Beschluss vom 15.02.2008 -
BVerwG 5 B 196.07ECLI:DE:BVerwG:2008:150208B5B196.07.0

Beschluss

BVerwG 5 B 196.07

  • OVG für das Land Nordrhein-Westfalen - 20.07.2007 - AZ: OVG 12 A 4704/05

In der Verwaltungsstreitsache hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 15. Februar 2008
durch den Vizepräsidenten des Bundesverwaltungsgerichts Hund
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Schmidt und Prof. Dr. Berlit
beschlossen:

  1. Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 20. Juli 2007 aufgehoben.
  2. Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen.
  3. Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens folgt der Kostenentscheidung in der Hauptsache.

Gründe

1 Die Beschwerde hat mit einer Verfahrensrüge (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) Erfolg. Sie rügt zu Recht, dass das Berufungsgericht seine Aufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO) und den Anspruch des Klägers auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) verletzt hat. Die Beschwerde beanstandet sinngemäß, dass das Berufungsgericht den in dem Schriftsatz vom 9. Juli 2007, mit dem er zu dem Hinweis des Gerichts auf eine mögliche Entscheidung nach § 130a VwGO Stellung genommen und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt hat, gestellten Beweisantrag Nr. 2 lit. f) mit einer Begründung abgelehnt hat, die im Prozessrecht keine Stütze findet. Dies trifft zu. Im Interesse der Verfahrensbeschleunigung macht der Senat wegen dieses Verfahrensmangels von der Möglichkeit Gebrauch, den Rechtsstreit gemäß § 133 Abs. 6 VwGO an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

2 Der Kläger hatte u.a. geltend gemacht, dass er die russische Staatsangehörigkeit über seine Mutter kraft Geburt erlangt und auch nach Inkrafttreten des 1. Russischen Staatsbürgerschaftsgesetzes am 6. Februar 1992 behalten habe; er habe die russische Staatsangehörigkeit daher nicht erst durch einen - vom Berufungsgericht angenommenen - antragsabhängigen Erwerb erlangt, so dass er die deutsche Staatsangehörigkeit auch nicht nach § 25 StAG verloren habe. Zum Beweis dafür, dass er russischer Staatsangehöriger durch Geburt geworden und geblieben sei, hat der Kläger sich in dem Schriftsatz vom 9. Juli 2007 auf die über die deutsche Botschaft in Moskau einzuholende Auskunft der Kommission für Staatsangehörigkeitsangelegenheiten beim Präsidenten der Russischen Föderation in Moskau berufen.

3 Es ist hier mangels entsprechender Rüge nicht zu vertiefen, ob dieser und die weiteren Beweisanträge das Berufungsgericht vor einer Entscheidung nach § 133a VwGO zu dem Hinweis hätten veranlassen müssen, dass es unverändert beabsichtige, durch Beschluss zu entscheiden und den Beweisanträgen nicht nachzugehen (s. dazu Beschlüsse vom 10. April 1992 - BVerwG 9 B 142.91 - Buchholz 310 § 130a VwGO Nr. 5, vom 3. Februar 1993 - BVerwG 11 B 12.92 - Buchholz 310 § 133 <n.F.> VwGO Nr. 10 und vom 22. Juni 2007 - BVerwG 10 B 56.07 -; stRspr) oder ob es verfahrensfehlerfrei von einer erneuten Anhörung hat absehen können (Beschlüsse vom 24. November 1994 - BVerwG 8 B 176.94 - Buchholz 310 § 130a VwGO Nr. 12 und vom 22. Juni 2007 - BVerwG 10 B 56.07 -). Denn das Berufungsgericht durfte hier den vorbezeichneten Beweisantrag Nr. 2 lit. f) nicht als unzulässigen Ausforschungsbeweis mit der Begründung ablehnen, der Kläger erfülle schon nicht die Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 13 Abs. 2 des Staatsbürgerschaftsgesetzes, weil er nicht auf dem Territorium der Russischen Föderation geboren worden und es auch nicht ersichtlich sei, dass seine Mutter i.S.d. Art. 13 Abs. 2 des Staatsbürgerschaftsgesetzes im Zeitpunkt seiner Geburt ständig auf dem Territorium der Russischen Föderation gelebt habe, so dass keine konkreten tatsächlichen und rechtlichen Anhaltspunkte bestünden, die gleichwohl dafür sprächen, dass der Kläger unter die Regelung des Art. 13 Staatsbürgerschaftsgesetz falle (BA S. 11).

4 Der rechtliche Ansatz für diese Bewertung entspricht allerdings der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, nach der Beweisanträge unsubstantiiert und als Ausforschungsbegehren unzulässig sind, wenn sie dazu dienen sollen, Behauptungen und Vermutungen zu stützen, die erkennbar ohne jede tatsächliche Grundlage erhoben werden; einem Prozessbeteiligten ist es verwehrt, unter formalem Beweisantritt Behauptungen aufzustellen, deren Wahrheitsgehalt nicht eine gewisse Wahrscheinlichkeit für sich haben könnte (Beschlüsse vom 5. Oktober 1990 - BVerwG 4 B 249.89 - Buchholz 442.40 § 9 LuftVG Nr. 6 = NVwZ-RR 1991, 118, vom 29. März 1995 - BVerwG 11 B 21.95 - Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 266, vom 29. Juli 1980 - BVerwG 4 B 218.79 - Buchholz 445.4 § 8 WHG Nr. 9 = DVBl 1981, 467 und vom 13. Juni 2007 - BVerwG 4 BN 6.07 -). Indes teilt der erkennende Senat unter Berücksichtigung der von Verfassungs wegen gebotenen Zurückhaltung bei der Qualifizierung eines Beweisantrages als Ausforschungsbeweis (BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 18. Juni 1993 - 2 BvR 1815/92 - NVwZ 1994, 60, vom 9. Februar 1994 - 1 BvR 937/93 - und vom 14. April 2003 - 1 BvR 1998/02 - NJW 2003, 2976) nicht die berufungsgerichtliche Bewertung, es lägen für die vom Kläger behaupteten Rechtstatsachen (Erwerb auch der russischen Staatsangehörigkeit im Zeitpunkt der Geburt des Klägers; Beibehaltung mit Inkrafttreten des 1. Russischen Staatsbürgerschaftsgesetzes <1992>) keine greifbaren Anhaltspunkte für den behaupteten Erwerb einer russischen Staatsangehörigkeit kraft Gesetzes bereits vor der vom Berufungsgericht angenommenen, auf einer Willenserklärung gründenden Registrierung vor, zumal sich der Kläger hierzu auf eine von derjenigen des Berufungsgerichts abweichende Auslegung des Art. 13 Staatsbürgerschaftsgesetz und der dazu ergangenen Entscheidung des Verfassungsgerichts der Russischen Föderation (RussVerfG, Urteil vom 16. Mai 1996 - Nr. 12-P - EuGRZ 1997, 410) berufen hatte. Das Berufungsgericht hat insoweit zwar die anzuwendende Norm des ausländischen Rechts benannt und ausgeführt, aus welchen Gründen nach seiner Auffassung der Kläger jedenfalls nicht russischer Staatsangehöriger geblieben sei. Das Berufungsgericht hat aber keine weitergehenden Erkenntnisse zu der maßgeblichen konkreten Rechtspraxis der Russischen Föderation bezeichnet (s. - zum Asylverfahren - Beschlüsse vom 10. Dezember 2004 - BVerwG 1 B 12.04 - Buchholz 310 § 130a VwGO Nr. 67, vom 25. Juni 2004 - BVerwG 1 B 230.03 - Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 282 und vom 29. Juni 2001 - BVerwG 1 B 131.00 - Buchholz 310 § 98 VwGO Nr. 63 = NVwZ-RR 2002, 311; s.a. Urteil vom 20. April 2004 - BVerwG 1 C 13.03 - BVerwGE 120, 298 = Buchholz 402.240 § 87 AuslG Nr. 2). Ohne Darlegung oder ggf. Aufklärung dieser Rechtspraxis durfte das Berufungsgericht den Beweisantrag nicht als unzulässigen Ausforschungsbeweis ablehnen.

5 Auf die weiteren von der Beschwerde geltend gemachten Verfahrensrügen kommt es demnach nicht mehr entscheidend an. Der Senat bemerkt gleichwohl, dass diese Rügen nicht zum Erfolg der Beschwerde geführt hätten; insoweit wird von einer weiteren Begründung abgesehen (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO). Auch hätte die Revision nicht wegen der von dem Kläger geltend gemachten Divergenz (Zulassungsgrund des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) zugelassen werden können. Insbesondere ist das Berufungsgericht nicht dadurch von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts abgewichen, dass es für den kraft Gesetzes eintretenden Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit jedenfalls für eine Fallgestaltung, für die der unmittelbare Zusammenhang zwischen der begehrten Handlung (hier: Ausstellung eines Reisepasses durch einen Staat, der nicht der Staat der bisherigen Staatsangehörigkeit ist) und dem hierfür erforderlichen Erwerb der fremden Staatsangehörigkeit evident sei, eine Willenserklärung hat ausreichen lassen, die eine Handlung zum Gegenstand hat, mit der der Erwerb einer fremden Staatsangehörigkeit automatisch verbunden ist, und nicht eine Willenserklärung verlangt hat, mit welcher der Erwerb der fremden Staatsangehörigkeit unmittelbar bezweckt werde. Denn die von dem Kläger herangezogene Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 21. Mai 1985 - BVerwG 1 C 12.84 - Buchholz 130 § 25 RuStAG Nr. 5) enthält keinen Rechtssatz, nach dem der Antrag, welchen § 25 StAG voraussetzt, unmittelbar auf den Erwerb einer ausländischen Staatsangehörigkeit selbst gerichtet, dafür geeignet und ursächlich sein muss.