Beschluss vom 12.12.2005 -
BVerwG 5 B 54.05ECLI:DE:BVerwG:2005:121205B5B54.05.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 12.12.2005 - 5 B 54.05 - [ECLI:DE:BVerwG:2005:121205B5B54.05.0]

Beschluss

BVerwG 5 B 54.05

  • OVG für das Land Nordrhein-Westfalen - 15.04.2005 - AZ: OVG 2 A 30/03

In der Verwaltungsstreitsache hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 12. Dezember 2005
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. S ä c k e r
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. R o t h k e g e l und
Prof. Dr. B e r l i t
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 15. April 2005 wird zurückgewiesen.
  2. Die Kläger tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 20 000 € festgesetzt.

Gründe

1 Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss des Oberverwaltungsgerichts ist unbegründet. Der als alleiniger Zulassungsgrund geltend gemachte Verfahrensfehler (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) liegt nicht vor.

2 Die Beschwerde ist der Ansicht, das Berufungsgericht habe die von den Klägern beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist des § 124a Abs. 3 Satz 2 VwGO für die Begründung ihrer Berufung zu Unrecht abgelehnt. Dies trifft nicht zu. Das Oberverwaltungsgericht hat zu Recht eine schuldhafte Versäumung der Berufungsbegründungsfrist durch die Kläger angenommen, indem es auf die eindeutige gesetzliche Regelung des § 124a Abs. 3 Satz 2 VwGO und die ihr entsprechende Rechtsmittelbelehrung im Urteil des Verwaltungsgerichts hingewiesen und dargelegt hat, dass die Kläger sich auf eine davon abweichende - unrichtige - Auskunft einer Angestellten des Verwaltungsgerichts nicht hätten verlassen dürfen.

3 Allerdings kann einem Gericht im Hinblick auf das allgemeine Prozessgrundrecht der Verfahrensbeteiligten auf ein faires Verfahren die Verweigerung von Wiedereinsetzung verwehrt sein. Dies hat das Bundesverfassungsgericht (Beschluss vom 4. Mai 2004 - 1 BvR 1892/03 - BVerfGE 110, 339) in einem Fall angenommen, in dem aufgrund von eindeutigen Hinweisen beider Instanzen - darunter aufgrund eines Schreibens des Vorsitzenden des Berufungssenats - bei den Prozessbevollmächtigten des betroffenen Beteiligten "der Eindruck entstehen musste, sie bräuchten sich nicht nach der Rechtslage und der (Rechtsmittel-)Belehrung zu richten" (a.a.O., S. 344); "unter diesen Umständen" könne "ihnen auch ausnahmsweise aus der Nichtbeachtung des Wortlauts von Gesetz und Rechtsmittelbelehrung kein Vorwurf gemacht werden" (a.a.O., S. 345). Eine solche Situation hat hier jedoch nicht bestanden. Zum einen handelt es sich bei dem von der Beschwerde beanstandeten gerichtlichen "Fehlverhalten, insbesondere in Person der Verwaltungsangestellten S. ..." (S. 4 Mitte der Beschwerdebegründung), und der gerügten "unsachgemäßen Bearbeitung" (S. 2 Mitte der Beschwerdebegründung), indem das durch die Einlegung der Berufung eingeleitete Berufungsverfahren fehlerhaft als Verfahren auf Zulassung der Berufung behandelt worden ist, um ein bloßes, nicht auf richterlicher Anordnung beruhendes Versehen der Geschäftsstelle (das von den Klägern herangezogene, auf Anordnung verfasste Schreiben der Geschäftsstelle vom 17. Dezember 2002 kann nach dem Zeitablauf das Vorgehen ihres Prozessbevollmächtigten nicht beeinflusst haben). Dass ein solches Versehen nicht genügt, um abweichend von dem Grundsatz, dass sich ein Prozessbevollmächtigter bei einer klaren Rechtslage nicht auf eine falsche Auskunft des Gerichts verlassen darf (BVerfG, a.a.O., S. 344), ein Vertrauen der Verfahrensbeteiligten auf die Richtigkeit der Auskunft zu begründen, wird in der genannten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts an mehreren Stellen deutlich (vgl. a.a.O., S. 343 f.). Zum anderen hätte die fehlerhafte Sachbehandlung durch das Verwaltungsgericht der Klägerseite schon anlässlich der Auskunft über das Verfahren des Verwaltungsgerichts bei Anträgen auf Zulassung der Berufung auffallen müssen; denn die fehlerhafte Einordnung des Berufungsschriftsatzes durch das Verwaltungsgericht als Antrag auf Zulassung der Berufung statt als Berufungseinlegung bei zugelassener Berufung stand im Widerspruch dazu, dass der Prozessbevollmächtigte der Kläger die Sache bis dahin zutreffend als Berufungssache behandelt hatte (und trotz der Auskunft des Verwaltungsgerichts auch weiterhin als solche behandelte). In Anbetracht dessen hätte jedenfalls der in der Begründung des Wiedereinsetzungsantrags eingeräumte Hinweis der Geschäftsstellenangestellten S. auf die Rechtsmittelbelehrung des erstinstanzlichen Urteils anlässlich ihres Telefonats mit dem Mitarbeiter der Kanzlei der Prozessbevollmächtigten, Assessor St., zur Aufdeckung der fehlerhaften Sachbehandlung führen müssen; denn mit dieser Rechtsmittelbelehrung stimmte die - nicht für das Berufungsverfahren geltende - Verfahrensauskunft nicht überein. Anhaltspunkte für ein Missverständnis, dass in Berufungs- und in Verfahren auf Berufungszulassung gleichermaßen vorgegangen werde und eine der Rechtsmittelbelehrung im erstinstanzlichen Urteil entsprechende Einreichung der Berufungsbegründungsschrift mit Nachteilen für den Rechtsmittelführer verbunden seien bzw. der gerichtlichen Praxis ungeachtet der einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen widerspräche, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Da die Berufungszulassung in der Entscheidungsformel des Urteils des Verwaltungsgerichts ausgesprochen und in den Entscheidungsgründen begründet worden ist, bestand kein Anlass für den Prozessbevollmächtigten der Kläger, in Betracht zu ziehen, "dass das ihnen zugesandte Exemplar des Verwaltungsgerichtsurteil(s) - etwa aufgrund eines Computerfehlers - mit einer fehlerhaften Rechtsbehelfsbelehrung versehen wurde und dass der Richter die Berufung in Wahrheit gar nicht zugelassen hat" (S. 3 der Beschwerdebegründung). Der Prozessbevollmächtigte hat zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags auch nichts geltend gemacht, was daran hindern könnte, es ihm wie sein eigenes Verschulden zuzurechnen, dass den Widersprüchen der Auskünfte und Hinweise der Geschäftsstellenbediensteten des Verwaltungsgerichts gegenüber der Rechtsmittelbelehrung des Urteils in seiner Kanzlei weder während des Telefonats noch später nachgegangen, sondern die Berufungsbegründungsschrift entgegen der Rechtsmittelbelehrung an das Verwaltungsgericht adressiert und auch dort eingereicht worden ist.

4 Gleichfalls zu Recht hat das Berufungsgericht es verneint, dass das den Klägern zuzurechnende Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten an der infolge fehlerhafter Einreichung der Berufungsbegründung eingetretenen Fristversäumnis durch ein Verschulden des Verwaltungsgerichts überholt wäre. Der Prozessbevollmächtigte hat seinen an das Verwaltungsgericht adressierten Berufungsbegründungsschriftsatz am 13. Dezember 2002, einem Freitag, per Fax und am 16. Dezember 2002, dem Tag des Fristablaufs, als Original beim Verwaltungsgericht eingereicht; der Prozessbevollmächtigte der Kläger konnte nicht erwarten, dass sein Schriftsatz noch rechtzeitig an das Oberverwaltungsgericht weitergeleitet werde (vgl. BVerfG, Beschluss vom 20. Juni 1995 - 1 BvR 166/93 - BVerfGE 93, 99). Es kann offen bleiben, unter welchen Voraussetzungen eine gerichtliche Fürsorgepflicht bestehen kann, unter Verletzung von Zuständigkeitsvorschriften bei Gericht eingegangene Eingaben umgehend zuständigkeitshalber weiterzuleiten; denn für das Verwaltungsgericht bestand angesichts der eindeutigen Adressierung des Schriftsatzes, des Umstandes, dass darin nicht auf eine besondere Eilbedürftigkeit hingewiesen war, und der Tatsache, dass das Verwaltungsgericht zur Entgegennahme auch fristgebundener Rechtsmittelschriften nicht generell unzuständig ist, zumindest bis zum Eingang des Schriftsatzoriginals kein Anlass, das Telefax sogleich mit den Akten dem Oberverwaltungsgericht vorzulegen. Bei einer Weiterleitung und Aktenübersendung im normalen Geschäftsgang auf dem Postweg wäre, selbst wenn sie unmittelbar nach Eingang des Schriftsatzoriginals noch am 16. Dezember 2002 erfolgt wäre, die Frist nicht gewahrt worden.

5 Ist aber ein Verschulden der Prozessbevollmächtigten der Kläger an der Fristversäumnis nicht ausgeräumt, sind die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 60 Abs. 1 VwGO nicht erfüllt.

6 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 159 Satz 1 VwGO i.V.m. § 100 Abs. 1 ZPO, § 162 Abs. 3 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 47, 52 Abs. 1 GKG, wobei sich der Auffangwert in Höhe von 5 000 € für die Erteilung eines Aufnahmebescheides (Streitwertkatalog 49.2) für die Kläger zu 1 und 2 mit Rücksicht auf Einbeziehungen der Kläger zu 3 bis 6 nach § 27 Abs. 1 Satz 1 BVFG n.F. um je 2 000 € (vgl. Beschluss des Senats vom 15. September 2005 - BVerwG 5 B 74.05 -) und mit Rücksicht auf Einbeziehungen der Kläger zu 7 und 8 in das Verteilungsverfahren nach § 8 Abs. 2 BVFG n.F. um je 1 000 € erhöht.