Beschluss vom 11.07.2003 -
BVerwG 7 B 60.03ECLI:DE:BVerwG:2003:110703B7B60.03.0

Beschluss

BVerwG 7 B 60.03

  • VG Dresden - 23.01.2003 - AZ: VG 6 K 1589/98

In der Verwaltungsstreitsache hat der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 11. Juli 2003
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht S a i l e r
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht K l e y und N e u m a n n
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Dresden vom 23. Januar 2003 wird zurückgewiesen.
  2. Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 500 000 € festgesetzt.

I


Die Klägerin beansprucht die Auskehr des Erlöses aus dem investiven Verkauf eines Mietwohngrundstücks, auf das sie und ihre Mutter im Jahr 1965 verzichtet hatten. Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen, weil die im Verzichtszeitpunkt bevorstehenden notwendigen Instandsetzungsaufwendungen den Einheitswert zuzüglich eines fiktiven Betrages für Rücklagen wegen unterlassener Reparaturmaßnahmen im Hinblick auf vor dem Verzicht erzielte Ertragsüberschüsse nicht überstiegen und deshalb die bevorstehende Überschuldung nicht auf den staatlichen Niedrigmieten beruhe. Das Verwaltungsgericht hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen.

II


Die Beschwerde der Klägerin hat keinen Erfolg. Die Voraussetzungen für die begehrte Zulassung der Revision liegen nicht vor.
1. Der Sache kommt die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung nicht zu (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Die Beschwerde beschränkt sich weitgehend auf Einwände gegen die inhaltliche Richtigkeit des angefochtenen Urteils, insbesondere die konkrete Sachverhalts- und Beweiswürdigung durch das Verwaltungsgericht. Damit kann die die Revision eröffnende grundsätzliche Bedeutung einer Sache nicht begründet werden.
Über den Einzelfall hinaus führt allenfalls die Frage, welche die Klägerin im Anschluss an die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 30. Mai 1996 - BVerwG 7 C 47.60 - (Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 78) stellt. Sie möchte geklärt wissen, ob bei der Feststellung einer Überschuldung des Mietwohngrundstücks auch dann zu Lasten des Alteigentümers eine fiktive Rücklage berücksichtigt werden kann, wenn zwar einerseits in der Vergangenheit erforderliche Instandsetzungsarbeiten trotz vorhandener finanzieller Deckung unterblieben waren, der Alteigentümer aber andererseits mangels anderweitigen ausreichenden Einkommens auf die Erträge aus dem Grundstück zur Bestreitung seines Lebensunterhalts angewiesen war. Die Klärung dieser Frage bedarf indes nicht der Durchführung eines Revisionsverfahrens. Sie ist mit der vom Verwaltungsgericht herangezogenen Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 30. Mai 1996 bereits eindeutig beantwortet. Danach sind die Gründe unerheblich, aus denen die Mieterträge nicht wieder in das Gebäude investiert worden sind. Es kommt nicht darauf an, ob die anderweitige Verwendung der Mieteinnahmen dem Alteigentümer subjektiv vorgeworfen werden kann. Maßgeblich ist allein, ob erforderliche Instandsetzungsarbeiten trotz vorhandener, finanzieller Deckung unterblieben sind. Denn ist aus diesem Grund ein Reparaturstau aufgelaufen, beruht die deshalb bevorstehende Überschuldung nicht auf den nicht kostendeckenden Mieten, sondern darauf, dass der Eigentümer aus der Substanz des Gebäudes gelebt hat. Dem lässt sich entgegen der Auffassung der Klägerin nicht entgegenhalten, der Alteigentümer sei nicht verpflichtet gewesen, sein Privatvermögen zur Abwendung der Überschuldung einzusetzen. Es geht um die Feststellung, ob das Mietwohngrundstück für sich betrachtet überschuldet war. Hierfür sind in einer auf das Grundstück bezogenen Bilanz die Einnahmen aus dem Grundstück, gegebenenfalls in Gestalt einer fiktiven Rücklage, diesem zuzuordnen.
Soweit die Klägerin in diesem Zusammenhang die tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts angreift, hat sie auch nicht sinngemäß einen Verfahrensfehler dargelegt, auf dem das angefochtene Urteil beruht (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Die Klägerin hält dem Verwaltungsgericht insbesondere vor, es habe den erwirtschafteten Überschuss fehlerhaft ermittelt, nämlich übersehen, dass in den Jahren vor 1964 aus den Mieterträgen auch der Mietzinssteuerabgeltungsbetrag von insgesamt 15 500 M durch vierteljährliche Zahlungen von 329,38 M getilgt worden sei. Der Sache nach möchte die Klägerin damit wohl einen Verstoß gegen den Überzeugungsgrundsatz des § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO geltend machen.
Gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Das Gebot der freien Beweiswürdigung verpflichtet unter anderem dazu, bei Bildung der Überzeugung von einem zutreffend und vollständig ermittelten Sachverhalt auszugehen (Urteil vom 18. Mai 1990 - BVerwG 7 C 3.90 - BVerwGE 85, 155 <158>). Somit darf das Tatsachengericht insbesondere nicht wesentliche Umstände übergehen, deren Entscheidungserheblichkeit sich ihm hätte aufdrängen müssen. In einem solchen Fall fehlt es an einer tragfähigen Grundlage für die innere Überzeugungsbildung des Gerichts und zugleich für die Überprüfung seiner Entscheidung darauf, ob die Grenze einer objektiv willkürfreien, die Natur- und Denkgesetze sowie allgemeine Erfahrungssätze beachtenden Würdigung überschritten ist (Urteil vom 5. Juli 1994 - BVerwG 9 C 158.94 - BVerwGE 96, 200).
Das Verwaltungsgericht ist von den Angaben der damaligen Eigentümer ausgegangen, dass der Mietzinssteuerabgeltungsbetrag im Zeitpunkt des Eigentumsverzichts, also im Jahre 1964, getilgt war. Er hatte nach dem vom Verwaltungsgericht zugrunde gelegten Einheitswertbescheid aus dem Jahre 1951 seinerzeit 15 500 M betragen. Seine Tilgung fällt damit in den Zeitraum, für den das Verwaltungsgericht eine fiktive Rücklage ansetzt. Dies brauchte das Verwaltungsgericht bei seiner Überschussberechnung aber zumindest insoweit nicht zu berücksichtigen, als es bereits von einem um den Betrag des Hauszinssteuerabgeltungsdarlehens ermäßigten Verkehrswert in Höhe des geringeren Einheitswertes von 40 200 M ausgegangen ist. Aber auch wenn man der Auffassung ist, das Verwaltungsgericht hätte gleichwohl die Leistungen zur Ablösung des Darlehens in vollem Umfang in die Überschussberechnung einbeziehen müssen, kann das Urteil nicht auf der mangelnden Berücksichtigung dieses Umstandes beruhen. Denn selbst wenn die fiktive Rücklage, die das Verwaltungsgericht errechnet hat (rund 2 000 M jährlich vervielfältigt mit dem Faktor 20), um den getilgten Mietzinssteuerabgeltungsbetrag vermindert wird, überschreitet sie deutlich die 18 500 M Aufwand für Instandsetzungen im Inneren des Hauses, zu deren Deckung das Verwaltungsgericht die fiktive Rücklage herangezogen hat.
2. Die Verfahrensrüge (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) führt ebenfalls nicht zum Erfolg. Die Beschwerde wirft dem Verwaltungsgericht vor, es habe die "Berücksichtigungsfähigkeit der Instandsetzungsaufwendungen hinsichtlich ihrer Notwendigkeit" nicht hinreichend aufgeklärt. Die Beschwerde verkennt dabei, dass das Verwaltungsgericht die unmittelbare Notwendigkeit der in dem Gutachten vom 15. Februar 1965 als "Innere Instandsetzungsarbeiten" in Höhe von 18 500 M bezeichneten Maßnahmen zwar bezweifelt hat (UA S. 8), weil sie in dem seinerzeitigen Gutachten selbst als "in nächster Zeit" nicht erforderlich beurteilt worden waren; das Verwaltungsgericht ist jedoch gleichwohl von dem Ansatz dieses Betrages ausgegangen (UA S. 9), indem es in einer tragenden Hilfebegründung alle nach diesem Gutachten "in nächster Zeit" erforderlichen "Werterhaltungsmaßnahmen" als notwendigen Instandsetzungsbedarf seiner Entscheidung zugrunde gelegt, aber wegen der Einstellung einer fiktiven Rücklage nicht für anspruchsbegründend gehalten hat. Auf der Grundlage dieser Unterstellung bedurfte es keiner weiteren Ermittlungen zur Notwendigkeit dieser Reparaturmaßnahmen.
3. Der abschließende Angriff der Beschwerde gegen die ihrer Ansicht nach verfehlte Beweiswürdigung durch das Verwaltungsgericht rechtfertigt die Zulassung der Revision ebenfalls nicht. Als Verfahrensrüge hätte dieses Vorbringen die Darlegung eines Verstoßes gegen gesetzliche Beweisregeln, allgemeine Erfahrungssätze oder die Denkgesetze im Rahmen einer Indizienbeweisführung erfordert. Daran fehlt es. Im Übrigen ist die Beweiswürdigung dem materiellen Recht zuzuordnen; Zulassungsgründe - insbesondere die grundsätzliche Bedeutung einer über den Einzelfall und seine richtige Entscheidung hinausführenden Bundesrechtsfrage - hat die Beschwerde in diesem Zusammenhang nicht bezeichnet.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung richtet sich nach § 14 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 13 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 GKG.