Beschluss vom 19.09.2007 -
BVerwG 2 B 68.07ECLI:DE:BVerwG:2007:190907B2B68.07.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 19.09.2007 - 2 B 68.07 - [ECLI:DE:BVerwG:2007:190907B2B68.07.0]

Beschluss

BVerwG 2 B 68.07

  • Schleswig-Holsteinisches OVG - 15.03.2007 - AZ: OVG 16 LB 1/06

In der Verwaltungsstreitsache hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 19. September 2007
durch die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Kugele, Dr. Müller
und Groepper
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts vom 15. März 2007 wird zurückgewiesen.
  2. Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

1 Die auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, § 69 BDG) gestützte Beschwerde ist unbegründet. Der Sache kommt keine grundsätzliche Bedeutung zu.

2 Der Beklagte hält folgende Fragen für klärungsbedürftig:
Muss in die umfassende Prognoseentscheidung unter Berücksichtigung aller wesentlichen Umstände des Einzelfalls, wie sie nach § 13 Abs. 2 Satz 1 BDG zu berücksichtigen sind, auch die Überlegung des Opferschutzes unter Beteiligung des Beamten am Opferschutz und damit an der Wiedergutmachung der Tat eingestellt werden oder darf dies außer Acht gelassen werden?
Muss bei der umfassenden Prognoseentscheidung unter Berücksichtigung aller wesentlichen Umstände des Einzelfalls auch berücksichtigt werden, dass zwischen dem Zeitpunkt der Tatbegehung der disziplinargeahndeten Tat und demjenigen der Bestrafung der anschließenden disziplinargerichtlichen Würdigung insbesondere bei den mit strafrechtlichen Sonderverjährungen ausgestatteten Vorschriften bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung in der ein erheblicher Zeitraum vergangen ist oder darf dieser Zeitraum bei der Prognoseentscheidung von vornherein unbeachtet bleiben?

3 Der Beklagte wirft diese Fragen vor dem Hintergrund auf, dass er wegen sexuellen Missbrauchs seiner im Tatzeitraum zwischen vier und sechzehn Jahre alten Tochter im Jahre 2004 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 11 Monaten verurteilt und durch Disziplinarurteil vom 17. Februar 2006 aus dem Beamtenverhältnis entfernt worden ist.

4 Die aufgeworfenen Fragen beziehen sich auf den Inhalt der vom Disziplinargericht gemäß § 13 Abs. 1 BDG zu treffenden Prognoseentscheidung. Wie der Senat hierzu bereits rechtsgrundsätzlich ausgeführt hat, haben die Verwaltungsgerichte bei der Gesamtwürdigung zunächst die im Einzelfall bemessungsrelevanten Tatsachen zu ermitteln und mit dem ihnen zukommenden Gewicht in die Bewertung einzubeziehen. Auf der Grundlage des so zusammengestellten Tatsachenmaterials haben die Verwaltungsgerichte eine Prognose über das voraussichtliche dienstliche Verhalten des Beamten zu treffen und das Ausmaß der von ihm herbeigeführten Ansehensbeeinträchtigung des Berufsbeamtentums einzuschätzen. Bei schweren Dienstvergehen stellt sich vorrangig die Frage, ob der Beamte nach seiner gesamten Persönlichkeit noch im Beamtenverhältnis tragbar ist. Gemäß § 13 Abs. 2 Satz 1 BDG ist ein aktiver Beamter aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen, wenn er das Vertrauen des Dienstherrn oder der Allgemeinheit endgültig verloren hat. Dies ist anzunehmen, wenn aufgrund der Gesamtwürdigung aller im Einzelfall bedeutsamen be- und entlastenden Gesichtspunkte der Schluss gezogen werden muss, der Beamte werde auch künftig nachhaltig gegen Dienstpflichten verstoßen, oder die durch sein Fehlverhalten herbeigeführte Schädigung des Ansehens des Berufsbeamtentums sei bei einer Fortsetzung des Beamtenverhältnisses nicht wiedergutzumachen. Unter diesen Voraussetzungen muss das Beamtenverhältnis im Interesse der Leistungsfähigkeit des öffentlichen Dienstes und der Integrität des Berufsbeamtentums beendet werden. Ergibt die prognostische Gesamtwürdigung, dass ein endgültiger Vertrauensverlust noch nicht eingetreten ist, haben die Verwaltungsgerichte diejenige Disziplinarmaßnahme zu verhängen, die erforderlich ist, um den Beamten zur Beachtung der Dienstpflichten anzuhalten und der Ansehensbeeinträchtigung entgegenzuwirken.

5 Als maßgebendes Bemessungskriterium ist die Schwere des Dienstvergehens gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2 BDG richtungsweisend für die Bestimmung der erforderlichen Disziplinarmaßnahme. Dies bedeutet, dass das festgestellte Dienstvergehen zunächst nach seiner Schwere einer der im Katalog des § 5 BDG aufgeführten Disziplinarmaßnahmen zuzuordnen ist. Dabei können die vom Disziplinarsenat des Bundesverwaltungsgerichts für bestimmte Fallgruppen herausgearbeiteten Regeleinstufungen von Bedeutung sein. Davon ausgehend kommt es für die Bestimmung der Disziplinarmaßnahme darauf an, ob Erkenntnisse zum Persönlichkeitsbild und zum Umfang der Vertrauensbeeinträchtigung im Einzelfall derart ins Gewicht fallen, dass eine andere als die durch die Schwere des Dienstvergehens indizierte Disziplinarmaßnahme geboten ist (vgl. zuletzt Urteil vom 24. Mai 2007 - BVerwG 2 C 25.06 - Rn. 17 - 19, zur Veröffentlichung bestimmt).

6 Mit der ersten Frage wird keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung formuliert, die im Interesse der Fortbildung des Rechts der Klärung durch eine höchstrichterliche Entscheidung bedürfte. Der Beklagte unterstellt, das Berufungsgericht habe sich mit seinem Verhalten nach dem Tatzeitraum nicht beschäftigt und es zu Unrecht nicht mildernd berücksichtigt. Damit wird allein die disziplinarrechtliche Würdigung des Sachverhalts im Einzelfall gerügt. Ungeachtet dessen bieten für eine solche Unterstellung die tatsächlichen Feststellungen des Berufungsurteils keinen Anhaltspunkt. Das Berufungsgericht hat sich mit dem Schwergewicht seiner Entscheidungsgründe mit diesen Umständen befasst, so dass bereits keine Rede davon sein kann, das Berufungsgericht habe sie außer Acht gelassen. Es hat festgestellt, dass sich der Beklagte bereits um eine therapeutische Hilfe bemüht hatte, bevor seine Tochter Strafanzeige gegen ihn erstattet hatte, und dass er sich im Verlaufe des Strafverfahrens zu einer Schmerzensgeldzahlung an seine Tochter in Höhe von 15 000 € verpflichtet hatte. Es hat allerdings aus diesen Umständen nicht die Schlussfolgerungen gezogen, die der Beklagte für geboten hält, sondern dargelegt, dass diese Gesichtspunkte nicht geeignet waren, das zerstörte Vertrauen des Dienstherrn durch dieses ohnehin pflichtgemäße Verhalten wieder zu begründen.

7 Auf die in der ersten Frage erwähnten Gesichtspunkte des Opferschutzes und der Wiedergutmachung ist das Berufungsgericht mit dem Bemerken eingegangen, dass die schweren psychischen Schädigungen der Tochter des Beklagten anhielten und dass es keinen „Achtungsanspruch“ begründe, wenn der Beklagte seine übrigen Kinder nicht sexuell missbraucht, auch sonst keine Rechtsverstöße begangen, seinen Dienst beanstandungsfrei ausgeübt und den Bewährungsauflagen Folge geleistet habe. Auf der Grundlage dieser Feststellungen ist nicht ersichtlich, dass in einem Revisionsverfahren die Frage zu klären wäre, ob Überlegungen zur Beteiligung des Beamten am Opferschutz und damit an der Wiedergutmachung der Tat eingestellt werden müssen oder außer Acht gelassen werden dürfen.

8 Ebenso wenig rechtfertigt die zweite Frage die Zulassung der Revision. Sinngemäß möchte der Beklagte wissen, ob disziplinarrechtlich zu berücksichtigen ist, dass zwischen der letzten als Disziplinarvergehen geahndeten Tat und der disziplinarrechtlichen Ahndung ein besonders langer Zeitraum liegt; in seinen hypothetischen Beispielsfällen spricht der Beklagte von einem Zeitraum von bis zu 15 Jahren.

9 Es kann dahinstehen, ob und gegebenenfalls wie eine außergewöhnlich lange Verfahrensdauer bei der disziplinarrechtlichen Würdigung zu berücksichtigen ist. Der Fall des Beklagten bietet für derartige Überlegungen keinen Anlass, weshalb sich die von ihm als klärungsbedürftig bezeichnete Frage in einem Revisionsverfahren auch nicht stellen würde. Der Beklagte hat die ihm zur Last gelegten Straftaten zwischen 1987 und 1999, also über einen Zeitraum von nahezu 13 Jahren begangen. Die Anzeige seiner Tochter im Jahre 2001 führte zu seiner strafrechtlichen Verurteilung im Jahre 2004, zur Disziplinarklage im Jahre 2005 und zur erstinstanzlichen Entscheidung des Disziplinargerichts im Jahre 2006. Von einer außergewöhnlichen Länge des Verfahrens kann unter diesen Umständen keine Rede sein.

10 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, § 77 Abs. 4 BDG. Das Verfahren ist gerichtsgebührenfrei (§ 78 Abs. 1 Satz 1 BDG).