Beschluss vom 20.04.2015 -
BVerwG 1 B 1.15ECLI:DE:BVerwG:2015:200415B1B1.15.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 20.04.2015 - 1 B 1.15 - [ECLI:DE:BVerwG:2015:200415B1B1.15.0]

Beschluss

BVerwG 1 B 1.15

  • OVG Bremen - 10.06.2014 - AZ: OVG 1 D 126/11

In der Verwaltungsstreitsache hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 20. April 2015
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Berlit und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Dörig und Prof. Dr. Kraft
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts der Freien Hansestadt Bremen vom 10. Juni 2014 wird zurückgewiesen.
  2. Der Kläger trägt die Kosten des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 15 000 Euro festgesetzt.

Gründe

1 Die Beschwerde bleibt ohne Erfolg. Die geltend gemachten Gründe für eine Zulassung der Revision liegen, soweit sie hinreichend dargelegt sind (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO), in der Sache nicht vor.

2 1. Die Revision ist nicht wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zuzulassen.

3 1.1 Die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache setzt voraus, dass eine für die erstrebte Revisionsentscheidung erhebliche Rechtsfrage des revisiblen Rechts aufgeworfen wird, die im Interesse der Einheit oder Fortbildung des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf. Die Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO verlangen die Bezeichnung einer konkreten Rechtsfrage, der in einem Revisionsverfahren entscheidungserhebliche Bedeutung zukommen würde, sowie einen Hinweis auf den Grund, der ihre Anerkennung als grundsätzlich bedeutsam rechtfertigen soll. Die Beschwerde muss daher erläutern, dass und inwiefern die Revisionsentscheidung zur Klärung einer bisher höchstrichterlich noch nicht beantworteten fallübergreifenden Rechtsfrage führen kann.

4 1.2 Die Revision ist hiernach nicht wegen der geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung der Frage zuzulassen,
"in welchen Fällen ein mit Strafgesetzwidrigkeit gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 des Vereinsgesetzes (VereinsG) begründetes Verbot ausschließlich auf Indizien gestützt werden darf."

5 Damit ist keine rechtsgrundsätzlicher revisionsgerichtlicher Klärung zugängliche Rechtsfrage bezeichnet. Denn im Fall der Anfechtung einer vereinsrechtlichen Verbotsverfügung beruht die Überzeugungsbildung des Gerichts (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO), das gemäß § 86 Abs. 1 VwGO den Sachverhalt von Amts wegen erforscht, der Eigenart der gefahrenabwehrrechtlichen Materie entsprechend in erheblichem Umfang auf der zusammenschauenden Verwertung von Indizien (vgl. BVerwG, Urteile vom 13. April 1999 - 1 A 3.94 - Buchholz 402.45 VereinsG Nr. 30 S. 5 und vom 3. Dezember 2004 - 6 A 10.02 - Buchholz 402.45 VereinsG Nr. 41). Die Würdigung der Hinweistatsachen (Indizien) unterliegt dabei der freien tatrichterlichen Beweiswürdigung und ein Vereinsverbot darf im Falle der Nichterweislichkeit des Verbotsgrundes nicht ausgesprochen werden.

6 Soweit in Verbindung mit der Beschwerdebegründung die Frage dahin verstanden werden sollte, ob in den Fällen, in denen die Feststellung, dass ein Verein verboten ist, daran anknüpft, dass seine Zwecke oder seine Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen, eine strafgerichtliche Verurteilung erforderlich ist oder doch ein Ermittlungsverfahren eingeleitet worden sein muss, ist die Zulassung der Revision nicht gerechtfertigt. Denn in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist geklärt, dass für das Verbot einer strafgesetzwidrigen Vereinigung nach Art. 9 Abs. 2 1. Alt. GG die Einleitung eines Strafverfahrens oder gar eine strafgerichtliche Verurteilung wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung nach § 129 Abs. 1 StGB nicht erforderlich ist (BVerwG, Urteil vom 18. Oktober 1988 - 1 A 89.83 - BVerwGE 80, 299 - juris Rn. 36) und ein solches Verbot rechtlich auch unabhängig von einer strafrichterlichen Verurteilung einzelner Mitglieder oder Funktionäre der Vereinigung ist (BVerwG, Urteil vom 5. August 2009 - 6 A 3.08 - BVerwGE 134, 275 - juris Rn. 17). Die Strafgesetzwidrigkeit muss vielmehr von der Verbotsbehörde und dem Verwaltungsgericht in eigener Kompetenz geprüft werden (s.a. BVerwG, Beschluss vom 19. November 2013 - 6 B 25.13 - Buchholz 402.45 VereinsG Nr. 61). Die Beschwerde legt in einer den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO genügenden Weise schon keinen neuerlichen oder weitergehenden Klärungsbedarf dar und formuliert insoweit weder ausdrücklich noch sinngemäß eine durch die bezeichnete, der Sache nach auch von dem Oberverwaltungsgericht aufgegriffene Rechtsprechung noch nicht hinreichend geklärte fallübergreifende Rechtsfrage dar. Der Sache nach wird eingehend lediglich die vermeintliche Fehlerhaftigkeit der Rechtsanwendung durch das Oberverwaltungsgericht im Einzelfall geltend gemacht.

7 1.3 Die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung ist auch nicht wegen der Frage gerechtfertigt,
"ob die Verbotsbehörde bei einem noch nicht vollständig ermittelten Sachverhalt eine Verbotsverfügung auf der Grundlage einer vorläufigen Einschätzung erlassen darf".

8 Es folgt unmittelbar aus dem Gesetz und bedarf keiner revisionsgerichtlichen Klärung, dass eine Feststellung nach § 3 Abs. 1 VereinsG rechtmäßig auch dann auf Grund einer vorläufigen Einschätzung eines noch nicht vollständig ausermittelten Sachverhalts getroffen werden kann, wenn und soweit diese vorläufige Einschätzung das Verbot trägt und sich diese das Verbot tragende Bewertung im weiteren Verlaufe der Sachverhaltsaufklärung auch als im Kern zutreffend erweist. Dies folgt nicht zuletzt aus dem gefahrenabwehrrechtlichen Sinn und Zweck des Verbotstatbestandes des § 3 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 VereinsG (s.a. BVerwG, Urteil vom 19. Dezember 2012 - 6 A 6.11 - Buchholz 402.45 VereinsG Nr. 59). Überdies kommt es für die gerichtliche Entscheidung über die gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 VereinsG rechtlich gebundene vereinsrechtliche Verbotsverfügung darauf an, ob das Gericht sich die volle Überzeugungsgewissheit von tatsächlichen Umständen und Vorkommnissen zu verschaffen vermag, die den Verbotsgrund der Strafgesetzwidrigkeit unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit tragen.

9 2. Die Revision ist auch nicht wegen einer Abweichung des Oberverwaltungsgerichts von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) zuzulassen.

10 2.1 Eine die Revision gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO eröffnende Divergenz zu einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts ist nur dann im Sinne des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO hinreichend bezeichnet, wenn die Beschwerde einen inhaltlich bestimmten, das angefochtene Urteil tragenden abstrakten Rechtssatz benennt, mit dem die Vorinstanz einem in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts aufgestellten und seine Entscheidung tragenden Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat. Das Aufzeigen einer fehlerhaften oder unterbliebenen Anwendung von Rechtssätzen, die das Bundesverwaltungsgericht in seiner Rechtsprechung aufgestellt hat, reicht nicht aus (vgl. Beschluss vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 <n.F.> VwGO Nr. 26 S. 14 = NJW 1997, 3328 m.w.N.).

11 2.2 Diesen Anforderungen genügt die Beschwerde nicht, wenn sie geltend macht, der dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts zu entnehmende abstrakte Rechtssatz, dass die Verbotsbehörde bei einem noch nicht vollständig ermittelten Sachverhalt auf Grundlage einer vorläufigen Einschätzung eine mit Sofortvollzug belegte Verbotsverfügung erlassen dürfe, weiche von der bisherigen ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 19. Dezember 2012 - 6 A 6.11 - Buchholz 402.45 VereinsG Nr. 59 m.w.N.) ab, wonach positiv festgestellt werden müsse, dass Straftaten zumindest hervorgerufen, ermöglicht oder erleichtert wurden. Dieses Vorbringen stellt schon nicht einander widersprechende Rechtssätze gegenüber. Es vernachlässigt, dass eine für ein Verbot hinreichend tragfähige Feststellung, eine Vereinigung verwirkliche den Verbotstatbestand des § 3 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 VereinsG, auch auf der Grundlage einer vorläufigen Einschätzung eines noch nicht vollständig ermittelten Sachverhalts getroffen werden kann, wenn und soweit sich diese als zutreffend erweist, und die erforderliche Verlässlichkeit der Tatsachenbasis für eine bestimmte rechtliche Bewertung von der Frage zu trennen ist, welche Tatsachen mit welcher Gewissheit festzustellen sind.

12 Soweit die Beschwerde dann weiter geltend macht, die dahingehenden Tatsachenfeststellungen des Oberverwaltungsgerichts seien nicht ausreichend, um vorliegend ein Verbot zu rechtfertigen, wendet sie sich in der Sache gegen die tatrichterliche Feststellung und Würdigung des Sachverhalts. Die möglicherweise unzureichende Anwendung rechtsgrundsätzlich nicht bestrittener höchstrichterlicher Rechtssätze begründet aber keine Divergenz.

13 3. Die auf das Vorliegen eines Verfahrensmangels (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) gestützte Beschwerde ist jedenfalls unbegründet.

14 Die Beschwerde rügt zu Unrecht, das Oberverwaltungsgericht habe den in der mündlichen Verhandlung gestellten (hilfsweisen) Beweisantrag des Klägers rechtsfehlerhaft abgelehnt und sein rechtliches Gehör verletzt. Die in dem angegriffenen Urteil (UA S. 17 f.) erfolgte Ablehnung des Beweisantrages (mit dessen Entscheidung erst im Urteil sich der Kläger einverstanden erklärt hatte), den Senator für Inneres und Sport als Zeugen dafür zu vernehmen, dass das Vereinsverbot im Mai 2011 primär politisch motiviert gewesen sei, ist prozessrechtlich nicht zu beanstanden.

15 Während sich die Voraussetzungen für die Ablehnung eines in der mündlichen Verhandlung unbedingt gestellten Beweisantrages aus § 86 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 VwGO ergeben, wird mit einem nur hilfsweise gestellten Beweisantrag lediglich die weitere Erforschung des Sachverhalts nach § 86 Abs. 1 VwGO angeregt (BVerwG, Beschlüsse vom 10. Juni 1999 - 9 B 81.99 - Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 302 und vom 19. August 2010 - 10 B 22.10 , 10 PKH 11.10 - juris Rn. 10). Die Ablehnung eines Hilfsbeweisantrages kann daher grundsätzlich nur mit der Aufklärungsrüge angegriffen werden. Diese ist nur dann begründet, wenn sich dem Gericht auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung eine weitere Beweisaufnahme hätte aufdrängen müssen (BVerwG, Beschluss vom 28. Juli 2014 - 1 B 6.14 - juris Rn. 3). Das zeigt die Beschwerde nicht auf. Denn nach der materiellrechtlichen Rechtsauffassung des Oberverwaltungsgerichts, die der Prüfung der Verfahrensrüge zu Grunde zu legen ist, war nicht erheblich, ob das aus Sicht des Gerichts sachlich gerechtfertigte und auch verhältnismäßige Vereinsverbot daneben auch oder sogar vorrangig "politisch motiviert" war, wie es der Kläger behauptet und unter Beweis gestellt hatte; die Motivation der Behördenleitung zum Erlass der angegriffenen Maßnahme sei für die Frage unerheblich, ob das Vereinsverbot als Maßnahme einer Behörde rechtswidrig ist und den Kläger in seinen Rechten verletze.

16 Dem tritt die Beschwerde lediglich mit dem Hinweis entgegen, dass dieser Rechtsauffassung nicht zu folgen sei, weil nach dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Gewaltenteilung ein Mitglied der Bremischen Regierung gehalten sei, sich zu einem anhängigen Verfahren, wenn überhaupt, zurückhaltend zu äußern, es mit seinen öffentlichen Äußerungen diese gebotene Zurückhaltung hat vermissen lassen, diese auch ein - mit einem bevorstehenden Wahltermin zusammenhängendes - persönliches Interesse an dem Verbot erkennen ließen, dem hätte nachgegangen werden müssen, um eine unzulässige Beeinflussung der Behördenentscheidung ausschließen zu können, und diese Äußerungen des Innensenators außerdem als der Versuch einer unzulässigen Beeinflussung der Bremischen Justiz zurückgewiesen würden. Diesem Vorbringen ist nicht zu entnehmen, was mit Blick auf die Rechtsauffassung des Oberverwaltungsgerichts eine Verfahrensrüge als gerechtfertigt erscheinen lassen könnte, und es legt auch sonst nicht einmal im Ansatz einen Revisionszulassungsgrund dar.

17 4. Bei dieser Sachlage ist nicht der von dem Beklagten aufgeworfenen Frage nachzugehen, ob der Prozessbevollmächtigte des Klägers ordnungsgemäß bevollmächtigt worden ist.

18 5. Der Senat sieht von einer weiteren Begründung ab (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO).

19 6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 47 Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG (s.a. Nr. 45.1.1 Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit [Fassung 2013]).