Beschluss vom 15.07.2002 -
BVerwG 1 DB 7.02ECLI:DE:BVerwG:2002:150702B1DB7.02.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 15.07.2002 - 1 DB 7.02 - [ECLI:DE:BVerwG:2002:150702B1DB7.02.0]

Beschluss

BVerwG 1 DB 7.02

In dem Beschwerdeverfahren hat der 1. Disziplinarsenat des Bundesverwaltungsgerichts
am 15. Juli 2002
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht
A l b e r s , die Richterin am Bundesverwaltungsgericht
H e e r e n und den Richter am Bundesverwaltungsgericht
Prof. Dr. D ö r i g
beschlossen:

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Bundesdisziplinargerichts, Kammer VIII - ... -, vom 8. November 2001 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

I


1. Der Leiter der Technikniederlassung M. der Deutschen Telekom AG stellte mit Verfügung vom 11. Mai 2001 gemäß § 9 BBesG den Verlust der Dienstbezüge der Antragstellerin für die Zeit vom 6. bis 12. Juni 2000 und seit dem 14. Juni 2000 wegen schuldhaft ungenehmigten Fernbleibens vom Dienst fest. Zur Begründung war ausgeführt, die Antragstellerin könne sich für ihre Dienstversäumnis nicht mit Erfolg auf privatärztliche Atteste berufen. Bereits das amtsärztliche Gutachten des Gesundheitsamtes des Landkreises U. vom 17. Mai 2000 habe ihre Dienstfähigkeit festgestellt. Daraufhin sei die Antragstellerin aufgefordert worden, ihren Dienst wieder aufzunehmen. Der Aufforderung habe sie zwar an zwei Tagen Folge geleistet, sich ab 14. Juni 2000 aber wieder krankgemeldet. Sie sei darauf hingewiesen worden, dass privatärztliche Krankschreibungen nicht mehr anerkannt würden. Auch ein zweites amtsärztliches Gutachten vom 30. April 2001 bestätige, dass keine relevante Änderung des Gesundheitszustandes eingetreten sei, die zu einer Dienstunfähigkeit geführt habe.
2. Gegen den Verlustfeststellungsbescheid hat die Antragstellerin Antrag auf gerichtliche Entscheidung gestellt und geltend gemacht, sie sei während des gesamten festgestellten Zeitraums arbeitsunfähig erkrankt gewesen. Sie hat Bescheinigungen des sie behandelnden Hausarztes Dr. G., der Hautärzte Dr. W. und Dipl. med. Wi., der Neurologen und Psychiater Dr. T. und To. und des HNO-Arztes P. vorgelegt, aus denen sich Krankheitsdiagnosen ergäben, die ihre Arbeitsunfähigkeit belegten. Die amtsärztlichen Feststellungen sowie die des vom Gesundheitsamt beauftragten Nervenarztes Prof. Dr. V. seien nicht geeignet, die privatärztlichen Befunde zu entkräften. Die Begutachtungen durch Prof. Dr. V. seien nicht sachgemäß durchgeführt worden.
3. Das Bundesdisziplinargericht hat mit Beschluss vom 8. November 2001 den angefochtenen Bescheid insoweit aufgehoben, als darin der Verlust der Dienstbezüge der Antragstellerin für die Zeiträume vom 6. bis 12. Juni 2000 und vom 14. Juni 2000 bis Ende Mai 2001 festgestellt wird. Im Übrigen wurde der Bescheid aufrechterhalten.
Zur Begründung für die teilweise Aufhebung des Bescheides stützt sich das Gericht auf den Umstand, dass der Antragstellerin für den Zeitraum bis zur Zustellung des zweiten amtsärztlichen Gutachtens ein schuldhaftes Verhalten nicht vorgeworfen werden könne. Nachdem die Antragstellerin einen Arbeitsversuch Anfang Juni 2000 wegen privatärztlich bescheinigter Beschwerden abbrach, habe sie ohne Verschulden an ihre Dienstunfähigkeit glauben dürfen. Dies habe sich jedoch geändert, nachdem ihr im Mai 2001 die amtsärztliche Stellungnahme vom 30. April 2001 zugegangen sei, die sich auch auf eine erneute Untersuchung der Antragstellerin durch den Nervenarzt Prof. Dr. V. gestützt habe. Sie sei daher jedenfalls vom 1. Juni 2001 an verpflichtet gewesen, ihren Dienst wieder aufzunehmen.
Die Antragstellerin könne sich nicht mit Erfolg auf die von ihren Verfahrensbevollmächtigten vorgelegten Bescheinigungen der sie behandelnden Ärzte berufen. Aus den Bescheinigungen des Facharztes für Allgemeinmedizin Dr. G., der Hautärzte Dr. W. und Dipl. med. Wi. sowie des HNO-Arztes P. ergebe sich zwar, dass die Antragstellerin an Gesundheitsstörungen leide, nicht jedoch dass sie dienstunfähig sei. Gegenüber der Bescheinigung der Neurologen und Psychiater Dr. T. und To., wonach bei der Antragstellerin ein chronifizierter Erkrankungszustand vorliege, sei der entgegenstehenden amtsärztlichen Beurteilung vom 30. April 2001 der Vorzug zu geben; denn amtsärztlichen Beurteilungen komme nach der Rechtsprechung gegenüber privatärztlichen Bescheinigungen ein größerer Beweiswert zu. Das Gericht habe keinen Zweifel daran, dass die Antragstellerin auch von dem von der Amtsärztin beauftragten Nervenarzt Prof. Dr. V. im fachlich erforderlichen Umfang untersucht worden sei.
4. Gegen diesen Beschluss hat die Antragstellerin Beschwerde eingelegt und sie im Wesentlichen wie folgt begründet: Die Annahme schuldhaften Handelns durch das Bundesdisziplinargericht seit 1. Juni 2001 sei nicht gerechtfertigt. Die Antragstellerin sei auch nach Vorlage des zweiten amtsärztlichen Gutachtens nicht von ihrer Dienstfähigkeit ausgegangen; denn alle sie behandelnden Fachärzte seien übereinstimmend der Auffassung gewesen, dass die Einschätzung der Amtsärztin vorliegend unzutreffend sei. Darauf habe die Antragstellerin vertrauen dürfen. Der medizinischen Bewertung der behandelnden Fachärzte sei auch in der Sache zu folgen. Es bestehe begründeter Anlass, an der Neutralität, Unabhängigkeit und dem speziellen Sachverstand der Amtsärztin im vorliegenden Fall zu zweifeln. So sei der Antragstellerin fachärztlich eine Hauterkrankung attestiert worden. Seitens der Amtsärztin bzw. des von ihr herangezogenen Prof. Dr. V. werde demgegenüber behauptet, dass diese Hautzustände inszeniert seien, was eine medizinisch absolut unrichtige Wertung darstelle. Im Übrigen habe die Amtsärztin keinen Gehörtest veranlasst, obwohl ihr die Feststellungen des privaten HNO-Arztes zu Gehörbeeinträchtigungen der Antragstellerin bekannt waren. Dass die Antragstellerin zur Dienstleistung außer Stande gewesen sei, ergebe sich auch aus dem Befundbericht des Psychotherapeuten A. vom 17. April 2002, bei dem sie seit September 2001 in ständiger psychotherapeutischer Behandlung sei.
Der Senat hat Auskünfte bei der Antragsgegnerin, bei der Amtsärztin des Landkreises U. und über die Amtsärztin bei dem Nervenarzt Prof. Dr. V. eingeholt.

II


Die nach § 85 BDG i.V.m. § 121 Abs. 5 BDO zulässige Beschwerde ist unbegründet. Die Feststellung des Verlustes der Dienstbezüge der Antragstellerin seit dem 1. Juni 2001 erweist sich als rechtmäßig.
Nach § 9 Satz 1 BBesG verliert eine Beamtin, die ohne Genehmigung dem Dienst schuldhaft fernbleibt, für die Zeit des Fernbleibens ihre Dienstbezüge. Der Verlust der Dienstbezüge ist nach § 9 Satz 3 BBesG vom Dienstvorgesetzten festzustellen. Dies ist vorliegend erfolgt.
1. Der Senat ist davon überzeugt, dass die Antragstellerin jedenfalls seit dem 1. Juni 2001 dienstfähig war. Dies folgt aus den amtsärztlichen Gutachten vom 17. Mai 2000 und 30. April 2001 i.V.m. den nervenfachärztlichen Gutachten des Prof. Dr. V. vom 10. Mai 2000 und 19. Februar 2001.
a) Der ehemalige Leiter des Niedersächsischen Landeskrankenhauses L., Nervenarzt Prof. Dr. V., hat die Antragstellerin aufgrund einer Beauftragung durch die Amtsärztin Dr. G. am 5. April 2000 und am 15. Februar 2001 untersucht. Als Ergebnis seiner zweistündigen Untersuchung kommt Prof. Dr. V. in seinem ausführlich begründetem zwölfseitigen nervenärztlichen Gutachten vom 10. Mai 2000 zu dem Ergebnis, dass bei der Antragstellerin keine Dienstunfähigkeit vorliege, sie vielmehr ihren Dienst sofort wieder aufnehmen könne.
In dem Gutachten wird die Krankheitsvorgeschichte der Antragstellerin geschildert, eine Eigenanamnese, soziale Anamnese und spezifische Anamnese der gesundheitlichen Beschwerden erhoben und das Ergebnis ihrer körperlichen Untersuchung sowie ihres psychischen Status dargestellt. Dabei habe die körperliche Untersuchung - abgesehen vom Übergewicht und Kratzspuren auf der Haut - keinen belangvollen körperlichen Befund erbracht. Prof. Dr. V. konnte auch bei der neurologischen Untersuchung keine krankhaften Befundabweichungen feststellen. Hinsichtlich des psychischen Status der Antragstellerin kommt er zu dem Ergebnis, auch "eine relevante psychische Krankheit" sei "sicher nicht vorhanden".
Dabei hat der Nervenarzt ausführlich die Lebensgeschichte der Antragstellerin gewürdigt, die ihre ersten beiden Lebensjahre in einem Kinderheim verbracht habe und dann gemeinsam mit ihrer älteren Halbschwester zunächst von der Großmutter erzogen worden sei. Dargestellt wird auch das enge symbiotische Verhältnis der unverheirateten Antragstellerin zu ihrer mittlerweile erkrankten 65-jährigen Mutter. An ihrem Arbeitsplatz bei der Telekom sei die Antragstellerin mit ihrer Bürotätigkeit in der Planungsabteilung für fernmeldetechnische Einrichtungen ("das war mein Traum") zunächst recht zufrieden gewesen. Ängste hätten sich bei ihr erst eingestellt, als es im Rahmen von betrieblichen Umorganisierungen zu Stellenkündigungen mit dem Risiko der Versetzung kam. Das Befürchtete sei 1998 eingetreten, als ein Kollege mit schwangerer Ehefrau in dem Sinne vorgezogen wurde, dass der Kelch der Versetzung an ihm vorüberging und stattdessen nur die Antragstellerin zur Disposition gestanden habe, weil die von ihr vorgetragene Pflegebedürftigkeit der Mutter keine Berücksichtigung mehr fand. Daraufhin habe die Antragstellerin - wie sie Prof. Dr. V. in "verblüffender Offenheit" geschildert habe - erst mal krankgemacht. Als sie im Juni 1998 wieder gesundgeschrieben worden war, habe sich die Situation erst einmal wieder zu ihren Gunsten insofern verändert, als sie zunächst in U. in einem Büro mit Kabelplänen befasst verbleiben konnte. Allerdings sei ihr immer wieder in alle zwei Wochen stattfindenden Besprechungen mit dem Personalvorgesetzten die Notwendigkeit nahe gelegt worden, sich umzuorientieren. Diese ständigen Besprechungen hätten bei ihr zu Angst, Unruhezuständen und nächtlichen Alpträumen geführt, so dass sie seit Mitte 1999 häufig krankgeschrieben gewesen sei.
Der Nervenarzt Prof. Dr. V. sieht unter Würdigung der von ihm durchgeführten erneuten Untersuchung und des Gesprächs mit der Antragstellerin jedoch "keinerlei Symptome, die auf eine psychische oder gar körperliche Beeinträchtigung schließen ließen". Die Antragstellerin sei bewusstseinsklar und allseitig orientiert gewesen. Sie habe zusammenhängend über ihre Vorgeschichte berichtet. Zwar habe sie "in geradezu aufdringlicher Weise" auf ihrer Position beharrt, dass sie "völlig fertig und mit den Nerven total unten" sei. Im längeren Gespräch mit Prof. Dr. V. seien aber keinerlei Zeichen einer vorzeitigen Ermüdbarkeit oder gar Konzentrations- oder Gedächtnisstörungen aufgetreten. Ihr Denken sei formal und inhaltlich - abgesehen von der sehr bewussten Fixierung auf "die Nerven" - ungestört gewesen. Stimmungsmäßig habe sie keineswegs depressiv, eher aufgekratzt und kämpferisch gewirkt. Für das Vorhandensein produktiv psychotischer Symptome wie Sinnestäuschungen oder Wahnideen habe sich keinerlei Anhalt ergeben. Prof. Dr. V. wertet die Äußerungen und Verhaltensweisen der Antragstellerin in seinem Gutachten vom 10. Mai 2000 dahin, dass bei ihr eine bewusstseinsnahe (regressive) Fehlhaltung vorliege, die sie mit gar nicht allzu großer Willensanstrengung überwinden könne.
Die Amtsärztin Dr. G. hat sich in ihrer Stellungnahme vom 17. Mai 2000 der Einschätzung des Nervenarztes unter Hervorhebung der aus ihrer Sicht maßgeblichen Aussagen angeschlossen. Auch sie kommt unter Würdigung ihrer eigenen körperlichen Untersuchung und der nervenärztlichen Begutachtung zu dem Ergebnis, dass die Antragstellerin dienstfähig sei und ihren Dienst sofort wieder aufnehmen könne.
Aufgrund einer erneuten Untersuchung der Antragstellerin vom 15. Februar 2001 kam der Nervenarzt Prof. Dr. V. zu keinem anderen Ergebnis. In seinem achtseitigen Gutachten vom 19. Februar 2001 legt er dar, dass abgesehen von einer weiteren Gewichtszunahme um 7 kg, die "beinahe bulimische Züge" trage, blutigen Kratzspuren auf der Haut und einer geklagten Beeinträchtigung des Gehörs linksseitig keine relevanten Befundänderungen vorlägen. Die Antragstellerin sei wiederum bewusstseinsklar und allseitig orientiert gewesen.
In der Begegnung mit dem Gutachter sei sie hingegen misstrauisch gewesen, habe auch "deutlich herabgestimmt" gewirkt und signalisiert, dass er - obwohl Professor der Psychiatrie - sie doch nicht verstehe. Sie sei vorgeblich nicht in der Lage, ihre behaupteten psychischen Konflikte zu schildern. Prof. Dr. V. kam erneut zu dem Ergebnis, die Antragstellerin sei keineswegs depressiv, sondern "forciert und kämpferisch auf die Wahrung ihrer Interessen bedacht". Für das Vorhandensein produktiv psychotischer Symptome habe sich erneut keinerlei Anhalt ergeben. Eine tatsächliche schwere Krankheit, die eine Dienstunfähigkeit bedingen könnte, liege bei der Antragstellerin nicht vor. Es handele sich vielmehr um eine bewusstseinsnahe regressive Fehlhaltung mit Begehrungstendenzen, die durch jahrelange nicht gerechtfertigte Krankschreibungen erheblich gefördert und verstärkt worden sei.
Die Amtsärztin Dr. G. hat sich in ihrer Stellungnahme vom 30. April 2001 dem nervenärztlichen Gutachten des Prof. Dr. V. unter Hervorhebung der aus ihrer Sicht zentralen Aussagen angeschlossen. Unter Einbeziehung ihrer eigenen Untersuchung vom November 2000 sowie einer Rücksprache mit dem die Antragstellerin behandelnden HNO-Arzt P. kommt sie zu folgendem Ergebnis:
"1. Gegenüber dem Vorgutachten ist eine wesentliche Änderung des Gesundheitszustandes auf psychiatrischem Gebiet nicht eingetreten, wobei allerdings eine Verstärkung der demonstrativen Komponente zu verzeichnen ist. HNO-ärztlicherseits wurde eine mittelgradige Innenohrschwerhörigkeit festgestellt. Eine Versorgung mit Hörgeräten wäre möglich, ist auf Wunsch der Patientin jedoch nicht erfolgt. Bei geplantem Einsatz in einem Call-Center sollte die oben angeführte zusätzliche Untersuchung durchgeführt werden.
2. Die Beamtin ist zum Zeitpunkt der Untersuchung im Gesundheitsamt und beim nervenärztlichen Gutachter nicht dienstunfähig."
b) Der Senat misst der Stellungnahme eines Amtsarztes hohen Beweiswert zu, sofern seine Stellungnahme - wie vorliegend - in sich schlüssig, nachvollziehbar und begründet ist. Kommen amtsärztliche Stellungnahmen einerseits und privatärztliche Atteste andererseits hinsichtlich desselben Krankheitsbildes mit Blick auf die Dienstfähigkeit eines Beamten zu unterschiedlichen Ergebnissen, kommt nach ständiger Rechtsprechung des Senats den Feststellungen des Amtsarztes grundsätzlich größerer Beweiswert zu (vgl. Beschluss vom 13. November 2001 - BVerwG 1 DB 30.01 - m.w.N.). Hierfür ist unter anderem die größere Erfahrung eines Amtsarztes bei der Beurteilung der Dienstfähigkeit von Beamten maßgebend. Für Gutachten, in denen Fragen des Dienstrechts aus medizinischer Sicht zu beurteilen sind, ist ein spezieller zusätzlicher Sachverstand erforderlich, der einerseits auf der Kenntnis der Belange der öffentlichen Verwaltung, andererseits auf der Erfahrung aus einer Vielzahl von gleich oder ähnlich liegenden Fällen beruht. Ob und wann einer Gesundheitsstörung Krankheitswert zukommt, mag ein Privatarzt, zumal ein Facharzt, besser beurteilen können. Ob und wann hingegen eine Störung mit Krankheitswert die Dienstfähigkeit beeinträchtigt, ist eine Frage, deren Entscheidung vorrangig dem Amtsarzt zusteht.
Hinzu kommt die besondere Unabhängigkeit der Amtsärzte gegenüber Privatinteressen. Die Amtsärzte sind als Beschäftigte des öffentlichen Dienstes an Gesetz und Recht gebunden und als Mediziner den Regeln der ärztlichen Heilkunst verpflichtet. Im Rahmen dieser Regeln erstatten sie ihre Gutachten unabhängig und frei von Weisungen der sie beauftragenden Behörden oder mit öffentlichen Befugnissen ausgestatteten Unternehmen. Die Stellung der Amtsärzte gewährleistet insofern ein hohes Maß an Objektivität, das zu ihrer besonderen Sachkunde im Hinblick auf die Belange der öffentlichen Verwaltung hinzukommt. Allerdings genießen amtsärztliche Beurteilungen nicht stets einen Vorrang gegenüber entgegenstehenden privatärztlichen Feststellungen. Hat der private Arzt im Einzelnen dargelegt, aus welchen Gründen er die Dienstunfähigkeit eines Beamten annimmt, sind diese Darlegungen dem Amtsarzt bekannt und will er gleichwohl die Dienstfähigkeit feststellen, so ist er gehalten, sich mit den entgegenstehenden Erwägungen des privaten Arztes auseinander zu setzen und darzulegen, warum er diesen nicht folgt (vgl. Beschluss vom 8. März 2001 - BVerwG 1 DB 8.01 - DVBl 2001, 1079 = DÖV 2001, 735 = ZBR 2001, 297).
c) Auch unter Berücksichtigung der Anforderungen der Rechtsprechung ist im vorliegenden Fall der amtsärztlichen Beurteilung zu folgen.
Der Amtsärztin Dr. G. waren bei ihren Begutachtungen am 17. Mai 2000 und 30. April 2001 die privatärztlichen Diagnosen bekannt. Bei der ersten Begutachtung gab die Antragstellerin psychische und psychosoziale Gründe (Betreuung der Mutter) für ihre gesundheitlichen Probleme an, mit denen sich die Amtsärztin in ihrem Gutachten kurz aber hinreichend auseinander gesetzt hat. Für eine umfangreichere Darlegung bestand kein Anlass, da die Antragstellerin zu diesem Zeitpunkt noch keine inhaltlich substantiierten privatärztlichen Bescheinigungen vorgelegt hatte. In ihrem Gutachten vom 30. April 2001 hat sich die Amtsärztin mit den Hörbeschwerden der Antragstellerin auseinander gesetzt, den behandelnden HNO-Arzt konsultiert und den Befund bei ihrer Empfehlung berücksichtigt, die Antragstellerin bei einem geplanten Einsatz in einem Call-Center erneut fachärztlich zu untersuchen. Dies war jedoch nicht erforderlich, da für die Antragstellerin - wie sich aus der Antwort der Antragsgegnerin vom 14. Mai 2002 auf eine entsprechende Anfrage des Senats ergab - ein Arbeitsplatz in der Planungsgruppe vorgesehen war, bei dem sie die attestierte mittelgradige Innenohrschwerhörigkeit nicht behindert hätte.
Auch der von der Amtsärztin beauftragte Leiter des Niedersächsischen Landeskrankenhauses L. Prof. Dr. V. bezieht sich in seinem Gutachten vom 19. Februar 2001 auf privatärztliche Befunde der Nervenärzte Dr. T. und To. sowie Dr. D. Er legt dar, warum er die von den Privatärzten verordnete medikamentöse Behandlung mit zahlreichen Psychopharmaka ablehnt, weil dies zu einer großen Abhängigkeitsgefahr führe, die Abkapselung von der Umwelt durch Reaktionsverlangsamung begünstige und nach längerem Gebrauch auch zu Schmerzen am ganzen Körper führen könne, wie sie bei der Antragstellerin in Gestalt von geklagten Verspannungen und Kopfschmerzen geschildert wurden.
Schließlich hat sich die Amtsärztin auf Ersuchen des Senats auch mit den nach Gutachtenerstattung vorgelegten privatärztlichen Attesten des Dr. G., der Hautärzte Dr. W. und Dipl. med. Wi. sowie des HNO-Arztes P. auseinander gesetzt. In ihrer Stellungnahme vom 21. Mai 2002 geht sie auf deren Diagnosen im Einzelnen ein, ohne ihre Einschätzung zur Dienstfähigkeit zu ändern. Auf die Diagnose der Innenohrschwerhörigkeit kommt es nach dem Ergebnis der Senatsanfrage nicht mehr an, weil der Antragstellerin ein Arbeitsplatz zur Verfügung steht, bei dem diese gesundheitliche Beeinträchtigung die Aufgabenerfüllung nicht hindert. Die attestierten Hautveränderungen, der Bluthochdruck und die Diabetes begründen nach Angaben der Amtsärztin keine Dienstunfähigkeit, was in den privatärztlichen Bescheinigungen selbst auch gar nicht behauptet wird.
Auch der Nervenarzt Prof. Dr. V. hat sich auf Anfrage des Senats mit den nach seiner Gutachtenerstattung erstellten Attesten der Neurologen und Psychiater Dr. T. und To. vom 6. Juni 2001 und des Psychotherapeuten Dipl. Psych. A. vom 17. April 2002 auseinander gesetzt. In ihrem Attest vom 6. Juni 2001 bescheinigten Dr. T. und To. der Antragstellerin ein depressives angstbesetztes Zustandsbild mit wiederholt auftretenden Krisenzuständen, die mit latenter Selbstmordgefährdung und akuter Erregung einhergingen. Bei der Patientin liege ein chronifizierter Erkrankungszustand vor, bei dem sie eine "gewinnbringende Tätigkeit" nicht ausüben könne. Der Psychotherapeut Dipl. Psych. A. schildert die Persönlichkeitsentwicklung der Antragstellerin zunächst ähnlich wie Prof. Dr. V. in dessen ersten Gutachten. Die symbiotische Beziehung mit der Mutter bildet den Lebensmittelpunkt. Der Gedanke, dass die Mutter eines Tages sterben werde, versetze die Antragstellerin in Angst. Veränderungen, die das Zusammenleben mit der Mutter gefährden könnten, erlebe sie als bedrohlich und beängstigend. In der Familie, in der neben ihr und der Mutter auch die ältere Schwester mit ihren drei minderjährigen Söhnen lebe, habe die Antragstellerin die Rolle des Chefs und Managers übernommen, sei dort diszipliniert wo die Schwester chaotisch sei und kümmere sich um alles. Vor dem Hintergrund eines derart auf Erhaltung des Status quo geprägten Beziehungsgefüges werde die massive subjektive Bedrohung nachvollziehbar, die von einer angekündigten Versetzung ausgegangen sei. Der Psychotherapeut hält die Prognose, ob die Antragstellerin "mittelfristig die Erwerbstätigkeit wiedererlangen könne" für ungünstig. Er begründet das mit der "Chronifizierung des Störungsbildes", mit auch während der bisherigen Psychotherapie "persistierender Symptomatik", der Diagnose einer depressiven Persönlichkeitsstörung und den "in der Lebenssituation gegebenen Belastungen".
In seiner Stellungnahme vom 27. Mai 2002 bemerkt der Nervenarzt Prof. Dr. V. zur Bescheinigung der Ärztin für Neurologie und Psychiatrie To. zutreffend an, sie zähle nur Beschwerden auf, ohne Überlegungen über ihr Zustandekommen anzustellen. Der Senat folgt dem Gutachter in seiner Einschätzung, die Privatärztin habe die Ursachen für die von ihr geschilderten Krisenzustände, Angststörungen und Depressionen nicht dargelegt. Deshalb stellt es eine ausreichende Auseinandersetzung mit ihrer Diagnose dar, wenn der von der Amtsärztin beauftragte Gutachter die Mängel ihrer abweichenden Ausführungen aufzeigt und sich auf seine früheren ausführlichen Gutachten bezieht. In diesen hatte er nachvollziehbar dargelegt, warum bei der Antragstellerin keine Angstzustände und Depressionen von Krankheitswert vorliegen. Hierfür war als Argument insbesondere das selbstbewusste Auftreten der Antragstellerin überzeugend, das als kämpferisch auf die Wahrnehmung ihrer Interessen ausgerichtet geschildert wird, woraus entsprechend den Ausführungen in den Gutachten und für den Senat nachvollziehbar ein Zustand der Depression ausgeschlossen werden kann.
Prof. Dr. V. hat auch überzeugend dargelegt, dass seine Beurteilung auf zwei gewissenhaften ausführlichen Untersuchungen der Antragstellerin beruht, was für den Senat schon aus der Qualität seiner umfangreichen schriftlichen Gutachten ersichtlich ist.
Mit dem Befundbericht des Psychotherapeuten Dipl. Psych. A. setzt sich Prof. Dr. V. detailliert auseinander. Er weist darauf hin, dass die darin unter dem Abschnitt "Symptomatik" geschilderte Angst der Beamtin vor dem Alleinsein, insbesondere ohne die Mutter, ein absolutes Novum darstelle. Bisher sei von der Pflegebedürftigkeit der Mutter, also davon die Rede gewesen, dass die Mutter die Tochter brauche. Jetzt solle es von Anfang an genau umgekehrt gewesen sein. Als noch erstaunlicher und ebenso neu sieht der Gutachter an, dass die Antragstellerin arbeitsmäßig "bis an die Grenze gegangen" und "schließlich dekompensiert" sei, wohingegen sie gegenüber Prof. Dr. V. bei der ersten Untersuchung durchaus glaubhaft und auch in aller Offenheit ihren Ärger über die bevorstehende Versetzung berichtete, wie auch ihre Reaktion schilderte, dass sie "erst mal krank gemacht" habe. Die weiteren Ausführungen des Diplompsychologen A., auch die ausführlich dargestellte Lebensgeschichte der bevorzugten Schwester der Antragstellerin, stünden der Diagnose von Prof. Dr. V. nicht entgegen. Erneut weist der Gutachter auf den Widerspruch hin, dass nicht einerseits eine depressive Persönlichkeitsstörung diagnostiziert werden könne, andererseits die Antragstellerin trotz aller angeblichen Ängste die Rolle des "Chefs" und "Managers" in der Familie habe übernehmen können. Letztlich werde in dem Privatgutachten nur das Übliche an Lebenslast und Querelen geschildert, an dem die Antragstellerin nicht mehr leide als andere Menschen auch.
2. Die Antragstellerin ist dem Dienst seit dem 1. Juni 2001 auch schuldhaft, und zwar jedenfalls mit bedingtem Vorsatz, ferngeblieben. Wie das erstinstanzliche Gericht überzeugend dargelegt hat, musste die Antragstellerin spätestens nach Zugang der amtsärztlichen Stellungnahme vom 30. April 2001 davon ausgehen, dass ihre neuerlichen privatärztlichen Krankschreibungen nicht mehr akzeptiert würden und sie tatsächlich dienstfähig war. Indem sie trotz Kenntnis der amtsärztlichen Stellungnahme und der vielfältigen ihr erteilten eindeutigen Belehrungen weiterhin dem Dienst fernblieb, nahm sie zumindest billigend in Kauf, dass sich letztlich ihre Dienstfähigkeit erweisen könnte. Dies wurde der Antragstellerin durch den angefochtenen Bescheid vom 11. Mai 2001 über die Feststellung des Verlustes der Dienstbezüge verdeutlicht. In diesem der Antragstellerin im Verlauf des Monats Mai zugegangenen Bescheid wird noch einmal klar zum Ausdruck gebracht, dass die Antragsgegnerin aufgrund zweier amtsärztlicher Gutachten von der Dienstfähigkeit der Antragstellerin ausging und entgegenstehende privatärztliche Atteste nicht mehr akzeptierte.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 114 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 BBO.