Urteil vom 14.05.2003 -
BVerwG 2 WD 43.02ECLI:DE:BVerwG:2003:140503U2WD43.02.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Urteil vom 14.05.2003 - 2 WD 43.02 - [ECLI:DE:BVerwG:2003:140503U2WD43.02.0]

Urteil

BVerwG 2 WD 43.02

In dem gerichtlichen Disziplinarverfahren hat der 2. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts aufgrund der nichtöffentlichen Hauptverhandlung vom 7. und 14. Mai 2003, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Pietzner,
Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Widmaier,
Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Deiseroth
sowie
Oberstleutnant Weißenbach,
Hauptfeldwebel Bader
als ehrenamtliche Richter,
Leitender Regierungsdirektor Sandbaumhüter,
Leitender Regierungsdirektor Söllner
als Vertreter des Bundeswehrdisziplinaranwalts,
Rechtsanwältin Berghausen, Düsseldorf,
als Verteidigerin,
Justizangestellte Kairies
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
am 14. Mai 2003 für Recht erkannt:

  1. Auf die Berufung des Soldaten wird das Urteil der ... Kammer des Truppendienstgerichts ... vom 11. April 2002 aufgehoben.
  2. Der Soldat wird freigesprochen.
  3. Die Kosten des Verfahrens und die dem Soldaten darin erwachsenen notwendigen Auslagen werden dem Bund auferlegt.

Gründe

I

Der 42 Jahre alte Soldat absolvierte nach dem Hauptschulabschluss im Jahre 1975 eine Lehre als Kraftfahrzeugmechaniker, die er am 23. Juni 1978 mit der Gesellenprüfung abschloss.

Aufgrund seiner Bewerbung und Verpflichtung für den freiwilligen Dienst in der Bundeswehr wurde er zum 1. Oktober 1979 als Eignungsübender zur Instandsetzungsausbildungskompanie (InstAusbKp) ... in D. einberufen und am 1. Februar 1980 als Obergefreiter UA zum Soldaten auf Zeit ernannt. Seine Dienstzeit wurde zunächst auf 4, sodann auf 8 und schließlich 12 Jahre festgesetzt. Am 17. Juli 1986 wurde ihm als Oberfeldwebel die Eigenschaft eines Berufssoldaten verliehen.

Nach regelmäßigen Zwischenbeförderungen wurde der Soldat mit Wirkung vom 1. Oktober 1991 zum Hauptfeldwebel befördert.

Zum 1. Oktober 1980 wurde er zur .../Panzergrenadierbataillon ... in M. als Kraftfahrzeugpanzerinstandsetzungsunteroffizier versetzt. In der Zeit vom 4. November bis 11. Dezember 1980 nahm er am Unteroffiziergrundlehrgang - Allgemeinmilitärischer Teil (AllgMilTeil) - bei der Schule .../Fachschule ... in A., und vom 7. Januar bis 24. Februar 1981 am Unteroffiziergrundlehrgang - Militärfachlicher Teil (MilFachTeil) - bei der .../... mit der Abschlussnote „befriedigend” teil. Vom 15. April bis 23. Juni 1982 absolvierte er den Unteroffizieraufbaulehrgang - MilFachTeil - an der .../... und besuchte dort vom 4. November bis 22. Dezember 1982 den Unteroffizieraufbaulehrgang - AllgMilTeil - mit der Abschlussnote „befriedigend”. Zum 1. Februar 1983 wurde er zur InstAusbKp ... in D. als Kraftfahrzeugpanzerinstandsetzungsfeldwebel und Gruppenführer versetzt, und vom 22. November 1983 bis 21. November 1984 nahm er erfolgreich an der Fachfortbildung A (Meisterprüfung im Kraftfahrzeugmechanikerhandwerk) an der FSHT teil. Am 1. Oktober 1986 wechselte er auf den Dienstposten des Instandsetzungsfeldwebels (InstFw) und ABC-Abwehr/Selbstschutz-Feldwebels und zum 1. April 1991 auf den des InstFw und Kompaniefeldwebels (KpFw). Zum 1. Oktober 1996 wurde er zur .../Instandsetzungsbataillon (InstBtl) ... in D. als InstFw und KpFw, zum 1. April 2000 zur .../InstBtl ... in D. mit gleicher Verwendung und zum 1. Oktober 2002 zum ... in K. als InstFw und Betriebsschutzmeister versetzt.

In seiner letzten dienstlichen Beurteilung vom 4. Juli 2000 erhielt der Soldat als Hauptfeldwebel nach dem neuen Beurteilungssystem fünfmal die Wertung „7” und ansonsten die Wertung „6”. Der nächsthöhere Disziplinarvorgesetzte des Soldaten setzte die Wertung der Einzelmerkmale „Belastbarkeit” von „6” auf „5”, „Durchsetzungsverhalten” von „7” auf „4” und „Fürsorgeverhalten” von „6” auf „4” herab. In der Eignungs- und Befähigungsbeschreibung bewertete der Beurteilende die Beurteilungspunkte „Verantwortungsbewusstsein” und „Befähigung zur Einsatz- und Betriebsführung” mit „E” („Eignung und Befähigung sind sehr stark ausgeprägt”) und die Beurteilungspunkte „Geistige Befähigung” und „Eignung zur Menschenführung/Teambefähigung” mit „D” („Eignung und Befähigung sind besonders vorhanden”). Der nächsthöhere Disziplinarvorgesetzte des Soldaten setzte die Wertung im Beurteilungspunkt „Eignung zur Menschenführung/Teambefähigung” von „D” auf „C” („Eignung und Befähigung sind deutlich vorhanden”) herab.

Unter „Herausragende charakterliche Merkmale, Kameradschaft, berufliches Selbstverständnis, Bewährung im Einsatz und ergänzende Aussagen” führte der Beurteilende folgendes aus:

„Selbstbewusst, diszipliniert und stets leistungsbereit ist ... den Anforderungen und Belastungen des Soldatenberufes voll gewachsen. Seine herausragende Einsatzbereitschaft und Kameradschaft kennzeichnen ihn besonders. ... ist uneingeschränkt bereit, seinen Beitrag zu leisten, den Auftrag der Bundeswehr mit Leben zu füllen! Im Interesse des Auftrages, aber auch im Interesse von Kameraden (Vorgesetzten wie Untergebenen), nimmt er persönliche Nachteile oder Belastungen zusätzlich in Kauf.

Er ist durch und durch Soldat und geht in der herausgehobenen Dienststellung des KpFw nach wie vor voll auf!

Mit seinen umfangreichen Kenntnissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten ist er eine Bereicherung für jedes Führungsteam.”

Der Beurteilende hielt den Soldaten für „Stabsverwendungen” „besonders geeignet” und „gut geeignet” für alle übrigen Verwendungsmöglichkeiten. Der nächsthöhere Disziplinarvorgesetzte des Soldaten setzte die Eignungsstufe im Punkt „Führungsverwendungen in der Truppe” von „gut geeignet” auf „geeignet” herab.

Im Übrigen nahm er zu der Beurteilung des Soldaten wie folgt Stellung:

„Die AusbKp wurde mir als Kdr im Rahmen der Umgliederung zum 01.04.2000 unterstellt.

HFw ... ist ein langjährig erfahrener und in seinem Aufgabenbereich sehr eigenständig agierender, verantwortungsbewußter KpFw. Aufgrund seiner Erfahrung auf dem Dienstposten (ca. 10 Jahre) und vor allem durch seine Gewissenhaftigkeit beherrscht er sein administratives Aufgabengebiet überzeugend. Die Spitzenleistungen des KpChefs in F.I.01, 02 und 09 werden von mir mitgetragen. In den Merkmalen der Belastbarkeit sowie im Durchsetzungsverhalten ist die Beurteilung in der vergleichenden Betrachtung sehr wohlwollend. Durch seine dauerhafte gesundheitliche Einschränkung in der körperlichen Leistungsfähigkeit und die gelegentlich aufbrausende Art bewerte ich hier seine Belastbarkeit in F.I.03 in der ganzheitlichen Betrachtung mit ‚5’. In der Führung des ihm anvertrauten Stammpersonals läßt er gelegentlich den angemessenen Stil der zeitgemäßen Menschenführung vermissen. Sein Durchsetzungsverhalten in F.I.04 ist unter Berücksichtigung der Angemessenheit und Zweckmäßigkeit gelegentlich von überzogener Strenge und Amtsautorität geprägt. Hier zeigt er im Gegensatz zum übrigen Beurteilungsbild Schwächen. Daher bewerte ich ihn insbesondere auf der Grundlage meiner Erfahrung und in der vergleichenden Betrachtung im Merkmal F.I.04 mit ‚4’. Die Lagebeurteilung und das Abwägen des möglichen Verhaltens sollten künftig mehr die Basis für angemessene Befehle darstellen. HFw ... läßt seinen unterstellten Soldaten die nötige Fürsorge zukommen, soweit sie berechtigt ist und an ihn herangetragen wird. Durch sein gelegentliches sehr strenges und autoritäres Verhalten verhindert er jedoch das Wachsen einer vertrauensvollen Beziehung gerade junger Soldaten in einer AusbKp zu ihrem Vorgesetzten. Daher werte ich seine Fürsorge in F.I.16 mit ‚4’ und erwarte hier eine Änderung seines Verhaltens.

Die vom KpChef vorgenommene freie Beschreibung ist in Teilen sehr wohlwollend und zeigt die erkennbaren Schwächen nicht auf. Den herausragenden Merkmalen des Verantwortungsbewußtseins und der administrativen Einsatz- und Betriebsführung steht ein Defizit in zeitgemäßer Menschenführung gegenüber. Die Eignung und Befähigung zur Menschenführung in G.03 ändere ich aufgrund eigener Feststellungen und Gespräche mit HFw ... auf ‚C’.

Insgesamt sehe ich in HFw ... nach wie vor einen besonders förderungswürdigen Berufssoldaten, der jedoch einerseits durch seine 10-jährige Verwendung als KpFw Flexibilität verloren hat und andererseits aufgrund seiner Fähigkeit in anderen Verwendungen außerordentliche Leistungen erbringen kann.

Den Verwendungsvorschlägen des KpChefs schließe ich mich mit Einschränkungen an. HFw ... ist im laufenden Beurteilungszeitraum aus seiner Verwendung herauszulösen, um ihm so die Möglichkeit einer weiteren positiven Entwicklung auf einem technisch/administrativen Dienstposten zu geben. In den Verwendungshinweisen ändere ich die Stufe der Eignung bei I.01.c ‚Führungsverwendungen in der Truppe’ von ‚gut geeignet’ in ‚geeignet’.”

Die Förderungswürdigkeit des Soldaten wurde mit „D” bewertet („Eignung und Leistungen des Beurteilten liegen erheblich über den Anforderungen. Eine Förderung wird mit besonderem Nachdruck empfohlen”).

In der Sonderbeurteilung vom 27. März 2003 erhielt der Soldat in den Einzelmerkmalen viermal die Wertung „7”, neunmal die Wertung „6” und dreimal die Wertung „5”. Bei „Eignung und Befähigung” wurde ihm für „Verantwortungsbewusstsein” die Wertung „E” sowie für „Geistige Befähigung”, „Eignung zur Menschenführung/Teambefähigung” und „Befähigung zur Einsatz- und Betriebsführung” jeweils die Wertung „D” zuerkannt. Unter „Herausragende charakterliche Merkmale, Kameradschaft, berufliches Selbstverständnis, Bewährung im Einsatz und ergänzende Aussagen” wurde über ihn ausgeführt:

„HptFw ... ist ein bescheidener, verantwortungsbewußter Portepeeunteroffizier mit charakterlicher Festigkeit. Ihn leiten klare Zielvorstellungen, Integrationsbereitschaft und der deutliche Wille zur Leistung.

... beherrscht die Anforderungen, die sein Dienstposten an ihn stellt. Ruhig und ausgeglichen stellt er sich täglich den Anforderungen des Berufes. Große Einsatzbereitschaft, viel Verantwortungsbewußtsein und ein überdurchschnittliches Engagement zeichnen ihn aus.

Grundsolides Berufsverständnis, wohltuende Kameradschaft, Gradlinigkeit und Loyalität bestimmen sein Tagewerk.

Zu seinen Stärken gehört der Umgang mit Kameraden. Er nimmt sich berechtigten Belangen von jüngeren Kameraden an, gibt viele Hilfestellungen und unterstützt sie mit seiner ganzen Erfahrung. Älteren Kameraden und Vorgesetzten tritt er aufrecht und ohne Hintergedanken gegenüber.

Mit gesundem Ehrgeiz verfolgt er seine Ziele, ohne jedoch aufdringlich zu wirken; er hat die richtige Einstellung zum Beruf.

Auf Grund seiner Persönlichkeit und seinem Leistungsvermögen gehört er ohne Zweifel zur Spitze seiner Dienstgradgruppe.”

In den Verwendungshinweisen hielt ihn der beurteilende Vorgesetzte für „Fachverwendungen” und „Stabsverwendungen” „besonders geeignet” und für „Verwendungen mit besonderer Außenwirkung” für „gut geeignet”.

Hauptmann K., früherer Disziplinarvorgesetzter des Soldaten, hat als Leumundszeuge über ihn ausgesagt, seine Leistungen im administrativen Bereich seien sehr gut. Hier habe er sich auf den Soldaten hundertprozentig verlassen können, der Soldat habe sich in seinem Geschäft ausgekannt. Er, der Zeuge, habe sich darauf verlassen können, dass Aufgaben oder Aufträge von ihm erfüllt würden. Probleme habe der Soldat im Bereich der Menschenführung gehabt, ab und zu sei er über das Ziel hinausgeschossen. Menschenführung stelle er, der Zeuge, sich anders vor. Als Kompaniefeldwebel wolle er den Soldaten nicht zurück haben.

Der Soldat ist berechtigt, seit 8. November 1990 das Leistungsabzeichen in Gold und seit 18. Februar 1993 das Ehrenkreuz der Bundeswehr in Silber zu tragen.

Der Auszug aus dem Zentralregister des Generalbundesanwalts vom 2. April 2003 und der Auszug aus dem Disziplinarbuch vom 27. März 2003 enthalten keine Eintragungen über eine Bestrafung oder disziplinare Maßregelung des Soldaten.

Am 29. März 1988 erteilte der Chef der InstAusbKp .../... in D. dem damaligen Oberfeldwebel eine förmliche Anerkennung, verbunden mit zwei Tagen Sonderurlaub.

Der Tenor lautet:

„Er hat seit 01.10.86 als Kompanietruppführer ständig weit über dem Durchschnitt liegende Arbeitsergebnisse erzielt und dabei in erheblichem Maße zum Ausbildungserfolg beigetragen.

Als ständiger Vertreter des Kompaniefeldwebels erbrachte ... ebenfalls vorbildliche Leistungen.”

Am 3. November 1997 erhielt er als Hauptfeldwebel eine weitere förmliche Anerkennung, wiederum verbunden mit zwei Tagen Sonderurlaub, durch den Chef .../InstBtl ... in D.

Der Tenor lautet:

„Er zeigt während der Dienstzeit ständig überdurchschnittliche Leistungen und größte Einsatzbereitschaft.

Besonders hervorzuheben ist sein Engagement im Zusammenhang mit der Vorbereitung und Durchführung des Einsatzes der Kompanie unter Kommando des Einsatz-Verbandes 214 beim Hochwassereinsatz ODER 1997 sowie seine Leistungen in Vorbereitung, Durchführung und Nachbereitung der 35-Jahr-Feier der Kompanie.

Durch ein Höchstmaß an persönlichem Engagement wurde hier eine vorbildliche Öffentlichkeits-, Traditions- und auch Reservistenarbeit geleistet.

Auf Dauer beispielhaft ist auch sein ständiges Ringen um einen möglichst reibungslosen Ablauf der AGA- und DPA-Durchgänge. In den bisher 5 Sextalen des Jahres 97 hat er ständig vorbildliche Arbeit als KpFw geleistet und sich auch in schwierigen Situationen nicht unterkriegen lassen.”

Der Soldat ist ledig. Er erhält Dienstbezüge nach der Besoldungsgruppe A 8 in der 9. Dienstaltersstufe in Höhe von 2.270,87 € brutto, 1.816,57 € netto. Für seinen Wohnsitz in B.N. hat er 260 € Warmmiete zu zahlen, die Schulden aus seinem Haus in Dorsten trägt er monatlich mit 750 € ab.

Seine finanziellen Verhältnisse haben sich nach seinen Angaben zwischenzeitlich leicht entspannt.

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