Beschluss vom 13.10.2004 -
BVerwG 5 B 7.04ECLI:DE:BVerwG:2004:131004B5B7.04.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 13.10.2004 - 5 B 7.04 - [ECLI:DE:BVerwG:2004:131004B5B7.04.0]

Beschluss

BVerwG 5 B 7.04

  • OVG für das Land Nordrhein-Westfalen - 15.10.2003 - AZ: OVG 2 A 3641/02

In der Verwaltungsstreitsache hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 13. Oktober 2004
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. S ä c k e r und die Richter am Bundesverwaltungsgericht S c h m i d t und Dr. F r a n k e
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 15. Oktober 2003 wird zurückgewiesen.
  2. Die Kläger tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen, die dieser selbst trägt.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 12 000 € festgesetzt.

Die auf Verfahrensrügen (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) und die Rüge der Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) gestützte Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision hat keinen Erfolg.
1. Der Sache nach macht die Beschwerde im Wesentlichen geltend, das Oberverwaltungsgericht hätte die schriftlichen Erklärungen der Klägerin zu 1 zu den Umständen der Eintragung der ukrainischen Nationalität in ihrem ersten Inlandspass nicht ohne mündliche Verhandlung und persönliche Anhörung der Klägerin zu 1 anders werten dürfen als das Verwaltungsgericht. Dieses hat die schriftlichen Erklärungen der Klägerin zu 1 dahingehend bewertet, sie habe "durchgehend angegeben, dass sie den Antrag - die Forma Nr. 1 - nicht unterschrieben" habe (S. 6 des Urteils). Das Oberverwaltungsgericht hingegen ist in Würdigung der verschiedenen Erklärungen der Klägerin zu 1 zu dem Ergebnis gekommen, ein hinreichend substantiierter Vortrag, dass sie die Forma 1 nicht selbst unterzeichnet habe, finde sich weder im verwaltungsgerichtlichen Verfahren noch im Verwaltungsverfahren. In ihren Erklärungen schließe die Klägerin zu 1 nicht aus, dass sie selbst den Antrag unterschrieben habe. Im Berufungsverfahren sei nichts anderes vorgetragen worden, insbesondere nicht erklärt worden, dass die Klägerin zu 1 nunmehr ausschließe, die Forma 1 selbst unterschrieben zu haben (S. 5 - 6 des angefochtenen Beschlusses).
2. Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG, § 138 Nr. 3 VwGO) ist nicht dargetan. Die Rüge wird von der Beschwerde damit begründet, das Berufungsgericht habe, wie sich aus dem Inhalt der angefochtenen Entscheidung ergebe, "den gesamten Inhalt des Schriftsatzes vom 21. Juli 2003 nicht zur Kenntnis genommen". Es habe den Hinweis nicht berücksichtigt, dass es an die tatbestandlichen Feststellungen aus dem erstinstanzlichen Urteil gebunden sei, wonach die Klägerin zu 1 durchgehend angegeben habe, dass sie den Antrag - die Forma 1 - nicht unterschrieben habe, und dass im Falle einer davon abweichenden Bewertung der schriftlichen Angaben der Klägerin zu 1 durch das Oberverwaltungsgericht "unbedingt eine persönliche Anhörung der Klägerin geboten" wäre; es habe den Vortrag im Berufungsverfahren in sein Gegenteil verkehrt, wenn es auf S. 6 der Beschlussausfertigung behaupte, es sei "insbesondere nicht erklärt worden, dass die Klägerin zu 1) nunmehr ausschließe, die Forma Nr. 1 selbst unterschrieben zu haben".
Die Beschwerde verkennt, dass das Berufungsgericht sich in den Entscheidungsgründen nicht umfassend mit dem Vortrag des unterliegenden Beteiligten auseinander setzen muss; grundsätzlich ist vielmehr davon auszugehen, dass es seiner Entscheidung das Vorbringen der Beteiligten vollständig und richtig zu Grunde gelegt hat (BVerwG, Urteil vom 25. März 1987 - BVerwG 6 C 10.84 - <Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 183 S. 2). Eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör ist daher nur anzunehmen, wenn sich aus den besonderen Umständen deutlich ergibt, dass das Gericht dieser Pflicht nicht nachgekommen ist (vgl. BVerfGE 54, 43 <45 f.>; 65, 293 <295>; 86, 133 <145 f.>). Anhaltspunkte dafür gibt die Beschwerde nicht. Das Oberverwaltungsgericht war durch das Gebot der Gewährung rechtlichen Gehörs nicht gehindert, das Vorbringen der Klägerin zu 1 anders zu bewerten als das Verwaltungsgericht und im Rahmen des ihm bei der Anwendung des § 130a VwGO zukommenden richterlichen Ermessens zu berücksichtigen, dass - nach seinem Verständnis - der bisherige Vortrag auch im Berufungsverfahren aufrechterhalten worden und eine persönliche Anhörung der Klägerin zu 1 nicht geboten sei, zumal sie sich bereits mehrfach schriftlich geäußert habe.
3. Soweit die Beschwerde die Feststellung des Berufungsgerichts, im Berufungsverfahren sei "insbesondere nicht erklärt worden, dass die Klägerin zu 1) nunmehr ausschließe, die Forma 1 selbst unterschrieben zu haben" (S. 6 des angefochtenen Beschlusses), als Verstoß gegen allgemeine Denkgesetze angreift, begründet dies keinen Verfahrensverstoß. Ein Verstoß gegen allgemeine Denkgesetze liegt insbesondere nicht darin, dass das Oberverwaltungsgericht das Vorbringen der Klägerin zu 1, jemand anders könne statt ihrer die Forma Nr. 1 unterschrieben haben, nicht dahingehend gewertet hat, sie schließe damit aus, die Forma Nr. 1 selbst unterzeichnet zu haben. Wie die Beschwerde richtig feststellt (S. 3 der Beschwerdeschrift), handelt es sich um eine Erklärung mit Nichtwissen. Wenn die Klägerin zu 1, wie auf S. 5 des angefochtenen Beschlusses näher belegt ist, angegeben hatte, sich an die Umstände der Antragstellung und Ausfüllung der Forma Nr. 1 nicht mehr erinnern zu können, schließt dies eine eigene Unterschriftsleistung nicht aus, sondern verweist die Frage, wie die Unterschrift der Klägerin zu 1 auf die Forma 1 gelangt sein könnte, in den Bereich des Nicht-Erinnerns.
4. Die Revision ist auch nicht nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO (Zulassungsgrund der Divergenz) zuzulassen. Eine Abweichung im Sinne dieser Vorschrift liegt nur vor, wenn das Berufungsgericht in Anwendung derselben Vorschrift mit einem seine Entscheidung tragenden (abstrakten) Rechtssatz von einem in der Rechtsprechung der dort genannten Gerichte aufgestellten ebensolchen Rechtssatz abweicht. Die Beschwerde sieht unter Hinweis auf ein Urteil des Bundesgerichtshofs vom 17. Mai 2000 - VIII ZR 216/99 - (NJW 2000, 3007 f.), wonach "das tatsächliche Vorbringen der Beteiligten ... in erster Linie dem Tatbestand des Urteils zu entnehmen" ist und vom Geltungsbereich des § 314 ZPO auch "diejenigen tatsächlichen Feststellungen erfasst werden, die in den Entscheidungsgründen enthalten sind", eine Divergenz darin, dass das Berufungsgericht sich "abweichend von dieser Rechtsprechung ... ein Vorbringen der Klägerin zu 1 zusammengebogen" habe, das weder dem Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils noch dessen Entscheidungsgründen zu entnehmen sei. Eine Divergenz in einem entscheidungstragenden Rechtssatz ist damit jedoch nicht dargelegt und auch nicht zu erkennen. Die Beschwerde verkennt, dass das Oberverwaltungsgericht als Berufungsinstanz - anders als gemäß § 137 Abs. 2 VwGO das Bundesverwaltungsgericht im Rahmen des Revisionsverfahrens - nicht an die in dem angefochtenen Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen gebunden ist, sondern gemäß § 128 Satz 2 VwGO den Streitfall innerhalb des Berufungsantrages "im gleichen Umfang wie das Verwaltungsgericht" prüft.
5. Die von der Bewertung durch das Verwaltungsgericht abweichende Bewertung der schriftlichen Äußerungen der Klägerin zu 1 durch das Berufungsgericht verstößt auch nicht deshalb gegen das Gebot der Beweisaufnahme in der mündlichen Verhandlung gemäß § 96 Abs. 1 Satz 1 VwGO, weil sie - wie die Beschwerde meint - in der Sache eine "Beweisaufnahme durch Urkundsbeweis" darstellte, zu der die Klägerin zu 1 sich entgegen § 108 Abs. 2 VwGO nicht hätte äußern können. Zum einen ist die Auslegung und Bewertung von schriftsätzlichem Parteivortrag durch das Gericht keine Beweisaufnahme, sondern Feststellung von Parteivortrag, zum anderen trifft es nicht zu, dass die Klägerin zu 1 sich hierzu nicht hätte äußern können; vielmehr waren die Beteiligten durch das Hinweisschreiben des Gerichts vom 20. Juni 2003 (Bl. 214 der Gerichtsakte) darauf hingewiesen worden, wie das Gericht die Angaben der Klägerin zu 1 verstand.
6. Ein Verfahrensfehler liegt auch nicht darin, dass das Berufungsgericht die Beschwerdeführer nicht darauf hingewiesen hat, dass es sich entgegen den Ausführungen im Schriftsatz der Prozessbevollmächtigten vom 21. Juli 2003 nicht an den Tatbestand des Verwaltungsgerichts gebunden fühle bzw. die Ausführungen der Klägerin zu 1 anders bewerte als das Verwaltungsgericht. Diese rechtliche Sicht des Oberverwaltungsgerichts ergab sich bereits aus dem gerichtlichen Anhörungsschreiben vom 20. Juni 2003 und bedurfte keiner erneuten Bestätigung durch einen nochmaligen Hinweis.
7. Die unterbliebene persönliche Anhörung der Klägerin zu 1 durch das Berufungsgericht begründet auch keinen Gehörsverstoß oder Aufklärungsmangel. Das Oberverwaltungsgericht konnte im Rahmen seines Ermessens gemäß § 130a VwGO davon ausgehen, dass die bereits mehrfach um Darlegung der Umstände der Ausstellung des ersten Inlandspasses gebetene Klägerin zu 1 über die schriftlich gemachten Angaben hinaus nichts weiteres vorzubringen habe. Auch die Beschwerde legt nicht dar, was die Klägerin zu 1 im Falle einer persönlichen Anhörung noch vorgetragen hätte, sondern beschränkt sich auf die Rechtsansicht, die Klägerin zu 1 hätte zumindest informatorisch befragt werden müssen. Sie hat insbesondere nicht als Beweistatsache vorgetragen, sie habe die Forma Nr. 1 nicht unterschrieben.
8. Ein Gehörsverstoß oder Aufklärungsmangel liegt schließlich auch nicht darin, dass das Berufungsgericht nicht aufgeklärt hat, ob ein Bekenntnis der Klägerin zu 1 zum deutschen Volkstum sich zu einem späteren Zeitpunkt als dem der Ausstellung des ersten Inlandspasses hätte feststellen lassen, denn hierauf kam es nach der vom Berufungsgericht zutreffend zugrundegelegten Gesetzesfassung des § 6 Abs. 2 BVFG in der Fassung des Gesetzes zur Klarstellung des Spätaussiedlerstatus (Spätaussiedlerstatusgesetz - SpStatG) vom 30. August 2001 (BGBl I S. 2266) nicht an.
9. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 159 Satz 1 VwGO i.V.m. § 100 Abs. 1 ZPO, § 162 Abs. 3 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 13 Abs. 1 Satz 2, § 14 Abs. 1 GKG (vgl. § 72 Satz 1 Nr. 1 GKG i.d.F. des Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes - KostRMoG - vom 5. Mai 2004, BGBl I S. 718).