Beschluss vom 10.10.2006 -
BVerwG 7 B 66.06ECLI:DE:BVerwG:2006:101006B7B66.06.0

Beschluss

BVerwG 7 B 66.06

  • VG Leipzig - 26.04.2006 - AZ: VG 1 K 1863/01

In der Verwaltungsstreitsache hat der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 10. Oktober 2006
durch die Richter am Bundesverwaltungsgericht Herbert, Neumann
und Guttenberger
beschlossen:

  1. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Leipzig vom 26. April 2006 wird aufgehoben.
  2. Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen.
  3. Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
  4. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 109 927,75 € festgesetzt.

Gründe

1 Die Klägerin begehrt die Aufhebung des Bescheides der Beklagten vom 28. Januar 1999, wonach die Beigeladene Berechtigte an dem Grundstück K.-Straße 57 in L. ist und ihr wegen dessen investiver Veräußerung ein Anspruch auf Erlösauskehr zusteht.

2 Die Rechtsvorgängerin der Beigeladenen verzichtete im Juli 1974 auf das Eigentum an diesem mit einem viergeschossigen (Miet-)Wohnhaus bebauten Grundstück. Ende der 1980er Jahre erfolgte eine Neueindeckung des Hauses bei gleichzeitiger Erneuerung von fünf Schornsteinköpfen, zuvor waren bereits einige neue Verbundfenster eingebaut worden.

3 Der Ausgangsbescheid und der Widerspruchsbescheid des Sächsischen Landesamtes zur Regelung offener Vermögensfragen gehen davon aus, dass der Eigentumsverzicht auf einer im Jahr 1974 unmittelbar bevorstehenden Überschuldung aufgrund nicht kostendeckender Mieten beruht habe; einem Beleihungswert des Grundstücks vom 24 779 Mark bzw. 19 500 Mark (Einheitswert) habe ein notwendiger Instandsetzungsbedarf von 28 955 Mark bzw. 27 910 Mark gegenübergestanden.

4 Das Verwaltungsgericht hob diese Bescheide nach Einvernahme des für die Beigeladene als Gutachter tätig gewordenen Diplomingenieurs H. als sachverständigen Zeugen (unter Ablehnung weiterer Beweisanträge) auf. Einem Grundstückswert von 12 690 Mark habe im Jahre 1974 lediglich ein Investitionsbedarf von 6 800 Mark gegenübergestanden. Eine unmittelbar bevorstehende Überschuldung sei damit nicht nachgewiesen. Die Notwendigkeit weiterer Instandsetzungsarbeiten stehe nicht fest; diese Nichtaufklärbarkeit gehe zu Lasten der Beigeladenen. Das Verwaltungsgericht hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen. Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Beigeladenen.

5 Die Beschwerde der Beigeladenen ist begründet. Es liegt ein geltend gemachter Verfahrensmangel vor, auf dem die Entscheidung beruhen kann (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Das Verwaltungsgericht hat den Anspruch der Beigeladenen auf rechtliches Gehör verletzt.

6 1. Nach der in den Entscheidungsgründen vertretenen Auffassung des Verwaltungsgerichts war ungeklärt, ob und inwieweit bereits im Zeitpunkt des Eigentumsverzichts bestimmte Instandsetzungsmaßnahmen unabweisbar notwendig waren (Neueindeckung des Daches; Erneuerung der Holzkonstruktionsbauteile des Dachstuhls, der Dachentwässerung, von fünf Schornsteinköpfen, der Elektroinstallation, des Außenputzes der gesamten Hoffassade, des straßenseitigen Fenstergesimses; Reinigung und Reparatur der straßenseitigen Klinkerfassade, Einbau von acht Berliner Öfen). Das Verwaltungsgericht ist dem Gutachten und den Angaben des sachverständigen Zeugen H. und dessen mündlichen Erläuterungen hierzu nur hinsichtlich eines wesentlich geringeren Instandsetzungsbedarfs gefolgt (Trockenlegung des Gebäudes, Erneuerung von 22 Fenstern, Teilverputz von Fassade und Treppenhaus).

7 Demgegenüber hatte das Verwaltungsgericht einen für die Beigeladene gestellten Beweisantrag auf Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens, der auf die Notwendigkeit sämtlicher von dem sachverständigen Zeugen Haas ermittelter Instandsetzungsmaßnahmen gerichtet war, in der mündlichen Verhandlung mit der Begründung abgelehnt, die unter Beweis gestellte Tatsache sei bereits durch das Gutachten des sachverständigen Zeugen und dessen mündliche Erläuterungen hierzu geklärt. Da das Verwaltungsgericht die Beigeladene in der mündlichen Verhandlung ersichtlich nicht darauf hingewiesen hat, dass es den vom sachverständigen Zeugen ermittelten Instandsetzungsbedarf nicht in vollem Umfang seinem Urteil zugrunde legen werde, wurde der Anspruch der Beigeladenen auf rechtliches Gehör verletzt.

8 Mit seiner Begründung für die Ablehnung des Beweisantrags hat das Verwaltungsgericht bei der Beigeladenen den unzutreffenden Eindruck erweckt, es werde seinem Urteil den vom sachverständigen Zeugen als unabweisbar festgestellten Instandsetzungsbedarf in vollem Umfang zugrunde legen. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass es die Beigeladene hierdurch davon abgehalten hat, einen weiteren Beweisantrag zur Klärung unabweisbar notwendiger Instandsetzungsmaßnahmen zu stellen.

9 Offen bleiben kann angesichts dieses Verfahrensfehlers, ob die Begründung der Ablehnung des genannten Beweisantrags, die ihrerseits wiederum die Klägerin zur Stellung umfangreicher Beweisanträge veranlasste, im Weiteren auch einen Verstoß gegen das Verbot einer Überraschungsentscheidung (§ 86 Abs. 3, § 104 Abs. 1 VwGO) zur Folge hat. Dasselbe gilt für die Rügen der Beschwerde, das Verwaltungsgericht habe seine Pflicht zur Sachaufklärung verletzt und den in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisantrag ohne hinreichenden Nachweis eigener Sachkunde abgelehnt.

10 2. Der Senat nimmt den dem Verwaltungsgericht unterlaufenen Verfahrensfehler zum Anlass, das angegriffene Urteil aufzuheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen (§ 133 Abs. 6 VwGO). An dieser Verfahrensweise ist der Senat nicht deswegen gehindert, weil die Beschwerde neben der begründeten Verfahrensrüge, aber in Zusammenhang mit ihr, auch die Zulassungsgründe der Divergenz und der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 und 2 VwGO) geltend macht. Da die Verfahrensfehler aller Voraussicht nach auch im Falle der Revisionszulassung zur Zurückverweisung der Streitsache an das Verwaltungsgericht zwingen würden, bleiben die Zwecke der Divergenz- und der Grundsatzrevision davon unberührt, dass der beschließende Senat im Interesse der Prozessökonomie von der Ermächtigung des § 133 Abs. 6 VwGO Gebrauch macht (Beschluss vom 26. Juni 2000 - BVerwG 7 B 26.00 - Buchholz 428 § 1 Abs. 3 VermG Nr. 15 m.w.N).

11 3. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 1 und 3 GKG.