Beschluss vom 18.09.2003 -
BVerwG 1 B 433.02ECLI:DE:BVerwG:2003:180903B1B433.02.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 18.09.2003 - 1 B 433.02 - [ECLI:DE:BVerwG:2003:180903B1B433.02.0]

Beschluss

BVerwG 1 B 433.02

  • Hessischer VGH - 19.08.2002 - AZ: VGH 12 UE 3297/99.A

In der Verwaltungsstreitsache hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 18. September 2003
durch die Vizepräsidentin des Bundesverwaltungsgerichts E c k e r t z - H ö f e r
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht H u n d und Prof. Dr. D ö r i g
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 19. August 2002 wird verworfen.
  2. Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Die auf § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO gestützte Beschwerde ist unzulässig, denn sie legt die geltend gemachten Verfahrensmängel nicht den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO entsprechend dar.
1. Die Beschwerde sieht einen Verstoß gegen das Recht der Klägerin auf rechtliches Gehör (§ 138 Ziff. 3 VwGO, Art. 103 Abs. 1 GG) zunächst darin, dass sich das angefochtene Urteil nicht mit dem Vortrag der Klägerin auseinander gesetzt habe, auch aus eigenen Gründen verfolgt worden zu sein. Sie habe darauf hingewiesen, "bereits einmal am Newroz 1992 inhaftiert gewesen zu sein". Bei ausreichendem rechtlichen Gehör hätte die Klägerin dargelegt, dass die einmalige Festnahme bereits zu einer Registrierung führe, die "bei Rückkehr, aber auch bei einer Razzia in der Westtürkei" zur Folge habe, dass "bei Rückfragen bei der Polizei im Heimatort ihre Verhaftung und der Verdacht des PKK-Sympathisantentums wiederum publik geworden wäre" (Beschwerdebegründung S. 2). Damit wird eine Verletzung des rechtlichen Gehörs nicht hinreichend und schlüssig dargelegt. Das Berufungsurteil ist zwar auf die vorgetragene Inhaftierung der Klägerin am Newroz 1992 nicht ausdrücklich eingegangen. Aus dem Schweigen der Urteilsgründe zu Einzelheiten des Prozessstoffs allein kann aber nicht der Schluss gezogen werden, das Gericht habe dies nicht zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts ist vielmehr grundsätzlich - und so auch hier - davon auszugehen, dass ein Gericht den Vortrag der Verfahrensbeteiligten zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat. Nur wenn sich aus den Umständen des Einzelfalls deutlich ergibt, dass das Gericht dieser Verpflichtung nicht nachgekommen ist, kommt eine Gehörsverletzung in Betracht (vgl. etwa Beschluss vom 5. Februar 1999 - BVerwG 9 B 797.98 - Buchholz 310 § 108 Abs. 2 VwGO Nr. 4 unter Hinweis auf BVerwGE 96, 205 <216 f.>). Für einen solchen Ausnahmefall trägt die Beschwerde nichts vor. Denn die Klägerin hat sowohl im erst- wie im zweitinstanzlichen Verfahren die Verhaftung, Misshandlung und Bedrohung vom Dezember 1993 in den Vordergrund ihres Vorbringens zu einer individuellen Verfolgungsgefahr gestellt. Obwohl schon das erstinstanzliche Urteil den Vortrag einer Inhaftierung 1992 nur kurz im Tatbestand erwähnt (UA S. 3 unten) und nicht weiter darauf eingeht, hat sie dies im Berufungsverfahren nicht beanstandet. Vielmehr hat sie sich damit begnügt, in der Berufungsbegründung nebenbei zu erwähnen, bereits anlässlich des Newroz-Festes am 21. März 1992 "kurz inhaftiert gewesen" zu sein (vgl. Berufungsbegründung vom 6. Dezember 1999, S. 2). Im Rahmen ihrer Anhörung durch den Berichterstatter des Berufungsgerichts am 12. Juli 2002 ging sie auf diese erste Inhaftierung vom März 1992 nicht ein. Im Hinblick auf diese Umstände ist weder dargetan noch ersichtlich, dass das Berufungsgericht den Vortrag in den Urteilsgründen erneut erwähnen und sich hiermit hätte ausdrücklich befassen müssen. Vielmehr ist mangels entgegenstehender Anhaltspunkte davon auszugehen, dass die Wertung des Berufungsgerichts, die Klägerin sei durch die Inhaftierung und Bedrohung vom Dezember 1993 nicht landesweit in eine ausweglose Situation gebracht worden, unter Berücksichtigung der dem Gericht - auch durch die Bezugnahme auf die erstinstanzliche Entscheidung - bekannten Inhaftierung vom März 1992 erfolgt ist. Es kommt hinzu, dass sich das angefochtene Urteil auch mit der von der Beschwerde angesprochenen Frage (Beschwerdebegründung S. 3) auseinander setzt, welche Folgen u.a. eine frühere Festnahme auf das Verfolgungsrisiko bei Rückkehr in die Westtürkei hat (UA S. 60 ff.). Der Verwaltungsgerichtshof bewertet die Auskunftslage so, dass die Gefahr asylrelevanter Verfolgungsmaßnahmen nur dann besteht, wenn "konkrete Anhaltspunkte für die Begehung von Straftaten, insbesondere durch Unterstützung der PKK" bestehen (UA S. 67). Auch darauf geht die Beschwerde nicht ein. Ebenso wenig befasst sie sich damit, dass der Verwaltungsgerichtshof - im Anschluss an die zitierten Feststellungen - ausgeführt hat (UA S. 68), der Klägerin drohe "auch unter Berücksichtigung ihrer persönlichen Verhältnisse bei einer Rückkehr in die Türkei nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung"; sie habe "keine Umstände glaubhaft dargetan, die befürchten lassen, man werde gegen sie in der Türkei ermitteln oder vorgehen". Auch im Hinblick hierauf ist weder dargetan noch mit der erforderlichen Deutlichkeit erkennbar, dass der Verwaltungsgerichtshof bei dieser Bewertung den als übergangen gerügten Vortrag nicht zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat.
2. Die Beschwerde sieht einen weiteren Gehörsverstoß darin, dass das Berufungsgericht den Vortrag der Klägerin auf eine Verfolgung wegen des Haftbefehls gegen ihren Ehemann "verkürzt" habe (Beschwerdebegründung S. 3). Verfolgungsgrund sei vielmehr "der insbesondere dem Ehemann vorgeworfene Kontakt der PKK-Unterstützung" gewesen. Sie habe nicht damit rechnen müssen, dass der Verwaltungsgerichtshof die weitere Verhaftung und Freilassung ihres Ehemannes zwar glaube, sich aber nicht damit auseinander setze, "dass sie dann auch nicht einfach als registrierte PKK-Sympathisantin" in einer anderen Region der Türkei "sicher" sei. Auch damit wird eine Gehörsverletzung nicht schlüssig aufgezeigt. Die Beschwerde geht nicht auf die eingehenden Erwägungen im Berufungsurteil ein, dass der Klägerin wegen der Maßnahmen gegen den Ehemann - soweit ihnen geglaubt worden ist - keine landesweite Verfolgung gedroht habe (UA S. 39 ff.) oder bei ihrer Rückkehr drohe (UA S. 68). In Wahrheit wendet sie sich gegen die Würdigung des Sachverhalts durch das Berufungsgericht und seine - als falsch bewertete - negative Verfolgungsprognose, ohne schlüssig darzulegen, dass es den Vortrag eigener Verfolgungsgefahren nicht zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat. Außerdem hat das Berufungsgericht nicht festgestellt, dass die Klägerin als PKK-Sympathisantin "registriert" worden ist; auch insoweit fehlt es schon an ausreichenden Darlegungen der Beschwerde.
3. Die Beschwerde bezeichnet auch keinen Verstoß gegen die richterliche Sachaufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO).
Ein solcher kann nicht aus der Tatsache hergeleitet werden, dass das Gericht im Rahmen seiner Beweiswürdigung zu dem Ergebnis gelangt ist, der vom Ehemann der Klägerin vorgelegte Haftbefehl sei gefälscht, obwohl die Fälschung in dem vom Ehemann betriebenen Asylverfahren noch nicht rechtskräftig festgestellt sei (Beschwerdebegründung S. 4, Ziff. 3). Die Beschwerde legt keine Gesichtspunkte dafür dar, warum das Gericht gehindert gewesen sein sollte, die Beweiskraft des in das Verfahren eingeführten Haftbefehls unabhängig vom Ausgang des den Ehemann betreffenden Verfahrens zu würdigen. Die Beschwerde begründet auch nicht näher, weshalb sich das mit ehrenamtlichen Richtern entscheidende Berufungsgericht zur Begründung einer eigenen Sachkunde nicht auf die in das Verfahren eingeführten Erkenntnisquellen berufen durfte (vgl. UA S. 40; vgl. allgemein zuletzt etwa Beschluss vom 30. Januar 2002 - BVerwG 1 B 326.01 - Buchholz 310 § 98 VwGO Nr. 69 m.w.N.). Die Rüge scheitert ferner daran, dass sich das Gericht in einer zweiten selbständig tragenden Begründung darauf gestützt hat, dass sich aus dem vorgelegten Haftbefehl - unabhängig davon, ob er als Fälschung anzusehen ist - keine Verfolgungsgefährdung für die Klägerin ableiten lässt (UA S. 40 f.).
Einen Aufklärungsmangel kann die Beschwerde auch nicht daraus ableiten, dass das Berufungsgericht "ohne ausreichende Aufklärung zu dem Schluss" gekommen sei, "die Klägerin hätte nach ihrer Inhaftierung anderweitig keine Verfolgung zu erleiden gehabt" (Beschwerdebegründung S. 4, Ziff. 4). Soweit die Beschwerde hierzu rügt, das Berufungsgericht habe ein Gutachten von Dr. Christian Rumpf vom 23. Januar 2001 für das VG Augsburg nicht zur Entscheidungsfindung herangezogen, trägt die Beschwerde schon nicht vor, dass der - nicht in das Verfahren eingeführte (vgl. UA S. 5 ff.) - Bericht dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegen hat oder dass die Bevollmächtigte der Klägerin dessen Beiziehung beantragt hat. Die Beschwerde legt auch nicht dar, inwiefern der Bericht neue oder weiterführende Erkenntnisse als die in das Verfahren eingeführten Erkenntnismittel enthalten soll und weshalb diese Erkenntnisse überhaupt zu einer für die Klägerin günstigeren Entscheidung hätten führen sollen.
4. Die von der Beschwerde weiter erhobene Rüge, das angefochtene Urteil verstoße gegen § 138 Nr. 6 VwGO, weil es zur landesweiten Verfolgungsgefahr und zum Fehlen einer Vorverfolgung nicht mit Gründen versehen sei (Beschwerdebegründung S. 3 und 4 f., Ziff. 5), verkennt sie die Anforderungen an den geltend gemachten groben Formmangel fehlender Entscheidungsgründe nach § 138 Nr. 6 VwGO. Ein solcher liegt nur dann vor, wenn der Entscheidung entweder überhaupt keine Gründe beigegeben sind oder die Begründung "völlig unverständlich und verworren ist, so dass sie in Wirklichkeit nicht erkennen lässt, welche Überlegungen für die Entscheidung maßgebend gewesen sind" (vgl. Beschluss vom 5. Juni 1998 - BVerwG 9 B 412.98 - Buchholz 310 § 138 Ziff. 6 VwGO Nr. 32 = NJW 1998, 3290 m.w.N.). Einen derartigen Mangel des angefochtenen Urteils zeigt die Beschwerde nicht auf.
In Wahrheit wendet sich die Beschwerde insgesamt im Gewande von Verfahrensrügen gegen die dem Tatrichter vorbehaltene Feststellung und Würdigung des Sachverhalts, ohne einen Zulassungsgrund nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO aufzuzeigen.
Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 VwGO).
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 und 3 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83 b AsylVfG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 83 b Abs. 2 AsylVfG.