Beschluss vom 18.09.2002 -
BVerwG 1 B 41.02ECLI:DE:BVerwG:2002:180902B1B41.02.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 18.09.2002 - 1 B 41.02 - [ECLI:DE:BVerwG:2002:180902B1B41.02.0]

Beschluss

BVerwG 1 B 41.02

  • Hessischer VGH - 03.12.2001 - AZ: VGH 12 UE 2451/01

In der Verwaltungsstreitsache hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 18. September 2002
durch die Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht
E c k e r t z - H ö f e r sowie die Richter am Bundes-
verwaltungsgericht Dr. M a l l m a n n und
R i c h t e r
beschlossen:

  1. Das Urteil des Hessischen Verwaltungsgerichtshofes vom 3. Dezember 2001 wird aufgehoben.
  2. Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Hessischen Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen.
  3. Die Kostenentscheidung in der Hauptsache bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
  4. Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens folgt der vorbehaltenen Kostenentscheidung in der Hauptsache.

I


Der 1958 in Pakistan geborene Kläger heiratete 1990 im Bundesgebiet die deutsche Staatsangehörige C.K. Bei der Eheschließung legte er sowohl eine amtliche Bestätigung seiner Ehelosigkeit in Pakistan als auch eine eidesstattliche Erklärung seines Vaters vor, dass er ledig und noch nicht verheiratet gewesen sei. Im August 1994 beantragte der Kläger seine Einbürgerung. Dabei kreuzte er in dem Antragsformular bei der Frage nach früheren Ehen die Antwort "nein" an und strich die Felder in dem Abschnitt "Kinder" durch. Im Februar 1996 wurde er eingebürgert. Nach der Scheidung der Ehe des Klägers mit der Frau C.K. beantragte Frau R.K. für sich und drei Kinder bei der Deutschen Botschaft in Islamabad die Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung zum Zweck der Familienzusammenführung mit dem Kläger. Dem Bericht der Botschaft zufolge sollen der Kläger und Frau R. K. - entgegen den von ihnen zuvor gemachten Angaben - seit August 1985 verheiratet sein.
Die Klage richtet sich gegen die daraufhin verfügte Rücknahme der Einbürgerung des Klägers, die u.a. damit begründet war, dass es an der nach § 9 RuStAG erforderlichen Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse fehle, da der Kläger die Grundzüge der in Deutschland geltenden sozialen und rechtlichen Ordnung nicht hinreichend verinnerlicht habe. Die Einbürgerungsbehörde sei nämlich nunmehr davon überzeugt, dass der Kläger im Zeitpunkt der Eheschließung mit Frau C.K. nicht mehr ledig gewesen sei. Der Kläger macht demgegenüber unter Vorlage von Urkunden geltend, die Ehe mit Frau R.K. sei 1989 geschieden worden. In erster Instanz ist die Klage erfolglos geblieben. Das Berufungsgericht hat den angegriffenen Rücknahmebescheid unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils aufgehoben und die Revision nicht zugelassen. Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Beklagten.

II


Die Beschwerde ist zulässig und begründet.
Sie beanstandet zu Recht eine Verletzung der Aufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO) durch das Berufungsgericht. Wegen dieses Verfahrensmangels (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO), auf dem die Entscheidung beruhen kann, verweist das Gericht die Sache im Interesse der Verfahrensbeschleunigung an das Berufungsgericht zurück (§ 133 Abs. 6 VwGO).
Dem Berufungsgericht musste es sich aufdrängen, das Alter des vom Kläger vorgelegten Originals des Scheidungsdokuments überprüfen zu lassen (z.B. durch ein Sachverständigengutachten). Zur Begründung dafür, dass eine derartige Überprüfung nicht geboten sei, hat das Berufungsgericht darauf verwiesen, die Unterlagen seien bereits in Pakistan unter Mithilfe eines Vertrauensanwalts der Deutschen Botschaft geprüft und für echt befunden worden (UA S. 12). Die Beschwerde macht demgegenüber zu Recht geltend, die Überprüfung des Dokuments sei anhand von Kopien erfolgt und somit hinsichtlich des Papieralters nicht aussagekräftig. Der Kläger hatte nämlich die Scheidungsunterlagen mit Schriftsatz vom 19. November 1999 zunächst nur in Ablichtung vorgelegt. Noch vor der Vorlage des Originaldokuments in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht am 21. September 2000 veranlasste der Beklagte die Überprüfung der Kopien durch die Deutsche Botschaft in Islamabad und teilte das Ergebnis der Überprüfung durch Schriftsatz vom 15. August 2000 mit. Soweit die Botschaft ausführte, "derzeit" könne nicht nachgewiesen werden, ob es sich um nachträglich erstellte Scheidungsunterlagen handelt, spricht dies nicht gegen das Erfordernis seiner Überprüfung des Alters des Originaldokuments, da die Botschaft - wie bereits dargelegt - eine entsprechende Überprüfung gar nicht vornehmen konnte. Demgegenüber hatte die Botschaft im Bericht vom 15. Januar 1998 hinsichtlich der Heiratsurkunde von Frau R.K. und dem Kläger im Hinblick auf die Papierbeschaffenheit des Originals verneint, dass es sich um ein 12 Jahre altes Dokument handelt (Behördenakte, Bl. 57).
Das Berufungsgericht verkennt nicht, dass die von der Einbürgerungsbehörde angeführten zahlreichen Unstimmigkeiten - u.a. gab der Kläger in seinem Einbürgerungsantrag wahrheitswidrig an, noch nicht verheiratet gewesen zu sein und keine Kinder zu haben - dafür sprechen könnten, dass er bewusst seine Einbürgerung unter Vorspiegelung falscher Tatsachen betrieben hat. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts war es unter diesen Umständen aber geboten, die von dem Beklagten im Berufungsverfahren angeregte Überprüfung des Alters des Dokuments vornehmen zu lassen. Dafür spricht auch der bereits erwähnte Bericht der Deutschen Botschaft in Islamabad vom 15. Januar 1998, der aufgrund eingehender Recherchen des Vertrauensanwalts zu dem Ergebnis kommt, dass der Kläger bereits seit 1985 mit Frau R.K. verheiratet ist. Soweit das Berufungsgericht ausführt, die in Rede stehende Prüfung hätte vom Beklagten bereits im erstinstanzlichen Verfahren veranlasst werden können, hält dem die Beschwerde zu Recht entgegen, dass der Beklagte nicht im Besitz der Originalunterlagen war und im Übrigen bereits im erstinstanzlichen Verfahren eine entsprechende Prüfung angeregt hat. Ohne Bedeutung ist in diesem Zusammenhang, ob die von dem Beklagten angeführten Argumente hinsichtlich der Ehescheidung und Wiederverheiratung zutreffen können und ob sie, wie das Berufungsgericht meint, erst nach umfangreicher Sachaufklärung beantwortet werden können.
Die Berufungsentscheidung kann auf der Unterlassung der gebotenen Aufklärung beruhen, da nicht auszuschließen ist, dass die Überprüfung des Scheidungsdokuments zu einem anderen Ergebnis geführt hätte.
Auf die weiteren mit der Beschwerde erhobenen Zulassungsrügen kommt es danach nicht an.