Beschluss vom 15.07.2010 -
BVerwG 4 BN 25.10ECLI:DE:BVerwG:2010:150710B4BN25.10.0

Beschluss

BVerwG 4 BN 25.10

  • Hamburgisches OVG - 29.01.2010 - AZ: OVG 2 E 7/06.N

In der Normenkontrollsache hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 15. Juli 2010
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Rubel, den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Jannasch und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Philipp
beschlossen:

  1. Die Beschwerden der Antragsteller gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts vom 29. Januar 2010 werden zurückgewiesen.
  2. Von den Kosten des Beschwerdeverfahrens tragen die Antragstellerin zu 1 und der Antragsteller zu 2 als Gesamtschuldner 1/12, die Antragstellerin zu 3 3/12, die Antragstellerin zu 4 4/12 und die Antragstellerinnen zu 6 und 7 jeweils 2/12.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 120 000 € festgesetzt.

Gründe

1 Die auf die Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO gestützte Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision bleibt ohne Erfolg.

2 1. Die Rechtssache hat nicht die von den Beschwerdeführern geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung.

3 1.1 Die Rechtsfragen zur Antragsbefugnis (Fragen a, b, c), die die Beschwerdeführer als grundsätzlich klärungsbedürftig bezeichnen, wären in einem Revisionsverfahren nicht entscheidungserheblich. Das Oberverwaltungsgericht hat die Normenkontrollanträge nicht abgewiesen, weil den Antragstellern die Antragsbefugnis fehlt, sondern weil sie in der Sache ohne Erfolg blieben (UA S. 28, 30). Ob die Normenkontrollanträge der Antragsteller zu 1, 2, 6 und 7 bereits unzulässig seien, hat es offen gelassen.

4 1.2 Mit der Frage d) möchten die Antragsteller geklärt wissen,
ob eine Abwägung i.S.d. § 1 Abs. 7 BauGB rechtsfehlerfrei erfolgen kann, wenn eine dem Abwägungsvorgang zugrunde liegende Immissionsprognose keine Summenpegelbetrachtung der bestehenden Lärmpegel aus Schiene, Straße und Gewerbelärm beinhaltet.

5 Soweit diese Frage entscheidungserheblich wäre, ist sie einer rechtsgrundsätzlichen Klärung nicht zugänglich. Nach den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts sind bereits in der Immissionsprognose für den Straßen- und den Schienenverkehr Summenpegel gebildet worden (UA S. 38, 48, 50 f.). Auf der Grundlage der erst in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Immissionskarten (III, 465 - 467), die den Fehler bei der Berücksichtigung des DB-Fernverkehrs (UA S. 34) korrigiert haben, hat das Oberverwaltungsgericht lediglich die Relevanz eines weiteren Abwägungsfehlers für das Abwägungsergebnis verneint (UA S. 61). Ein Klärungsbedarf im Hinblick auf die Abwägung nach § 1 Abs. 7 BauGB ergibt sich daraus nicht.

6 Ob in der schalltechnischen Untersuchung auch Summenpegel unter Einschluss des Gewerbelärms gebildet wurden, ist dem angefochtenen Urteil nicht eindeutig zu entnehmen (vgl. UA S. 48 f., 60); jedenfalls die in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Immissionskarten dürften den Gewerbelärm nicht berücksichtigen. Die Frage, ob die Bildung von Summenpegeln für alle Lärmquellen unter Einschluss des Gewerbelärms für die Abwägung nach § 1 Abs. 7 BauGB erforderlich ist, lässt sich nicht in generalisierbarer Weise beantworten. Maßgebend sind die tatrichterlich zu würdigenden Umstände des Einzelfalls. Dabei kann auch eine Rolle spielen, welche Festsetzungen der Bebauungsplan zur Begrenzung des Gewerbelärms trifft. Nach den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts hat der Verordnungsgeber für die zukünftigen gewerblichen Nutzungen im Gewerbegebiet flächenbezogene Emissionsgrenzen und Immissionsgrenzen für die Auswirkungen in den Baugebieten mit Wohnnutzung festgesetzt (UA S. 48). Ausgehend hiervon hat das Oberverwaltungsgericht angenommen, dass im Hinblick auf den Gewerbelärm kein Bedürfnis zu weitergehenden Ermittlungen im Planaufstellungsverfahren bestand (UA S. 49). An diese tatrichterliche Würdigung wäre der Senat in einem Revisionsverfahren gebunden.

7 1.3 Die Frage e),
ob die Zusammenstellung des Abwägungsmaterials im Planaufstellungsverfahren an einem ergebnisrelevanten methodischen Mangel leidet, wenn die Verkehrsentwicklung lediglich trendmäßig fortgeschrieben bzw. extrapoliert wurde, statt die Verkehrsentwicklung im Plangebiet aufgrund eines Verkehrsmodells zu entwickeln,
kann ebenfalls nicht in verallgemeinerungsfähiger Weise beantwortet werden. Welche Anforderungen im Rahmen der Abwägung an die Prognose der verkehrlichen Auswirkungen einer Planung zu stellen sind und ob im Falle eines methodischen Mangels der Prognose dieser Mangel ergebnisrelevant ist, weil die konkrete Möglichkeit besteht, dass die Planung ohne den Mangel anders ausgefallen wäre, hängt von den Umständen des jeweiligen Falles ab (vgl. UA S. 43 f.).

8 1.4 Aus demselben Grund ist auch die vom Oberverwaltungsgericht verneinte (UA S. 38 f.) Frage nach der Erforderlichkeit einer Emissions- und Immissionsuntersuchung nach Maßgabe der §§ 41 f. BImSchG i.V.m. § 1 der 16. BImSchV (Frage f) einer rechtsgrundsätzlichen Klärung nicht zugänglich.

9 2. Die Verfahrensrügen greifen nicht durch. Als Verfahrensmängel machen die Antragsteller geltend, das Oberverwaltungsgericht habe durch die Ablehnung der in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisanträge seine Aufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO) verletzt.

10 2.1 Den Antrag, ein Sachverständigengutachten zum Beweis der Tatsache einzuholen, dass die Lärmprognose eine Einbeziehung der Lärmimmission der Bundesautobahn A 7 nicht enthält (Beweisantrag 2), hat das Oberverwaltungsgericht abgelehnt, weil es sich um einen Ausforschungsbeweis einer ins Blaue hinein behaupteten Tatsache handele (UA S. 37).

11 Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sind Beweisanträge unsubstanziiert und als Ausforschungsbegehren unzulässig, wenn sie dazu dienen sollen, Behauptungen und Vermutungen zu stützen, die erkennbar ohne jede tatsächliche Grundlage erhoben werden; einem Prozessbevollmächtigten ist es verwehrt, unter formalem Beweisantritt Behauptungen aufzustellen, deren Wahrheitsgehalt nicht eine gewisse Wahrscheinlichkeit für sich haben könnte (Beschluss vom 13. Juni 2007 - BVerwG 4 BN 6.07 - BRS 71 Nr. 49 S. 243 m.w.N.).

12 Gemessen hieran war die Ablehnung des Beweisantrags gerechtfertigt. Auch das Oberverwaltungsgericht hat zwar beanstandet, dass die Schalltechnische Untersuchung keine Angaben zu den in die Berechnung eingestellten Verkehrsmengen der Bundesautobahn 7 und der Kieler Straße enthielt. Nach den der Untersuchung beigefügten Immissionsausbreitungskarten und der ausdrücklichen Erklärung der Antragsgegnerin und eines Mitverfassers der Untersuchung in der mündlichen Verhandlung hatte es jedoch keinen Zweifel, dass das Gutachten den Straßenverkehr beider Emissionsquellen in die Berechnungen einbezogen hat (UA S. 36 f.). Woraus sich angesichts dieser Erkenntnismittel Zweifel hätten ergeben sollen, zeigt die Beschwerde nicht auf.

13 2.2 Den Antrag, ein Sachverständigengutachten zum Beweis der Tatsache einzuholen, dass die Lärmprognose methodisch fehlerhaft ist, weil die Ableitung der Lkw-Anteile über 2,8 t in den Planungsunterlagen nicht dokumentiert ist (Beweisantrag 1), hat das Oberverwaltungsgericht abgelehnt, weil es insoweit selbst hinreichend sachkundig sei. Die zuständige Fachbehörde der Antragsgegnerin habe auf der Basis der konkreten Verkehrszählung im Jahre 2001 einen Lkw-Anteil von 7 % prognostiziert; dieser Wert sei im Gutachten dokumentiert. Die Werte in der privatgutachtlichen Stellungnahme der Antragsteller beruhten auf allgemeinen statistischen Annahmen für Gemeindeverbindungsstraßen, die die aus der Verkehrszählung bekannten tatsächlichen Verhältnisse im Plangebiet nicht in den Blick nähmen. Es sei nichts dafür ersichtlich, dass die geringfügige Änderung der Verkehrsführung zu einer Verdreifachung des Lkw-Anteils führen könnte (UA S. 45 f.).

14 Inwiefern diese Erwägungen fehlerhaft sein sollten, zeigt die Beschwerde nicht auf. Ihre Annahme, dass die Ableitung des Lkw-Anteils in den Planunterlagen nicht dokumentiert sei, findet in den tatsächlichen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts keine Stütze.

15 2.3 Den Antrag, ein Sachverständigengutachten zum Beweis dafür einzuholen, dass die Lärmprognose auf unzutreffenden Grundlagendaten beruht, weil die Antragsgegnerin statt der gebotenen Verkehrsmodellberechnung lediglich eine Trendprognose vorgenommen hat (Beweisantrag 3), hat das Oberverwaltungsgericht aus zwei Gründen abgelehnt: Die Antragsgegnerin habe nicht von einer „worst-case“-Betrachtung ausgehen müssen. Sie habe das Planaufstellungsverfahren mit dem Ziel betrieben, eine Verkehrszunahme aufgrund eines Durchbaus der R.straße durch geeignete bauliche und verkehrsrechtliche Maßnahmen auszuschließen. Deshalb habe aus städtebaulichen Gründen kein Anlass bestanden, der Planung andere Szenarien zum Umfang einer Verkehrszunahme zugrunde zu legen. Der auf eine gegenteilige Bewertung gerichtete Beweisantrag sei nicht geeignet, dies in Frage zu stellen (UA S. 43 f.). Selbst wenn für den Verordnungsgeber Anlass bestanden hätte, von einer stärkeren Verkehrszunahme auszugehen, hätte der von den Antragstellern mit ihren privatgutachtlichen Ausführungen geltend gemachte Anstieg keine ergebnisrelevante Bedeutung gehabt (UA S. 44).

16 Auf diese Gründe für die Ablehnung des Beweisantrags geht die Beschwerde nicht ein. Inwieweit die Qualifizierung der Anforderungen an die Verkehrsprognose als Wertungsfrage und die Verneinung der Entscheidungserheblichkeit fehlerhaft sein sollten, ist weder dargelegt noch ersichtlich.

17 2.4 Den Antrag, ein Sachverständigengutachten zum Beweis der Tatsache einzuholen, dass die der Abwägung zugrunde liegende Lärmprognose methodisch fehlerhaft ist, weil der bestehende ICE-Verkehr auf einen anderen Trassenverlauf gelegt wurde (Beweisantrag 4), hat das Oberverwaltungsgericht abgelehnt, weil auszuschließen sei, dass die fehlerhafte Annahme zum Schienenfernverkehr auf das Ergebnis des Planungsverfahrens von Einfluss gewesen sei. Eine tendenziell geringere Immissionsbelastung stelle die Wohnnutzung im ausgewiesenen Wohn- und Mischgebiet nicht in Frage. Soweit der Verordnungsgeber in Teilen des Mischgebiets die Wohnnutzung ausgeschlossen habe, lasse die Abwägung eindeutig erkennen, dass er auch bei Kenntnis der zutreffenden Immissionsdaten keine andere Abwägung getroffen hätte. Dieser Beurteilung stehe nicht entgegen, dass - wie die Antragsteller unter Beweis gestellt hätten - eine „worst-case“-Betrachtung bei der Berücksichtigung des Schienenverkehrs die Schalltechnische Untersuchung insgesamt methodisch fehlerhaft mache. Ob eine „worst-case“-Betrachtung vorgenommen worden sei und eine solche erforderlich oder fehlerhaft sei, sei im Wesentlichen eine juristische Fragestellung, die sich aus den Anforderungen des § 2 Abs. 3 BauGB ergebe (UA S. 35 f.).

18 Auch auf diese Begründung geht die Beschwerde nicht ein. Sie zeigt nicht auf, inwieweit die Qualifizierung des Beweisthemas, soweit es nach der Rechtsauffassung des Oberverwaltungsgerichts überhaupt entscheidungserheblich war, als Rechtsfrage, fehlerhaft sein sollte.

19 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 159 Satz 1 VwGO i.V.m. § 100 Abs. 1 ZPO, § 159 Satz 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG. Von dem Gesamtstreitwert entfallen auf die Antragsteller zu 1 und 2 insgesamt 10 000 €, auf die Antragstellerin zu 3 30 000 €, auf die Antragstellerin zu 4 40 000 € und auf die Antragstellerinnen zu 6 und 7 je 20 000 €.