Beschluss vom 12.11.2012 -
BVerwG 3 B 30.12ECLI:DE:BVerwG:2012:121112B3B30.12.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 12.11.2012 - 3 B 30.12 - [ECLI:DE:BVerwG:2012:121112B3B30.12.0]

Beschluss

BVerwG 3 B 30.12

  • VG Münster - 26.07.2007 - AZ: VG 10 K 1646/06
  • OVG für das Land Nordrhein-Westfalen - 22.02.2012 - AZ: OVG 16 A 2527/07

In der Verwaltungsstreitsache hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 12. November 2012
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Kley und
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Liebler und Buchheister
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 22. Februar 2012 wird zurückgewiesen.
  2. Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 5 000 € festgesetzt.

Gründe

1 Die Beschwerde der Klägerin bleibt ohne Erfolg. Die Rechtssache weist nicht die allein geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO auf.

2 Die Klägerin wendet sich gegen die Aberkennung des Rechts, von einer ihr in Polen erteilten Fahrerlaubnis in Deutschland Gebrauch zu machen. Der 1963 geborenen Klägerin wurde in Deutschland wegen Trunkenheitsfahrten mehrfach die Fahrerlaubnis entzogen. Am 2. November 2005 erwarb sie eine polnische Fahrerlaubnis der Klasse B; im Führerschein ist ein Wohnsitz in Polen eingetragen. Als die Klägerin der Aufforderung, ein medizinisch-psychologisches Gutachten vorzulegen, nicht nachkam, erkannte der Beklagte ihr mit Bescheid vom 9. Mai 2006 die Befugnis ab, von ihrer polnischen Fahrerlaubnis im Inland Gebrauch zu machen. Die Klage blieb vor dem Verwaltungsgericht ohne Erfolg. Auf die Berufung der Klägerin hat das Oberverwaltungsgericht den Bescheid aufgehoben, soweit der Klägerin außerdem unter Androhung eines Zwangsgeldes aufgegeben worden war, ihren Führerschein abzugeben, und eine Verwaltungsgebühr von mehr als 112,06 € festgesetzt worden war; im Übrigen hat es die Berufung zurückgewiesen. Die polnische Fahrerlaubnis müsse nicht anerkannt werden, weil sich die Missachtung des unionsrechtlichen Wohnsitzerfordernisses aus eigenen Verlautbarungen des Fahrerlaubnisinhabers ergebe. Der Senat hat diese Entscheidung mit Urteil vom 25. Februar 2010 - BVerwG 3 C 16.09 - aufgehoben, soweit dort die Berufung zurückgewiesen worden war, und hat die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Es verstoße gegen den unionsrechtlichen Anerkennungsgrundsatz in seiner Auslegung durch den Europäischen Gerichtshof, wenn der Verstoß gegen das Wohnsitzerfordernis aus eigenen Einlassungen des Fahrerlaubnisinhabers hergeleitet werde. Die Berufungsentscheidung könne sich jedoch im Ergebnis als richtig darstellen, wenn Ermittlungen bei den Behörden des Ausstellermitgliedstaates von dort herrührende unbestreitbare Informationen ergäben, dass die Klägerin zum Zeitpunkt der Ausstellung des Führerscheins ihren ordentlichen Wohnsitz nicht in Polen gehabt habe. Das Berufungsgericht hat daraufhin eine Auskunft der Stadt Szczecin eingeholt, aus der sich unter anderem ergibt, dass die Klägerin dort zum zeitweiligen Aufenthalt vom 18. Juli 2005 bis zum 10. Oktober 2005 gemeldet gewesen sei. Mit Urteil vom 22. Februar 2012 hat das Berufungsgericht die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Die polnische Fahrerlaubnis habe nicht anerkannt werden müssen, weil sich aus der Mitteilung der Stadt Szczecin ergebe, dass die Klägerin zum maßgeblichen Zeitpunkt nur 85 Tage in Polen gewohnt habe. Die von ihr in Kenntnis dieser Mitteilung vorgetragene Behauptung, sie habe sich schon seit dem 25. Februar 2005 in Polen aufgehalten, könne die Annahme eines Verstoßes gegen das Wohnsitzerfordernis nicht erschüttern. Die Klägerin habe sich auch auf Nachfrage nicht zur Dauer dieses Aufenthalts geäußert.

3 Die von der Klägerin für grundsätzlich klärungsbedürftig gehaltene Frage,
ob eine erkanntermaßen rechtswidrige gebührenpflichtige Entziehungsverfügung, die auf der Missachtung einer rechtswidrigen MPU-Auflage beruht, nur deshalb im Nachhinein Rechtmäßigkeit erlangt, weil die Verwaltungsbehörde möglicherweise eine ganz andere Maßnahme hätte ergreifen können, die mit allenfalls ähnlichen Konsequenzen verbunden wäre, ohne dass eine Umdeutung stattgefunden hat,
rechtfertigt eine Revisionszulassung auf der Grundlage von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht. Sie würde sich in dieser Form im Revisionsverfahren nicht stellen.

4 Die vom Beklagten an die Klägerin ergangene Aufforderung, ein medizinisch-psychologisches Fahreignungsgutachten vorzulegen, wäre zwar dann - wie die Klägerin in der von ihr aufgeworfenen Frage unterstellt - rechtswidrig, wenn die ihr in Polen erteilte Fahrerlaubnis anzuerkennen wäre. Das ist indes aufgrund des vom Berufungsgericht festgestellten Verstoßes gegen das unionsrechtliche Wohnsitzerfordernis nicht der Fall. Insoweit kann auch nicht davon die Rede sein, dass die MPU-Auflage erst im Nachhinein Rechtmäßigkeit erlangt habe. Unerheblich ist, ob die Erkenntnisse, die den Nachweis des Verstoßes gegen das Wohnsitzerfordernis zum Zeitpunkt der Erteilung der Fahrerlaubnis ermöglichen, erst im Nachhinein erlangt wurden (vgl. u.a. Urteil vom 25. Februar 2010 - BVerwG 3 C 15.09 - (BVerwGE 136, 149 Rn. 21 f.). Im Übrigen ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts anerkannt, dass es den Fahrerlaubnisbehörden wegen zum maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides noch bestehender Zweifel über die Reichweite des unionsrechtlichen Anerkennungsgrundsatzes nicht verwehrt war, ein förmliches Aberkennungsverfahren durchzuführen; dieses setzt indes den Nachweis fehlender Kraftfahreignung des Betroffenen und damit gegebenenfalls auch die Anforderung eines Fahreignungsgutachtens voraus (vgl. u.a. Urteil vom 11. Dezember 2008 - BVerwG 3 C 26.07 - BVerwGE 132, 315 Rn. 25).

5 Die weitere Annahme der Klägerin, eine Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der angegriffenen Aberkennungsentscheidung sei nicht erfolgt, ist unzutreffend. Vielmehr war gerade das der Gegenstand des Berufungsurteils. Das Berufungsgericht hat dabei überprüft, ob - wie das § 11 Abs. 8 FeV voraussetzt - die Gutachtensanforderung zu Recht erfolgt ist. Es hat diese Frage deshalb bejaht, weil der Beklagte wegen des Verstoßes gegen das Wohnsitzerfordernis auch durch die polnische Fahrerlaubnis der Klägerin nicht an einer Eignungsüberprüfung gehindert war.

6 Ebenso wenig kann die Klägerin die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache mit dem Hinweis darauf erreichen, dass sich das Problem stelle, ob eine streitig gebliebene Behauptung über die Erfüllung des Wohnsitzerfordernisses mit eigenen Schlussfolgerungen über Erkenntnisse aus dem Inland unbestreitbar werde. Es kann offen bleiben, ob eine derart im Allgemeinen bleibende Problemumschreibung den Anforderungen genügt, die gemäß § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO an die Herausarbeitung der zu klärenden Frage bei einer auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestützten Nichtzulassungsbeschwerde zu stellen sind. Sie führt auch in der Sache nicht auf eine Revisionszulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache. Das Berufungsgericht leitet den Verstoß gegen das Wohnsitzerfordernis aus einer Mitteilung der Stadt Szczecin her, mithin aus - was auch die Klägerin nicht bestreitet - vom Ausstellermitgliedstaat herrührenden Informationen. Die Beurteilung der Frage, ob es sich bei solchen Informationen um unbestreitbare aus dem Ausstellermitgliedstaat herrührende Informationen handelt, weist der Europäische Gerichtshof den nationalen Gerichten zu (vgl. u.a. EuGH, Urteil vom 1. März 2012 - Rs. C-467/10, Baris Akyüz - DAR 2012, 193 Rn. 74). Insofern unterliegt es keinem Zweifel, dass auch die Überprüfung des Wahrheitsgehalts eines vom Fahrerlaubnisinhaber geltend gemachten Einwandes gegen die Vollständigkeit oder Richtigkeit solcher aus dem Ausstellermitgliedstaat herrührenden Informationen dem nationalen Gericht obliegt. Nachdem es nicht das Gericht ist, das den Inhalt der aus Polen stammenden Informationen in Frage stellen will, sondern vielmehr gerade die Klägerin selbst, geht auch der Hinweis auf das Souveränitätsprinzip fehl.

7 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO; die Festsetzung des Streitwertes beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 1 und 2 GKG.