Beschluss vom 16.06.2003 -
BVerwG 7 B 125.02ECLI:DE:BVerwG:2003:160603B7B125.02.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 16.06.2003 - 7 B 125.02 - [ECLI:DE:BVerwG:2003:160603B7B125.02.0]

Beschluss

BVerwG 7 B 125.02

  • VG Chemnitz - 04.07.2002 - AZ: VG 9 K 1984/98

In der Verwaltungsstreitsache hat der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 16. Juni 2003
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht S a i l e r und
die Richter am Bundesverwaltungsgericht H e r b e r t und N e u m a n n
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Chemnitz vom 4. Juli 2002 wird zurückgewiesen.
  2. Die Kläger tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens als Gesamtschuldner.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 306 775 € festgesetzt.

Die Kläger wenden sich gegen einen Bescheid, durch den die Beklagte die vermögensrechtliche Rückübertragung eines Grundstücks an die Kläger zurückgenommen hat. Das zurückbegehrte Grundstück war nach seiner Überführung in Volkseigentum mit anderen Grundstücken zu einem neuen Grundstück verschmolzen worden, das anschließend wiederholt zergliedert worden ist. Die Beklagte hat ihren Restitutionsbescheid mit der Begründung zurückgenommen, die dort umschriebene zurückzuübertragende Teilfläche der neu entstandenen Grundstücke sei mit dem entzogenen Grundstück nicht identisch. Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen, weil die Voraussetzungen für eine Rücknahme des Restitutionsbescheids vorgelegen hätten. Es hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen.
Die hiergegen eingelegte Beschwerde der Kläger ist unbegründet. Die geltend gemachten Zulassungsgründe liegen nicht vor.
1. Das angefochtene Urteil beruht nicht auf den gerügten Verfahrensfehlern (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Das Verwaltungsgericht hat nicht seine Pflicht verletzt, den Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln (§ 86 Abs. 1 VwGO).
Die Kläger erheben diesen Vorwurf zum einen mit Blick auf die Annahme des Verwaltungsgerichts, das entzogene Grundstück sei nicht identisch mit der Fläche, die nach dem aufgehobenen Restitutionsbescheid an die Kläger zurückübertragen werden sollte. Seine Überzeugung, die restituierte Fläche stimme nicht mit dem entzogenen Grundstück überein, hat sich das Verwaltungsgericht anhand eines Vergleichs der Fortführungsrisse mit den ursprünglichen und aktuellen Flurkarten gebildet. Die Kläger haben nicht dargelegt, dass sich dem Verwaltungsgericht weitere Ermittlungen aufdrängen mussten. Schon die Beklagte hat sich in ihrem Rücknahmebescheid auf diese Unterlagen gestützt. Die Kläger haben weder während des Verwaltungsverfahrens noch während des Klageverfahrens erster Instanz geltend gemacht, diese Unterlagen seien ungeeignet, die tatsächliche Lage des entzogenen Grundstücks innerhalb der neu entstandenen Grundstücke zu bestimmen. Sie haben lediglich mit Nichtwissen bestritten, dass die restituierte Fläche nicht mit dem entzogenen Grundstück identisch ist. Eine Beweiserhebung zu dieser Frage haben sie nicht beantragt. Die von ihnen angeregte Ortsbesichtigung bezog sich auf die Frage, ob die Fläche, die nach Auffassung der Beklagten und des Verwaltungsgerichts dem entzogenen Grundstück entspricht, im komplexen Wohnungsbau verwendet wurde (§ 5 Abs. 1 Buchst. c VermG).
Die Kläger werfen dem Verwaltungsgericht zum anderen vor, es habe nicht ausreichend ermittelt, wann die Beklagte Kenntnis davon erlangt habe, dass die restituierte Fläche nicht mit dem entzogenen Grundstück identisch ist. Die Kläger rügen in diesem Zusammenhang zugleich, das Verwaltungsgericht habe ihren hierauf bezogenen Vortrag übergangen. Sie machen damit der Sache nach geltend, das Verwaltungsgericht habe ihren Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt. Beide Rügen sind unbegründet.
Welche Tatsachen das Verwaltungsgericht ermitteln muss, bestimmt sich nach seiner materiellen Rechtsauffassung. Unterlässt das Verwaltungsgericht die Ermittlung von Tatsachen, auf die es nach seiner materiellen Rechtsauffassung nicht ankommt, liegt kein Verfahrensfehler vor, und zwar auch dann nicht, wenn die materielle Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts unzutreffend sein sollte. Wann die Beklagte Kenntnis davon erlangt hat, dass die zurückübertragene Fläche nicht mit dem entzogenen Grundstück identisch ist, konnte von Bedeutung allein für die Frage sein, wann die Frist für die Rücknahme des Restitutionsbescheids zu laufen begonnen hatte (§ 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG). Insoweit hat das Verwaltungsgericht aber angenommen, diese Frist beginne regelmäßig - und so auch hier - erst nach Abschluss eines Anhörungsverfahrens (§ 32 Abs. 1 Satz 1 VermG) zu laufen; danach sei die Frist durch den am 28. Juni 1996 zugestellten Rücknahmebescheid gewahrt, weil die Beklagte den Klägern den Entwurf des Rücknahmebescheids erst am 22. April 1996 zur Stellungnahme zugestellt habe. Danach war für das Verwaltungsgericht nicht entscheidungserheblich, seit wann die Beklagte Kenntnis von der mangelnden Identität der zurückübertragenen Fläche mit dem entzogenen Grundstück hatte.
Weil der Vortrag der Kläger zu dieser Frage aus der maßgeblichen materiellrechtlichen Sicht des Verwaltungsgerichts nicht entscheidungserheblich war, musste das Verwaltungsgericht sich mit diesem Vortrag nicht auseinander setzen. Dass eine solche Auseinandersetzung unterblieben ist, lässt deshalb nicht den Schluss zu, das Verwaltungsgericht habe den Vortrag der Kläger unter Verletzung ihres rechtlichen Gehörs nicht zur Kenntnis genommen oder nicht in Erwägung gezogen.
2. Das angefochtene Urteil weicht nicht im Verständnis von § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO von den Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts ab, welche die Kläger in ihrer Beschwerde bezeichnet haben.
a) Das Verwaltungsgericht hat seiner Entscheidung keinen abstrakten Rechtssatz zugrunde gelegt, der in Widerspruch zu einem ebensolchen Rechtssatz in dem Urteil vom 28. März 1996 - BVerwG 7 C 35.95 - (BVerwGE 101, 47) steht. Nach jener Entscheidung fehlt einer kreisfreien Stadt das Rechtsschutzbedürfnis für eine Anfechtungsklage gegen einen Restitutionsbescheid, den eine ihrer Behörden erlassen hat, es sei denn dieser Bescheid sei in Ausführung einer staatlichen Weisung ergangen. Das Verwaltungsgericht hat nicht angenommen, die Klage, welche die Beklagte gegen den ursprünglichen Restitutionsbescheid ihres Vermögensamtes erhoben hatte, sei zulässig gewesen. Das Verwaltungsgericht ist vielmehr in Übereinstimmung mit der genannten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts von der Unzulässigkeit der Klage ausgegangen. Es hat nur offen gelassen, ob der Klage wegen ihrer Unzulässigkeit die aufschiebende Wirkung fehlte und der Restitutionsbescheid deshalb im Zeitpunkt seiner Rücknahme bereits bestandskräftig war. Das Verwaltungsgericht hat angenommen, auch im Falle der Bestandskraft des Restitutionsbescheides sei ein Vertrauen der Kläger auf dessen Fortbestand nicht schutzwürdig.
b) Die Kläger haben nicht dargelegt, dass das Verwaltungsgericht mit einem seine Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz von einem ebensolchen Rechtssatz abweicht, den das Bundesverwaltungsgericht in seinen Urteilen vom 20. Dezember 1999 - BVerwG 7 C 42.98 - (BVerwGE 110, 226) und vom 20. September 2001 - BVerwG 7 C 6.01 - (Buchholz 316 § 48 VwVfG Nr. 103) aufgestellt hat. Das Bundesverwaltungsgericht hat in beiden Entscheidungen angenommen, eine Behörde könne ihre Befugnis zur Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsakts verwirken. Das Verwaltungsgericht hat sich mit dieser Möglichkeit nicht auseinander gesetzt, offenkundig weil es nach Lage des Falles dazu keinen Anlass sah. Das Verwaltungsgericht hat jedenfalls nicht den abstrakten Rechtssatz aufgestellt, eine Verwirkung der Rücknahmebefugnis komme (generell) nicht in Betracht. Die Kläger legen nur dar, dass die Beklagte nach den konkreten Umständen des Falles ihre Rücknahmebefugnis verwirkt habe. Sie machen damit nur geltend, das Verwaltungsgericht habe einen Rechtssatz nicht oder nicht richtig angewandt. Damit kann eine Abweichung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO nicht dargetan werden.
3. Die Rechtssache hat nicht die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Die Kläger werfen sinngemäß die Frage auf, ob es für die Kenntnis der Tatsachen, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsakts rechtfertigen, auf die Kenntnis des zur Entscheidung berufenen Amtes ankommt oder ob auch die Kenntnis eines anderen (Fach-)Amtes derselben Behörde ausreicht. Diese Frage bedarf keiner Klärung in einem Revisionsverfahren. Das Bundesverwaltungsgericht hat sie bereits entschieden. Maßgeblich ist allein die Kenntnis des Amtswalters, der zur Rücknahme des Verwaltungsakts zuständig ist. Hingegen genügt nicht die Kenntnis eines Amtswalters, der nur einzelne Fachfragen zu begutachten hat (Urteil vom 24. Januar 2001 - BVerwG 8 C 8.00 - BVerwGE 112, 360).
Im Übrigen ist die Frage nicht klärungsfähig. Es kommt nicht entscheidungserheblich darauf an, ob die Kenntnis des Vermessungs- und Liegenschaftsamtes von der tatsächlichen Lage des entzogenen Grundstücks für den Fristbeginn des § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG maßgeblich ist. Das Verwaltungsgericht hat in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts hier darauf abgestellt, dass die Frist nicht vor Abschluss der Anhörung zu laufen begonnen hat.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 159 Satz 2 VwGO, die Festsetzung des Streitwerts auf § 14 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.

Beschluss vom 09.09.2003 -
BVerwG 7 KSt 8.03ECLI:DE:BVerwG:2003:090903B7KSt8.03.0

Beschluss

BVerwG 7 KSt 8.03

  • VG Chemnitz - 04.07.2002 - AZ: VG 9 K 1984/98

In der Verwaltungsstreitsache hat der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 9. September 2003
durch die Richter am Bundesverwaltungsgericht G ö d e l , H e r b e r t und
N e u m a n n
beschlossen:

Auf die Gegenvorstellung der Kläger wird die Festsetzung des Streitwerts in dem Beschluss des Senats vom 16. Juni 2003 geändert und der Wert des Streitgegenstandes für das Beschwerdeverfahren auf 250 000 € festgesetzt.

Nach § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG ist der Streitwert nach der sich aus dem Antrag der Kläger für sie ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen. Die Kläger wandten sich gegen die Rücknahme eines Bescheides, durch den die Beklagte ihnen ein bebautes Grundstück nach dem Vermögensgesetz zurückübertragen hatte. In derartigen Fällen bemisst sich das mit dem Klageantrag verfolgte Interesse nach dem aktuellen Verkehrswert des zurückübertragenen Grundstücks, denn dieses Grundstück hätten die Kläger bei Erfolg ihrer Klage behalten dürfen. Es kommt hingegen nicht auf den Verkehrswert der Fläche an, auf deren Rückgabe sich ihr ursprünglicher Restitutionsantrag tatsächlich gerichtet hatte und die die Beklagte ihnen bei Vorliegen der Voraussetzungen hätte zurückübertragen müssen. Maßgeblich ist der Verkehrswert bei Einleitung des Beschwerdeverfahrens (§ 15 GKG).
Danach ist die von den Klägern vorgelegte aktuelle Bodenrichtwertkarte zugrunde zu legen. Der Senat ordnet das streitige Grundstück dem angrenzenden Mischgebiet Helbersdorfer Straße mit einem Bodenwert von 65 €/m2 zu. Der Bodenwert des etwa 3 000 m2 großen Grundstücks beträgt danach 195 000 €. Unter Berücksichtigung der aufstehenden Bebauung erscheint für das Beschwerdeverfahren ein Streitwert von 250 000 € angemessen.