Beschluss vom 13.11.2002 -
BVerwG 7 B 71.02ECLI:DE:BVerwG:2002:131102B7B71.02.0

Beschluss

BVerwG 7 B 71.02

  • VG Berlin - 22.01.2002 - AZ: VG 25 A 262.96

In der Verwaltungsstreitsache hat der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 13. November 2002
durch die Richter am Bundesverwaltungsgericht
G ö d e l , K l e y und H e r b e r t
beschlossen:

  1. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 22. Januar 2002 wird aufgehoben.
  2. Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen.
  3. Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
  4. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 500 000 € festgesetzt.

I


Die Rechtsvorgängerin der Beschwerdeführerin beanspruchte die Rückübertragung eines früher gärtnerisch genutzten Grundstücks nach den Vorschriften des Gesetzes zur Regelung offener Vermögensfragen (VermG). Während des Klageverfahrens ist sie verstorben. Das Verwaltungsgericht hat ihre Alleinerbin, ihre in den USA lebende Schwester, die im Verfahren nicht vertreten und auch im Termin zur mündlichen Verhandlung nicht erschienen war, als Klägerin angesehen und die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass die Klägerin durch gerichtliche Verfügung gemäß § 239 Abs. 2 ZPO zur Aufnahme des Verfahrens aufgefordert worden und die Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in den USA um Zustellung dieser Verfügung ersucht worden sei. Die Klägerin habe jedoch die Annahme der Schriftstücke verweigert und damit den Zugang der Aufnahmeaufforderung vereitelt. Sie müsse sich schon deshalb so stellen lassen, als sei die Zustellung erfolgt. Die Klägerin habe im Übrigen durch ihren Bruder, der als ihr Generalbevollmächtigter auch in anderen bei der Kammer anhängigen Verfahren auftrete, Kenntnis vom Verfahren erhalten; denn er habe hierzu im Termin vom 17. Juli 2001 im Verfahren VG 25 A 437.95 sinngemäß geäußert, er könne seine Bevollmächtigung durch die Klägerin erreichen, wenn er einen günstigen Verfahrensverlauf in Aussicht stellen könne. Aufgrund dessen stehe zur Überzeugung des Gerichts fest, dass die Klägerin rechtsmissbräuchlich die Annahme verweigert habe, um den weiteren Ablauf des Verfahrens zu verzögern. Die Ladung zum Termin zur mündlichen Verhandlung habe gemäß § 56 VwGO a.F., § 15 Abs. 1 Buchst. c VwZG durch öffentliche Zustellung erfolgen können, weil der erneute Versuch einer Auslandszustellung keinen Erfolg versprochen habe. In der Sache sei die Klage unbegründet, weil die seinerzeitige Enteignung des Grundstücks keine Schädigungsmaßnahme im Sinne des § 1 VermG gewesen sei.
Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat die von der Vorinstanz als Klägerin behandelte Beschwerdeführerin Beschwerde erhoben und dazu geltend gemacht, von dem Verfahren erstmals durch das ihr per Einschreiben zugestellte Urteil erfahren zu haben. Von Zustellungsversuchen sei ihr nichts bekannt; ebenso wenig sei ihr bekannt, die Annahme von Zustellungsstücken verweigert zu haben.

II


Die Beschwerde ist begründet. Die Beschwerdeführerin rügt zu Recht, dass sie an dem gerichtlichen Verfahren nicht ordnungsgemäß beteiligt worden ist. Zwar ist ihr die Ladung zum Termin zur mündlichen Verhandlung öffentlich zugestellt worden. Diese Zustellung war jedoch nicht ordnungsgemäß, so dass das Verwaltungsgericht nicht befugt war, in ihrer Abwesenheit zu verhandeln. Es hat damit den Anspruch der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs im Sinne des § 108 Abs. 2 VwGO verletzt.
Eine öffentliche Zustellung war nach der für die Zustellung im Jahr 2001 maßgeblichen früheren Fassung des § 56 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 15 Abs. 1 VwZG nur zulässig, wenn der Aufenthaltsort des Empfängers nicht bekannt ist (§ 15 Abs. 1 Buchst. a VwZG) oder eine andere Form der Zustellung und damit insbesondere auch eine Auslandszustellung nach § 14 VwZG aus den im § 15 Abs. 1 Buchst. b und c VwZG genannten Gründen undurchführbar ist (ähnlich jetzt § 56 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 185 ZPO). Diese Voraussetzungen haben hier nicht vorgelegen. Der Aufenthaltsort der Beschwerdeführerin war bekannt, und allein der Hinweis der Botschaft, dass die Zustellungsempfängerin die Annahme der Zustellungsstücke verweigert habe, rechtfertigte nicht den Schluss, dass eine Auslandszustellung undurchführbar war. Zwar begründet die Bescheinigung einer ersuchten Behörde über eine Auslandszustellung als öffentliche Urkunde im Sinne des § 418 ZPO nach § 14 Abs. 3 VwZG den vollen Beweis der darin bezeugten Tatsachen. Um eine ordnungsgemäße Zustellung zu belegen, muss sie allerdings zumindest Auskunft über den Zeitpunkt der Zustellung sowie darüber geben, an wen und in welcher Form das zuzustellende Schriftstück übergeben worden ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 20. Mai 1999 - BVerwG 3 C 7.98 - Buchholz 340 § 14 VwZG Nr. 2); denn anderenfalls würde dem Zustellungsempfänger der zulässige Gegenbeweis der Unrichtigkeit unzumutbar erschwert. Entsprechende Anforderungen müssen für eine Bescheinigung gelten, mit der nicht die Zustellung, sondern deren Verweigerung bezeugt wird; anderenfalls ist auch in diesem Fall dem Betroffenen substantiiertes Gegenvorbringen zur Erschütterung der Beweiskraft der Urkunde nicht möglich. So verhält es sich hier. Das Schreiben der Botschaft enthielt außer dem Hinweis auf eine Annahmeverweigerung keine weiteren Angaben über den Zustellungsversuch. Schon das Gebot der prozessualen Waffengleichheit fordert, dass eine solche Beurkundung nicht näher belegter Tatsachen, misst man ihr überhaupt Beweiskraft bei, durch ebenso pauschales Gegenvorbringen entkräftet werden kann. Das bedeutet, dass der Einwand der Beschwerdeführerin, sie habe weder Kenntnis von Zustellungsversuchen, noch habe sie die Annahme von Zustellungsstücken verweigert, ausreicht. Ist somit eine Annahmeverweigerung nicht belegt, durfte das Gericht auch nicht von der Undurchführbarkeit einer Zustellung im Ausland ausgehen. Daran ändert auch nichts, dass zuvor bereits eine Zustellung durch eingeschriebenen Brief gescheitert war; denn für die Zustellung im Ausland enthält § 14 VwZG eine Sondervorschrift, welche die Anwendung der Inlandszustellungsarten ausschließt (vgl. Engelhardt/App, Verwaltungszustellungsgesetz, 5. Auflage, Rn. 1 zu § 14).
Führt die Beschwerde schon aufgrund dieses Verfahrensfehlers zum Erfolg, erübrigt es sich, auf die weiteren Rügen der Beschwerdeführerin einzugehen, zumal diese sich auf Feststellungen des Gerichts beziehen, die ohne ihre Verfahrensbeteiligung getroffen worden sind.
Der Senat nimmt den geschehenen Verfahrensfehler zum Anlass, das angefochtene Urteil nach § 133 Abs. 6 VwGO aufzuheben und den Rechtsstreit an die Vorinstanz zurückzuverweisen; denn ein Revisionsverfahren könnte mangels verwertbarer Gründe des angegriffenen Urteils keine weiteren Erkenntnisse bringen.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 14 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 13 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 GKG.