Beschluss vom 14.08.2003 -
BVerwG 2 AV 4.03ECLI:DE:BVerwG:2003:140803B2AV4.03.0

Beschluss

BVerwG 2 AV 4.03

In der Verwaltungsstreitsache hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 14. August 2003
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. S i l b e r k u h l
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. K u g e l e und Dr. B a y e r
beschlossen:

  1. Das Ablehnungsgesuch des Antragstellers gegen den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Ullrich und den Richter am Oberverwaltungsgericht Künzler ist begründet.
  2. Das Ablehnungsgesuch des Antragstellers gegen den Vizepräsidenten des Oberverwaltungsgerichts Dr. Sattler, den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht Raden, die Richterin am Oberverwaltungsgericht Franke, die Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Heitz, Kober, Meng, Munzinger, Rottmann und Dr. Schaffarzik sowie die Richter am Verwaltungsgericht Grau, Höhl und Voigt wird als unbegründet zurückgewiesen.

Das Bundesverwaltungsgericht, das gemäß § 54 Abs. 1 VwGO in Verbindung mit § 45 Abs. 3 ZPO über das auf § 42 Abs. 2 ZPO gestützte Befangenheitsgesuch des Antragstellers entscheidet, hat darüber zu befinden, ob der Antrag begründet ist. Dagegen hat es nicht darüber zu entscheiden, ob die Richter, die eine Anzeige gemäß § 48 ZPO gemacht haben, ohne dass der Antragsteller hierauf zusätzlich seinen Befangenheitsantrag gestützt hat, von dem Verfahren ausgeschlossen sind. Hierüber hat das Sächsische Oberverwaltungsgericht als das gemäß § 45 Abs. 1 ZPO zuständige Gericht zu entscheiden.
Wegen Besorgnis der Befangenheit findet die Ablehnung statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen. Danach ist es nicht notwendig, dass der Richter tatsächlich befangen ist. Andererseits reicht die rein subjektive Vorstellung eines Beteiligten, der Richter werde seine Entscheidung an persönlichen Motiven orientieren, nicht aus, wenn bei objektiver Würdigung der Tatsachen vernünftigerweise kein Grund für die Befürchtung ersichtlich ist. Die Besorgnis der Befangenheit ist dann gerechtfertigt, wenn aus der Sicht des Beteiligten hinreichend objektive Gründe vorliegen, die bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass geben, an der Unvoreingenommenheit des Richters zu zweifeln (Urteil vom 5. Dezember 1975 - BVerwG 6 C 129.74 - BVerwGE 50, 36 <38 f.>; vgl. auch Beschluss vom 3. April 1997 - BVerwG 6 AV 1.97 - Buchholz 310 § 54 VwGO Nr. 55 <S. 4>).
Richter am Oberverwaltungsgericht Künzler verfolgt als Beteiligter an dem Verfahren OVG 3 BS 465/02 eigene Interessen in dem Konkurrentenstreitverfahren. Der Ausgang des Rechtsstreits über die dienstliche Beurteilung des Antragstellers kann Auswirkungen auf das vorgenannte Berufungsverfahren haben. Dies ist Grund für die "Selbstablehnung" des Richters gemäß § 48 ZPO und vermag die Befürchtung des Antragstellers zu rechtfertigen, der Richter würde nicht unvoreingenommen an der Entscheidung mitwirken.
Vorsitzender Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Ullrich ist nach seiner Selbstanzeige gemäß § 48 ZPO, auf die sich der Antragsteller ebenfalls ausdrücklich bezogen hat, von der Ausübung des Richteramtes ausgeschlossen, weil er als Mitglied des Präsidialrats an der Auswahlentscheidung mitgewirkt hat und dabei insbesondere die im Streit befindliche dienstliche Beurteilung zu bewerten hatte.
Das weitergehende Befangenheitsgesuch ist unbegründet. Der Umstand, dass alle Richter des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts der Dienstaufsicht des Präsidenten des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts unterliegen, stellt weder für sich noch im Zusammenhang mit dem zugrunde liegenden Klageverfahren des Antragstellers einen Grund dar, an der Objektivität der abgelehnten Richter zu zweifeln.
Dass sich die Klage gegen den Freistaat Sachsen richtet, der zugleich Anstellungskörperschaft der abgelehnten Richter ist, vermag bei verständiger Würdigung die Besorgnis der Befangenheit nicht zu begründen. Die Entscheidung eines Rechtsstreits, an dem die Anstellungskörperschaft der Richter als Beklagter beteiligt ist, stellt im Arbeitsalltag der Verwaltungsgerichte keine Seltenheit dar. Bei wertender Betrachtung lässt sich allein daraus die Befürchtung der Voreingenommenheit nicht herleiten.
Dass der Präsident des Oberverwaltungsgerichts das beklagte Land in dem Rechtsstreit vertritt, kann ebenfalls nicht tragfähige Grundlage für die Befürchtung der Befangenheit sein. Zwar übt der Präsident die Dienstaufsicht über die beim Oberverwaltungsgericht tätigen Richter aus. Diese Dienstaufsicht (vgl. § 38 Abs. 1 VwGO) erstreckt sich jedoch allein auf die äußere Wahrnehmung der dienstlichen Aufgaben, aber nicht auf die Ausübung der den Richtern in voller Unabhängigkeit anvertrauten rechtsprechenden Gewalt (§ 26 Abs. 1 DRiG). Dem Präsidenten ist es verwehrt, unmittelbar oder mittelbar auf die Entscheidung der Richter beim Oberverwaltungsgericht Einfluss zu nehmen. Er müsste sich selbst vor der Dienstaufsicht des Justizministeriums und dem Richterdienstgericht verantworten, das zur Wahrung der richterlichen Unabhängigkeit angerufen werden kann. Unbegründet ist deshalb die Befürchtung, die Richter des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts könnten schon wegen der dem Präsidenten dieses Gerichts eröffneten Möglichkeit, ihr berufliches Fortkommen im Falle einer ihm nicht genehmen Entscheidung zu fördern oder zu blockieren, nicht frei entscheiden (vgl. den den Beteiligten bekannten Beschluss vom 9. Mai 2003 - BVerwG 2 AV 1.03 , 2.03 und 3.03 ).
Die Besorgnis einer Befangenheit der Richter hat schließlich nicht deshalb eine ausreichende Grundlage, weil es in dem Rechtsstreit um die Rechtmäßigkeit einer vom Präsidenten des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts selbst getroffenen Maßnahme geht und weil der Präsident die Prozessführung für den Antragsgegner in eigener Person wahrgenommen hat. Die Vertretung durch den Präsidenten des Oberverwaltungsgerichts beruht auf § 4 der Verordnung der Sächsischen Staatsregierung über die Vertretung des Freistaates Sachsen in gerichtlichen Verfahren. Gründe, von dieser allgemeinen Vertretungsregelung abzuweichen, hat die Sächsische Staatsregierung nicht gesehen. Zur Vertretung des Landes ist der Präsident daher verpflichtet. Es ist von Gesetzes wegen nicht zu beanstanden, dass er als Parteivertreter die Interessen des Landes wahrnimmt und dabei seine eigene dienstliche Tätigkeit verteidigt, die den Anlass und den Gegenstand des Rechtsstreits bildet. Ob er dies persönlich erledigt oder einen mit Präsidialgeschäften betrauten und insoweit seinen Weisungen unterliegenden Richter oder einen Rechtsanwalt beauftragt, macht dabei rechtlich keinen Unterschied. Jedenfalls ist für alle Beteiligten ebenso wie für die Richter offensichtlich, dass der Präsident in diesem Falle weder als Dienstvorgesetzter noch als Richter, sondern als Behördenleiter tätig wird.