Beschluss vom 15.02.2007 -
BVerwG 5 B 119.06ECLI:DE:BVerwG:2007:150207B5B119.06.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 15.02.2007 - 5 B 119.06 - [ECLI:DE:BVerwG:2007:150207B5B119.06.0]

Beschluss

BVerwG 5 B 119.06

  • Niedersächsisches OVG - 25.08.2006 - AZ: OVG 4 LC 136/05

In der Verwaltungsstreitsache hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 15. Februar 2007
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Hund
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Franke und Dr. Brunn
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 25. August 2006 wird zurückgewiesen.
  2. Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

1 Die Beschwerde ist nicht begründet. Die geltend gemachten Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und der Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) liegen nicht vor.

2 1. Die Rechtssache hat nicht die ihr von der Beschwerde beigemessene grundsätzliche Bedeutung. Die als grundsätzlich bedeutsam aufgeworfenen Rechtsfragen
„1. ob dem Hilfeempfänger, dessen sozialhilferechtlicher Bedarf durch ‚Hilfe in einer Einrichtung’ (Fassung § 93 Abs. 2 Satz 1 BSHG 1994) befriedigt wird oder bei den die ‚Leistung in einer Einrichtung erbracht wird’ (§ 93 Abs. 2 Satz 1 BSHG 1999), die nicht in der Trägerschaft des Sozialhilfeträgers steht, gegen den für ihn zuständigen Sozialhilfeträger ein Sachleistungsanspruch zusteht oder ein Geldleistungsanspruch;
2. ob ein anzunehmender Sachleistungsanspruch sich auf die Verpflichtung des Sozialhilfeträgers erstreckt, das gesamte zwischen dem Hilfeempfänger und dem Einrichtungsträger vereinbarte Heimentgelt zu übernehmen oder ob er bereits durch die Hilfeleistung des Einrichtungsträgers erfüllt ist.“
sowie
„2.1.
Kann § 93 Abs. 2 Satz 1 BSHG 1999 entgegen seinem Wortlaut auch dann angewendet werden, wenn keine Leistungs- oder Prüfungsvereinbarung besteht und keine Vereinbarung über ein endgültiges Entgelt? Oder ist die Anwendung von § 93 Abs. 2 Satz 1 BSHG Fassung 1999 auch dann möglich, wenn zwar keine Leistungs- und Prüfungsvereinbarung, keine Vereinbarung über ein endgültiges Entgelt und keine Prüfungsvereinbarung besteht, aber eine Festsetzung/Vereinbarung eines vorläufigen Abschlages?
2.2.
Ist § 93 Abs. 3 Satz 1 BSHG 1999 schon anzuwenden, wenn eine der in Abs. 2 genannten Vereinbarungen nicht abgeschlossen ist? Oder ist die Anwendung dieser Vorschrift zu Gunsten einer Anwendung von § 93 Abs. 2 Satz 1 BSHG Fassung 1999 ausgeschlossen, solange nicht feststeht, dass es nicht zu endgültigen Vereinbarungen nach Abs. 2 kommt?
2.3.
Schränkt § 93 Abs. 2 Satz 1 BSHG Fassung 1999 den grundsätzlich gegebenen Anspruch des Hilfeempfängers nach § 39 BSHG auf Übernahme der vollständigen Unterbringungskosten nicht nur dann ein, wenn eine Vereinbarung/Festsetzung über einen endgültigen Pflegesatz vorliegt, sondern schon dann, wenn ein vorläufiger Abschlag festgesetzt/vereinbart ist?
2.4.
Ist bei dem Hilfeempfänger kein Notfall (mehr) gegeben, wenn er in der Einrichtung untergebracht ist und von der Einrichtung die benötigte Hilfe erhält, wenn zwischen Einrichtung und Sozialhilfeträger ein vorläufiger Abschlag vereinbart ist und dieser von dem Sozialhilfeträger an die Einrichtung gezahlt wird?
2.5.
Ist die Anwendung von § 93 Abs. 2 Satz 1 BSHG 1999 auch ohne bestehende Leistungs- und Prüfungsvereinbarung und ohne bestehende Vereinbarung über ein endgültiges Entgelt deshalb gerechtfertigt und zwingend, weil es dem für die Kalkulation von Pflegesätzen durch den Einrichtungsträger geltenden Grundsatz der Prospektivität zuwiderlaufen würde, wenn der Hilfeempfänger gegenüber dem für ihn zuständigen Sozialhilfeträger einen individuellen Leistungsanspruch hätte, aufgrund dessen er schon vor dem Abschluss endgültiger Pflegesatzvereinbarungen das volle Heimentgelt übernehmen müsste, das der Hilfeempfänger mit dem Einrichtungsträger vereinbart hat?
2.6.
Wird die Anwendung von § 93 Abs. 2 Satz 1 BSHG Fassung 1999 auch ohne Leistungs- und Prüfungsvereinbarung und ohne Vereinbarung über eine endgültige Vergütung dadurch gerechtfertigt und erzwungen, dass bei einer dem Wortlaut entsprechenden Beschränkung des Einwendungsbereiches von § 93 Abs. 2 Satz 1 BSHG Fassung 1999 auf die Fälle, in denen eine Leistungs- und Prüfungsvereinbarung sowie eine Vereinbarung über eine endgültige Vergütung besteht, die konkrete Gefahr bestände, ‚dass die Regelungen in §§ 93 Abs. 2, 93a und 93b BSHG Fassung 1999 ... weitgehend leer liefen?’
2.7.
Ist § 93 Abs. 2 Satz 1 BSHG Fassung 1999 der Grundsatz zu entnehmen, dass der Sozialhilfeträger seine Verpflichtung gegenüber dem Hilfeempfänger aus § 39 BSHG zur vollständigen Übernahme der Unterbringungskosten nur vor Festsetzung/Vereinbarung endgültiger Pflegesätze zu erfüllen braucht, so dass Festsetzungen/Vereinbarungen vorläufiger Abschläge eine ‚Sperrwirkung’ für den individuellen Hilfeanspruch des Hilfeempfängers gegenüber dem für ihn zuständigen Sozialhilfeträger entfalten?
2.8.
Entfalten Festsetzungen/Vereinbarungen vorläufiger Abschläge eine ‚Sperrwirkung’ auch gegenüber der Anwendung von § 93 Abs. 3 BSHG Fassung 1999?
2.9.
Erzwingt die ab 01.07.1994 durch § 93 Abs. 4 Satz 4 BSHG eingeführte und von § 93b Abs. 2 Satz 4 BSHG übernommene Weitergeltungsklausel für endgültige Pflegesätze, dass die Festsetzung/Vereinbarung vorläufiger Abschläge auch ohne Leistungsvereinbarung die Anwendung von § 93 Abs. 3 Satz 1 BSHG Fassung 1999 ausschließt?
2.10.
Rechtfertigt/erzwingt es § 93 Abs. 2 Satz 1 BSHG Fassung 1999, dass der Hilfeempfänger seinen Anspruch gegenüber dem Sozialhilfeträger nach § 39 BSHG auf Übernahme der vollständigen Unterbringungskosten so lange nicht durchsetzen kann, wie Verhandlungen zwischen dem Einrichtungsträger und dem Sozialhilfeträger über endgültige Pflegesätze laufen?
2.11.
Ist der sozialhilferechtliche Bedarf des in einer Einrichtung untergebrachten und bedürfnisentsprechend versorgten Hilfeempfängers dadurch gedeckt, dass der für ihn zuständige Sozialhilfeträger nicht die vollen Unterbringungskosten in Höhe des vereinbarten Heimentgelts übernimmt, sondern nur Abschläge, also einen Heimkostenzuschuss zahlt? Beschränkt sich die von dem Hilfeempfänger benötigte Hilfeleistung auf die Zahlung derartiger Abschläge oder kann die von dem Hilfeempfänger benötigte Hilfe nur dann als sichergestellt gelten, wenn der Sozialhilfeträger für das volle zwischen dem Hilfeempfänger und dem Einrichtungsträger vereinbarte und von dem Einrichtungsträger in Rechnung gestellte Entgelt aufkommt? Kann der Sozialhilfeträger dem nur dadurch entgehen, dass er dem Hilfeempfänger eine andere objektiv geeignete, dem Hilfeempfänger subjektiv zumutbare und kostengünstigere Unterbringung anbietet?
2.12.
Unterscheiden sich die Gesetzesfassungen vom 01.01.1984 und vom 01.01.1999 in Bezug auf die in § 93 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 Satz 1 BSHG getroffenen Regelungen? Rechtfertigt ein solcher Unterschied die Anwendung des ‚anderen Falles’ entgegen dem Gesetzeswortlaut schon bei der Festsetzung/Vereinbarung vorläufiger Abschläge? Sind damit die vom BVerwG im Urteil vom 20.10.1994 entwickelten Grundsätze auf eine vergleichbare Fallkonstellation seit 01.01.1999 nicht mehr anzuwenden?
2.13.
Ist die in § 93 Abs. 2 Satz 1 BSHG Fassung 01.01.1999 getroffene Regelung umfassend oder lückenhaft? Erzwingt eine solche Lückenhaftigkeit von § 93 Abs. 2 Satz 1 BSHG in der Fassung 1999 eine Auslegung des Gesetzes gegen seinen Wortlaut?“
sind nach dem Urteil des Senats vom 4. August 2006 - BVerwG 5 C 13.05 - juris (zur Veröffentlichung in der Entscheidungssammlung BVerwGE vorgesehen) nicht (mehr) klärungsbedürftig oder stellen sich auf der Grundlage dieses Urteils nicht (mehr) in entscheidungserheblicher Weise.

3 Wie der Senat in diesem Urteil näher ausgeführt hat, liegt - auch im Verhältnis zu ortsfremden Sozialhilfeträgern - ein „anderer Fall“ i.S.d. § 93 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 BSHG F. 1994 bzw. ein Fall des § 93 Abs. 3 Satz 1 BSHG F. 1999 nicht vor, solange gemäß § 93 Abs. 2 Satz 1 BSHG F. 1994 bzw. § 93 Abs. 2 Satz 1 BSHG F. 1999 eine Vereinbarung bzw. eine sie gestaltende Schiedsstellenentscheidung zwischen einer Einrichtung und dem örtlich zuständigen Träger der Sozialhilfe tatsächlich und rechtlich möglich ist. Vorläufig festgesetzte oder vereinbarte Entgelte bzw. Vergütungen stehen zwar den endgültig vereinbarten oder festgesetzten Entgelten bzw. Vergütungen nicht gleich. Die Gewährung von Sozialhilfe ohne Bezug zu einer Vereinbarung ist aber „gesperrt“, solange der angestrebte Abschluss einer Vereinbarung bzw. eine vereinbarungsgestaltende Schiedsstellenentscheidung rechtlich und tatsächlich möglich ist (Urteil vom 4. August 2006 a.a.O. juris Rn. 23).

4 Die nach diesem Urteil bestehende Sperrwirkung in Fällen, in denen gemäß § 93 Abs. 2 Satz 1 BSHG F. 1994 bzw. § 93 Abs. 2 Satz 1 BSHG F. 1999 eine Vereinbarung bzw. eine sie gestaltende Schiedsstellenentscheidung zwischen einer Einrichtung und dem örtlich zuständigen Träger der Sozialhilfe tatsächlich und rechtlich noch möglich ist, gegenüber weitergehenden Leistungsansprüchen des Hilfeempfängers hängt gerade auch nicht von der Beantwortung der beiden ersten Fragen ab, ob die Hilfe in den beschriebenen Fällen als Geld- oder als Sachleistung gewährt wird. Nach der zutreffenden Auffassung des Berufungsgerichts hätte der Hilfebedürftige für den Fall, dass die Hilfegewährung in der Einrichtung als Sachleistung erbracht wird, keinen Anspruch auf die hier begehrte Übernahme von Vergütungen in bestimmter Höhe gegen den Leistungsträger.

5 Die Revision ist auch nicht unter dem Gesichtspunkt einer nachträglichen Abweichung von dem Urteil des Senats vom 4. August 2006 (a.a.O.) zuzulassen. Das Berufungsgericht ist von den in diesem Urteil aufgestellten Rechtssätzen schon nicht in entscheidungserheblicher Weise abgewichen.

6 Das Berufungsgericht hat - im Einklang mit der Entscheidung des Senats vom 4. August 2006 (a.a.O.) - angenommen, dass eine „der in Absatz 2 genannten Vereinbarungen endgültig nicht abgeschlossen (ist) im Sinne von § 93 Abs. 3 Satz 1 BSHG Fassung 1999" und folglich ein in § 93 Abs. 3 BSHG Fassung 1999 geregelter Fall einer nicht vertragsgebundenen Einrichtung nur dann gegeben ist, „wenn weder endgültige Vereinbarungen noch vorläufige (Vergütungs-)Vereinbarungen oder ... vorliegen und das Zustandekommen endgültiger Vereinbarungen auch nicht mehr zu erwarten ist“ (BA S. 13 Abs. 2). Auch die weiteren Ausführungen im Berufungsbeschluss sind von der Auffassung getragen, dass ein Fall des § 93 Abs. 3 BSHG nicht vorliegt, solange Verhandlungen/Verfahren über in Absatz 2 genannte Vereinbarungen noch laufen (BA S. 15 Abs. 1 und 3/S. 16 Abs. 1, S. 16 Abs. 3/S. 17 Abs. 2), also der Abschluss einer endgültigen Vereinbarung bzw. eine vereinbarungsgestaltende Schiedsstellenentscheidung noch möglich ist. Die Entscheidung des Berufungsgerichts, dass kein Fall des § 93 Abs. 3 BSHG vorliegt, setzt demnach die Feststellung voraus und enthält sie - jedenfalls konkludent, aber auch ausdrücklich (BA S. 16 Abs. 3, S. 17 Abs. 2) -, dass das Zustandekommen endgültiger Vereinbarungen bzw. einer bestandskräftigen Schiedsstellenentscheidung noch möglich ist. Nach der Auffassung des Berufungsgerichts ist bei erbrachten Abschlagszahlungen „die Übernahme eines über diese Abschlagszahlungen hinausgehenden Heimentgelts nach der gesetzlichen Konzeption ... ausgeschlossen, solange Verhandlungen/Verfahren über diese Vereinbarungen ... laufen“ (BA S. 17 Abs. 1). Danach ist auch das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass ein Anspruch auf höhere Leistungen lediglich derzeit nicht besteht und damit für den Fall der noch ausstehenden Entscheidung über das endgültig geschuldete Entgelt eine weitere Leistung noch in Betracht kommt. Daraus ergibt sich für den umgekehrten Fall, dass eine Vereinbarung bzw. eine sie gestaltende Schiedsstellenentscheidung zwischen einer Einrichtung und dem örtlich zuständigen Träger der Sozialhilfe tatsächlich und rechtlich nicht mehr möglich ist, dass ein „anderer Fall“ i.S.d. § 93 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 BSHG (F. 1994) bzw. ein Fall des § 93 Abs. 3 Satz 1 BSHG (F. 1999) vorliegt, aufgrund dessen eine weitere Leistung in Betracht kommen kann.

7 Jedenfalls die Ergebnisrichtigkeit der Berufungsentscheidung steht in entsprechender Anwendung des § 144 Abs. 4 VwGO (stRspr; vgl. etwa Beschlüsse vom 17. März 1998 - BVerwG 4 B 25.98 - Buchholz 406.17 Bauordnungsrecht Nr. 66 und vom 22. August 1996 - BVerwG 8 B 100.96 - Buchholz 310 § 144 VwGO Nr. 62 m.w.N.) der Zulassung der Revision entgegen.

8 2. Die Revision ist auch nicht wegen Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) zuzulassen.

9 Die geltend gemachte Abweichung vom Urteil des Senats vom 20. Oktober 1994 - BVerwG 5 C 28.91 - BVerwGE 97, 53 liegt schon deswegen nicht vor, weil die vermeintlich divergierenden Entscheidungen nicht zu derselben Regelung ergangen sind. § 93 BSHG ist durch das Zweite Gesetz zur Umsetzung des Spar-, Konsolidierungs- und Wachstumsprogramms vom 21. Dezember 1993 (BGBl I S. 2374) zum 1. Juli 1994 grundlegend umgestaltet worden.

10 3. Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO).

11 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Gerichtskostenfreiheit auf § 188 Satz 2 VwGO.