Beschluss vom 12.05.2004 -
BVerwG 7 B 90.03ECLI:DE:BVerwG:2004:120504B7B90.03.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 12.05.2004 - 7 B 90.03 - [ECLI:DE:BVerwG:2004:120504B7B90.03.0]

Beschluss

BVerwG 7 B 90.03

  • VG Leipzig - 10.07.2003 - AZ: VG 2 K 451/01

In der Verwaltungsstreitsache hat der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 12. Mai 2004
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht S a i l e r
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht H e r b e r t und N e u m a n n
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Leipzig vom 10. Juli 2003 wird zurückgewiesen.
  2. Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 500 000 € festgesetzt.

Die Klägerin begehrt die Feststellung ihrer Berechtigung zur vermögensrechtlichen Rückübertragung dreier Grundstücke in L. Sie bildeten vor seiner Aufteilung im Jahre 1935 das Grundstück W.straße 1. Eigentümer dieses Grundstücks war seit 1920 der jüdische Rauchwarenhändler M. N., der Schwiegervater der Klägerin. Seit September 1933 betrieb die Stadt L. wegen rückständiger Steuer- und Gebührenschulden die Zwangsversteigerung des Grundstücks, das sie durch Zuschlagsbeschluss vom Juni 1935 erwarb. Das Verwaltungsgericht hat die Klage der Klägerin abgewiesen, weil der frühere Eigentümer des Grundstücks sein Eigentum nicht infolge rassischer Verfolgung im Sinne des § 1 Abs. 6 Satz 1 VermG verloren habe. Das Verwaltungsgericht hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen.
Die hiergegen eingelegte Beschwerde der Klägerin ist unbegründet. Die geltend gemachten Zulassungsgründe liegen nicht vor.
1. Die gerügten Verfahrensmängel liegen nicht vor.
a) Entgegen der Auffassung der Klägerin hat das Verwaltungsgericht seine Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts von Amts wegen nicht dadurch verletzt, dass es die Vermögenslage des damaligen Eigentümers des streitigen Grundstücks nicht insgesamt für den Zeitpunkt des Antrags auf Zwangsversteigerung und für den Zeitpunkt der Versteigerung ermittelt hat. Die Klägerin wendet sich mit ihrer Rüge gegen die Annahme des Verwaltungsgerichts, die Zwangsversteigerung stelle sich nicht als das objektive Ergebnis der Verfolgung des Eigentümers dar; dessen verfolgungsbedingte Emigration sei für den Verlust des Grundstücks in der Zwangsversteigerung nicht ursächlich geworden. Diese Würdigung des Verwaltungsgerichts beruht zum einen auf der Feststellung, dass die Forderungen, wegen derer die Zwangsversteigerung betrieben wurde, im Wesentlichen schon im Jahre 1932 und in der ersten Hälfte des Jahres 1933 entstanden seien, und damit in einer Zeit, während der sich der Eigentümer noch in Deutschland aufgehalten habe. Das Verwaltungsgericht geht zum anderen aufgrund des eigenen Vortrags der Klägerin davon aus, die verfolgungsbedingte Emigration hätte den Eigentümer nicht daran hindern können, die Forderungen zu begleichen, weil seine Söhne sein Unternehmen zunächst noch weitergeführt hätten. Die Klägerin legt nicht dar, warum es hiervon ausgehend auf die von ihr vermissten Ermittlungen noch ankam.
Aus demselben Grund ist die weitere Rüge unbegründet, das Verwaltungsgericht habe in diesem Zusammenhang seine Hinweispflicht aus § 86 Abs. 3 VwGO verletzt.
b) Das Verwaltungsgericht hat seine Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts nicht dadurch verletzt, dass es - wie die Klägerin rügt - keine belastbaren Feststellungen dazu getroffen hat, ob verfahrensfremde Motive in rechtsstaatswidriger Weise das Zwangsversteigerungsverfahren in seinem Ablauf bestimmt haben.
Das Verwaltungsgericht hat sich im Kern mit den Umständen befasst, welche die Klägerin in diesem Zusammenhang anführt, namentlich mit dem Interesse der Stadt L., das Grundstück zu erwerben, um es der Wehrmacht als Ersatz für ein von dieser bisher genutztes Grundstück zur Verfügung stellen zu können. Das Verwaltungsgericht hat hierin keinen Umstand gesehen, der darauf schließen lasse, die Stadt L. habe die Zwangsversteigerung ausschließlich oder überwiegend betrieben, um einen verfolgten jüdischen Bürger zu benachteiligen.
Die Klägerin vermutet, eine weitere Erforschung des Sachverhalts hätte Absprachen der an der Zwangsversteigerung Beteiligten zu Lasten des verfolgten Eigentümers ergeben können. Sie zeigt aber nicht auf, welche konkreten Möglichkeiten der Aufklärung mit welcher Zielrichtung sich dem Verwaltungsgericht aufdrängen mussten. Sie wendet sich mit ihrer Rüge der Sache nach allein gegen die Würdigung des Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht. Fehler in der Sachverhalts- und Beweiswürdigung sind jedoch revisionsrechtlich regelmäßig nicht dem Verfahrensrecht, sondern dem sachlichen Recht zuzuordnen und können einen Verfahrensmangel im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO grundsätzlich nicht begründen (vgl. etwa Beschluss vom 2. November 1995 - BVerwG 9 B 710.94 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 266).
c) Die Klägerin hat nicht dargelegt, welcher Verfahrensfehler dem Verwaltungsgericht unterlaufen sein soll, soweit sie sich gegen dessen Annahme wendet, es sei nicht nachgewiesen, dass der verfolgungsbedingte Aufenthalt des Eigentümers im Ausland dazu ausgenutzt worden sei, dessen Rechte im Versteigerungsverfahren zu beschneiden. Das Verwaltungsgericht ist in diesem Zusammenhang davon ausgegangen, es spreche zwar einiges dafür, dass Zustellungen im Versteigerungsverfahren nur an die (ehemalige) Anschrift des Eigentümers in L. adressiert gewesen seien, jedoch lasse sich nicht feststellen, dass dies trotz Kenntnis der Anschrift des Eigentümers im Ausland geschehen sei. Die Klägerin bringt nur - wie sie selbst einräumt - neue Tatsachen vor, die den Schluss zuließen, dem Amtsgericht sei die aktuelle Anschrift des Eigentümers bekannt gewesen. Neue Tatsachen können indes in dem angestrebten Revisionsverfahren nicht berücksichtigt werden (§ 137 Abs. 2 VwGO). Mit dem Vortrag solcher Tatsachen kann die Zulassung der Revision deshalb nicht erreicht werden. Dass diese Tatsachen dem Verwaltungsgericht aufgrund eines Verfahrensfehlers verborgen geblieben sind, ist nicht dargelegt.
2. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 VwGO.
Die Klägerin möchte die Fragen geklärt wissen,
unter welchen Voraussetzungen die Zwangsversteigerung des Grundstücks eines jüdischen Eigentümers in der Zeit des Nationalsozialismus den Schädigungstatbestand "in anderer Weise" des § 1 Abs. 6 VermG erfüllt und inwieweit in diesem Zusammenhang eine Beweislastumkehr oder eine Beweiserleichterung, insbesondere durch Anscheinsbeweis, in Betracht kommt.
Die Klägerin hat nicht aufgezeigt, dass diese Fragen in dem angestrebten Revisionsverfahren mit allgemeinverbindlichen, über den konkreten Einzelfall hinausweisenden Aussagen beantwortet werden können. Das Bundesverwaltungsgericht hat bereits entschieden, dass für den Ursachenzusammenhang zwischen der Verfolgung und dem Eigentumsverlust auf Grund einer Zwangsversteigerung nicht die Vermutung des § 1 Abs. 6 Satz 2 VermG streitet. Sie gilt nur für die Rechtsgeschäfte, die in Art. 3 der Anordnung BK/0 (49) 180 der Alliierten Kommandantur Berlin vom 26. Juli 1949 (VOBl für Groß-Berlin I S. 221) aufgeführt sind; hierzu gehört der Eigentumsverlust durch Zwangsversteigerung nicht (Beschluss vom 14. November 1996 - BVerwG 7 B 286.96 - Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 95 S. 291; Beschluss vom 14. August 1997 - BVerwG 7 B 197.97 - Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 116). Es bedarf deshalb besonderer Feststellungen im Einzelfall, ob der Eigentumsverlust auf die Verfolgung zurückzuführen war (Urteil vom 27. Juni 2002 - BVerwG 7 C 28.01 - Buchholz 428 § 1 Abs. 6 VermG Nr. 16).
Dass sich auf der Grundlage der tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts über den Einzelfall hinaus die Voraussetzungen konkretisieren ließen, unter denen in Fällen der Zwangsversteigerung ein verfolgungsbedingter Vermögensverlust angenommen werden kann, ist nicht dargelegt. Neben den Umständen des Einzelfalles hebt die Klägerin insoweit die allgemeine Diskriminierung und Verfolgung der Juden hervor, die bereits unmittelbar nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 einsetzte. Hieran knüpft aber eine Vermutung verfolgungsbedingten Vermögensverlustes gerade nicht an. Welche Bedeutung den schon in dieser Zeit gegen die Juden gerichteten Maßnahmen für einen Rückschluss auf eine Verfolgungsbedingtheit des Vermögensverlustes zukommt, kann deshalb nicht allgemein, sondern nur im Zusammenhang mit den konkreten Umständen des Einzelfalles beurteilt werden.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 14 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 13 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 GKG.