen sprechen sollen. Dass für die Auslegung des Umfangs der Vermögenseinziehung durch das Urteil des Amtsgerichts Berlin-Mitte auch Indizien herangezogen worden sind, die zeigen sollen, wie das Urteil in der nachfolgenden Verwaltungspraxis verstanden worden ist, mag nicht als überzeugend angesehen werden. Denkgesetzlich ausgeschlossen ist dies aber nicht.
3. Auch die gerügten Abweichungen von Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts sind nicht gegeben:
a) Der Kläger ist der Auffassung, dass das Urteil des Verwaltungsgerichts im Widerspruch zu Rechtssätzen stehe, die das Bundesverwaltungsgericht zum Begriff des "Unternehmens" sowie zum Umfang einer Unternehmensrestitution in seinem Urteil vom 20. November 1997 - BVerwG 7 C 40.96 - (Buchholz 428 § 2 VermG Nr. 35 S. 49 f.) aufgestellt habe. Eine solche Divergenz liegt nicht vor. Das genannte Urteil des Senats befasst sich unter dem Blickwinkel einer Unternehmens- oder Singularrestitution damit, was das Vermögensgesetz unter einem Unternehmen versteht; es betrifft die Auslegung des § 2 Abs. 2 VermG. Hiervon zu trennen ist die Prüfung nach dem Umfang einer vorgenommenen Unternehmensenteignung. Insoweit ist es möglich, dass ein Vermögenswert, der bei Zugrundelegung des Unternehmensbegriffs des Vermögensgesetzes zu dem Unternehmen gehörte, im konkreten Fall von einer Unternehmensenteignung nicht erfasst wurde, weil z.B. die Auffassung bestand, der Vermögenswert sei nicht Teil des Unternehmens- oder Betriebsvermögens. Von einer solchen Konstellation ist das Verwaltungsgericht aufgrund der von ihm herangezogenen Indizien ausgegangen. Es hat anders, als der Kläger meint, keinen anderen Unternehmensbegriff gebildet oder das Verhältnis der Unternehmens- zur Singularrestitution anders bestimmt, sondern allein geprüft, ob die Entziehung des Betriebes in dem konkreten Fall auch das streitige Grundstück umfasste.
b) Der Kläger rügt ferner eine Abweichung von dem Beschluss des Senats vom 9. Juni 1994 - BVerwG 7 B 145.93 - (Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 23). In diesem Beschluss habe - so der Kläger - der Senat ausgeführt, dass nach der erfolgreichen Rehabilitierung von einer "grundsätzlichen Notwendigkeit der Rückgabe des entzogenen Vermögenswertes" auszugehen sei. Hiervon weiche das Urteil des Verwaltungsgerichts ab, weil es über die Frage der Aufhebung des Strafurteils und der ausdrücklichen Rehabilitierung hinaus Prüfungen dahingehend anstellen wolle, ob - ausgehend von einem bestimmten Enteignungsbegriff ("faktische Kriterien") - überhaupt ein Vermögensentzug stattgefunden habe. Die Divergenzrüge des Klägers geht ersichtlich fehl. Der Senat hat in dem genannten Beschluss von der grundsätzlichen Notwendigkeit der Rückgabe mit Blick auf einen "entzogenen" Vermögenswert gesprochen. Voraussetzung für eine Rückübertragung des Vermögenswertes ist damit, dass der Vermögenswert in dem Strafurteil, das als rechtsstaatswidrig aufgehoben worden ist, überhaupt entzogen worden ist. Hierauf bezieht sich die Prüfung des Verwaltungsgerichts.
4. Der Kläger hält eine Zulassung der Revision wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) für geboten. Er möchte sinngemäß geklärt wissen, ob bei einer Entziehung des Vermögens durch ein strafgerichtliches Urteil für die Frage, ob sich die Entziehung auf einen bestimmten Vermögenswert erstreckt, auf faktische Kriterien abgestellt werden darf. Diese Frage führt nicht zur Zulassung der Revision.
Das Urteil des Verwaltungsgerichts stützt sich unter Heranziehung der auf S. 6 des Urteils genannten Indizien darauf, das Strafurteil des Amtsgerichts Berlin-Mitte vom 14. Oktober 1952 sei dahin auszulegen, dass es das Grundstück nicht erfasse. In diesem Zusammenhang spielt der faktische Enteignungsbegriff des Vermögensgesetzes keine Rolle. Vielmehr werden von dem Verwaltungsgericht anhand der Indizien, insbesondere der Eintragung (lediglich) eines Verwaltervermerks statt der Umschreibung auf Volkseigentum, Folgerungen gezogen, wie das Strafurteil des Amtsgerichts auszulegen ist. Die Erwägung des Verwaltungsgerichts, dass ein anderes Ergebnis "auch" dem durch vornehmlich faktische Kriterien geprägten Enteignungsbegriff des Vermögensgesetzes widersprechen würde, stellt demgegenüber eine zusätzliche Erwägung dar. Sie dient nicht mehr der Auslegung, wie die Einziehung des "Betriebes" in dem Strafurteil des Amtsgerichts zu verstehen ist, sondern stellt eigenständig darauf ab, dass die seinerzeitige Eigentümerin vor der Inanspruchnahme im Jahr 1976 auch nicht faktisch durch entsprechende staatliche Maßnahmen vollständig und endgültig aus dem Eigentum verdrängt worden sei, wie sich aus den angegebenen Umständen ergebe.
Ob es sich insofern lediglich um eine "Kontrollüberlegung" oder um eine selbständig tragende Begründung handelte, bedarf keiner Entscheidung. In beiden Fällen kann diese Begründung hinweggedacht werden, ohne dass sich der Ausgang des Verfahrens ändert. Wenn es sich um eine selbständig tragende Begründung handeln würde, könnte die Revision nur zugelassen werden, wenn hinsichtlich jeder der Begründungen ein Revisionszulassungsgrund vorliegt. Für die vom Verwaltungsgericht als maßgeblich angesehene Begründung, dass die Einziehung des Betriebes durch das Urteil des Amtsgerichts Berlin-Mitte vom 14. Oktober 1952 nicht das streitige Grundstück erfasst habe, ist kein durchgreifender Grund für eine Zulassung der Revision gegeben. Insoweit kommt es auf die vom Kläger aufgeworfene Frage im Zusammenhang mit der zweiten Begründung, dass die seinerzeitige Eigentümerin bis 1976 nicht aus ihrem Eigentum ("faktisch") verdrängt worden sei, für die Revisionszulassung nicht mehr an.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO; die Streitwertfestsetzung beruht auf § 14 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.