Beschluss vom 19.01.2006 -
BVerwG 10 B 10.05ECLI:DE:BVerwG:2006:190106B10B10.05.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 19.01.2006 - 10 B 10.05 - [ECLI:DE:BVerwG:2006:190106B10B10.05.0]

Beschluss

BVerwG 10 B 10.05

  • VGH Mannheim - 05.01.2005 - AZ: VGH 2 S 1522/03

In der Verwaltungsstreitsache hat der 10. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 19. Januar 2006
durch den Präsidenten des Bundesverwaltungsgerichts H i e n und
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. N o l t e und D o m g ö r g e n
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 5. Januar 2005 wird zurückgewiesen.
  2. Die Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 25,62 € festgesetzt.

Gründe

1 Die auf den Revisionszulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) gestützte Beschwerde ist unbegründet.

2 1. Die von der Beschwerde für klärungsbedürftig gehaltene Frage,
ob sich ein Widerspruch gegen einen Abgabenbescheid dadurch erledigt, dass eine neue Rechtsgrundlage mit verändertem Regelungsgehalt geschaffen wird, auch wenn noch nicht feststeht, ob eine Anpassung des Abgabenbescheids entweder durch (Teil-)Abhilfebescheid oder durch Zweitbescheid erfolgt,
verleiht der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung. Die Vorinstanz hat über den Eintritt einer Erledigung in Anwendung des § 80 Abs. 1 Satz 5 des Verwaltungsverfahrensgesetzes für Baden-Württemberg (LVwVfG) entschieden. Diese Vorschrift ist irrevisibel, weil sie dem Landesrecht angehört und keine wortgleiche Entsprechung in einer Bestimmung des Verwaltungsverfahrensgesetzes des Bundes findet (§ 137 Abs. 1 VwGO). Dass das Berufungsgericht bei der Auslegung und Anwendung des § 80 Abs. 1 Satz 5 LVwVfG auf den Bedeutungsgehalt des Begriffs der Erledigung im Sinne des § 161 Abs. 2 VwGO und des § 43 Abs. 2 LVwVfG, der mit § 43 Abs. 2 VwVfG wortgleich und deshalb revisibel ist, zurückgegriffen hat, rechtfertigt keine andere Beurteilung. Damit hat das Gericht nur zum Ausdruck gebracht, für das Verständnis des Erledigungsbegriffs in der anzuwendenden Vorschrift seien die zu den beiden anderen Bestimmungen entwickelten Grundsätze maßgeblich, die Begriffsinhalte deckten sich also. § 161 Abs. 2 VwGO und § 43 Abs. 2 LVwVfG/VwVfG werden mithin nicht als Regelungen eines Normtatbestandes zugrunde gelegt, an den anknüpfend § 80 Abs. 1 Satz 5 LVwVfG nur noch die Rechtsfolge regelt, sondern lediglich als Interpretationshilfe herangezogen. Das reicht nicht aus, um der aufgeworfenen Frage Revisibilität zuzuerkennen (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Juni 1969 - BVerwG 7 C 20.67 - BVerwGE 32, 252 <254 f.>; Urteil vom 30. Januar 1996 - BVerwG 1 C 9.93 - Buchholz 430.2 Kammerzugehörigkeit Nr. 7 S. 2 ff.). Der gegenteiligen Auffassung der Beschwerde kann umso weniger gefolgt werden, als Regelungsgegenstand des § 161 Abs. 2 VwGO und des § 43 Abs. 1 LVwVfG nicht die Erledigung des Widerspruchs, sondern die Erledigung des gerichtlichen Verfahrens bzw. des Verwaltungsakts ist.

3 Der Qualifizierung des Begriffs der "Erledigung auf andere Weise" als Bestandteil eines Rechtssatzes irrevisiblen Rechts steht auch nicht der Umstand entgegen, dass die §§ 68 ff. VwGO eine abschließende Regelung treffen, soweit es um die Ausgestaltung des Widerspruchsverfahrens als Voraussetzung für ein nachfolgendes verwaltungsgerichtliches Verfahren geht (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 17. Februar 1981 - BVerwG 7 C 55.79 - BVerwGE 61, 360 <362 f.>). Diese abschließende Regelung lässt die Zuständigkeit des Landesgesetzgebers unberührt, im Rahmen seiner Kompetenz zur Normierung des Verwaltungsverfahrens Fragen zu regeln, die im Zusammenhang mit der Beendigung des Verwaltungsverfahrens vor der Ausgangs- oder Widerspruchsbehörde stehen (BVerwG, Beschluss vom 23. November 1978 - BVerwG 5 B 102.76 - Buchholz 310 § 77 VwGO Nr. 1 S. 2). In diesem Fall hat das Vorverfahren seine Funktion als Prozessvoraussetzung einer nachfolgenden verwaltungsgerichtlichen Klage verloren. Eben darum geht es bei der vom Berufungsgericht in Anwendung des § 80 Abs. 1 Satz 5 LVwVfG entschiedenen Frage, welche kostenrechtlichen Folgen eine durch den Widerspruchsführer im Vorverfahren abgegebene Erledigungserklärung hat.

4 Nur ergänzend weist der Senat darauf hin, dass der Begriff der Erledigung im Sinne des § 161 Abs. 2 VwGO unter den in der Beschwerde angesprochenen Gesichtspunkten ausreichend geklärt ist. Wie das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 22. Januar 1993 (BVerwG 8 C 40.91 - Buchholz 310 § 161 VwGO Nr. 100 S. 47) entschieden hat, erledigt sich ein Rechtsstreit in der Hauptsache, falls er infolge einer Rechtsänderung eine derartige Wendung zu Ungunsten des Klägers nimmt, dass eine bis dahin aussichtsreiche Klage unbegründet oder ihre Erfolgsaussicht entscheidend geschmälert wird. Zu einer solchen Schmälerung der Erfolgsaussicht kommt es auch dann, wenn eine dem angefochtenen Heranziehungsbescheid zugrunde liegende nichtige satzungsrechtliche Regelung des Gebührensatzes durch eine den Gebührensatz nicht gleichbleibend, sondern erhöht festlegende wirksame Satzungsregelung ersetzt wird. Eine Aufhebung des Beitragsbescheids im Klageweg kann der Widerspruchsführer in diesem Fall ebenso wenig erreichen wie bei einer gleichbleibenden Festlegung des Beitragssatzes.

5 2. Für grundsätzlich bedeutsam hält die Beschwerde außerdem die folgende Frage:
Ist bei einer nach Erledigung eines Rechtsschutzbegehrens erforderlichen Kostenentscheidung nach billigem Ermessen eine allgemeine Verteilungsregel zu beachten, wonach der Abgabengläubiger mit den Kosten zu belasten ist, wenn eine ursprüngliche fehlerhafte Rechtsgrundlage durch eine neue ersetzt wurde?

6 Diese Frage kann sich im vorliegenden Verfahren nur stellen, soweit es um die Erledigung eines Widerspruchs geht. Insoweit ist auch über sie in Anwendung irrevisiblen Landesrechts zu entscheiden. Die angesprochene Verteilungsregel ist vom Berufungsgericht als ein allgemeiner Rechtsgedanke verstanden worden, der die jeweils einschlägige gesetzliche Regelung der Kostenverteilung ergänzt. Welchem Rechtskreis derartige allgemeine Grundsätze zuzurechnen sind, hängt von der Qualität des Rechts ab, zu dessen Ergänzung sie herangezogen werden. Ergänzen sie Bundesrecht, so sind sie selbst als Bundesrecht zu qualifizieren, ergänzen sie Landesrecht, so gehören sie - sofern nicht weitergehend Bundesverfassungsrecht eingreift - dem Landesrecht an (stRspr; vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 14. April 1978 - BVerwG 4 C 6.76 - BVerwGE 55, 337 <339>; Beschluss vom 29. Oktober 1997 - BVerwG 8 B 194.97 - NVwZ-RR 1998, 513 f.; Beschluss vom 23. Oktober 2000 - BVerwG 1 B 51.00 - Buchholz 310 § 144 VwGO Nr. 69 S. 5). Das Berufungsgericht hat zwar darauf hingewiesen, dass der erwähnte Rechtsgedanke im Zusammenhang mit § 161 Abs. 2 VwGO entwickelt worden ist, ihn aber hier im Zusammenhang mit § 80 Abs. 1 Satz 5 LVwVfG und damit als Landesrecht angewandt.

7 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 3, § 72 Nr. 1 GKG.