Beschluss vom 15.09.2006 -
BVerwG 1 B 74.06ECLI:DE:BVerwG:2006:150906B1B74.06.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 15.09.2006 - 1 B 74.06 - [ECLI:DE:BVerwG:2006:150906B1B74.06.0]

Beschluss

BVerwG 1 B 74.06

  • Niedersächsisches OVG - 16.02.2006 - AZ: OVG 9 LB 26/03

In der Verwaltungsstreitsache hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 15. September 2006
durch die Vizepräsidentin des Bundesverwaltungsgerichts Eckertz-Höfer,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Richter und die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Beck
beschlossen:

  1. Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 16. Februar 2006 aufgehoben.
  2. Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen.
  3. Die Entscheidung über die Kosten in der Hauptsache bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
  4. Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens folgt der vorbehaltenden Kostenentscheidung in der Hauptsache.

Gründe

1 Die Beschwerde hat mit einer Verfahrensrüge (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) Erfolg. Der Kläger rügt der Sache nach zu Recht, dass das Berufungsgericht seinen Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt hat (Art. 103 Abs. 1 GG). Denn das Berufungsgericht hat wesentliches Vorbringen des Klägers nicht in der gebotenen Weise zur Kenntnis genommen und erwogen.

2 Zwar ist grundsätzlich davon auszugehen, dass die Gerichte das Vorbringen der Beteiligten, wie es Art. 103 Abs. 1 GG vorschreibt, zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen haben. Etwas anderes gilt aber, wenn besondere Umstände deutlich ergeben, dass das Gericht bestimmtes Vorbringen nicht berücksichtigt hat (stRspr; vgl. etwa BVerfGE 86, 133 <145 f.>). Dies ist hier der Fall.

3 Der Kläger, ein irakischer Staatsangehöriger, hat im Berufungsverfahren in den Schriftsätzen seines Prozessbevollmächtigten vom 28. Juni 2004 sowie vom 3. März 2005 vorgetragen, dass er im Hinblick auf seine kritischen Veröffentlichungen als Journalist und Schriftsteller befürchte, im Irak von militanten radikal-islamistischen Gruppierungen politisch verfolgt zu werden. Der Kläger hat diese Gruppierungen im Einzelnen benannt und eine Reihe von Journalisten namentlich und unter Angabe von Erkenntnisquellen aufgeführt, die bei derartigen Anschlägen im Irak ums Leben gekommen seien. Die Beschwerde rügt zu Recht, dass das Berufungsgericht dieses Vorbringen - jedenfalls im Zusammenhang mit der Frage von Abschiebungsschutz gemäß § 60 Abs. 1 AufenthaltG - nicht zur Kenntnis genommen und erwogen hat. Zwar hat das Berufungsgericht den Vortrag des Klägers unter dem Gesichtspunkt eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 AufenthG wegen allgemeiner im Irak drohender Gefahren angesprochen (BA S. 5), dabei hat es aber nicht berücksichtigt, dass sich der Kläger auf eine Verfolgung wegen seiner politischen Überzeugung und damit der Sache nach auf eine Verfolgung im Sinne von § 60 Abs. 1 AufenthG - und zwar durch Private nach Satz 4 Buchst. c der Vorschrift - berufen hat. Insoweit hat das Berufungsgericht den Vortrag des Klägers nicht vollständig zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen und dadurch das rechtliche Gehör des Klägers verletzt (vgl. § 138 Nr. 3 VwGO).

4 Im Interesse der Verfahrensbeschleunigung macht der Senat von der Möglichkeit Gebrauch, den Rechtsstreit gemäß § 133 Abs. 6 VwGO an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.