Beschluss vom 11.12.2008 -
BVerwG 2 B 76.08ECLI:DE:BVerwG:2008:111208B2B76.08.0

Beschluss

BVerwG 2 B 76.08

  • VGH Baden-Württemberg - 29.07.2008 - AZ: VGH 4 S 988/07

In der Verwaltungsstreitsache hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 11. Dezember 2008
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Herbert
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Groepper und Dr. Heitz
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 29. Juli 2008 wird zurückgewiesen.
  2. Die Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 5 000 € festgesetzt.

Gründe

1 Die auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestützte Beschwerde der Beklagten ist nicht begründet.

2 Der Verwaltungsgerichtshof hat dem Kläger gemäß § 72b Abs. 1 Satz 1 und 2, Abs. 2 BBG einen Anspruch auf Bewilligung von Altersteilzeit bis zum Erreichen der gesetzlichen Altersgrenze mit Arbeitsphase vom 1. Juli 2008 bis 30. Juni 2009 und Freistellungsphase vom 1. Juli 2009 bis 30. Juni 2010 zuerkannt. Er hat ausgeführt, der Bewilligung stünden keine dringenden dienstlichen Belange im Sinne von § 72b Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BBG entgegen. Zwar stelle es grundsätzlich einen solchen Belang dar, wenn der ausscheidende Beamte einen sog. struktursicheren Dienstposten freimache, der nicht aufgrund der Umstrukturierung der Bundeswehrverwaltung entfalle, und im Zuge der Nachbesetzung dieses Dienstpostens eine Neueinstellung erforderlich werde. Es gebe aber keine tatsächlichen Anhaltspunkte dafür, dass das Ausscheiden des Klägers aus dem aktiven Dienst eine Neueinstellung zur Folge haben könnte. Denn der Kläger nehme die mit seinem Dienstposten verbundenen Aufgaben nicht wahr, weil er hierfür gar nicht qualifiziert sei. Er übe andere Tätigkeiten aus. Der Dienstposten sei ihm nur der Form halber übertragen worden, um die Zeitspanne bis zum Ende seiner aktiven Dienstzeit zu überbrücken. Daher bestehe kein Zweifel, dass die Beklagte den Dienstposten des Klägers mit einem Beamten des vorhandenen Personalbestandes besetzen könne. Die nur theoretische Möglichkeit, dass es aufgrund einer Kette von Nachbesetzungen zu einer Neueinstellung kommen könnte, habe nicht den Stellenwert eines dringenden dienstlichen Belangs.

3 Die Beklagte macht geltend, in einem Revisionsverfahren könne der Bedeutungsgehalt des Begriffs des dringenden dienstlichen Belangs im Sinne von § 72b Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BBG für den Bereich der Bundeswehrverwaltung geklärt werden. Rechtsgrundsätzlich bedeutsam seien die Fragen, ob
- die Notwendigkeit einer Neueinstellung im Zuge einer Nachbesetzungskette aufgrund der tiefgreifenden Umstrukturierung der Bundeswehr und der damit verbundenen Auflösung und Verkleinerung von Dienststellen einen dringenden dienstlichen Belang darstelle;
- für die Annahme eines derartigen Belangs konkrete Anhaltspunkte für die Notwendigkeit einer Neueinstellung vorliegen müssten oder es ausreiche, dass sich eine derartige Möglichkeit nicht mit Bestimmtheit ausschließen lasse;
- ein objektiv vorliegender dringender dienstlicher Belang aufgrund fehlender Qualifikation oder fehlender Leistungsbereitschaft des ausscheidenden Beamten entfallen könne.

4 Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, wenn sie eine konkrete, in dem zu entscheidenden Fall erhebliche Frage des revisiblen Rechts aufwirft, die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder Rechtsfortbildung der Klärung in einem Revisionsverfahren bedarf (Beschluss vom 2. Oktober 1961 - BVerwG 8 B 78.61 - BVerwGE 13, 90 <91> = Buchholz 310 § 132 VwGO Nr. 18; stRspr). Danach rechtfertigen die von der Beklagten aufgeworfenen Fragen die Revisionszulassung nicht. Die erste und dritte Frage würden sich in einem Revisionsverfahren nicht stellen. Die zweite Frage lässt sich aufgrund der Rechtsprechung des Senats ohne Weiteres beantworten.

5 Nach dieser Rechtsprechung ergibt sich der Bedeutungsgehalt unbestimmter Rechtsbegriffe wie „dienstlicher Belang“, „öffentliches Interesse“ und „dienstlicher Grund“ aus der Zweckbestimmung und Zielsetzung der jeweiligen gesetzlichen Regelung sowie aus dem systematischen Zusammenhang, in den der Begriff hineingestellt ist. Beschreibt ein solcher Begriff einen Grund für die Versagung von Teilzeitbeschäftigung, so bringt er das Interesse an der sachgemäßen und möglichst reibungslosen Erfüllung der dienstlichen Aufgaben zur Geltung. Er soll die Berücksichtigung der Nachteile ermöglichen, die die Teilzeitbeschäftigung voraussichtlich für den Dienstbetrieb mit sich bringt. Dabei sind regelmäßig die organisatorischen und personalwirtschaftlichen Entscheidungen zugrunde zu legen, die der Dienstherr in Ausübung des ihm zustehenden Organisationsrechts getroffen hat (Urteile vom 29. April 2004 - BVerwG 2 C 21.03 - BVerwGE 120, 382 <383 f.> = Buchholz 237.95 § 88a SHLBG Nr. 1, vom 30. März 2006 - BVerwG 2 C 23.05 - Buchholz 236.2 § 76c DRiG Nr. 1 und vom 13. August 2008 - BVerwG 2 C 41.07 - juris Rn. 10).

6 Wie der Senat in diesen Urteilen dargelegt hat, kommt durch die Beschreibung der gegen die Teilzeitbeschäftigung sprechenden dienstlichen Belange als „dringend“ oder „zwingend“ zum Ausdruck, dass die Bedeutung der zu erwartenden Nachteile über das Normalmaß hinausgeht. Die regelmäßig und generell mit einer Teilzeitbeschäftigung verbundenen Erschwernisse wie etwa die Einstellung einer Ersatzkraft oder die Notwendigkeit einer gewissen Umorganisation stellen in der Regel bereits keine dringenden dienstlichen Belange dar. Die dienstlichen Belange erreichen die Stufe „zwingend“, wenn die Teilzeitbeschäftigung mit großer Wahrscheinlichkeit zu einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des Dienstbetriebs führen würde. Die weitere Vollzeitbeschäftigung muss unerlässlich sein, um die sachgerechte Wahrnehmung der dienstlichen Aufgaben sicherstellen zu können. Dementsprechend liegen die Anforderungen an die Schwere der Beeinträchtigung und den Grad der Wahrscheinlichkeit ihres Eintritts bei der Verwendung des Begriffs „dringend“ etwas niedriger.

7 Danach kommt es im vorliegenden Fall nicht darauf an, ob die Notwendigkeit der Einstellung einer Ersatzkraft wegen der weitreichenden Umstrukturierung der Bundeswehrverwaltung für diesen Verwaltungsbereich generell einen dringenden dienstlichen Belang im Sinne von § 72b Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BBG darstellen kann. Auch wenn dies - in Übereinstimmung mit dem Verwaltungsgerichtshof - zu bejahen wäre, würde jedenfalls die theoretische Möglichkeit, dass es im Zuge einer Nachbesetzungskette zu einer Neueinstellung kommen könnte, im Einzelfall nicht ausreichen, um die Stufe „dringend“ zu erreichen. Hierfür wäre nach der Senatsrechtsprechung zumindest erforderlich, dass eine Neueinstellung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. Diese Wahrscheinlichkeit kann sich nur aus tatsächlichen Anhaltspunkten ergeben. Demgegenüber hat der Verwaltungsgerichtshof die in dem Berufungsurteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen, an die der Senat gemäß § 137 Abs. 2 VwGO gebunden ist, fallbezogen dahingehend gewürdigt, dass keine tatsächlichen Anhaltspunkte für die Notwendigkeit einer Neueinstellung aufgrund des Ausscheidens des Klägers sprechen.

8 Die Frage nach der Bedeutung von Qualifikation und Leistungsbereitschaft des ausscheidenden Beamten für die Auslegung des Begriffs des dringenden dienstlichen Belangs im Sinne von § 72b Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BBG ist im vorliegenden Fall nicht entscheidungserheblich. Denn die rechtliche Würdigung des Verwaltungsgerichtshofs, das Ausscheiden des Klägers mache keine Neueinstellung erforderlich, ist nicht auf eine Beurteilung der dienstlichen Leistungen des Klägers gestützt. Vielmehr liegt ihr die Tatsachenfeststellung des Verwaltungsgerichtshofs zugrunde, die Beklagte habe dem Kläger dessen gegenwärtigen Dienstposten nicht in der Erwartung übertragen, er werde die damit verbundenen Aufgaben wahrnehmen. Durch die Übertragung sollte der Kläger bis zum Ende seiner aktiven Dienstzeit der Form halber mit einem Funktionsamt ausgestattet werden, dessen Wertigkeit seinem Amt im statusrechtlichen Sinne entspricht. Die Beklagte hätte dem entsprechenden Tatsachenvortrag des Klägers, den der Verwaltungsgerichtshof als erwiesen angesehen hat, gegebenenfalls in der Berufungsinstanz entgegentreten müssen.

9 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwertes ergibt sich aus § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 2 GKG.