Beschluss vom 11.02.2004 -
BVerwG 4 BN 1.04ECLI:DE:BVerwG:2004:110204B4BN1.04.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 11.02.2004 - 4 BN 1.04 - [ECLI:DE:BVerwG:2004:110204B4BN1.04.0]

Beschluss

BVerwG 4 BN 1.04

  • OVG Koblenz - 28.10.2003 - AZ: OVG 8 C 10932/03

In der Normenkontrollsache hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 11. Februar 2004
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. P a e t o w
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. R o j a h n und G a t z
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Antragstellers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz vom 28. Oktober 2003 wird zurückgewiesen.
  2. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 5 000 € festgesetzt.

Die auf die Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO gestützte Beschwerde bleibt erfolglos. Aus dem Beschwerdevorbringen ergibt sich kein Grund für die Zulassung der Revision.
Das Oberverwaltungsgericht hat seine Entscheidung selbständig tragend doppelt begründet. Es hat den Normenkontrollantrag des Antragstellers als unzulässig abgelehnt, weil es der Auffassung ist, dem Antragsteller fehlten sowohl das Rechtsschutzbedürfnis als auch die Antragsbefugnis. Ist eine Entscheidung wie hier auf mehrere, jeweils für sich selbständig tragfähige Gründe gestützt worden, kann eine Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision nur Erfolg haben, wenn ein Zulassungsgrund für jeden der entscheidungstragenden Gründe gegeben ist. Liegt nämlich nur im Hinblick auf die eine der Begründungen ein Zulassungsgrund vor, so muss die Zulassung der Revision daran scheitern, dass wegen der anderen Begründung die Begründung, die einen Zulassungsgrund darstellt, hinweggedacht werden kann, ohne dass sich am Ausgang des Zulassungsverfahrens etwas änderte. In diesem Fall beruht die angefochtene Entscheidung nicht auf dem hinwegdenkbaren Begründungsteil (vgl. BVerwG, Beschluss vom 3. Juli 1973 - BVerwG 4 B 92.73 - Buchholz 310 § 132 VwGO Nr. 109, stRspr).
Die Beschwerde greift die erste Begründung der Vorinstanz für die Unzulässigkeit des Normenkontrollantrags, das Fehlen eines Rechtsschutzbedürfnisses des Antragstellers, mit Verfahrens- und Grundsatzrügen an, die erfolglos bleiben müssen (1.). Die zur Frage der Antragsbefugnis erhobene Grundsatzrüge könnte der Beschwerde daher selbst dann nicht zum Erfolg verhelfen, wenn sie zulässig und begründet wäre (2.).
1.1 Die Rüge, das Oberverwaltungsgericht habe den zeitlichen Ablauf der Bebauungsplanung, die zur Herausnahme der Grundstücke des Antragstellers aus dem Plangebiet geführt hätten, unzutreffend ermittelt und deshalb seine Aufklärungspflicht verletzt (§ 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO), trifft offensichtlich nicht zu. Der zeitliche Ablauf ist auf S. 3 der Urteilsabschrift so dargestellt, wie er sich aus der Begründung des angegriffenen Bebauungsplans (Planbegründung S. 6 bis 7) ergibt. Die Rüge, das Normenkontrollgericht habe die zeitliche Abfolge der Bebauungsplanung nicht richtig erfasst, weil die von der Wasserbehörde erstmals am 12. Januar 2001 geäußerten Bedenken für die bereits am 13. April 2000 beschlossene Herausnahme der Grundstücke Nrn. 1146/2 und 1148/12 aus dem Geltungsbereich des Bebauungsplans schlechterdings nicht ursächlich gewesen sein könnten, geht offensichtlich fehl. Die Beschwerde nimmt nicht zur Kenntnis, dass der Grund für die Entscheidung des Rates der Antragsgegnerin nach den Darstellungen im angefochtenen Beschluss der Hinweis des von der Antragsgegnerin beauftragten Planungsbüros im Schreiben vom 16. Februar 2000 war, dass die Grundstücke als mögliche landespflegerische Ersatzflächen in Betracht kämen.
Der Umstand, dass das Oberverwaltungsgericht den Satzungsbeschluss und die Bekanntmachung des Bebauungsplans unrichtig auf den 25. April 2003 und den 13. Juni 2003 datiert (richtig: 25. April 2002 und 13. Juni 2002) stellt einen offensichtlichen Schreibfehler dar, der auch nicht im Ansatz geeignet ist, die von der Beschwerde erhobene Aufklärungsrüge zu begründen. Die Rüge der Beschwerde, das Oberverwaltungsgericht habe nicht erkannt, dass die aus dem Bebauungsplan wieder herausgenommenen Grundstücke des Antragstellers im Flächennutzungsplan ohne Einschränkung als Wohnbaufläche gekennzeichnet seien, kann der Beschwerde nicht zum Erfolg verhelfen, weil nach den Gründen der angefochtenen Entscheidung rechtlich unerheblich ist, ob Grundstücke des Antragstellers im Flächennutzungsplan vollständig oder nur teilweise als Wohnbauflächen dargestellt sind. Nach der Rechtsauffassung der Vorinstanz verlangt das Entwicklungsgebot des § 8 Abs. 2 Satz 1 BauGB nicht, dass alle Parzellen, die der Flächennutzungsplan als Wohnbaufläche darstellt, in den Geltungsbereich eines Bebauungsplans einbezogen und als Bauland ausgewiesen werden (vgl. Urteilsabschrift S. 8). Auf der Grundlage dieser Rechtsauffassung kann die vorinstanzliche Entscheidung nicht auf dem von der Beschwerde gerügten Fehler bei der Sachverhaltsermittlung beruhen (vgl. § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).
1.2 Das Beschwerdevorbringen, das Oberverwaltungsgericht habe sich in den Gründen seiner Entscheidung nicht mit dem schriftsätzlichen Vorbringen des Antragstellers zu § 76 LWG auseinander gesetzt, ergibt keine Verletzung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs. Ein Gericht ist nicht verpflichtet, jedes rechtliche Vorbringen der Beteiligten in den Gründen seiner Entscheidung ausdrücklich zu bescheiden. Vorliegend scheidet eine Gehörsverletzung schon deshalb aus, weil das Oberverwaltungsgericht zu erkennen gibt (Urteilsabschrift S. 7), dass es die Genehmigungsmöglichkeiten nach § 76 Abs. 1, 2 LWG nicht für entscheidungserheblich hält. Das Oberverwaltungsgericht hat das Vorbringen des Antragstellers zu dieser Norm also nicht übersehen.
1.3 Die zum Entwicklungsgebot des § 8 Abs. 2 Satz 1 BauGB aufgeworfene Frage, "ob die Herausnahme nicht nur von Teilen, sondern von kompletten Grundstücken aus einer Wohnbedarfsfläche die Grundkonzeption des Flächennutzungsplanes berührt", verleiht der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist geklärt, dass der Flächennutzungsplan aufgrund seiner geringeren Detailschärfe Gestaltungsspielräume offen lässt, die auf der Ebene der gemeindlichen Bebauungsplanung ausgefüllt werden dürfen. Unter der Voraussetzung, dass die Grundzüge des Flächennutzungsplans unangetastet bleiben, gestattet das Entwicklungsgebot auch Abweichungen. Festsetzungen, die mit den Darstellungen des Flächennutzungsplans nicht vollständig übereinstimmen, indizieren nicht ohne weiteres einen Verstoß gegen das Entwicklungsgebot. Ob den Anforderungen des § 8 Abs. 2 Satz 1 BauGB genügt ist, hängt davon ab, ob die Konzeption, die ihm zugrunde liegt, in sich schlüssig bleibt (vgl. BVerwG, Urteil vom 28. Februar 1975 - BVerwG 4 C 74.72 - BVerwGE 48, 70 <75>; Beschluss vom 12. Februar 2003 - BVerwG 4 BN 9.03 - Buchholz 406.11 § 8 BauGB Nr. 13 m.w.N.). Mehr ist verallgemeinernd nicht zu sagen. Welche Abweichung vom Flächennutzungsplan den Grad eines unzulässigen Widerspruchs erreicht, kann nicht generell, sondern nur angesichts der konkreten Umstände des Einzelfalls entschieden werden.
1.4 Die Beschwerde möchte ferner grundsätzlich geklärt wissen, "ob das Vorliegen eines Rechtsschutzbedürfnisses erst bei einer Wahrscheinlichkeit oder begründeten Aussicht einer für den Antragsteller günstigen Neuplanung gegeben ist oder bereits, wenn lediglich die Möglichkeit besteht, dass der Antragsteller bei einem Obsiegen seinem Ziel einer baulichen Nutzung näher kommt". Auch diese Frage besitzt nicht die grundsätzliche Bedeutung, die ihr die Beschwerde beimisst. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist geklärt, dass bei Normenkontrollanträgen, die einen Bebauungsplan betreffen, ein Rechtsschutzbedürfnis besteht, wenn sich nicht ausschließen lässt, dass die gerichtliche Entscheidung für den Antragsteller von Nutzen sein kann. Das Rechtsschutzbedürfnis fehlt also nur, wenn die Ungültigerklärung der Vorschrift für den Kläger offensichtlich keinerlei rechtliche oder tatsächliche Vorteile bringen kann und die Inanspruchnahme des Gerichts deshalb als nutzlos erscheint. Ein Antragsteller, der mit seinem Normenkontrollantrag eine Neuplanung der Gemeinde anstrebt, muss also im Fall eines Erfolges seines Antrages infolge eines sich abzeichnenden oder zu erwartenden Wandels der gemeindlichen Zielvorstellungen die reale Chance haben, dass seine baulichen Vorstellungen von der Gemeinde aufgegriffen und verwirklicht werden (vgl. BVerwG, Beschluss vom 7. März 2002 - BVerwG 4 BN 60.01 - Buchholz 406.13 § 5 ROG Nr. 3 = NVwZ 2002, 869 m.w.N.). Die Ausführungen der Beschwerde zeigen keinen über diesen Stand der Rechtsprechung hinausgehenden revisionsgerichtlichen Klärungsbedarf auf. Ob die vorgenannten Anforderungen an das Rechtsschutzbedürfnis, die auch das Oberverwaltungsgericht seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat, erfüllt sind, beurteilt sich nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalls.
2. Zu der von der Beschwerde aufgeworfenen Frage, "unter welchen Voraussetzungen die Planungsobliegenheit der Gemeinde gegenüber der Allgemeinheit sich zu einem subjektiv-öffentlichen Recht auf Aufstellung eines Bebauungsplans verdichtet", ist Folgendes anzumerken:
§ 2 Abs. 3 BauGB schließt einen Anspruch auf die Aufstellung eines Bebauungsplans aus. § 2 Abs. 4 BauGB erstreckt diesen Ausschluss auch auf die Änderung, Ergänzung und Aufhebung eines Bebauungsplans. Diese Regelung duldet nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts keine Ausnahme (vgl. Urteil vom 11. März 1977 - BVerwG 4 C 45.75 - Buchholz 406.11 § 2 BBauG Nr. 16; Beschluss vom 9. Oktober 1996 - BVerwG 4 B 180.96 - Buchholz 406.11 § 2 BauGB Nr. 39). Ob dies ohne Einschränkungen für den vom Oberverwaltungsgericht problematisierten Fall gilt, in dem objektive Anhaltspunkte für Willkür der planenden Gemeinde vorliegen, kann hier dahinstehen. Die Beschwerde greift selbst nicht auf Willkürerwägungen zurück. § 2 Abs. 3 und 4 BauGB zieht die Konsequenzen daraus, dass die Gemeinde bei der Bauleitplanung eine öffentliche Aufgabe wahrnimmt, die ihr im Interesse der Allgemeinheit obliegt. Die Gemeinde hat sich bei der Bauleitplanung nicht vom individuellen Interesse Einzelner, sondern vom Interesse an der städtebaulichen Entwicklung und Ordnung leiten zu lassen (vgl. § 1 Abs. 3 BauGB). Sie darf die Bauleitplanung nicht zum Mittel für die Durchsetzung privater Belange machen, ohne auf der Grundlage des § 1 Abs. 6 BauGB die betroffenen öffentlichen und privaten Belange abzuwägen. Dem trägt § 2 Abs. 3 und 4 BauGB Rechnung, indem er bestimmt, dass niemand einen Anspruch auf eine Planung hat, durch die ein bestimmtes Vorhaben ermöglicht oder begünstigt wird. Die Gemeinde soll bei der Aufstellung, Änderung, Ergänzung und Aufhebung eines Planes von äußeren Zwängen freigehalten werden.
Die Gründe, die den Gesetzgeber veranlasst haben, ein subjektives Recht auf eine bestimmte gemeindliche Bauleitplanung zu verneinen, stehen auch dem von der Beschwerde erörterten "subjektiv-öffentlichen Anspruch auf fehlerfreie Bauleitplanung" entgegen, der auf die Einbeziehung eines Grundstücks in den Geltungsbereich eines Bebauungsplans und auf die Ausweisung des Grundstücks als Bauland zielt. Die von der Beschwerde unter Hinweis auf Schrödter (BauGB, 6. Aufl. 1998, Rn. 50 a zu § 2 BauGB) angesprochene Frage, ob § 2 Abs. 3 BauGB im Einzelfall einen Anspruch auf Einbeziehung eines lärmgefährdeten oder "schwer und unerträglich" betroffenen Nachbargrundstücks in ein geplantes Gewerbegebiet begründen könnte, wäre in einem Revisionsverfahren nicht klärungsfähig, da sie einen Sachverhalt voraussetzt, der hier nicht vorliegt. Die Revision könnte auch nicht zur Klärung der Frage zugelassen werden, ob die Antragsbefugnis auf der Grundlage des § 1 Abs. 6 BauGB zu bejahen ist, weil die Antragsgegnerin möglicherweise andere situationsbedingte besondere Interessen des Antragstellers bei der Begrenzung des Geltungsbereichs des angegriffenen Bebauungsplans nicht berücksichtigt hat. Denn abgesehen davon, dass die Beschwerde insoweit keine Rüge nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO erhoben hat, ergibt sich aus den Ausführungen des Normenkontrollgerichts, dass über das allgemeine Interesse an Bauland hinaus keine besonderen Interessen des Antragstellers an der Überplanung seiner Grundstücke, die eine Antragsbefugnis begründen könnten, erkennbar sind.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Festsetzung des Streitwerts auf § 14 Abs. 1 und 3, § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.