Urteil vom 19.10.2006 -
BVerwG 5 C 16.05ECLI:DE:BVerwG:2006:191006U5C16.05.0

Leitsatz:

Führt die Anwendung von § 25 Abs. 1 Nr. 2 BAföG bereits zu dem Ergebnis, dass das erzielte Einkommen eines (geschiedenen oder dauernd getrennt lebenden) Elternteils anrechnungsfrei bleibt, so ist der mit Blick auf einen weiteren Unterhaltsberechtigten zu gewährende Erhöhungsfreibetrag i.S.v. § 25 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BAföG zwar nur einmal in Ansatz zu bringen (insoweit Bestätigung des Urteils vom 23. Juni 1983 - BVerwG 5 C 113.81 - BVerwGE 67, 280), aber dem anderen Elternteil nicht hälftig, sondern ungeschmälert zuzuordnen (Aufgabe des im Urteil vom 23. Juni 1983 entwickelten „Halbteilungsgrundsatzes“).

  • Rechtsquellen
    BAföG § 25 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 1 Nr. 2, Abs. 6

  • OVG Bautzen - 11.08.2004 - AZ: OVG 5 B 497/03 -
    Sächsisches OVG - 07.06.2005 - AZ: OVG 5 B 497/03

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Urteil vom 19.10.2006 - 5 C 16.05 - [ECLI:DE:BVerwG:2006:191006U5C16.05.0]

Urteil

BVerwG 5 C 16.05

  • OVG Bautzen - 11.08.2004 - AZ: OVG 5 B 497/03 -
  • Sächsisches OVG - 07.06.2005 - AZ: OVG 5 B 497/03

In der Verwaltungsstreitsache hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 19. Oktober 2006
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Säcker
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Schmidt, Dr. Franke, Dr. Brunn und Prof. Dr. Berlit
ohne mündliche Verhandlung für Recht erkannt:

  1. Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 11. August 2004 wird zurückgewiesen.
  2. Der Beklagte trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Revisionsverfahrens.

Gründe

I

1 Die Verfahrensbeteiligten streiten im Revisionsverfahren lediglich noch über die Frage, welche ausbildungsförderungsrechtlichen Folgen der Umstand hat, dass - bezogen auf den konkreten Bewilligungszeitraum - die Einkommen der beiden dauernd getrennt lebenden Eltern der Klägerin in einem Maße unterschiedlich ausgefallen sind, dass der eine Elternteil (hier: die Mutter) bereits aufgrund des Freibetrages gemäß § 25 Abs. 1 Nr. 2 BAföG kein anrechenbares Einkommen mehr aufweist. Während die Klägerin das Berufungsurteil verteidigt, demzufolge dem anderen Elternteil ein nach § 25 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BAföG bestehender Erhöhungsfreibetrag ungeschmälert zusteht, will der Beklagte das erstinstanzliche Urteil wiederhergestellt wissen, wonach der Erhöhungsfreibetrag auch in diesen Fällen jedem Elternteil nur je zur Hälfte zusteht.

2 Den Antrag der Klägerin, ihr für den Bewilligungszeitraum August 2001 bis Juni 2002 Ausbildungsförderung zu bewilligen, beschied der Beklagte unter dem 28. September 2001 hinsichtlich der Höhe teilweise abschlägig. Auf der Grundlage einer gemeinsamen Veranlagung zur Einkommensteuer für das Jahr 1999 billigte er dem Vater der Klägerin nur einen um die Hälfte gekürzten Erhöhungsfreibetrag i.S.v. § 25 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BAföG zu, obgleich das Einkommen der Mutter bereits infolge der Anwendung von § 25 Abs. 1 Nr. 2 BAföG anrechnungsfrei blieb; in Fällen von - im Streitfall seit 1999 - dauernd getrennt lebenden oder geschiedenen Elternteilen müsse der - im Streitfall mit Blick auf die Schwester der Klägerin gewährte - Erhöhungsfreibetrag unabhängig von den jeweiligen Einkommenshöhen und deren Anrechnungsfreiheit hälftig aufgeteilt werden; allenfalls könne zur Vermeidung unbilliger Härten auf besonderen Antrag gemäß § 25 Abs. 6 BAföG ein weiterer Teil des Einkommens anrechnungsfrei bleiben. Widerspruch und Klage der Klägerin sind erfolglos gewesen.

3 Das Oberverwaltungsgericht hat mit Urteil vom 11. August 2004 den Beklagten verpflichtet, der Klägerin für den fraglichen Ausbildungszeitraum antragsgemäß weitere Ausbildungsförderung zu bewilligen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass das Einkommen des Vaters der Klägerin unter Berücksichtigung des vollen Erhöhungsfreibetrages aus § 25 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BAföG zu ermitteln sei. Zwar dürfe dieser Freibetrag insgesamt nur einmal gewährt werden, aber jedenfalls für den Fall, in dem das Einkommen eines Elternteils bereits durch den Freibetrag aus § 25 Abs. 1 BAföG ohne Berücksichtigung bleibe, lasse sich dem Gesetz keine hälftige oder sonstige Aufteilung des Erhöhungsfreibetrages entnehmen. Im Streitfall habe allein der Vater der Klägerin Unterhalt für seine beiden Töchter geleistet, weswegen kein sachlicher Grund ersichtlich sei, den Erhöhungsfreibetrag zur Hälfte untergehen zu lassen, indem diese Hälfte auf ein ohnehin anrechnungsfreies Einkommen angerechnet werde. Dies führe nicht zu einer doppelten Gewährung solcher Freibeträge. Folglich bestehe keine Veranlassung, die Klägerin auf die Härtefallregelung in § 25 Abs. 6 BAföG zu verweisen.

4 Mit der auf Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils zielenden Revision wiederholt und vertieft der Beklagte seinen Rechtsstandpunkt.

5 Die Klägerin verteidigt das angefochtene Berufungsurteil.

II

6 Die Revision ist unbegründet. Das angefochtene Urteil des Oberverwaltungsgerichts verletzt kein Bundesrecht; insbesondere ist seine Annahme fehlerfrei, dem Vater der Klägerin sei der ungeschmälerte Erhöhungsfreibetrag i.S.v. § 25 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BAföG zuzugestehen.

7 Für den streitigen Bewilligungszeitraum (August 2001 bis Juni 2002) ist § 25 BAföG in der Fassung anzuwenden, die die Vorschrift durch Art. 1 Nr. 20 Buchst. b des Gesetzes vom 19. März 2001 (BGBl I S. 390) erhalten hat. Hiernach erhöhen sich die Freibeträge des Absatzes 1 „für Kinder des Einkommensbeziehers sowie für weitere dem Einkommensbezieher gegenüber nach dem bürgerlichen Recht Unterhaltsberechtigte“ um einen bestimmten Betrag (damals: 830 DM), sofern dem - was im Streitfall unstreitig nicht der Fall ist - nicht bestimmte Umstände entgegenstehen (§ 25 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BAföG).

8 Zu Recht hat das Oberverwaltungsgericht - entgegen anderer oberverwaltungsgerichtlicher Rechtsprechung (BayVGH, Urteil vom 28. Juli 1998 - 12 B 85 A.61 - FamRZ 1989, 795; HessVGH, Urteil vom 5. Dezember 1991 - 9 UE 2532/89 - EzFamR BAföG § 25 Nr. 1) - angenommen, dass mit Blick auf den Vater der Klägerin sämtliche Voraussetzungen von § 25 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BAföG vorliegen. Der Freibetrag vom Einkommen des Vaters i.S.v. § 25 Abs. 1 Nr. 2 BAföG erhöht sich um den vollen gesetzlichen Betrag des § 25 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BAföG.

9 Der Umstand, dass eine weitere Einkommensbezieherin, nämlich die Mutter der Klägerin, die Voraussetzungen für einen Freibetrag vom Einkommen i.S.v. § 25 Abs. 1 Nr. 2 BAföG erfüllt, steht der vollen Erhöhung des väterlichen Freibetrages nicht entgegen, weil die Mutter der Klägerin aus ausbildungsförderungsrechtlicher Sicht als zwar grundsätzlich unterhaltsverpflichtet, infolge der Zuerkennung ihres Freibetrages (§ 25 Abs. 1 Nr. 2 BAföG) aber konkret nicht als leistungsfähig anzusehen ist.

10 In solchen Fällen bleibt es zwar nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Urteil vom 23. Juni 1983 - BVerwG 5 C 113.81 - BVerwGE 67, 280) dabei, dass auch hinsichtlich getrennt lebender oder geschiedener Elternteile des Auszubildenden für (weitere) gemeinsame Kinder nur je ein Freibetrag je Kind anrechnungsfrei bleibt. Aber es ist - wie das Oberverwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat - kein gesetzlicher oder ansonsten rechtfertigender Grund auszumachen, dem unterhaltsverpflichteten und leistungsfähigen Elternteil nur einen hälftigen oder sonstigen Bruchteil des Erhöhungsfreibetrages zuzugestehen. Denn Grundlage einer solchen Vorgehensweise könnte - mangels ausdrücklicher gesetzlicher Regelung - nur eine Anwendung und Fortführung des im Urteil vom 23. Juni 1983 (a.a.O., Leitsatz) entwickelten „Halbteilungsgrundsatzes“ sein. An diesem Grundsatz ist aber nicht festzuhalten. Im Einzelnen:

11 § 25 Abs. 3 BAföG ergänzt, wie bereits seine Formulierung belegt („Die Freibeträge des Absatzes 1 erhöhen sich ...“), die Bestimmung in § 25 Abs. 1 BAföG, welche - abgesehen von dem im Streitfall nicht interessierenden Ehegatteneinkommen - die Anrechnungsfreiheit von Elterneinkommen regelt.

12 Insoweit unterscheidet § 25 Abs. 1 BAföG in seinen Nrn. 1 und 2 die Fälle der - erstens - miteinander verheirateten, nicht dauernd getrennt lebenden Eltern und - zweitens - der sonstigen Elterneinkommen, insbesondere diejenigen der geschiedenen oder dauernd getrennt lebenden Eltern, aber auch der niemals miteinander verheirateten oder verwitweten Eltern.

13 Dass dabei zwei nicht zusammenlebende Elternteile auf einen insgesamt höheren anrechnungsfreien Betrag kommen können als miteinander verheiratete, nicht dauernd getrennt lebende Eltern, berücksichtigt, dass getrennte Haushalte regelmäßig insgesamt höhere Kosten als ein gemeinsamer Haushalt verursachen.

14 Wenn vor diesem Hintergrund § 25 Abs. 3 BAföG in der Pluralform auf „die“ Freibeträge des Absatzes 1 Bezug nimmt, so ist dies dem Umstand geschuldet, dass hinsichtlich aller denkbaren Freibetragsfälle des Absatzes 1 ein Erhöhungstatbestand vorliegen kann. Dies bedeutet nicht, jeder Freibetragsfall i.S.d. Absatzes 1 rufe für jeden Elternteil einen (ungeschmälerten) Erhöhungsfall i.S.d. Absatzes 3 hervor (Urteil vom 23. Juni 1983 a.a.O. S. 282 ff.)

15 Daher rufen sowohl die Fälle des § 25 Abs. 1 Nr. 1 BAföG als auch die des § 25 Abs. 1 Nr. 2 BAföG unter der Voraussetzung, dass beide Elternteile - hier mit Blick auf die Schwester der Klägerin interessierend - i.S.d. § 25 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BAföG unterhaltsverpflichtet sind, nur einen Erhöhungsfall je Unterhaltsberechtigten, allerdings in ungeteilter Höhe hervor, was in Folgendem begründet liegt:

16 Anders als das bürgerlich-rechtliche Unterhaltsrecht der §§ 1601 ff. BGB interessiert sich das Bundesausbildungsförderungsgesetz in seinem rechtlichen Ausgangspunkt nicht dafür, welcher Elternteil tatsächlich Unterhalt leistet. Es geht sowohl von einer rechtlichen Unterhaltspflicht als auch Leistungsfähigkeit beider Elternteile aus und überlässt die praktische Durchführung den Unterhaltsberechtigten und Unterhaltsverpflichteten. Ausbildungsförderungsrechtlich wird für den Unterhaltsbedarf pauschal ein Freibetrag vom Einkommen der Eltern freigestellt.

17 Während diese normative Zurückhaltung des Gesetzgebers in den an § 25 Abs. 1 Nr. 1 BAföG anknüpfenden Erhöhungsfällen keine praktischen Berechnungsschwierigkeiten aufwirft, weil solchen Eltern ein einheitlicher Freibetrag gesetzlich zugesprochen ist und dieser problemlos durch den einen Erhöhungsfreibetrag i.S.v. § 25 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BAföG aufgestockt werden kann, ohne dass sich dabei Aufteilungs- oder Zuordnungsfragen ergeben können, führte der Umstand, dass in den Fällen des § 25 Abs. 1 Nr. 2 BAföG gesetzlich („jedes Elternteils“) zwei Freibeträge vorgesehen sind, dazu, dass die Zuordnung des Erhöhungsfreibetrages nach § 25 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BAföG fraglich wird.

18 Dieser Problematik hat der erkennende Senat in seinem Urteil vom 23. Juni 1983 (a.a.O.) dadurch Rechnung zu tragen gesucht, dass er unter der damals vorliegenden Voraussetzung, wonach beide geschiedenen oder dauernd getrennt lebenden Elternteile des Auszubildenden Einkommen beziehen, im Grundsatz jedem elterlichen Einkommensbezieher eine Hälfte des Erhöhungsfreibetrages zugeordnet hat (Halbteilungsgrundsatz). Hieran hält der erkennende Senat nicht mehr fest.

19 Zur Begründung dieser Zuordnung ist im Urteil vom 23. Juni 1983 (a.a.O. S. 284) darauf abgestellt worden, dass die gegen die beiden Elternteile gerichteten Unterhaltsansprüche ihrer Kinder (regelmäßig) in einem dieser Aufteilung entsprechenden Verhältnis zueinander stünden. Das Ausbildungsförderungsrecht knüpft aber für den Freibetrag nach § 25 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BAföG nicht an konkrete zivilrechtliche Unterhaltsverpflichtungen der einzelnen Elternteile an, sondern gewährt wegen der Unterhaltsbelastung der Eltern insgesamt einen pauschalen Freibetrag vom Einkommen der Eltern. Bereits aus diesem Grunde hat ausbildungsförderungsrechtlich eine Aufteilung oder Zuordnung des vom Gesetz einheitlich gewährten Freibetrages in Nachzeichnung unterhaltsrechtlicher Grundsätze auszuscheiden.

20 D.h.: Der Freibetrag nach § 25 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BAföG (je Unterhaltsberechtigten) verringert das nach Absatz 1 noch anrechenbare Einkommen unabhängig davon, ob es Einkommen der Mutter oder des Vaters ist.

21 Hierdurch entsteht - wie das Oberverwaltungsgericht ebenfalls zutreffend ausgeführt hat - weder die Gefahr von Doppelanrechnungen noch der Bevorzugung geschiedener oder dauernd getrennt lebender Elternteile, weil - wie dargelegt - der Erhöhungsfreibetrag des § 25 Abs. 3 BAföG dem Auszubildenden in allen Fällen nur einmal zugute kommt.

22 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 und § 188 Satz 2 VwGO.