Urteil vom 10.09.2009 -
BVerwG 2 WD 28.08ECLI:DE:BVerwG:2009:100909U2WD28.08.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Urteil vom 10.09.2009 - 2 WD 28.08 - [ECLI:DE:BVerwG:2009:100909U2WD28.08.0]

Urteil

BVerwG 2 WD 28.08

  • Truppendienstgericht Süd 3. Kammer - 06.08.2008 - AZ: TDG S 3 VL 05/08

In dem gerichtlichen Disziplinarverfahren hat der 2. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts in der nichtöffentlichen Hauptverhandlung am 10. September 2009, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Deiseroth als Vorsitzender,
Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Müller,
Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Langer,
ehrenamtlicher Richter Major Köhler und
ehrenamtlicher Richter Stabsunteroffizier Willhauk
sowie
Leitender Regierungsdirektor ...
als Vertreter des Bundeswehrdisziplinaranwalts,
Rechtsanwalt ... als Verteidiger,
Geschäftsstellenverwalterin ...
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:

  1. Auf die Berufung der Wehrdisziplinaranwaltschaft wird das Urteil der 3. Kammer des Truppendienstgerichts Süd vom 6. August 2008 im Ausspruch über die Disziplinarmaßnahme geändert.
  2. Der frühere Soldat wird in den Dienstgrad eines Unteroffiziers der Reserve herabgesetzt.
  3. Die Kosten des Berufungsverfahrens werden dem früheren Soldaten auferlegt.

Gründe

I

1 Der jetzt ... Jahre alte frühere Soldat, der nach der mittleren Reife vorübergehend ein Wirtschaftsgymnasium besucht hatte, trat aufgrund seiner Bewerbung als Freiwilliger am 2. November 2000 in den Dienst der Bundeswehr. Am 4. November 2000 wurde er in das Dienstverhältnis eines Soldaten auf Zeit berufen. Seine wiederholt verlängerte - und wieder verkürzte - Dienstzeit betrug letztlich insgesamt acht Jahre und endete am 31. Oktober 2008. Der ledige frühere Soldat befindet sich derzeit in einer dualen Ausbildung zum Kaufmann für Versicherungen und Finanzen bei einer Versicherungsgesellschaft; sein Studium findet an der Fachhochschule K., Fachbereich Versicherungswesen, statt.

2 Der frühere Soldat wurde regelmäßig befördert, zuletzt am 27. Mai 2003 zum Stabsunteroffizier.

3 Der zum Stabsdienstunteroffizier ausgebildete frühere Soldat war seit dem 1. Juni 2005 bei der ...instandsetzungsstaffel ... in M. als Personalunteroffizier im Geschäftszimmer für die ordnungsgemäße Bearbeitung der Personalakten eingesetzt. Die Staffel wurde gemäß Organisationsbefehl des Heeresamtes vom 5. Juli 2007 zum 30. Juni 2008 aufgelöst. Im Hinblick darauf war der frühere Soldat mit Wirkung vom 1. April 2008 zum Zentrum ... in Ma. versetzt worden. Aber bereits ab dem 13. Juni 2007 befand er sich im Berufsförderungsdienst und legte an der Bundeswehr-Fachschule in Ko. das Fachabitur (Wirtschaft) ab.

4 Gemäß dem Auszug aus dem Disziplinarbuch vom 28. Oktober 2008 war der frühere Soldat bisher disziplinarisch nicht in Erscheinung getreten. Dem Auszug aus dem Zentralregister vom 13. August 2009 zufolge ist er wegen Diebstahls durch rechtskräftiges Urteil des Amtsgerichts Ma. vom 24. Oktober 2007 zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 30 € verurteilt worden; der der Verurteilung zugrunde liegende Sachverhalt ist Gegenstand des vorliegenden Disziplinarverfahrens.

II

5 1. In dem durch Verfügung des Kommandeurs Division ... ordnungsgemäß eingeleiteten und durch Anschuldigungsschrift der zuständigen Wehrdisziplinaranwaltschaft vom 25. März 2008 auf drei Anschuldigungspunkte konkretisierten gerichtlichen Disziplinarverfahren hat die 3. Kammer des Truppendienstgerichts Süd durch Urteil vom 6. August 2008 den damals noch aktiven Soldaten zu einem Beförderungsverbot auf die Dauer von vier Jahren verurteilt. Die Truppendienstkammer, die zwei Anschuldigungspunkte mit Zustimmung des Vertreters der Wehrdisziplinaranwaltschaft gemäß § 107 Abs. 2 WDO aus dem Verfahren ausgeklammert hatte, ist aufgrund der sachgleichen, gemäß § 84 Abs. 1 Satz 1 WDO bindenden tatsächlichen Feststellungen des Strafgerichts von folgendem Sachverhalt ausgegangen:
„Der Angeklagte war als Zeitsoldat bei der ...instandsetzungsstaffel ... in M. stationiert und dort in der Schreibstube. In dieser Funktion hatte er stellvertretend die Verwaltung der sogenannten Staffelkasse inne. Zu einem nicht exakt festzustellenden Zeitpunkt zwischen dem 22.02. und dem 16.03.2007 entwendete der Angeklagte die Staffelkasse aus dem Spind des Zeugen R., um das Geld für sich zu behalten. Die Staffelkasse hatte zum Entwendungszeitpunkt einen Bargeldbestand von 732,80 Euro. Die leere Geldkassette mit Belegen wurde am 22.05.2007 bei einem unangekündigten Stubendurchgang in der offenen Sporttasche des Angeklagten aufgefunden.“

6 Des Weiteren hat das AG Ma. in seinem Urteil ausgeführt:
„Diese Feststellungen beruhen auf der Einlassung des Angeklagten, soweit dieser gefolgt werden konnte sowie der Vernehmung der Zeugen A., R., B., P. und An. sowie den zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemachten und verlesenen Urkunden.
Der Angeklagte hat sich dahingehend eingelassen, dass er die Staffelkasse nicht entwendet habe. Dies müsse eine andere Person getan haben. Der Zeuge A. habe die Möglichkeit und ein Motiv gehabt, ihm die Staffelkasse unterzuschieben. Der Zeuge habe ein Verhältnis mit einer Bekannten des Angeklagten, obwohl der Angeklagte seiner Bekannten von einer Beziehung mit dem Zeugen A. abgeraten habe.
Der Zeuge A. hat bekundet, dass die Staffelkasse sich zum Entwendungszeitpunkt in einem unverschlossenen Spind befunden habe, als sie entwendet worden sei. Sie sei von Hauptfeldwebel R. verwaltet worden. Sieben Personen hätten Zugang zu der Staffelkasse gehabt. Er habe den Angeklagten zunächst nicht verdächtigt, sondern eine andere der sieben Personen in Verdacht gehabt. Bei einem Stubendurchgang anlässlich eines anderen Diebstahls habe der Oberfeldwebel R. jedoch die Stube des Angeklagten oberflächlich abgesucht und dabei zufällig die Geldkassette gefunden. Sie habe sich in einer Sporttasche des Angeklagten befunden. Man habe die Kassette mit dem Schlüssel der Staffelkasse überprüft und festgestellt, dass dieser Schlüssel gepasst habe. Es hätten sich außerdem noch Belege des Zeugen R. in der Staffelkasse befunden. Der Angeklagte sei ein leistungsstarker Unteroffizier gewesen und man habe auch privat ein gutes Verhältnis gehabt. Es sei theoretisch denkbar, dass jemand dem Angeklagten die Kassette auf die Stube gelegt habe. Allerdings habe er selbst diese Möglichkeit verworfen, da der Stubendurchgang zweieinhalb Monate nach der Tat stattgefunden habe und nicht angekündigt gewesen sei. Der Angeklagte sei nach Konfrontation mit den Vorwürfen blass geworden und ohnmächtig umgefallen. Er habe zu diesem Zeitpunkt nicht gesagt, dass ihm die Kassette untergeschoben worden sei.
Der Zeuge R. hat bekundet, dass er der Verwalter der Staffelkasse gewesen sei. Als man den Diebstahl festgestellt habe, habe man zunächst die Besprechung der weiteren Vorgehensweise wegen eines Lehrgangs, den er besucht habe, verschoben. Er habe allerdings mit dem Angeklagten darüber gesprochen, der in Abwesenheit des Zeugen die Verwaltung der Staffelkasse inne gehabt habe. Dieser habe ihm eine Anzeige bei der Polizei empfohlen. Eine Woche später habe man in einer Besprechung jedoch auf eine Anzeige verzichtet, weil diese als erfolglos eingeschätzt worden sei. Sieben Personen hätten Zugriffsmöglichkeiten auf die Staffelkasse gehabt. Dazu gehörten neben dem Angeklagten der Staffelkommandant U., der Zeuge A., er selbst sowie sein Stellvertreter und die beiden Schreibkräfte. Man habe einen Stubendurchgang aufgrund eines anderen Diebstahls vorgenommen. Er habe deshalb auch in die Stube des Angeklagten geschaut und habe dort in einer Tasche im Eingangsbereich eine Geldkassette gesehen. Diese sei in Form und Farbe der Staffelkasse ähnlich gewesen. Er habe daraufhin die Schlüssel der Staffelkasse an der Geldkassette geprüft und festgestellt, dass diese passten. Außerdem hätten sich die Einkaufsbelege und das Bestandsblatt noch in der Geldkassette befunden. Er sei ob des Fundes sehr überrascht und betroffen gewesen. Hauptmann A. sei ebenfalls betroffen gewesen. Das dienstliche Verhältnis des Zeugen A. zu dem Angeklagten sei normal gewesen. Ein privates Verhältnis habe nach seinem Dafürhalten nicht vorgelegen.
Die Zeugen B., P. und An. haben übereinstimmend bekundet, dass sie keinen Zugang zur Staffelkasse hatten. Sie hätten zwar einen Schlüssel zur Stube des Angeklagten besessen, diese jedoch nicht alleine betreten. Alle drei Zeugen geben an, ein gutes Verhältnis zu dem Angeklagten gehabt zu haben. Die Zeugen An. und P. gaben darüber hinaus an, dass sie gewusst hätten, dass der Angeklagte erhebliche finanzielle Probleme gehabt habe.
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme hat sich der Angeklagte wegen Diebstahls gemäß § 242 Abs. 1 StGB strafbar gemacht. Nach Überzeugung des Gerichts hat der Angeklagte seine Zugriffsmöglichkeit auf die Staffelkasse genutzt, um den Bargeldbestand für sich zu verwenden, da er erhebliche finanzielle Probleme hat.“

7 Die Truppendienstkammer hat dieses festgestellte Verhalten des früheren Soldaten als vorsätzliche Verstöße gegen seine Kameradschaftspflicht (§ 12 SG) und seine Pflicht, sich achtungs- und vertrauenswürdig zu verhalten (§ 17 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 SG), gewertet; sie stellten ein Dienstvergehen im Sinne des § 23 Abs. 1 SG dar. Zur Bemessung der Disziplinarmaßnahme hat das Truppendienstgericht u.a. ausgeführt, dass beim Diebstahl von Kameradengeldern zwar grundsätzlich eine Dienstgradherabsetzung den Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen bilde. Zugunsten des früheren Soldaten müsse sich jedoch u.a. auswirken, dass sich bei ordnungsgemäßer Kontrolle bzw. Dienstaufsicht durch den Staffelkapitän gemäß dem „Gemeinschaftskassen-Erlass“ in der Kasse nur maximal 200 DM Bargeld hätten befinden dürfen. Der vom Soldaten verursachte Schaden hätte dann nur etwa 100 € betragen. Bei Gesamtwürdigung aller be- und entlastender Umstände sei daher ein vierjähriges Beförderungsverbot die angemessene Disziplinarmaßnahme.

8 2. Gegen das ihr am 11. September 2008 zugestellte Urteil hat die Wehrdisziplinaranwaltschaft für den Bereich Division ... am 2. Oktober 2008 Berufung eingelegt mit dem Antrag, den früheren Soldaten in den Dienstgrad eines Unteroffiziers herabzusetzen. Zur Begründung des ausdrücklich auf die Disziplinarmaßnahme beschränkten Rechtsmittels wird im Wesentlichen geltend gemacht:
Die Entnahme von 732,80 € aus der von ihm zumindest stellvertretend verwalteten Gemeinschaftskasse, die der Kameradenbetreuung gedient habe, stelle nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ein schweres Dienstvergehen dar. Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen sei in einem solchen Fall grundsätzlich die Dienstgradherabsetzung bis in einen Mannschaftsdienstgrad.

9 Entgegen der Auffassung der Vorinstanz lägen keine Tatmilderungsgründe vor, die ein Abweichen von der „Regelmaßnahme“ rechtfertigten. Die finanzielle Krise des früheren Soldaten sei damals nicht von so außergewöhnlichen Besonderheiten gekennzeichnet gewesen, dass von ihm ein an normalen Maßstäben orientiertes Verhalten nicht mehr hätte erwartet und daher nicht mehr hätte vorausgesetzt werden können. Auch die angeblich fehlende Dienstaufsicht über die „Gemeinschaftskasse“ und der Verstoß gegen die Anordnung, Kassenbestände über 200 DM bzw. 100 € auf ein Giro- oder Sparkonto einzuzahlen, seien nicht bemessungserheblich. Der frühere Soldat habe sich 732,80 € und nicht nur 100 € zugeeignet. Die Art und Weise der Tatbegehung, nämlich die Wegnahme der gesamten Geldkassette, zeige deutlich, dass es ihm nicht auf einen konkreten Teilbetrag angekommen sei. Eine fehlende Dienstaufsicht habe dem früheren Soldaten auch nicht die Tatbegehung erleichtert. Dieser habe die Geldkassette aus dem Spind des Zeugen R. entnommen. Der Diebstahl hätte spätestens auffallen müssen, wenn Geld aus der Gemeinschaftskasse benötigt worden wäre. Eine ordnungsgemäße Aufsicht und Kontrolle hätte bei einer solchen Vorgehensweise den Diebstahl nicht verhindern können. Es sei deshalb nicht erkennbar, wie eine fehlende Kontrolle, die im Falle der Wegnahme der gesamten Kassette ohnehin versagt hätte, die Hemmschwelle zur Tatbegehung herabgesetzt hätte. Ungeachtet dessen habe der frühere Soldat als zumindest stellvertretender Kassenwart die Pflicht und Gelegenheit gehabt, auf eine vorschriftsmäßige Kassenführung hinzuwirken. Es sei deshalb unangebracht, ihn wegen dieses eigenen Versäumnisses nachträglich disziplinarisch zu begünstigen. Im Übrigen hätte der frühere Soldat auch bei einem „Kameradendiebstahl“ in Höhe von etwa 100 € nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts eine Degradierung verwirkt.

10 Bei einer Gesamtwürdigung aller be- und entlastenden Umstände sprächen allein die Persönlichkeit und bisher gezeigten dienstlichen Leistungen zugunsten des früheren Soldaten. Sie rechtfertigten aber kein Abweichen von der „Regelmaßnahme“, zumal der frühere Soldat auch als stellvertretender Kassenwart versagt habe; er sei für die Gelder seiner Kameraden mitverantwortlich gewesen. Schließlich sei eine Dienstgradherabsetzung auch aus Gründen der Gleichbehandlung und aus generalpräventiven Erwägungen auszusprechen.

III

11 Die gemäß § 115 Abs. 1 Satz 1, § 116 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 WDO form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Wehrdisziplinaranwaltschaft zuungunsten des früheren Soldaten hat Erfolg und führt bei diesem zur Herabsetzung in den Dienstgrad eines Unteroffiziers der Reserve.

12 1. Das Rechtsmittel ist ausdrücklich auf die Disziplinarmaßnahme beschränkt worden. Dies steht im Einklang mit der Berufungsbegründung, mit der nur Umstände geltend gemacht werden, die für die Bemessung der Disziplinarmaßnahme von Bedeutung sein können. Weder werden die erstinstanzlichen Tat- und Schuldfeststellungen angegriffen noch wird die Qualifizierung des festgestellten Fehlverhaltens als vorsätzlich schuldhaft begangenes Dienstvergehen in Zweifel gezogen. Auch der Umstand, dass die Truppendienstkammer in der Hauptverhandlung mit Zustimmung der Wehrdisziplinaranwaltschaft zwei Tatvorwürfe gemäß § 107 Abs. 2 WDO aus dem gerichtlichen Disziplinarverfahren ausgeklammert hat, ist nicht beanstandet worden; im Gegenteil ist dieser Verfahrensweise erneut ausdrücklich zugestimmt worden. Der Senat hat daher gemäß § 91 Abs. 1 Satz 1 WDO i.V.m. § 327 StPO die Tat- und Schuldfeststellungen sowie die disziplinarrechtliche Würdigung des Truppendienstgerichts seiner Entscheidung zugrunde zu legen und auf dieser Grundlage über die angemessene Disziplinarmaßnahme zu befinden; das Verschlechterungsverbot (§ 91 Abs. 1 Satz 1 WDO i.V.m. § 331 Abs. 1 StPO) gilt dabei nicht, weil es sich um eine Berufung zuungunsten des früheren Soldaten handelt.

13 Zwar kann der Senat unter bestimmten Voraussetzungen das angefochtene Urteil aufheben und die Sache gemäß § 120 Abs. 1 Nr. 2 oder § 121 Abs. 2 WDO zur nochmaligen Verhandlung und Entscheidung zurückverweisen. Diese Möglichkeit besteht dann, wenn ein schwerer Verfahrensmangel vorliegt und/oder wenn weitere Aufklärungen erforderlich sind. Dies ist hier aber nicht der Fall. Auch die Wehrdisziplinaranwaltschaft macht dies nicht geltend. In dem angefochtenen Urteil der Truppendienstkammer sind hinreichende und widerspruchsfreie Tatfeststellungen - auf der Grundlage bindender strafgerichtlicher Feststellungen (§ 84 Abs. 1 Satz 1 WDO) - getroffen worden. Die Täterschaft des früheren Soldaten, der weder gegen das Strafurteil noch das Truppendienstgerichtsurteil Rechtsmittel eingelegt hat, steht damit (schon deshalb) bindend fest. Ferner kann dem Urteil mit hinreichender Sicherheit entnommen werden, von welchen schuldhaft begangenen Pflichtverletzungen der Senat aufgrund der Schuldfeststellungen im angefochtenen Urteil auszugehen hat. Denn das Truppendienstgericht ist zu der (Schuld-)Feststellung gelangt, der frühere Soldat habe mit dem festgestellten Verhalten vorsätzlich gegen seine Pflicht zur Kameradschaft (§ 12 SG) und zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten (§ 17 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 SG) verstoßen und damit ein Dienstvergehen nach § 23 Abs. 1 SG begangen. Diese Schuldfeststellungen sind eindeutig und widerspruchsfrei, auch wenn sie nicht näher begründet worden sind.

14 Ob diese Tat- und Schuldfeststellungen von der Truppendienstkammer rechtsfehlerfrei getroffen worden sind, darf vom Senat nicht überprüft werden. Denn bei einer auf die Bemessung der Disziplinarmaßnahme beschränkten Berufung wird der Prozessstoff nicht mehr von der Anschuldigungsschrift, sondern nur von den bindend gewordenen Tat- und Schuldfeststellungen des angefochtenen Urteils bestimmt; die ursprünglich zusätzlich erhobenen Vorwürfe sind damit endgültig ausgeklammert. Der Senat ist allerdings nicht gehindert, Lücken in den tatsächlichen Feststellungen des Truppendienstgerichts zu schließen und zusätzlich eigene, für die Maßnahmebemessung erhebliche Feststellungen zum Tathergang zu treffen, solange dies weder im Widerspruch zu den Tat- und Schuldfeststellungen der Truppendienstkammer steht noch dadurch deren rechtliche Würdigung in Frage gestellt wird (stRspr, z.B. Urteil vom 2. April 2008 - BVerwG 2 WD 13.07 - m.w.N. <insoweit nicht veröffentlicht in Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 25>).

15 2. Die zulässige Berufung der Wehrdisziplinaranwaltschaft zuungunsten des früheren Soldaten ist begründet. Dieser hat nach den bindenden Feststellungen des Truppendienstgerichts als Stabsunteroffizier im aktiven Dienst ein schwerwiegendes Dienstvergehen begangen, das mit einer Degradierung zum Unteroffizier der Reserve zu ahnden ist.

16 Bei der Bemessung der Disziplinarmaßnahme ist von der von Verfassungs wegen allein zulässigen Zwecksetzung des Wehrdisziplinarrechts auszugehen. Diese besteht ausschließlich darin, dazu beizutragen, einen ordnungsgemäßen Dienstbetrieb wiederherzustellen und/oder aufrechtzuerhalten („Wiederherstellung und Sicherung der Integrität, des Ansehens und der Disziplin in der Bundeswehr“, vgl. dazu Urteil vom 11. Juni 2008 - BVerwG 2 WD 11.07 - Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 26 m.w.N.). Bei Art und Maß der Disziplinarmaßnahme sind nach § 58 Abs. 7 i.V.m. § 38 Abs. 1 WDO Eigenart und Schwere des Dienstvergehens und seine Auswirkungen, das Maß der Schuld, die Persönlichkeit, die bisherige Führung und die Beweggründe des Soldaten zu berücksichtigen.

17 a) Das Dienstvergehen des früheren Soldaten wiegt schwer. Dies ergibt sich bereits daraus, dass er kriminelles Unrecht begangen hat und gegen ihn wegen Diebstahls durch Urteil rechtskräftig eine Geldstrafe in Höhe von 60 Tagessätzen zu je 30 € verhängt worden ist.

18 Das Truppendienstgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass der dienstliche wie außerdienstliche Zugriff auf Eigentum und Vermögen von Kameraden oder Kameradengemeinschaften („Griff in Kameradenkasse“) nach ständiger Rechtsprechung (zuletzt Urteil vom 23. September 2008 - BVerwG 2 WD 18.07 - m.w.N.) ein so schwerwiegendes Dienstvergehen darstellt, dass grundsätzlich die Dienstgradherabsetzung - gegebenenfalls bis in einen Mannschaftsdienstgrad - Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen ist. Ein Eigentums- oder Vermögensdelikt zum Nachteil von Kameraden lässt nicht nur negative Rückschlüsse auf die Persönlichkeit des Soldaten zu und berührt die Möglichkeit seiner dienstlichen Verwendungen, sondern ist auch stets geeignet, das gegenseitige Vertrauen und die Bereitschaft, füreinander einzustehen, zu gefährden, sowie die Kameradschaft und den militärischen Zusammenhalt, auf dem die Bundeswehr nach § 12 Satz 1 SG beruht, zu untergraben. Ein solches Verhalten löst häufig, wie hier, neben Ermittlungen des Disziplinarvorgesetzten auch solche der Strafverfolgungsorgane aus. All dies führt regelmäßig zu gegenseitigen Verdächtigungen und Anschuldigungen und kann damit ein Klima der Unruhe und des Misstrauens schaffen, das dem Dienstbetrieb höchst abträglich ist; das war auch hier der Fall.

19 Auch die Verletzung der Pflicht zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten im Dienst (§ 17 Abs. 2 Satz 1 SG) wiegt schwer. Die Pflicht zur Wahrung von Achtung und Vertrauen ist kein Selbstzweck, sondern hat funktionalen Bezug zur Erfüllung der grundgesetzmäßigen Aufgaben der Streitkräfte und zur Gewährleistung des militärischen Dienstbetriebs. Ein Soldat, insbesondere ein Vorgesetzter - wie hier -, bedarf der Achtung seiner Kameraden und Untergebenen sowie des Vertrauens seiner Vorgesetzten, um seine Aufgaben so zu erfüllen, dass der ordnungsgemäße Ablauf des militärischen Dienstes gewährleistet ist. Dabei kommt es nicht darauf an, ob gegebenenfalls eine ernsthafte Beeinträchtigung der Achtungs- und Vertrauenswürdigkeit tatsächlich eingetreten ist, sondern nur darauf, ob das festgestellte Verhalten dazu geeignet war (stRspr, z.B. Urteil vom 19. April 2007 - BVerwG 2 WD 7.06 - <insoweit nicht veröffentlicht in Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 21>).

20 Erheblich ins Gewicht fällt deshalb ein solches Fehlverhalten bei einem Soldaten in Vorgesetztenstellung; denn dieser hat nach § 10 Abs. 1 SG in seiner Haltung und Pflichterfüllung ein Beispiel zu geben. Vergreift sich ein Soldat in Vorgesetztenstellung am Eigentum und/oder Vermögen seiner Kameraden, so disqualifiziert er sich mit diesem Verhalten grundsätzlich auch für seine weitere Verwendung als Vorgesetzter. Er untergräbt dadurch regelmäßig seine Autorität, erschüttert sein Ansehen tiefgreifend und beeinträchtigt nachhaltig das gegenseitige Vertrauen. Damit lockert er zugleich den Zusammenhalt der Truppe. Ein solcher Vorgesetzter versagt in dieser Eigenschaft und erweist sich grundsätzlich als ungeeignet zur Führung und Erziehung Untergebener (vgl. Urteil vom 23. September 2008 - BVerwG 2 WD 18.07 - m.w.N.).

21 Ferner ist dem früheren Soldaten anzulasten, dass er als stellvertretender Kassenwart für den Inhalt der „Gemeinschaftskasse“, die der Finanzierung geselliger Anlässe diente, mitverantwortlich war und er den gesamten Kasseninhalt - immerhin 732,80 € - für sich behalten hat. Die von der Disziplinarrechtsprechung bei sogenannten Zugriffsdelikten angenommene Bagatellgrenze von etwa 50 € (vgl. dazu z.B. Urteile vom 11. Juni 2002 - BVerwG 1 D 31.01 - BVerwGE 116, 308 <310 f.> = Buchholz 232 § 54 Satz 2 BBG Nr. 28, vom 11. Juni 2008 a.a.O. und Beschluss vom 22. September 2006 - BVerwG 2 B 52.06 - DÖD 2007, 187 f.) ist weit überschritten.

22 b) Die Auswirkungen des Dienstvergehens belasten den früheren Soldaten in mehrfacher Hinsicht. Durch den Diebstahl war den Angehörigen der Staffel ein Vermögensschaden in Höhe von 732,80 € entstanden, der vom früheren Soldaten, der seine Täterschaft weiter bestreitet, nicht ausgeglichen worden ist. Dies hat Oberstleutnant U., Staffelkapitän und unmittelbarer Disziplinarvorgesetzter des früheren Soldaten im Zeitraum vom 1. Juni 2005 bis 13. Juni 2007 als Zeuge in der Hauptverhandlung vor dem Senat bestätigt. Der Zeuge hat auch ausgesagt, der Vorfall sei im Kameradenkreis so hingenommen worden; es habe nur anfangs im kleinen Kreis der Staffelführung Diskussionen gegeben. Verständlicherweise habe jedoch das Verhältnis zu Hauptfeldwebel R. und Hauptmann A. (stellvertretender Staffelkapitän) gelitten. Auch das Bekanntwerden der Verfehlung bei den mit der Strafverfolgung und Durchführung des Strafverfahrens befassten Personen ist zu Lasten des früheren Soldaten zu berücksichtigen, da der Vorfall bei Außenstehenden ein schlechtes Licht auf den Ruf der Bundeswehr und ihrer Angehörigen geworfen hat.

23 Für die Personalplanung und -führung hatte das Fehlverhalten des früheren Soldaten aber keine negativen Auswirkungen mehr. Als der Tatverdacht am 22. Mai 2007 auf den früheren Soldaten fiel, befand dieser sich aufgrund einer Kommandierung ab dem 21. Mai auf einem EDV-Weiterbildungslehrgang bei der Volkshochschule der Stadt N. und anschließend im Berufsförderungsdienst. Seine aktive achtjährige Dienstzeit endete dann am 31. Oktober 2008, nachdem seinem Antrag vom 29. Mai 2007 - eine Woche nach Auffinden der Geldkassette - auf Verkürzung seiner Dienstzeit von acht Jahren und elf Monaten auf die Regelverpflichtungszeit von acht Jahren stattgegeben worden war.

24 c) Das Maß der Schuld des früheren Soldaten wird vor allem dadurch bestimmt, dass er vorsätzlich gehandelt hat. Hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass er zur Tatzeit im Sinne des § 21 StGB erheblich vermindert schuldfähig gewesen sein könnte, sind nicht ersichtlich und werden auch nicht geltend gemacht.

25 Milderungsgründe in den Umständen der Tat, die die Schuld des früheren Soldaten mindern könnten, sind ebenfalls nicht erkennbar. Sie wären nach der ständigen Rechtsprechung des Senats (vgl. z.B. Urteil vom 23. September 2008 - BVerwG 2 WD 18.07 - m.w.N.) nur dann gegeben, wenn die Situation, in der der frühere Soldat versagt hat, von so außergewöhnlichen Besonderheiten gekennzeichnet war, dass ein an normalen Maßstäben orientiertes Verhalten nicht mehr erwartet und daher auch nicht vorausgesetzt werden konnte. Dazu hat der Senat in seiner gefestigten Rechtsprechung verschiedene - nicht abschließende - Fallgruppen entwickelt, z.B. ein Handeln in einer ausweglos erscheinenden, unverschuldeten wirtschaftlichen Notlage, die auf andere Weise nicht zu beheben war, ein Handeln unter schockartig ausgelöstem psychischen Zwang oder unter Umständen, die es als unbedachte, im Grunde persönlichkeitsfremde Augenblickstat eines ansonsten tadelfreien und im Dienst bewährten Soldaten erscheinen lassen, sowie ein Handeln in einer körperlichen oder seelischen Ausnahmesituation (vgl. u.a. Urteil vom 23. September 2008 - BVerwG 2 WD 18.07 - m.w.N., stRspr).

26 Ausreichende Anhaltspunkte dafür, dass die Voraussetzungen eines solchen Milderungsgrundes im Tatzeitraum (22. Februar bis 16. März 2007) vorgelegen haben, sind nicht ersichtlich. Dies gilt insbesondere für ein mögliches Handeln in einer wirtschaftlichen Notlage. Zwar war der frühere Soldat nach eigenen Angaben vor dem Truppendienstgericht - in der Berufungshauptverhandlung ist er nicht erschienen - im Mai 2007 mit 29 000 € Darlehensschulden und ca. 700 € festen, laufenden Kosten im Monat relativ hoch verschuldet. Aus finanziellen Gründen wohnte er seit Januar 2007 wieder in der Kaserne. Im Kameradenkreis war seine schwierige wirtschaftliche Lage zum Teil auch bekannt. Für den Zeugen An. beruhte die Tat deshalb auf „Geldproblemen“. Nach eigenen Angaben des früheren Soldaten war seine damalige finanzielle Situation jedoch „nicht besonders schlecht“. Er macht deshalb ein Handeln in wirtschaftlicher Notlage selbst nicht geltend. Dies ist insoweit folgerichtig, als er weiter bestreitet, den Diebstahl begangen zu haben. Unabhängig davon wäre bei Vorliegen einer wirtschaftlichen Notlage jedenfalls nicht ersichtlich, dass diese unverschuldet war.

27 Ebenfalls ohne Erfolg hat sich der frühere Soldat durch seinen Verteidiger in der Hauptverhandlung vor dem Senat auf den Milderungsgrund eines „Augenblicksversagens“ berufen. Eine solche unbedachte, im Grunde persönlichkeitsfremde Augenblickstat liegt schon deshalb nicht vor, da der frühere Soldat sehr überlegt und planvoll vorgegangen ist. Nach den bindenden Feststellungen der Vorinstanz hatte er die Geldkassette aus dem Spind des Zeugen R. geholt, geöffnet, den Bargeldinhalt an sich genommen und die Kassette dann in seiner Sporttasche verwahrt. Diese Vorgehensweise stellt kein „kopfloses Verhalten“ dar.

28 Entgegen der Auffassung der Vorinstanz kommt dem früheren Soldaten auch nicht der Tatmilderungsgrund einer unzureichenden Kontrolle bzw. Dienstaufsicht des damaligen Staffelkapitäns, Oberstleutnant U., über die Führung der Staffelkasse zugute.

29 Der durch den Diebstahl entstandene Vermögensschaden in Höhe von 732,80 € wäre allerdings geringer ausgefallen, wenn alle damals für die Staffelkasse Verantwortlichen die geltenden Vorschriften beachtet hätten. Gemäß Abschnitt B. Ziff. 15 Abs. 1 des neugefassten Erlasses zur „Durchführung von Geldsammlungen sowie Einrichtung von Gemeinschaftskassen und anderen Kassen im Bereich der Bundeswehr“ vom 27. März 1987 (VMBl. S. 167 ff.) darf die Gemeinschaftskasse nur bis zu 200 DM (bzw. 100 €) Bargeld enthalten. Darüber hinausgehende Bestände sind auf das Giro- oder Sparkonto eines Geldinstituts einzuzahlen. Gemäß Abschnitt B. Ziff. 14 des Erlasses hätte sich der Disziplinarvorgesetzte um eine ordnungsgemäße Führung und Kontrolle der Gemeinschaftskasse kümmern müssen. Oberstleutnant U. hat als Zeuge in der Berufungshauptverhandlung glaubhaft ausgesagt, der Erlass sei ihm damals nicht bekannt gewesen.

30 Gleichwohl kann sich der frühere Soldat nicht mit Erfolg auf ein mögliches Mitverschulden seines Disziplinarvorgesetzten wegen fehlender oder ungenügender Kontrollmaßnahmen berufen. Dieser Milderungsgrund kommt einem Soldaten nur dann zugute, wenn er der Dienstaufsicht bedarf, z.B. in einer Überforderungssituation, die ein hilfreiches Eingreifen des Vorgesetzten erforderlich macht (vgl. z.B. Urteil vom 13. März 2003 - BVerwG 1 WD 4.03 - Buchholz 235.01 § 38 WDO 2002 Nr. 2). Ein solcher Fall lag hier aber nicht vor. Der frühere Soldat wusste auch ohne weitere Kontrollmaßnahmen, dass er das Vermögen der Kameraden zu achten hatte, insbesondere keinen Diebstahl begehen durfte. Als er die Geldkassette aus dem Spind des Zeugen R. in Zueignungsabsicht wegnahm, handelte er bewusst und gewollt und nutzte die damalige Situation zielgerichtet aus. Dies steht der Anwendung eventuell mildernden Mitverschuldens von Vorgesetzten entgegen (vgl. dazu Urteile vom 13. Februar 2008 - BVerwG 2 WD 9.07 - Buchholz 450.2 § 58 WDO 2002 Nr. 4 und vom 25. Juni 2009 - BVerwG 2 WD 7.08 - juris; Wilhelm, ZBR 2009, 158 <159>). Die Tatsache, dass sich nicht nur etwa 100 €, sondern vorschriftswidrig über 700 € in der Kasse befanden, kann den früheren Soldaten nicht entlasten. Die Pflicht, das Kassenvermögen nicht für private Zwecke zu verwenden, besteht unabhängig von der Höhe des Kasseninhalts. Der Disziplinarvorgesetzte und die Staffelkameraden konnten und mussten grundsätzlich darauf vertrauen, dass sich der stellvertretende Kassenwart nicht am Inhalt seiner Kasse vergreift.

31 Der frühere Soldat kann sich insoweit auch nicht mit Erfolg auf das Gleichbehandlungsgebot (Art. 3 Abs. 1 GG) berufen, als der Senat durch Urteil vom 17. Oktober 2002 - BVerwG 2 WD 14.02 - (Buchholz 236.1 § 12 SG Nr. 19) einem Berufssoldaten (Korvettenkapitän), der die ihm in einem Umschlag - ohne sonstige Unterlagen - übergebene Betreuungskasse mit 830 DM Bargeld durch drei Tathandlungen unterschlagen hatte, den Tatmilderungsgrund der unterbliebenen Kontrolle bzw. Dienstaufsicht durch den Kommandanten zugebilligt hat; anstelle einer erstinstanzlichen Degradierung hat der Senat damals im Ergebnis ein vierjähriges Beförderungsverbot ausgesprochen. Zwar hat das Disziplinargericht die Entscheidung über die Erforderlichkeit einer Disziplinarmaßnahme aus objektiver Sicht zu treffen und dabei den Gleichbehandlungsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG) zu beachten, d.h. im Wesentlichen gleichliegende Dienstvergehen bei im Wesentlichen gleichem Persönlichkeitsbild des Betroffenen disziplinarrechtlich gleich zu behandeln (vgl. zum Beamtendisziplinarrecht, Urteil vom 20. Januar 2004 - BVerwG 1 D 33.02 - BVerwGE 120, 33 <49> = Buchholz 232 § 54 Satz 3 BBG Nr. 35). Beide in Rede stehenden Fälle unterscheiden sich jedoch hinsichtlich des streitigen Tatmilderungsgrundes in wesentlichen Punkten. Anders als in der vorliegenden Fallkonstellation hat der Senat dem von Anfang an geständigen Soldaten damals zugute gehalten, dass durch die besonderen Gegebenheiten des Einzelfalls seine Hemmschwelle deutlich herabgesetzt war (u.a. subjektive Ausnahmesituation wegen eines Konflikts mit der Ehefrau) und er sich nur vorübergehend - bis zur Ankunft des Schiffes in W. - seiner finanziellen Bedrängnis entziehen wollte, ohne sich dabei persönlich zu bereichern (vgl. dazu Urteil vom 17. Oktober 2002 a.a.O., S. 48 f.). Unabhängig davon geht der Senat in seiner zitierten neueren Rechtsprechung regelmäßig - wie dargelegt - davon aus, dass eine nicht hinreichende Dienstaufsicht als Tatmilderungsgrund dann nicht zugunsten des Angeschuldigten ins Gewicht fällt, wenn keine Überforderungssituation bestand, die ein hilfreiches Eingreifen der Dienstaufsicht erforderte.

32 d) Da der frühere Soldat seine Täterschaft weiter bestreitet und sich deshalb auch nicht zu den Beweggründen seines Fehlverhaltens geäußert hat, bleibt nur die Vermutung, dass seine damalige finanzielle Situation für die Tat bestimmend war. Dies vermag ihn allerdings nicht zu entlasten.

33 e) Im Hinblick auf die Zumessungskriterien „Persönlichkeit“ und „bisherige Führung“ sprechen für den früheren Soldaten seine ihm in den Beurteilungen vom 24. Juli 2003 (Durchschnittsbewertung „5,54“) und vom 13. Juli 2006 (Durchschnittsbewertung „6,18“) attestierten überdurchschnittlichen Leistungen sowie die ihm verliehene Auszeichnung und Prämie.

34 In letztgenannter Beurteilung wird der frühere Soldat vom damaligen Staffelkapitän, Oberstleutnant U., als inzwischen gereifter und in allen Belangen überzeugender, besonders leistungsfähiger und pflichtbewusster Unteroffizier ohne Portepee gekennzeichnet, der durch vorbildliche Einsatzbereitschaft sowie sehr selbstständiges und verantwortungsvolles Handeln überzeuge. Er beherrsche seinen Aufgabenbereich, strebe nach Verantwortung und verliere auch in Belastungssituationen nicht die Übersicht. Fundierte Fachkenntnisse, gute geistige Anlagen und praktisches Geschick garantierten stets kreative und zweckmäßige Lösungen mit praktischen Arbeitsergebnissen. Mit seiner offenen und kooperativen Art habe er sich problemlos in alle Bereiche der Staffel integriert und bewiesen, dass er uneingeschränkt teamfähig sei. Er habe keine Probleme, sich durchzusetzen, werde respektiert und sei im Kameradenkreis und bei den zivilen Mitarbeitern anerkannt und beliebt. Er gehöre zur Spitzengruppe der Soldaten der Staffel und verdiene vorrangige Förderung. Der nächsthöhere Vorgesetzte beschreibt den früheren Soldaten als einen Stabsunteroffizier, der in jeder Beziehung ein beispielgebendes Verhalten zeige. Er sei bereits heute eine Persönlichkeit und gehöre zu den absolut leistungsstärksten Unteroffizieren ohne Portepee in seinem Verantwortungsbereich.

35 Oberstleutnant U. hat in der Berufungshauptverhandlung als Leumundszeuge ausgesagt, der frühere Soldat habe sich immer im Bereich der Spitzengruppe befunden. Seine Einstellung zum Soldatenberuf sei hervorragend gewesen. Hätte er das Dienstvergehen nicht begangen, wäre er mit dem Ehrenkreuz der Bundeswehr ausgezeichnet worden. Er, der Zeuge, habe dem früheren Soldaten die Tat nicht zugetraut gehabt. Die finanzielle Situation des früheren Soldaten sei ihm damals nicht bekannt gewesen.

36 Für treue Pflichterfüllung und überdurchschnittliche Leistungen war dem früheren Soldaten am 12. Februar 2003 die Ehrenmedaille der Bundeswehr verliehen worden. In Anerkennung seiner herausragenden besonderen Leistungen als S 2-Unteroffizier und als stellvertretender S 1-Feldwebel wurde ihm am 10. Oktober 2003 eine Leistungsprämie in Höhe von 1 000 € gewährt.

37 Ferner ist zugunsten des früheren Soldaten zu berücksichtigen, dass er bisher weder disziplinar- noch strafrechtlich in Erscheinung getreten war.

38 Auch wenn für den Senat die Täterschaft des früheren Soldaten bindend, d.h. ohne weitere Nachprüfung feststeht, bestreitet dieser weiter, den Geldbetrag gestohlen zu haben. Vor dem Amtsgericht hatte er in diesem Zusammenhang den Zeugen Hauptmann A., damals stellvertretender Staffelkapitän, als möglichen Täter benannt und ihm ein Tatmotiv unterstellt; die Zeugen P., An., S., B. und seine Chefs hätten ebenfalls Zugang zu seiner Stube bzw. zur Geldkassette gehabt. Dieses Aussageverhalten des früheren Soldaten ist (noch) nicht als negatives Persönlichkeitsmerkmal zu werten; es ist bemessungsneutral. Im Rahmen eines anhängigen Straf- und Disziplinarverfahrens war und ist der frühere Soldat als Angeschuldigter nicht verpflichtet, sich selbst zu belasten und insoweit von der Wahrheitspflicht gemäß § 13 Abs.1 SG entbunden (vgl. bereits Urteil vom 11. Juli 1968 - BVerwG 2 WD 13, 14.68 - BVerwGE 33, 168; vgl. dazu auch ZDv 14/3, WDO, B 116 Abs. 5).

39 f) Bei der Gesamtwürdigung aller be- und entlastender Umstände ist im Hinblick auf Eigenart und Schwere des Dienstvergehens, das Maß der Schuld sowie die Persönlichkeit und bisherige Führung des früheren Soldaten der Ausspruch einer - gemäß § 58 Abs. 2 Nr. 3 i.V.m. § 62 Abs. 1 Satz 4, § 67 Abs. 3 WDO zulässigen - Degradierung in den Dienstgrad eines Unteroffiziers der Reserve (Besoldungsgruppe A 5 BBesG) erforderlich, aber auch ausreichend; einer weitergehenden Dienstgradherabsetzung in einen Mannschaftsdienstgrad (Hauptgefreiter der Reserve) bedarf es nicht.

40 Bei der konkreten Bemessung der Disziplinarmaßnahme geht der Senat in seiner gefestigten Rechtsprechung von einem zweistufigen Prüfungsschema aus:
aa) Auf der ersten Stufe bestimmt er im Hinblick auf das Gebot der Gleichbehandlung (Art. 3 Abs. 1 GG) vergleichbarer Fälle sowie im Interesse der rechtsstaatlich gebotenen Rechtssicherheit und Voraussehbarkeit der Disziplinarmaßnahme eine Regelmaßnahme für die in Rede stehende Fallgruppe als „Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen“.

41 Im vorliegenden Fall ist auf dieser ersten Stufe für die Fälle des (vorsätzlichen) Zugriffs auf Eigentum und Vermögen von Kameraden oder Kameradengemeinschaften - hier „Griff in die Kameradenkasse“ - nach der Rechtsprechung des Senats, wie bereits erwähnt, Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen grundsätzlich eine Degradierung (vgl. zuletzt Urteil vom 23. September 2008 - BVerwG 2 WD 18.07 -). Je nach Erforderlichkeit und - gemäß § 62 Abs. 1 WDO - Zulässigkeit dieser Disziplinarmaßnahme kommt eine Herabstufung um einen oder mehrere Dienstgrade, gegebenenfalls bis in einen Mannschaftsdienstgrad, in Betracht. Dies ist dann aber eine Frage der Bestimmung der angemessenen Disziplinarmaßnahme im Einzelfall auf der zweiten Prüfungsstufe (vgl. z.B. Urteil vom 29. August 2007 - BVerwG 2 WD 14.06 - Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 22 Rn. 41), soweit es überhaupt bei einer Degradierung verbleibt und nicht wegen erheblicher Erschwerungs- oder Milderungsgründe der Ausspruch einer der Art nach schwereren oder milderen Disziplinarmaßnahme geboten ist.

42 bb) Auf der zweiten Stufe ist dann zu prüfen, ob im konkreten Einzelfall im Hinblick auf die in § 38 Abs. 1 WDO normierten Bemessungskriterien Umstände vorliegen, die die Möglichkeit einer Verschärfung oder Milderung gegenüber der auf der ersten Stufe in Ansatz gebrachten Regelmaßnahme eröffnen. Dabei ist vor allem hinsichtlich der „Eigenart und Schwere“ sowie der „Auswirkungen“ des Dienstvergehens zu klären, ob es sich um einen schweren, mittleren oder leichten Fall der schuldhaften Pflichtverletzung handelt. Liegt kein mittlerer („durchschnittlicher Fall“), sondern ein höherer bzw. niedrigerer Schweregrad vor, ist gegenüber der Regeleinstufung (= „Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen“) die zu verhängende Disziplinarmaßnahme nach „oben“ bzw. nach „unten“ zu modifizieren. Für die „Eigenart und Schwere des Dienstvergehens“ kann z.B. von Bedeutung sein, ob der Soldat eine herausgehobene Dienststellung hatte, einmalig oder wiederholt versagt hat, etwa in einem besonders wichtigen Pflichtenbereich. Bei den „Auswirkungen“ des Fehlverhaltens sind die konkreten Folgen für den Dienstbetrieb (insbesondere die weitere Verwendbarkeit des Soldaten, Rückwirkungen auf Vorgesetzte und Untergebene, negative personalwirtschaftliche Konsequenzen) sowie schädliche Weiterungen für das Außenbild der Bundeswehr in der Öffentlichkeit zu berücksichtigen. Hinsichtlich des Zumessungskriteriums „Maß der Schuld“ hat der Senat neben der Schuldform (Vorsatz, Fahrlässigkeit) und der Schuldfähigkeit (§§ 20, 21 StGB analog) das Vorliegen von Erschwerungs- und Milderungsgründen in den Tatumständen bei der endgültigen Bestimmung der Disziplinarmaßnahme in Betracht zu ziehen.

43 Nach diesen Kriterien ist hier von einem „mittleren Fall“ auszugehen, der keine hinreichenden Anhaltspunkte für eine Modifizierung der zu verhängenden Disziplinarmaßnahme nach „oben“ oder nach „unten“ bietet, sodass es bei der Regelmaßnahme der Dienstgradherabsetzung um einen Dienstgrad, d.h. zum Unteroffizier der Reserve, verbleibt.

44 Zwar hat der frühere Soldat in seiner Vorgesetztenstellung als Stabsunteroffizier gegenüber seinen Staffelkameraden einmalig vorsätzlich schwer versagt und dadurch zugleich einen Diebstahl mit einem noch offenen Schaden von 732,80 € begangen, ohne dass ihm durchgreifende Tatmilderungsgründe zur Seite stehen. Das Dienstvergehen erfolgte jedoch gegen Ende der letztlich achtjährigen Dienstzeit des früheren Soldaten. Dieser begann kurz darauf mit seinem Berufsförderungsdienst, sodass ihm keine Möglichkeit der Nachbewährung blieb (vgl. dazu Urteil vom 26. November 2003 - BVerwG 2 WD 7.03 - Buchholz 235.01 § 38 WDO 2002 Nr. 14: Degradierung um eine Stufe wegen Griffs in die Kameradenkasse, aber Nachbewährung). Das Dienstvergehen hatte hier deshalb auch nur geringe Auswirkungen auf die Personalplanung und -führung sowie auf den Dienstbetrieb. Sowohl aus general- wie spezialpräventiven Erwägungen ist wegen der Schwere der Verfehlung eine Dienstgradherabsetzung um einen Dienstgrad erforderlich, aber auch ausreichend. Der frühere Soldat ist weder disziplinar- noch strafrechtlich vorbelastet, hat überdurchschnittliche Leistungen erbracht, eine Auszeichnung und Prämie erhalten und ist seit dem 31. Oktober 2008 aus dem Dienst ausgeschieden.

45 3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 139 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 1 WDO. Es liegen keine Umstände vor, die es gerechtfertigt hätten, gemäß § 139 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 WDO die Kosten oder gemäß § 140 Abs. 3 Satz 3 WDO die dem früheren Soldaten erwachsenen notwendigen Auslagen aus Billigkeitsgründen ganz oder teilweise dem Bund aufzuerlegen.