Beschluss vom 12.12.2003 -
BVerwG 1 B 63.03ECLI:DE:BVerwG:2003:121203B1B63.03.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 12.12.2003 - 1 B 63.03 - [ECLI:DE:BVerwG:2003:121203B1B63.03.0]

Beschluss

BVerwG 1 B 63.03

  • Hessischer VGH - 03.12.2002 - AZ: VGH 12 UE 539/01.A

In der Verwaltungsstreitsache hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 12. Dezember 2003
durch die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. M a l l m a n n und
R i c h t e r sowie die Richterin am Bundesverwaltungsgericht B e c k
beschlossen:

  1. Der Antrag der Kläger zu 1, 3 und 4 auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.
  2. Die Beschwerde der Kläger zu 1, 3 und 4 gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 3. Dezember 2002 wird verworfen.
  3. Das Beschwerdeverfahren wird hinsichtlich des Klägers zu 2 eingestellt.
  4. Die Kläger tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Nachdem der Kläger zu 2 die Beschwerde zurückgenommen hat, ist das Beschwerdeverfahren insoweit in entsprechender Anwendung von § 141 Satz 1, § 125 Abs. 1 Satz 1, § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen.
Der Antrag der Kläger zu 1, 3 und 4 auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist abzulehnen, da die Beschwerde keine Aussicht auf Erfolg bietet (§ 166 VwGO, § 114 ZPO).
Die allein auf einen Verfahrensmangel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) in Gestalt eines Verstoßes gegen die Aufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO) gestützte Beschwerde der Kläger zu 1, 3 und 4 ist unzulässig. Sie entspricht nicht den Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO.
Die Beschwerde rügt, das Berufungsgericht habe im Zusammenhang mit der Prüfung von Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG keine konkreten, auf die Person der Kläger bezogenen Feststellungen getroffen, über welche beruflichen Qualifikationen und familiären Kontakte zu "Eingesessenen" diese verfügten, obwohl dies nach Auffassung des Berufungsgerichts maßgebend für die Frage sei, ob und inwieweit zurückkehrende Kurden im Westen der Türkei unterkommen, dort auf dem regulären Arbeitsmarkt Fuß fassen, in der Schattenwirtschaft ein Auskommen finden oder sonst versorgt werden könnten. Das Berufungsgericht hätte der Beschwerde zufolge diese Fragen durch eine informatorische Anhörung der Kläger aufklären müssen.
Dieses Vorbringen ergibt keine ordnungsgemäße Aufklärungsrüge. Bei der Rüge eines Verstoßes gegen die dem Tatsachengericht obliegende Pflicht zur Ermittlung des Sachverhalts von Amts wegen bedarf es der Darlegung, hinsichtlich welcher entscheidungserheblichen Umstände Aufklärungsbedarf bestanden hat, welche Aufklärungsmaßnahmen hierfür in Betracht gekommen wären und welche tatsächlichen Feststellungen, die zu einem für die Kläger günstigeren Ergebnis geführt hätten, voraussichtlich getroffen worden wären. Weiterhin muss entweder dargelegt werden, dass bereits im Verfahren vor dem Tatsachengericht auf die Vornahme der Sachverhaltsaufklärung, deren Unterbleiben nunmehr gerügt wird, hingewirkt worden ist, oder dass sich dem Gericht die bezeichneten Ermittlungen auch ohne ein solches Hinwirken von sich aus hätten aufdrängen müssen (vgl. Beschluss vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 <n.F.> VwGO Nr. 26 = NJW 1997, 3328).
Die Beschwerde legt nicht dar, dass die Kläger im Verfahren vor dem Berufungsgericht auf die Vornahme der nunmehr vermissten Sachaufklärung hingewirkt haben. Tatsächlich ist dies - trotz des berufungsgerichtlichen Hinweises vom 6. November 2002, dass sich die in der Berufungsbegründung dargestellte Situation einer allein stehenden Frau mit drei Kindern, die wegen ihres Alters noch nicht ausreichend zum Unterhalt beitragen könnten, zwischenzeitlich geändert haben dürfte - nicht geschehen. Die Kläger haben sich vielmehr mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Die Beschwerde zeigt auch nicht auf, dass sich die vermisste Tatsachenaufklärung dem Berufungsgericht hätte aufdrängen müssen. Das Berufungsgericht hat dargelegt, kurdische Volkszugehörige hätten die Möglichkeit, sich "im Bereich außerhalb der unter Notstandsrecht stehenden Provinzen" die für eine bescheidene Lebensführung ausreichende wirtschaftliche und finanzielle Grundlage zu schaffen. Es lasse sich nicht feststellen, dass es für Kurden im Westen der Türkei generell unmöglich sei, ein zum Überleben ausreichendes Auskommen zu finden. Bis auf wenige Einzelfälle sei eine soziale Verelendung der Kurden bis hin zu Hungersnot und Existenzbedrohung in der Türkei nicht feststellbar (UA S. 22). Mit diesen Darlegungen, die deutlich machen, dass das Berufungsgericht eine berufliche Qualifikation oder Kontakte zu "Eingesessenen" nicht als unerlässliche Voraussetzung für ein Überleben in der Türkei angesehen hat, setzt sich die Beschwerde nicht auseinander. Sie macht zudem nicht ersichtlich, inwiefern die Anhörung der Kläger insoweit zu einem für sie günstigeren Ergebnis hätte führen können. Das Berufungsgericht hat festgestellt, es bestünden Möglichkeiten, einen dem Existenzminimum entsprechenden Lebensstandard als Straßenverkäufer, Schuhputzer oder ähnliches (d.h. durch ungelernte Tätigkeiten) zu erreichen (UA S. 21). Mit ihrem Vorbringen, die Kläger hätten im Falle einer Anhörung erklärt, sie hätten keine beruflichen Qualifikationen erworben, zeigt die Beschwerde nicht auf, inwiefern die Kläger, namentlich der Kläger zu 4, gehindert sein sollten, die erwähnten ungelernten Tätigkeiten auszuüben. Im Übrigen hat das Berufungsgericht ausgeführt, dass für eine Existenzsicherung neben dem erwähnten Westen der Türkei "auch das Schwarzmeer- und Mittelmeergebiet mit der Tourismus-Branche" in Frage komme. Auch hiermit hätte sich die Beschwerde - unabhängig von möglichen Überschneidungen der angesprochenen Gebiete - befassen müssen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 155 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83 b Abs. 1 AsylVfG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 83 b Abs. 2 AsylVfG.
Dr. Mallmann Richter Beck