Urteil vom 11.09.2014 -
BVerwG 2 WD 11.13ECLI:DE:BVerwG:2014:110914U2WD11.13.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Urteil vom 11.09.2014 - 2 WD 11.13 - [ECLI:DE:BVerwG:2014:110914U2WD11.13.0]

Urteil

BVerwG 2 WD 11.13

  • TDG Nord 6. Kammer - 15.01.2013 - AZ: TDG N 6 VL 42/11

In dem gerichtlichen Disziplinarverfahren hat der 2. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts in der nichtöffentlichen Hauptverhandlung am 11. September 2014, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. von Heimburg,
Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Burmeister,
Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Eppelt,
ehrenamtlicher Richter Oberstleutnant i.G. Wilkens und
ehrenamtliche Richterin Hauptgefreiter Sitek,
Leitender Regierungsdirektor ...
als Vertreter des Bundeswehrdisziplinaranwalts,
Rechtsanwältin ...
als Verteidigerin,
Geschäftsstellenverwalterin ...
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:

  1. Die Berufung des früheren Soldaten gegen das Urteil der 6. Kammer des Truppendienstgerichts Nord vom 15. Januar 2013 wird zurückgewiesen.
  2. Die Kosten des Berufungsverfahrens einschließlich der ihm darin erwachsenen notwendigen Auslagen werden dem früheren Soldaten auferlegt.

Gründe

I

1 Der 1967 geborene frühere Soldat leistete Grundwehrdienst zunächst in der Nationalen Volksarmee und seit dem 3. Oktober 1990 in der Bundeswehr. Aus ihr schied er im Mai 1991 planmäßig aus. Mit Wirkung vom 8. Mai 1991 war er zum Obergefreiten der Reserve ernannt worden.

2 Der frühere Soldat war von Dezember 2003 bis Ende November 2005 befristet und ist seit Oktober 2006 als Arbeitnehmer unbefristet bei der Bundeswehr beschäftigt, zunächst in der ... Im Jahre 2010 wurde er zu dem ... versetzt. Nachdem er bereits ab 2011 phasenweise im Bereich des ... eingesetzt worden war, wurde er Anfang 2013 zum Munitionsdepot ... versetzt. Seit dem 1. September 2014 ist er zum ... abgeordnet.

3 Der frühere Soldat war seit September 2005 dreimal jeweils mehrere Monate lang als Wehrübender in besonderen Auslandsverwendungen in Afghanistan eingesetzt, zuletzt von März bis Juli 2008 als Versorgungsfeldwebel im Bereich ..., Außenstelle ...

4 In dem Beurteilungsbeitrag, der den verfahrensgegenständlichen Zeitraum betrifft, ist ausgeführt, der frühere Soldat habe die ihm gestellten Aufgaben im Bereich der Ver- und Entsorgung sowie die Tätigkeit als Beauftragter für Gefahrgut zur Zufriedenheit erledigt, vorhandene Abfallmengen hätten im Kontingentzeitraum sukzessive abgebaut werden können. Die Arbeitsweise des früheren Soldaten sei besonders gründlich und auf die Erfüllung geltender Vorschriften ausgerichtet. Seine Meinung habe er nachhaltig zu vertreten gewusst. Bei der Führung und Anleitung ihm zeitweise unterstellter ziviler Ortskräfte habe er das notwendige Gespür für den Umgang mit Menschen anderer Kulturkreise erkennen lassen. Bei der Bewertung der Aufgabenerfüllung erhielt er bei Höchstwertung „9“ die Wertung „6“ (die Leistungserwartungen wurden ständig übertroffen).

5 Der frühere unmittelbare zivile Vorgesetzte des früheren Soldaten am ..., der Zeuge S., hat erstinstanzlich ausgesagt, der frühere Soldat leiste als Arbeitnehmer im Bereich der gärtnerischen Gruppe zufriedenstellende Arbeit. Im Vergleich zu anderen Mitarbeitern erfülle er seine Aufgaben und Aufträge mit gutem Erfolg. Er habe seine Arbeit immer korrekt und ordentlich ausgeführt und das normale Pensum erfüllt. Er - der Zeuge - sei traurig gewesen, als der frühere Soldat die Gruppe verlassen habe.

6 Der in der Berufungshauptverhandlung auch als Leumundszeuge vernommene Vorgesetzte während der letzten Auslandsverwendung, Regierungsamtsrat D., hat ausgesagt, der frühere Soldat sei kein einfacher Mitarbeiter gewesen, weil es ihm an Kompromissbereitschaft fehle. Im Übrigen könne er aber nichts Negatives über ihn sagen. Der frühere Soldat habe gute Arbeit geleistet und sich ihm gegenüber loyal verhalten. Der weitere Fachvorgesetzte des früheren Soldaten, Regierungsamtmann N., hat ausgeführt, die Zusammenarbeit mit dem früheren Soldaten sei im Großen und Ganzen zufriedenstellend gewesen. Er habe ganz ordentliche Arbeit geleistet. Der Zeuge habe sich auf ihn verlassen, es habe gelegentlich aber unterschiedliche Auffassungen gegeben. Der frühere zivile Vorgesetzte des früheren Soldaten, Verwaltungsbeamter Sch., hat ausweislich der durch Verlesen in die Berufungshauptverhandlung eingeführten Niederschrift über die Verhandlung vor dem Amtsgericht ... ausgesagt, der frühere Soldat habe als ziviler Mitarbeiter gute Arbeit geleistet.

7 Der frühere Soldat ist bislang weder disziplinar- noch strafrechtlich in Erscheinung getreten. Ihm wurde 2005 die Einsatzmedaille der Bundeswehr (ISAF) in Bronze und 2008 in Silber verliehen.

8 Das sachgleich gegen den früheren Soldaten geführte Strafverfahren wegen Diebstahls wurde vom Amtsgericht ... durch Beschluss vom 9. September 2010 gemäß § 153a StPO nach Zahlung einer Auflage von 500 € endgültig eingestellt.

9 Der frühere Soldat ist ledig und kinderlos. Er führt mit seiner Mutter einen gemeinsamen Hausstand und verdient monatlich ca. 1 650 € netto; Schulden hat er nach eigenen Angaben nicht.

II

10 1. Nachdem am 13. August 2008 durch die Wehrdisziplinaranwaltschaft die Aufnahme eines disziplinargerichtlichen Ermittlungsverfahrens verfügt worden war, hat sich der frühere Soldat am 20. August 2008 zu dem gegen ihn erhobenen Vorwurf vor dem Leiter des ... näher eingelassen. Über das Recht, einen Verteidiger konsultieren zu dürfen, war er zuvor nicht belehrt worden.

11 2. Mit Verfügung des Leiters der ... vom 17. Februar 2011, dem früheren Soldaten ausgehändigt am 22. Februar 2011, ist das disziplinargerichtliche Verfahren gegen den früheren Soldaten eingeleitet worden. Zuvor ist dem früheren Soldaten Gelegenheit zur Stellungnahme und der Verteidigerin Akteneinsicht gewährt worden.

12 Im Rahmen der abschließenden Anhörung bestritt der frühere Soldat den Vorwurf schriftlich unter Hinweis auf seine Einlassungen im Strafverfahren. Eine Frist zur Abgabe einer ergänzenden Stellungnahme nach erneuter Akteneinsicht nutzte die Verteidigerin nicht.

13 3. Die Wehrdisziplinaranwaltschaft hat dem früheren Soldaten mit Anschuldigungsschrift vom 24. November 2011 als Dienstvergehen zur Last gelegt:
„Er packte zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt zwischen dem 01.03.2008 und dem 05.07.2008 während einer besonderen Auslandsverwendung, für die er den zeitweiligen Dienstgrad eines Feldwebels der Reserve verliehen bekommen hatte, im ... (...) ... in Afghanistan die nachfolgend aufgeführten und im Eigentum der Bundeswehr stehenden Gegenstände im Gesamtwert von ca. 434 Euro in sein Gepäck und versuchte diese an die Adresse ‚...‘ zu verschicken.
Im Einzelnen:
- zwei Duschköpfe, "hansgrohe", im Wert von jeweils ca. 60 Euro
- einen Duschschlauch im Wert von ca. 15 Euro
- einen Duschkopf lang im Wert von ca. 80 Euro
- eine Wandhalterung für Schläuche im Wert von ca. 10 Euro
- ein Verlängerungskabel, 25 m, im Wert von ca. 15 Euro
- elf Paar Sicherheitshandschuhen, blau, im Wert von insgesamt ca. 20 Euro
- zwölf Paar Sicherheitshandschuhe, braun, im Wert von insgesamt ca. 26 Euro
- eine Packung Sicherheitshandschuhe, gelb, im Wert von ca. 7 Euro
- ein Paar Sicherheitshandschuhe, gefüttert, braun, im Wert von ca. 10 Euro
- drei Türschilder im Wert von insgesamt ca. 15 Euro
- ein Kombi-Eck-Ventil im Wert von ca. 18 Euro
- ein Karton mit Sicherheitshandschuhe, gelb, sowie Schlauchverbindungen und Schrauben im Wert von ca. 70 Euro
- eine Schachtel Schrauben 4,0x75 (500 Stück) im Wert von ca. 5 Euro
- eine Schachtel Schrauben 5,0x90 (500 Stück) im Wert von ca. 5 Euro
- eine Schachtel Schrauben 3,9x30 (500 Stück) im Wert von ca. 5 Euro
- eine Schlauchkupplung, zwei Pinsel, zwei Warnschilder und eine Schachtel Ameisenköder im Wert von insgesamt ca. 8 Euro
- eine Schachtel "Fischerdübel" (100 Stück) im Wert von ca. 5 Euro.“

14 4. Die 6. Kammer des Truppendienstgerichts Nord hat den früheren Soldaten mit Urteil vom 15. Januar 2013 in den Dienstgrad eines Gefreiten der Reserve herabgesetzt.

15 Das Gericht hat aufgrund der Einlassungen des früheren Soldaten sowie der durchgeführten Beweisaufnahme, insbesondere der Aussagen der Zeugen M., R., H. und S. festgestellt, dass der frühere Soldat als Leiter des Abfallsammelplatzes für dessen Betreiben als Entsorger zuständig war. Er habe sich nur um ausgesondertes Material zu kümmern gehabt. Die beim Rücktransport des Gepäckes in seiner mit seinem Einverständnis geöffneten Transportkiste gefundenen, in der Anschuldigungsschrift aufgeführten Gegenstände seien mit Ausnahme der Sicherheitshandschuhe, die der frühere Soldat möglicherweise in seinem privaten Gepäck vom Heimatland mitgebracht habe, auf seinem Dienstposten nicht benötigt worden und würden auch nicht in den Einsatz mitgenommen. Soweit der frühere Soldat die Wegnahme der Gegenstände bestreite und behaupte, er habe diese vor dem Einsatz zur besseren Versorgung über die Feldpost vorgeschickt, handele es sich um unglaubwürdige Schutzbehauptungen.

16 Der frühere Soldat habe mit seinem Verhalten vorsätzlich gegen § 7 SG sowie § 17 Abs. 2 S. 1 SG verstoßen. Die Maßnahmebemessung werde im Wesentlichen davon bestimmt, dass der vorsätzliche Zugriff auf Eigentum oder Vermögen des Dienstherrn regelmäßig zu einer Dienstgradherabsetzung führe. Obwohl die Gegenstände dem früheren Soldaten nicht anvertraut gewesen seien, habe er gleichwohl gegen zentrale soldatische Pflichten verstoßen. Der Wert der entwendeten Gegenstände läge auch bei Ausklammerung der Sicherheitshandschuhe deutlich über der Bagatellgrenze von 50 €. Milderungsgründe seien nicht ersichtlich. Zu Lasten des früheren Soldaten wiege vielmehr, dass dessen Auslandsverwendung vorzeitig habe beendet werden müssen. Entlastend wirke jedoch, dass er sich jeweils freiwillig für die Auslandseinsätze gemeldet, dort durchweg gute Leistungen erzielt habe und bislang weder straf- noch disziplinarrechtlich in Erscheinung getreten sei.

17 5. Gegen das ihm am 5. Februar 2013 zugestellte Urteil hat der frühere Soldat am 4. März 2013 unbeschränkt Berufung eingelegt und beantragt, ihn schuldfrei zu stellen und freizusprechen und ihm unter Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils den Dienstgrad eines Obergefreiten der Reserve zu belassen.

18 Die Wehrdisziplinarordnung sei nicht mehr anwendbar, weil er inzwischen das 45. Lebensjahr vollendet habe und ihr nicht mehr unterliege. Zudem sei die Besetzung des Truppendienstgerichts unrichtig gewesen, weil der Kameradenbeisitzer kein Reservist gewesen sei. Die lange Verfahrensdauer begründe zudem ein Verfahrenshindernis. Das Truppendienstgericht habe auch keine ausreichenden und widerspruchsfreien Tatfeststellungen getroffen. Die für die Gegenstände veranschlagten Werte seien zudem zu hoch bemessen und er habe ohne Zueignungsabsicht gehandelt. Bei der Maßnahmebemessung sei die Kammer unrichtig davon ausgegangen, dass seine Auslandsverwendung wegen des angeschuldigten Vorfalls vorzeitig habe beendet werden müssen. Zudem habe sie übergangen, dass er als Arbeitnehmer der Bundeswehr durch die Dauer des Verfahrens bereits erhebliche berufliche Nachteile erlitten habe. § 10 Abs. 1 SG sei fehlerhaft maßnahmeschärfend herangezogen worden, zumal bereits die Ernennung zum Feldwebel und der Heranziehungsbescheid rechtswidrig gewesen seien. Als bloßer Verwaltungsfeldwebel habe er auch keine Vorgesetztenstellung innegehabt. Die Gegenstände habe er bereits von der ... ohne Zueignungsabsicht zum Auslandseinsatz mitgenommen.

III

19 1. Die gemäß § 115 Abs. 1 Satz 1, § 116 Abs. 1 Satz 1 und Absatz 2 WDO form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig.

20 a) Die Zuständigkeit der Wehrdienstgerichtsbarkeit (§ 68 WDO) ist gegeben. Insbesondere ist die WDO auf den früheren Soldaten anwendbar. Gemäß ihrem § 1 Abs. 2 gilt die WDO für aktive Soldaten (Satz 1) sowie ausdrücklich auch für diejenigen, die in einem Wehrdienstverhältnis gestanden haben (Satz 2). Der Berufungsführer hat zum einen bis zum 7. Mai 1991 Wehrdienst geleistet und somit in einem Wehrdienstverhältnis gestanden (vgl. § 1 Abs. 1 SG); zum anderen stand er während seiner letzten Auslandsverwendung und damit zur Zeit der vorgeworfenen Taten in einem Wehrdienstverhältnis (vgl. § 1 Abs. 1 Satz 1, § 59 Abs. 3 Satz 1, § 60 Nr. 2, § 62 SG). Es ist auch durch den in die Berufungshauptverhandlung durch Verlesen eingeführten Bescheid des Kreiswehrersatzamtes ... vom 23. Januar 2008 rechtswirksam begründet worden.

21 Soweit der frühere Soldat die Rechtswidrigkeit des Bescheides damit begründet, dass dieser an ihn nicht als „Obergefreiter der Reserve“ adressiert gewesen sei, ist dieser Einwand schon deshalb unbeachtlich, weil der mit einer ordnungsgemäßen Rechtsbehelfsbelehrung versehene Bescheid bestandskräftig geworden ist. Ungeachtet dessen begründete die unterlassene Bezeichnung des Dienstgrades keinen Rechtsfehler und schon gar nicht seine Nichtigkeit. Das Ende des Wehrdienstverhältnisses steht der Einleitung des Verfahrens wegen eines während der Dienstzeit begangenen Dienstvergehens nicht entgegen (§ 82 Abs. 3 WDO).

22 b) Ein Verfahrenshindernis liegt nicht vor. Es leitet sich insbesondere nicht aus einer den Anforderungen des Art. 6 EMRK nicht mehr genügenden Verfahrensdauer ab (vgl. dazu Urteil vom 6. September 2012 - BVerwG 2 WD 26.11 - NZWehrr 2014, 32 = juris Rn. 34 f.).

23 Eine Verfahrenseinstellung wegen einer unangemessenen Verfahrensdauer kommt nur in extrem gelagerten Fällen in Betracht. Davon ist lediglich dann auszugehen, wenn unter Berücksichtigung des bisherigen und des noch zu erwartenden Verfahrensverlaufs, des noch im Raum stehenden Vorwurfs und gegebenenfalls besonderer persönlicher Umstände des Beschuldigten dessen weitere Belastung mit dem Verfahren selbst unter der Voraussetzung, dass sich die Tatvorwürfe später bestätigen, nicht mehr verhältnismäßig wäre (Urteil vom 6. September 2012 - BVerwG 2 WD 26.11 - a.a.O. und juris Rn. 39 f. m.w.N.). Ein solch extrem gelagerter Fall liegt jedoch nicht vor. Es fehlt bereits an einer unangemessen langen Verfahrensdauer.

24 Angesichts der Komplexität der notwendigen Ermittlungen, der Bedeutung des Verfahrens für den früheren Soldaten und der zur Wahrung seiner prozessualen Rechte erforderlichen mehrfachen Versendung der Akten an seine Verteidigerin war die Verfahrensdauer nicht unangemessen lang. Das Verfahren ist durch die zuständigen Stellen kontinuierlich betrieben worden. Schwerwiegende Belastungen gerade durch das Verfahren trafen den früheren Soldaten nicht, weil der Bestand seines Arbeitsverhältnisses hierdurch nicht betroffen wurde. Seine häufigen Abordnungen begründeten sich zumindest auch aus der Notwendigkeit, für einen Arbeitnehmer im Personalüberhang eine angemessene Beschäftigung zu finden. Dies war nicht primär Folge des vorliegenden Verfahrens.

25 2. Die Berufung ist unbegründet.

26 Das Rechtsmittel ist von dem früheren Soldaten in vollem Umfang eingelegt worden. Der Senat hat daher im Rahmen der Anschuldigung (a) auf der Grundlage eines ohne wesentliche Verfahrensmängel durchgeführten Verfahrens (b) eigene Tat- und Schuldfeststellungen zu treffen (c), diese rechtlich zu würdigen und die sich daraus ergebenden Folgerungen zu ziehen (d) sowie unter Berücksichtigung des Verschlechterungsverbotes (§ 91 Abs. 1 Satz 1 WDO i.V.m. § 331 StPO) über die angemessene Disziplinarmaßnahme zu befinden (e).

27 a) Die angeschuldigte Pflichtverletzung ist der Anschuldigungsschrift noch hinreichend deutlich zu entnehmen.

28 Die Anschuldigungsschrift muss hinsichtlich des Schuldvorwurfs hinreichend bestimmt sein und die Sachverhaltselemente, aus denen sich die vorgeworfene Pflichtverletzung ergibt, so deutlich und klar beschreiben, dass sich der Soldat für seine Verteidigung darauf einstellen und das Gericht den Gegenstand seiner Urteilsfindung eindeutig eingrenzen kann (Beschluss vom 11. Februar 2009 - BVerwG 2 WD 4.08 - BVerwGE 133, 131 = Buchholz 450.2 § 99 WDO 2002 Nr. 2 jeweils Rn. 12, 14). Bei Zweifeln über Gegenstand und Umfang des in der Anschuldigungsschrift zur Last gelegten Fehlverhaltens ist die Anschuldigungsschrift aus der Sicht des Empfängers, wie sie bei objektiver Betrachtungsweise zu verstehen ist, auszulegen. Zur Auslegung kann das wesentliche Ergebnis der Ermittlungen ergänzend herangezogen werden (Urteil vom 18. September 2003 - BVerwG 2 WD 3.03 - BVerwGE 119, 76 <80> = Buchholz 235.01 § 38 WDO 2002 Nr. 11 S. 41 m.w.N.). Hiernach ergibt sich sowohl aus der Auflistung der Gegenstände, die nicht typischerweise zu den Ausrüstungsgegenständen gehören, welche von einem Soldaten aus einem Auslandseinsatz mit zurückgebracht werden, als auch aus der Bezugnahme auf das sachgleiche Strafverfahren im Ermittlungsergebnis noch hinreichend deutlich, dass dem früheren Soldaten der vorsätzliche Zugriff auf im Eigentum des Dienstherrn stehende Gegenstände in Zueignungsabsicht vorgeworfen wird.

29 b) Verfahrensmängel stehen einer Sachentscheidung des Senats nicht entgegen.

30 aa) Das Truppendienstgericht war ordnungsgemäß besetzt. Anders als von dem früheren Soldaten behauptet, musste an der Entscheidung des Truppendienstgerichts kein Angehöriger der Reserve als ehrenamtlicher Richter mitwirken.

31 Die Voraussetzungen des § 75 Abs. 3 Satz 3 Halbs. 1 WDO lagen nicht vor. Er verlangt die Mitwirkung eines Angehörigen der Reserve nur wegen eines Verhaltens, das als Dienstvergehen „gilt“. Mit dieser Formulierung bezieht sich § 75 Abs. 3 Satz 3 Halbs. 1 WDO auf § 23 Abs. 2 SG, der definiert, welche „nach (dem) Ausscheiden“ eines Soldaten aus dem Wehrdienst begangenen Handlungen disziplinarisch relevant sind. § 75 Abs. 3 Satz 3 Halbs. 1 WDO stellt somit für die Bestimmung der Zugehörigkeit eines angeschuldigten früheren Soldaten zur Gruppe der Angehörigen der Reserve und folglich auch derjenigen des betreffenden ehrenamtlichen Richters nicht auf den Zeitpunkt der Hauptverhandlung vor den Wehrdienstgerichten, sondern auf den Zeitpunkt der Tat ab (Beschluss vom 11. Mai 2006 - BVerwG 2 WD 25.05 - Buchholz 11 Art. 101 Nr. 22 = juris jeweils Rn. 8). Da sich die vorliegend angeschuldigte Pflichtverletzung auf einen Zeitraum bezieht, in dem der frühere Soldat als Wehrdienstleistender in einem aktiven Soldatenverhältnis stand, mithin keine nach seinem Ausscheiden aus dem Wehrdienst begangene Handlung im Raum steht, findet § 23 Abs. 1 SG, nicht aber § 23 Abs. 2 SG und somit auch nicht § 75 Abs. 3 Satz 3 Halbs. 1 WDO Anwendung.

32 Die Besetzung richtete sich somit nach § 75 Abs. 2 Satz 1 WDO. Aus ihm folgt, dass die erstinstanzliche Heranziehung eines Mannschaftsdienstgrades - eines Hauptgefreiten - als ehrenamtlicher Richter zwingend war, weil dieser zu der Dienstgradgruppe zählt, der der frühere Soldat als Obergefreiter d.R. zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung angehörte (vgl. zum Zweck der zwischen § 75 Abs. 3 Satz 3 Halbs. 1 und Abs. 2 Satz 1 WDO divergierenden Zeitpunkte: Beschluss vom 11. Mai 2006 a.a.O. Rn. 8).

33 bb) Keinen Verfahrensmangel begründet des Weiteren, dass keine Anhörung einer Vertrauensperson stattfand.

34 Die gemäß § 27 Abs. 2 SBG vor Einleitung eines gerichtlichen Disziplinarverfahrens grundsätzlich vorgeschriebene Anhörung der Vertrauensperson stellt eine zwingende Verfahrensvorschrift dar. Anzuhören ist die Vertrauensperson, die zum Zeitpunkt der Einleitung des gerichtlichen Disziplinarverfahrens für den Soldaten zuständig ist (vgl. Beschluss vom 31. Januar 2012 - BVerwG 2 WD 4.11 - Buchholz 449.7 § 27 SBG Nr. 9 Rn. 11 und 24). Da es für frühere Soldaten keine Vertrauensperson gibt und der frühere Soldat zu dem Zeitpunkt, zu dem gegen ihn das Disziplinarverfahren eingeleitet wurde, nicht mehr in einem Wehrdienstverhältnis stand, konnte eine Vertrauensperson nicht angehört werden und damit die Anhörung auch nicht rechtswidrig unterbleiben (Dau, WDO, 6. Aufl. 2013, § 4 Rn. 26).

35 cc) Ein Verfahrensfehler liegt allerdings darin, dass der frühere Soldat am 20. August 2008 und damit nach Aufnahme der Vorermittlungen am 13. August 2008 von dem Leiter des ... zu den Vorwürfen angehört wurde, ohne vorher über sein Recht, einen Verteidiger zu konsultieren, belehrt worden zu sein. Dieser Verfahrensfehler stellt aber kein Verfahrenshindernis dar und führt auch nicht zur Zurückverweisung, sondern zu einem Verwertungsverbot der ohne korrekte Belehrung getätigten Aussage (grundlegend dazu BVerwG, Urteil vom 28. Juni 2008 - BVerwG 2 WD 34.10 - Buchholz 450.2 § 91 WDO 2002 Nr. 6 Rn. 32 ff. <34>). Die Einlassung des früheren Soldaten in dieser Anhörung musste, da er einer Verlesung auch nicht zugestimmt hatte, deshalb unberücksichtigt bleiben.

36 c) In tatsächlicher Hinsicht steht nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme zur Überzeugung des Senats fest, dass der frühere Soldat zwischen dem 1. März 2008 und dem 5. Juli 2008 während einer besonderen Auslandsverwendung, für die er den zeitweiligen Dienstgrad eines Feldwebels der Reserve verliehen bekommen hatte, im ... (...) ... in Afghanistan (im Folgenden: ...) jedenfalls
- zwei Duschköpfe, "hansgrohe",
- einen Duschschlauch,
- einen Duschkopf lang,
- eine Wandhalterung für Schläuche,
- ein Verlängerungskabel, 25 m,
- drei Türschilder
- ein Kombi-Eck-Ventil
- Schlauchverbindungen und Schrauben
- eine Schachtel Schrauben 4,0x75 (500 Stück)
- eine Schachtel Schrauben 5,0x90 (500 Stück)
- eine Schachtel Schrauben 3,9x30 (500 Stück)
- eine Schlauchkupplung,
- zwei Pinsel, zwei Warnschilder
- eine Schachtel Ameisenköder sowie
- eine Schachtel "Fischerdübel" (100 Stück),

37 welche im Eigentum der Bundeswehr standen und einen Gesamtwert von jedenfalls mehr als 50 € aufwiesen, wissentlich und willentlich sowie in der Absicht, sie sich rechtswidrig zuzueignen, in seine Transportkiste gepackt und versucht hat, sie an die Adresse „...“ zu verschicken. Soweit der frühere Soldat angeschuldigt wird, sich auch Sicherheitshandschuhe rechtswidrig angeeignet zu haben, hat der Senat ebenso wie das Truppendienstgericht dies nicht als erwiesen angesehen und den früheren Soldaten insoweit freigestellt.

38 Der Senat stützt seine Überzeugung auf folgende Erwägungen:

39 Dass die in der Transportkiste aufgefundenen Gegenstände von dem früheren Soldaten hineingelegt wurden, entnimmt der Senat den Ausführungen der Verteidigerin in der Berufungshauptverhandlung. Sie hat in Fortführung ihres Berufungsvortrags (Schriftsatz vom 4. März 2013, Seite 5) und der Einlassung vor dem Amtsgericht ... am 8. Juli 2010 vorgetragen, der frühere Soldat habe die streitbefangenen Gegenstände mit zurücknehmen wollen, weil er sie bereits in das Lager ... mitgebracht bzw. vorgeschickt habe, um eine Duschmöglichkeit einzurichten; er habe sie dort nicht entwendet. Fest steht angesichts dessen ebenso, dass die Gegenstände im Eigentum der Bundeswehr standen. Der frühere Soldat hat nichts Gegenteiliges vortragen lassen und insbesondere keine Belege vorgelegt, die den Erwerb der Gegenstände durch ihn dokumentierten.

40 Zur Überzeugung des Senats steht ferner fest, dass der frühere Soldat die Gegenstände im Wert von jedenfalls mehr als 50 € nicht bereits von der seinerzeitigen ... mitgenommen, sondern sie erst im ... vorsätzlich und mit Zueignungsabsicht an sich gebracht hat.

41 Zwar vermochte der Zeuge M. nicht auszuschließen, dass in der ... Gegenstände der Art vorrätig waren, wie sie in der Transportkiste des früheren Soldaten gefunden wurden; insbesondere hinsichtlich der Duschköpfe hat er ausgeführt, er sei damit überfragt. Die Ausgabe solcher Gegenstände hätte dann jedoch seiner Genehmigung bedurft, die er nicht erteilt habe. Über die Lagerbestände werde Buch geführt. Im Handvorrat auf dem Abfallsammelplatz in ... seien vielleicht Handschuhe vorhanden gewesen, Duschköpfe jedoch nicht. Der Abfallsammelplatz liege außerhalb des Bereichs, in dem sich das Lager für Gegenstände dieser Art befinde. Ein Zugriff durch den früheren Soldaten auf sie sei wohl faktisch, jedoch nicht regulär möglich gewesen. Die Ausgabe neuer Gegenstände erfolge in Originalverpackung.

42 Der Senat hat keine Zweifel an der Glaubhaftigkeit der Angaben des Zeugen, der keinerlei Belastungseifer zeigte und außer bei der Anhörung am 20. August 2008 keinen Kontakt zum früheren Soldaten hatte. Seine Aussage korrespondiert zu der des Zeugen Sch., dessen Aussage vor dem Amtsgericht ... am 8. Juli 2010 durch Verlesen in die Berufungshauptverhandlung eingeführt worden ist; dieser hatte zudem ausgesagt, er sei als (ziviler) Vorgesetzter des früheren Soldaten nicht in der Lage gewesen, ihm etwas zu genehmigen. Man müsse jedes Material schriftlich beantragen. Von dem früheren Soldaten sei er wegen Gegenständen der streitgegenständlichen Art nicht um eine Genehmigung gebeten worden.

43 Der Zeuge H., dessen Aussage vor dem Amtsgericht ... durch Verlesen in die Berufungshauptverhandlung eingeführt worden ist, hat bestätigt, dass auf dem Abfallsammelplatz in ... Handschuhe vorhanden gewesen seien, man das Material jedoch nicht aus Deutschland in den Einsatz mitnehmen dürfe.

44 Dass auch im ... Gegenstände der Art, wie sie in der Transportkiste des früheren Soldaten gefunden wurden, vorrätig waren, folgt aus den übereinstimmenden Aussagen der Zeugen D. und L. sowie aus den durch Verlesung in die Berufungshauptverhandlung eingeführten Stellungnahmen der Hauptleute E. und G. Während es in der Stellungnahme des Hauptmanns G. eher vage heißt, die oben bezeichneten Gegenstände seien voraussichtlich von der Bundeswehr dienstlich beschafft worden bzw. seien aus Bundeswehrbestand und könnten an die Einsatzwehrverwaltung ..., ..., zurückgeführt werden, enthält die Mail des - seinerzeit in ... Dienst leistenden - Hauptmanns E. die eindeutige Aussage, die Materialien stammten größtenteils aus den Vorräten des ... (...). Dass sich der frühere Soldat, aufgrund des räumlichen Zusammenhangs und der engen Zusammenarbeit sowie der damit verbundenen Ortskenntnis regelmäßig ohne weiteres Zugang zu den Gegenständen verschaffen konnte, folgt zusätzlich aus der E-Mail des Hauptmanns E. Der Aussage des Zeugen D. sowie der durch Verlesen in die Berufungshauptverhandlung eingeführten Aussage des Zeugen M. vor dem Truppendienstgericht ist schließlich zu entnehmen, dass der frühere Soldat mit diesen Gegenständen dienstlich nicht befasst war.

45 Auch die in der Berufungsverhandlung vernommenen Zeugen D. und L. haben nach Inaugenscheinnahme der Fotografien von den streitbefangenen Gegenständen bestätigt, dass insbesondere Duschköpfe, Schläuche, die Wandhalterung und Ventile dieser Art originalverpackt im ... vorgehalten worden seien. Die Verwertung dieser Fotos ist dem Senat nicht deshalb verboten, weil die Transportkiste ohne richterliche Entscheidung geöffnet worden ist. Soweit die Verteidigung dies geltend macht, verkennt sie, dass eine richterliche Entscheidung wegen des vom früheren Soldaten zuvor abgegebenen Einverständnisses rechtlich nicht geboten war.

46 Der Zeuge L. hat zudem und insoweit sachlich übereinstimmend mit der Information des Hauptmanns E. ausgesagt, der Magazincontainer, in dem sich Gegenstände dieser Art befunden hätten, sei nicht durchgehend bewacht gewesen. Jeder habe sich benötigtes Material nehmen können. Die Entsorger hätten zwar keinen Zugang dazu gehabt, aber die Möglichkeit eines Zugriffs habe bestanden. Tagsüber habe das Materiallager offen gestanden und es sei nicht immer beaufsichtigt gewesen. Das Lagergebäude habe auf dem Weg vom Bürogebäude des Technischen Betriebsdienstes, in dem sich damals auch die von den Mitarbeitern des Abfallsammelplatzes zu benutzenden Toiletten befunden hätten, zum Abfallsammelplatz gelegen. Laufende Überprüfungen des Ist- und Soll-Bestandes hätten nicht stattgefunden. Bei einer Inventur wäre ein eventueller Mangel feststellbar gewesen, er habe dafür aber keine Zeit gehabt. Den Wert eines Duschkopfs schätze er auf etwa 20 - 25 €, den eines Eckventils auf 10 - 15 €.

47 Der Zeuge ist glaubwürdig und seine ohne Belastungseifer getätigte Aussage ist glaubhaft. Er hat klar differenziert, wo er infolge des Zeitablaufs Erinnerungslücken hat und wo er sich seiner Erinnerung sicher ist. Seine Schätzung der Werte stimmt annähernd mit den Angaben in der E-Mail des Hauptmanns E. überein, welche - insbesondere, soweit es die Duschköpfe betrifft - sich von den Angaben des Regierungsamtsrats D. in seiner ebenfalls durch Verlesen in die Berufungshauptverhandlung eingeführten Stellungnahme vom 10. Oktober 2008 (mit der Preisangabe von 120 € für zwei Duschköpfe) deutlich abhebt.

48 Nach dem auch im gerichtlichen Wehrdisziplinarverfahren gemäß § 123 Satz 3, § 91 Abs. 1 Satz 1 WDO anwendbaren § 261 StPO hat das Gericht über das Ergebnis der Beweisaufnahme nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung zu entscheiden. Die für die Überführung eines Angeschuldigten erforderliche Gewissheit erfordert ein nach der Lebenserfahrung ausreichendes Maß an Sicherheit, demgegenüber vernünftige Zweifel nicht mehr aufkommen. Zwar ist zur Überführung des Angeschuldigten keine „mathematische Gewissheit“ erforderlich; der Beweis muss jedoch mit lückenlosen, nachvollziehbaren logischen Argumenten geführt sein. Die Beweiswürdigung muss auf einer tragfähigen, verstandesmäßig einsichtigen Tatsachengrundlage beruhen. Allein dadurch wird die Unschuldsvermutung (vgl. Art. 6 Abs. 2 der Europäischen Menschenrechtskonvention) widerlegt (Urteil vom 12. Februar 2003 - BVerwG 2 WD 8.02 - BVerwGE 117, 371 <376> m.w.N.).

49 Nach Maßgabe dieser Grundsätze begründet die Aussage des Zeugen M., er wolle nicht ausschließen, dass es auch in der ... die streitbefangenen Gegenstände gegeben habe, keinen vernünftigen Zweifel daran, dass sie mit Ausnahme der Handschuhe aus dem ... stammen und der frühere Soldat sie erst dort in Zueignungsabsicht in seinen Gewahrsam gebracht hat. Dies steht für den Senat mit einem nach der Lebenserfahrung ausreichenden Maß an Sicherheit aufgrund folgender Erwägungen fest:

50 Die Zugriffsmöglichkeiten waren für den früheren Soldaten unterschiedlich risikoreich. Der Zugriff auf das Lager der ... stellte sich nach der Beschreibung des Zeugen M. aufgrund der räumlichen Distanz zwischen Materialverwaltung und dem dortigen Abfallsammelplatz risikoreicher dar als im ..., in dem der Materialcontainer auf dem vom früheren Soldaten regelmäßig zurückgelegten Weg zwischen dem Bürogebäude des Technischen Betriebsdienstes und dem von ihm verwalteten Abfallsammelplatz lag. Hinzu kommt, dass die Zugriffsmöglichkeiten für den früheren Soldaten im ... schon deshalb wesentlich risikoloser waren, weil der Container dort nach Aussage des Zeugen L. tagsüber offen stand und nicht regelmäßig beaufsichtigt wurde. Darüber hinaus liegt bei der Persönlichkeitsstruktur des früheren Soldaten, der durch seine besondere Vorschriftentreue hervorsticht, die Annahme fern, er habe sich in der ... unter gezielter Umgehung des Antragserfordernisses Gegenstände zu dienstlichen Zwecken rechtswidrig verschafft und das Risiko erheblicher arbeitsrechtlicher Folgen - wie etwa die Kündigung seines unbefristeten Arbeitsvertrags - in Kauf genommen. Dem gegenüber war die Materialausgabe im ... deutlich formloser.

51 Der Zeuge M. hat zudem lediglich nicht ausschließen wollen, dass es in der ... Gegenstände dieser Art gegeben hat. Dass es solche Gegenstände dort seinerzeit gab, hat er somit nicht bestätigen können. Anderes gilt für die Handschuhe, bei denen er es für möglich hielt, dass der frühere Soldat sie in einem Handvorrat gehalten hat. Im Gegensatz dazu haben die Zeugen D. und L. uneingeschränkt bestätigt, dass Gegenstände dieser Art im ... vorgehalten wurden. Dem entspricht inhaltlich auch die E-Mail des Hauptmanns E.

52 Nicht nachvollziehbar bleibt ferner, warum der frühere Soldat für den Bau nur einer „Notdusche“ derart viele Duschköpfe und entsprechendes Zusatzmaterial mitgenommen haben will und - wofür die Aussage des Zeugen N. sprechen mag - nach dem Bau einer Notdusche überflüssig gewordene Gegenstände dann nicht im Lager ... zurückgelassen hat. Gerade wenn, wie er es vorträgt, eine Übergabe mit seinem Nachfolger nicht stattgefunden hat, hätte er diesem nicht aus seiner Sicht relevantes Arbeitsmaterial vorenthalten dürfen.

53 Darüber hinaus haben die Zeugen L. und D. ausgesagt, dass der vom früheren Soldaten behauptete Mangel an Arbeitsmaterial im Lager ... jedenfalls 2008 nicht (mehr) bestanden hat. Es war auch keineswegs üblich, entsprechendes Material aus dem Heimatland mitzubringen. Alle zur Lage vor Ort befragten Zeugen haben betont, sie hätten - von einer wärmeren Unterwäsche für den Zeugen N. abgesehen - kein Arbeitsmaterial aus Deutschland mitbringen müssen und mitgebracht. Die Versorgungslage sei recht gut gewesen. Dies entspricht auch den - durch Verlesung der Niederschrift des Amtsgerichts ... vom 8. Juli 2010 - in die Berufungshauptverhandlung eingeführten Aussagen des Zeugen M. in der Verhandlung vor dem Amtsgericht ...

54 Ferner steht nach den Aussagen der Zeugen D. und L. fest, dass dem früheren Soldaten jedenfalls bis zum Einbau einer Damentoilette Anfang März 2008 eine Dusche in dem vom Abfallsammelplatz nur 20 bis 30 m entfernt liegenden Gebäude des Technischen Betriebsdienstes zur Verfügung gestanden hat. Dass diese Dusche nach den Aussagen des Zeugen L. während des Aufenthalts des früheren Soldaten zur Damentoilette umgebaut wurde, konnte dieser zu dem Zeitpunkt, zu dem er herangezogen und angeblich vorsorglich tätig wurde, noch nicht wissen. Den Wunsch, auf dem Abfallsammelplatz eine Dusche zu installieren, hat der frühere Soldat nach der Aussage des Zeugen D. ihm gegenüber nicht geäußert.

55 In der Gesamtschau dieser Umstände spricht nach allgemeiner Lebenserfahrung somit alles dafür, dass der frühere Soldat die in der Transportkiste aufgefundenen, nicht der Erfüllung der ihm im ... übertragenen Aufgabe dienenden Gegenstände unter Bruch des Gewahrsams des Bundes an ihnen in seinen Gewahrsam gebracht hat. Anlass, an der Richtigkeit der weitgehend übereinstimmenden Zeugenaussagen zu zweifeln, bestand nicht. Die Einlassung des früheren Soldaten, er habe die Gegenstände aus dem Heimatland mitgebracht und deshalb wieder zurückführen wollen, wertet der Senat als Schutzbehauptung.

56 Aus der Ansichnahme der Gegenstände und dem Versuch, sie in der persönlichen Transportkiste, deren Inhalt in der Zollerklärung als „Bekleidung und pers. Ausrüstung“ und damit unwahr deklariert war, ins Heimatland zu senden, ergibt sich die Zueignungsabsicht des früheren Soldaten. Durch die Inhaltsangabe und die Adressierung an ihn persönlich („...“) gerierte er sich als Eigentümer der Gegenstände. Der Annahme der Zueignungsabsicht steht nicht entgegen, dass die Transportkiste an die postalische Anschrift des Kreiswehrersatzamtes ... adressiert war. Denn die Rückführung von unbegleitetem Gepäck wie Transportkisten und Transporttaschen von im Auslandseinsatz befindlichen Beschäftigten ist stets nur an eine Dienststelle der Bundeswehr, nicht aber an eine Privatadresse möglich. Mit dem Kreiswehrersatzamt ... - an seinem Wohnsitz - hatte der frühere Soldat vereinbart, dass er seine persönlichen Gegenstände nach dem Auslandseinsatz dort abholen kann. Den Vortrag des früheren Soldaten, die Gegenstände wieder zu seiner Dienststelle in ... zurückführen zu wollen, hält der Senat auch deshalb für eine unglaubhafte Schutzbehauptung, weil der frühere Soldat nach eigenem Vortrag angenommen hatte, im Anschluss an den Auslandseinsatz an das ... abgeordnet zu sein und nicht mehr nach ... zurückzukehren.

57 d) Der frühere Soldat hat damit vorsätzlich ein Dienstvergehen nach § 23 Abs. 1 SG begangen.

58 Durch den mit Wissen und Wollen, somit vorsätzlich begangenen Zugriff auf die Gegenstände und damit das Vermögen des Dienstherrn hat er gegen § 7 SG verstoßen. Die Pflicht zum treuen Dienen umfasst auch die Pflicht, das Vermögen des Dienstherrn zu schützen (Urteil vom 8. Mai 2014 - BVerwG 2 WD 10.13 - Rn. 47).

59 Der frühere Soldat hat durch die Aneignung der Gegenstände zusätzlich gegen § 7 SG unter dem Gesichtspunkt der Verpflichtung zur Loyalität gegenüber der Rechtsordnung verstoßen, die die Begehung von Straftaten untersagt (Urteil vom 13. Dezember 2012 - BVerwG 2 WD 29.11 - BVerwGE 145, 269 = Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 42, jeweils Rn. 49). Dabei muss es sich um einen Rechtsverstoß von Gewicht handeln, der zudem in einem Zusammenhang mit dem Dienstverhältnis steht. Ein solcher Verstoß liegt vor, weil der frühere Soldat vorsätzlich und mit Zueignungsabsicht unmittelbar auf das Eigentum des Bundes zugegriffen und dadurch den Straftatbestand des § 242 Abs. 1 StGB verwirklicht hat (vgl. Urteil vom 20. März 2014 - BVerwG 2 WD 5.13 - Rn. 47 f.).

60 Mit dem Zugriffsdelikt verstieß er zugleich vorsätzlich gegen die Pflicht zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten (§ 17 Abs. 2 Satz 1 SG). Jeder Verstoß eines Soldaten gegen eine gesetzliche Dienstpflicht, die dem § 17 SG vorangestellt ist, enthält (zugleich) einen Verstoß gegen § 17 Abs. 2 SG, wenn dem festgestellten Verhalten unabhängig von anderen Pflichtverstößen die Eignung zur Ansehensminderung innewohnt. Die Achtungs- und die Vertrauenswürdigkeit eines Soldaten können durch sein Verhalten schon dann Schaden nehmen, wenn dieses Zweifel an seiner Zuverlässigkeit weckt oder seine Eignung für die jeweilige Verwendung in Frage stellt. Für die Feststellung eines Verstoßes gegen diese Vorschrift kommt es nicht darauf an, ob eine Ansehensschädigung im konkreten Fall tatsächlich eingetreten ist. Es reicht vielmehr aus, dass das Verhalten des Soldaten geeignet war, eine ansehensschädigende Wirkung auszulösen (vgl. Urteile vom 22. Januar 1997 - BVerwG 2 WD 24.96 - BVerwGE 113, 48 <54> = Buchholz 236.1 § 7 SG Nr. 12 S. 46, vom 13. Januar 2011 - BVerwG 2 WD 20.09 - juris Rn. 27 m.w.N. und vom 4. Mai 2011 - BVerwG 2 WD 2.10 - juris Rn. 29).

61 e) Bei der Bemessung der Disziplinarmaßnahme ist von der von Verfassungs wegen allein zulässigen Zwecksetzung des Wehrdisziplinarrechts auszugehen. Diese besteht ausschließlich darin, dazu beizutragen, einen ordnungsgemäßen Dienstbetrieb wiederherzustellen und/oder aufrechtzuerhalten (stRspr, vgl. Urteil vom 11. Juni 2008 - BVerwG 2 WD 11.07 - Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 26 Rn. 23 m.w.N.). Bei Art und Maß der Disziplinarmaßnahme sind nach § 58 Abs. 7 i.V.m. § 38 Abs. 1 WDO Eigenart und Schwere des Dienstvergehens und seine Auswirkungen, das Maß der Schuld, die Persönlichkeit, die bisherige Führung und die Beweggründe des Soldaten zu berücksichtigen.

62 aa) Eigenart und Schwere des Dienstvergehens bestimmen sich nach dem Unrechtsgehalt der Verfehlungen, d.h. nach der Bedeutung der verletzten Dienstpflichten. Danach wiegt die Verfehlung schwer.

63 Eigenart und Schwere des Dienstvergehens sind durch die festgestellte Verletzungen der Pflicht zum achtungs- und vertrauensvollen Verhalten im Dienst (§ 17 Abs. 2 Satz 1 SG) und der Pflicht zum treuen Dienen gekennzeichnet (§ 7 SG). Die Pflicht zum treuen Dienen gehört zu den zentralen Pflichten eines Soldaten. Ihre Verletzung ist in der Regel schon deshalb von erheblicher Bedeutung. Der besondere Unrechtsgehalt des Dienstvergehens ergibt sich auch daraus, dass der frühere Soldat gegen seine Pflicht zur Beachtung der Strafgesetze verstoßen und kriminelles Unrecht begangen hat. Auch die Pflicht zur Wahrung von Achtung und Vertrauen ist kein Selbstzweck, sondern hat funktionalen Bezug zur Erfüllung des grundgesetzmäßigen Auftrages der Streitkräfte und zur Gewährleistung des militärischen Dienstbetriebs. Ein Soldat, insbesondere - wie hier - ein Vorgesetzter, bedarf der Achtung seiner Kameraden und Untergebenen sowie des Vertrauens seiner Vorgesetzten, um seine Aufgaben so zu erfüllen, dass der gesamte Ablauf des militärischen Dienstes gewährleistet ist. Dabei kommt es nicht darauf an, ob eine Beeinträchtigung der Achtungs- und Vertrauenswürdigkeit tatsächlich eingetreten ist, sondern nur darauf, ob das festgestellte Verhalten dazu geeignet war (stRspr, z.B. Urteile vom 13. Januar 2011 - BVerwG 2 WD 20.09 - juris Rn. 27 m.w.N. und vom 4. Mai 2011 - BVerwG 2 WD 2.10 - juris Rn. 29). Dies ist hier der Fall.

64 Eigenart und Schwere des Dienstvergehens werden des Weiteren dadurch bestimmt, dass der frühere Soldat aufgrund seines für die Dauer der Verwendung als Verwaltungsfeldwebel verliehenen Dienstgrades als Feldwebel d.R. in einem Vorgesetztenverhältnis stand (§ 1 Abs. 3 Satz 1 und 2 SG i.V.m. § 4 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 VorgV). Der Dienstgrad des Feldwebels der Reserve war ihm rechtswirksam verliehen worden. Aus § 5 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2, Satz 3 i.V.m. § 1 Satz 1 Nr. 3 SLV, § 59 Abs. 3 Satz 1 SG ergibt sich, dass ein höherer Dienstgrad auch zeitweilig für die Dauer der Verwendung verliehen werden kann. Für die Förmlichkeiten sind §§ 41, 42 SG entsprechend anzuwenden. Danach war dem früheren Soldaten eine Ernennungsurkunde auszuhändigen, deren notwendiger Inhalt sich aus § 42 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Satz 1, § 41 Abs. 2 SG ergibt. Diese Anforderungen sind erfüllt, da die vom Leiter der Stammdienststelle der Bundeswehr im Auftrag des Bundesministers der Verteidigung in Köln am 21. Januar 2008 erstellte Urkunde mit dem Willen der ausstellenden Behörde (unstreitig) am 28. Februar 2008 in den Gewahrsam des früheren Soldaten gelangte. Soweit er meint, die mit dem Dienstsiegel beglaubigte Unterschrift des Amtsinhabers auf der Ernennungsurkunde müsse für ihn lesbar dokumentiert sein, trifft dies nicht zu. Eine Rechtsnorm, die dies verlangte, besteht nicht. Dass die Aushändigung nach Angabe des früheren Soldaten durch einen unteren Dienstgrad und erst auf dem Flughafen erfolgte, ist unschädlich, da für die Art und Weise der Aushändigung keine bestimmte Form vorgeschrieben ist.

65 Dass der frühere Soldat den Vorgesetzten-Dienstgrad nach dem Abschluss der Auslandsverwendung nicht weiter innehatte, ist für die Bewertung des Dienstvergehens ohne Bedeutung, weil für die disziplinarische Würdigung der Dienstgrad maßgeblich ist, in dem sich der (frühere) Soldat zum Zeitpunkt der Pflichtverletzung befand.

66 Soldaten in Vorgesetztenstellung obliegt eine höhere Verantwortung für die Wahrung dienstlicher Interessen. Wegen seiner herausgehobenen Stellung ist ein Vorgesetzter in besonderem Maße für die ordnungsgemäße Erfüllung seiner Dienstpflichten verantwortlich und unterliegt damit im Falle einer Pflichtverletzung einer verschärften Haftung, da Vorgesetzte in ihrer Haltung und Pflichterfüllung ein Beispiel geben sollen (§ 10 Abs. 1 SG). Dabei ist nicht erforderlich, dass es der frühere Soldat bei seinem Fehlverhalten innerhalb eines konkreten Vorgesetztenverhältnisses an Beispielhaftigkeit hat fehlen lassen. Es reicht das Innehaben einer Vorgesetztenstellung aufgrund des Dienstgrades aus (vgl. Urteil vom 4. Mai 2011 - BVerwG 2 WD 2.10 - juris Rn. 30). Der Einwand der Verteidigung, der frühere Soldat sei lediglich als Versorgungsfeldwebel ohne besondere Vorgesetztenfunktionen eingesetzt gewesen, greift deshalb nicht.

67 bb) Soweit es die Auswirkungen des Dienstvergehens betrifft, muss sich der frühere Soldat zumindest eine Vermögensgefährdung des Dienstherrn entgegenhalten lassen, wobei der Wert der entwendeten Gegenstände deutlich über der Bagatellgrenze von 50 € lag. Anders als vom Truppendienstgericht angenommen, wurde jedoch weder der Auslandseinsatz wegen der Pflichtverletzung noch die Wehrübung vorzeitig abgebrochen.

68 cc) Die Beweggründe des früheren Soldaten sind, soweit erkennbar, durch finanziellen Eigennutz charakterisiert.

69 dd) Das Maß der Schuld wird durch das vorsätzliche Handeln des voll schuldfähigen früheren Soldaten bestimmt. Auf Milderungsgründe sowohl in den Umständen der Tat als auch der Person (vgl. dazu Urteil vom 18. April 2013 - BVerwG 2 WD 16.12 - Rn. 55 ff.) hat er sich nicht berufen; sie sind auch nicht ersichtlich.

70 ee) Im Hinblick auf die Zumessungskriterien „Persönlichkeit“ und „bisherige Führung“ spricht für den früheren Soldaten, dass er sich dreimal freiwillig für Auslandsverwendungen zur Verfügung gestellt und - jedenfalls beim verfahrensgegenständlichen Einsatz - die Leistungserwartungen ständig übertroffen hat. Hinzu tritt, dass sich das Dienstvergehen angesichts der Beurteilung und der Bekundungen von Vorgesetzten über die Zuverlässigkeit des früheren Soldaten als persönlichkeitsfremd darstellt. Reue und Unrechtseinsicht konnten bei ihm nicht festgestellt werden, nachdem er von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch gemacht hat.

71 f) Nach einer Gesamtwürdigung aller vorgenannten be- und entlastenden Umstände ist im Hinblick auf die Bemessungskriterien des § 38 Abs. 1 WDO und die Zwecksetzung des Wehrdisziplinarrechts die Herabsetzung um einen Dienstgrad nicht unverhältnismäßig.

72 Bei der konkreten Bemessung der Disziplinarmaßnahme geht der Senat in seiner gefestigten Rechtsprechung (vgl. Urteil vom 10. Februar 2010 - BVerwG 2 WD 9.09 - juris Rn. 35 ff.) von einem zweistufigen Prüfungsschema aus:

73 aa) Auf der ersten Stufe bestimmt er im Hinblick auf das Gebot der Gleichbehandlung vergleichbarer Fälle sowie im Interesse der rechtsstaatlich gebotenen Rechtssicherheit und Voraussehbarkeit der Disziplinarmaßnahme eine Regelmaßnahme für die in Rede stehende Fallgruppe als „Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen“.

74 Vergreift sich ein Soldat in Vorgesetztenstellung vorsätzlich an Eigentum oder Vermögen seines Dienstherrn, so indiziert ein solch schweres Fehlverhalten regelmäßig eine Dienstgradherabsetzung. Erfolgt der vorsätzliche Zugriff im Bereich der dienstlichen Kernpflichten des Soldaten, ist in der Regel die Entfernung aus dem Dienstverhältnis Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen (vgl. z.B. Urteile vom 25. Juni 2009 - BVerwG 2 WD 7.08 - Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 29 Rn. 53 m.w.N. und vom 13. Januar 2011 - BVerwG 2 WD 20.09 - juris Rn. 44). Eine Kernpflichtverletzung liegt hier nicht vor, weil die streitbefangenen Gegenstände dem früheren Soldaten nicht anvertraut waren. Als Leiter des Abfallsammelplatzes war er nur für die Entsorgung ausgesonderten Materials zuständig, nicht für die Versorgung mit neuwertigem Material. Vorliegend bildet somit die Herabsetzung im Dienstgrad den Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen. Diese Disziplinarmaßnahme kann auch grundsätzlich gegen den früheren Soldaten nach § 58 Abs. 3 Nr. 1 WDO verhängt werden, weil er als früherer Soldat der Bundeswehr, der seinen Dienstgrad nicht verloren hat, gem. § 1 Nr. 1 ResG Reservist ist.

75 bb) Auf der zweiten Stufe ist zu prüfen, ob im konkreten Einzelfall im Hinblick auf die in § 38 Abs. 1 WDO normierten Bemessungskriterien und die Zwecksetzung des Wehrdisziplinarrechts Umstände vorliegen, die die Möglichkeit einer Milderung oder die Notwendigkeit einer Verschärfung gegenüber der auf der ersten Stufe in Ansatz gebrachten Regelmaßnahme eröffnen. Dabei ist vor allem angesichts der Eigenart und Schwere des Dienstvergehens sowie dessen Auswirkungen zu klären, ob es sich angesichts der be- und entlastenden Umstände um einen schweren, mittleren oder leichten Fall der schuldhaften Pflichtverletzung handelt. Liegt kein mittlerer, sondern ein höherer bzw. niedrigerer Schweregrad vor, ist gegenüber dem Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen die zu verhängende Disziplinarmaßnahme nach „oben“ bzw. nach „unten“ zu modifizieren. Zusätzlich sind die gesetzlich normierten Bemessungskriterien für die Bestimmung der konkreten Sanktion zu gewichten, wenn die Maßnahmeart, die den Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen bildet, dem Wehrdienstgericht einen Spielraum eröffnet (vgl. Urteil vom 13. Februar 2014 - BVerwG 2 WD 4.13 - Rn. 73). Wegen des Verschlechterungsverbotes (§ 91 Abs. 1 Satz 1 WDO i.V.m. § 331 StPO) wäre hier nur eine Milderung zulässig. Umstände, die ein Abweichen von der Regelmaßnahme gebieten, liegen aber nicht vor.

76 aaa) Dass der Soldat wegen des Zugriffs auf die Gegenstände bereits strafrechtlich verfolgt und dieses Verfahren nach Zahlung von 500 € nach § 153a StPO eingestellt wurde, begründet keinen mildernden Umstand. Weder § 16 Abs. 1 noch § 17 Abs. 2 bis 4 WDO verbieten die Regelmaßnahme. Steht im Einzelfall - wie hier - § 16 WDO der Zulässigkeit des Ausspruchs einer Disziplinarmaßnahme nicht entgegen, ist die Art oder Höhe einer Kriminalstrafe oder sonstigen Strafsanktion für die Gewichtung der Schwere des sachgleichen Dienstvergehens regelmäßig nicht von ausschlaggebender Bedeutung. Strafverfahren und Disziplinarverfahren verfolgen unterschiedliche Zwecke. Die Kriminalstrafe unterscheidet sich nach Wesen und Zweck grundlegend von der Disziplinarmaßnahme. Während erstere neben Abschreckung und Besserung der Vergeltung und Sühne für begangenes Unrecht gegen den allgemeinen Rechtsfrieden dient, ist die disziplinarische Ahndung darauf ausgerichtet, unter Beachtung des Gleichbehandlungsgrundsatzes einen geordneten und integren Dienstbetrieb aufrechtzuerhalten oder wiederherzustellen (vgl. Urteile vom 13. Januar 2011 - BVerwG 2 WD 20.09 - juris Rn. 49 m.w.N. und vom 4. Mai 2011 - BVerwG 2 WD 2.10 - juris Rn. 51).

77 bbb) Die Vermögensgefährdung bewegte sich auch nicht unterhalb der „Bagatellgrenze“ von 50 € (vgl. Urteile vom 16. März 2011 - BVerwG 2 WD 40.09 - juris Rn. 30 m.w.N. und vom 13. Dezember 2012 - BVerwG 2 WD 29.11 - BVerwGE 145, 269 = Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 42, jeweils Rn. 82 m.w.N.). Dabei geht der Senat zugunsten des früheren Soldaten von einem geringeren Wert aus als von der Wehrdisziplinaranwaltschaft in ihrer Anschuldigungsschrift beziffert. Dies gilt insbesondere für den Wert der Duschköpfe. Selbst wenn jedoch in Anlehnung an die von den Zeugen L. und E. überzeugend niedriger bezifferten Werte für Duschköpfe mit jeweils 20 bis 25 € und eines Eckventils mit 10 -15 € ausgegangen wird, überschreitet die Vermögensgefährdung allein schon wegen dieser Gegenstände eindeutig die „Bagatellgrenze“.

78 ccc) Eine Milderung unter dem Gesichtspunkt einer überlangen Verfahrensdauer kommt aus den bereits (unter 1. b) dargelegten Gründen nicht in Betracht. Dort wurde auch bereits ausgeführt, dass die häufigen Abordnungen des früheren Soldaten in seinem zivilen Arbeitsverhältnis nicht primär auf dieses Verfahren zurückzuführen sind.

79 ddd) Das Persönlichkeitsfremde der Pflichtverletzung und die überdurchschnittlichen Leistungen des früheren Soldaten gebieten ebenfalls nicht, von der Maßnahmeart abzuweichen, weil das Gewicht mildernder Umstände umso größer sein muss, je schwerer - wie vorliegend - das Dienstvergehen wiegt (Urteil vom 15. März 2013 - BVerwG 2 WD 15.11 - juris Rn. 43; vgl. auch Urteil vom 23. Februar 2012 - BVerwG 2 C 38.10 - NVwZ-RR 2012, 479 = juris Rn. 15). Diesen Umständen war beim Umfang der Herabsetzung im Dienstgrad Rechnung zu tragen. Ob sie über ein Gewicht verfügten, das die disziplinarische Ahndung des Dienstvergehens mit der Herabsetzung um nur einen Dienstgrad rechtfertigte, kann angesichts des Verschlechterungsverbots dahingestellt bleiben. Jedenfalls ist die erstinstanzlich ausgesprochene Mindestdegradierung nicht unangemessen hart.

80 3. Da die Berufung des früheren Soldaten erfolglos war, waren ihm gemäß § 139 Abs. 2 WDO die Kosten des Berufungsverfahrens aufzuerlegen. Gemäß § 140 Abs. 5 Satz 2 WDO trägt er damit auch die ihm im Berufungsverfahren erwachsenen notwendigen Auslagen.