Beschluss vom 10.09.2002 -
BVerwG 7 B 103.02ECLI:DE:BVerwG:2002:100902B7B103.02.0

Beschluss

BVerwG 7 B 103.02

  • VG Dresden - 10.04.2002 - AZ: VG 4 K 375/99

In der Verwaltungsstreitsache hat der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 10. September 2002
durch die Richter am Bundesverwaltungsgericht
G ö d e l , K l e y und H e r b e r t
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Dresden vom 10. April 2002 wird zurückgewiesen.
  2. Die Kläger tragen als Gesamtschuldner die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst trägt.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 31 700 € festgesetzt.

Die Kläger beanspruchen die Rückübertragung eines Grundstücks, das im Juli 1988 auf der Grundlage des Baulandgesetzes zu Zwecken des Wohnungsbaus in Anspruch genommen wurde, an die Erben des 1946 verstorbenen Eigentümers Hermann M. Das Amt zur Regelung offener Vermögensfragen lehnte den Antrag ab, weil keiner der Tatbestände des § 1 VermG erfüllt sei. Das Verwaltungsgericht hat die nach erfolglosem Widerspruch erhobene Klage abgewiesen und die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen. Die hiergegen gerichtete Beschwerde der Kläger hat keinen Erfolg.
Die Beschwerde bezeichnet keinen Zulassungsgrund i.S.d. § 132 Abs. 2 VwGO. Sie beanstandet, dass sich das Verwaltungsgericht in den Gründen seiner Entscheidung mit dem im Tatbestand zutreffend wiedergegebenen Klagevortrag zur Anordnung einer Abwesenheitspflegschaft nicht auseinandergesetzt habe. Ihr Vorbringen lässt sich noch als Rüge eines Verfahrensfehlers durch Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) verstehen. Ein solcher Verfahrensfehler kann gegeben sein, wenn das Gericht auf den Kern des Tatsachenvortrags eines Beteiligten zu einer für das Verfahren wesentlichen Frage nicht eingeht. Die Kläger hatten ihre Klage vor allem damit begründet, dass die Überführung des Grundstücks in Volkseigentum auf der rechtswidrigen Bestellung einer Abwesenheitspflegerin für die unbekannten Erben nach ihrer Rechtsvorgängerin, der 1957 verstorbenen Mitberechtigten und Witwe des Erblassers Toni M., beruht habe; die Erben seien insbesondere aufgrund mehrerer Vorsprachen der Klägerin zu 1 beim Staatlichen Notariat seit Herbst 1987 bekannt gewesen, so dass die im Mai 1987 angeordnete Abwesenheitspflegschaft gemäß §§ 106, 105 Abs. 1 Buchst. b FGB-DDR zumindest hätte aufgehoben werden müssen, bevor das Grundstück in Anspruch genommen worden sei. Zu diesem Vorbringen hat das Verwaltungsgericht in den Gründen seiner Entscheidung nicht Stellung genommen.
Der damit sinngemäß geltend gemachte Verstoß gegen das Gebot des rechtlichen Gehörs liegt nicht vor. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfGE 86, 133 <145 f.>) ist in der Regel davon auszugehen, dass das Gericht bei seiner Entscheidung die Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat. Das gilt auch für Vorbringen, das in den Entscheidungsgründen nicht erörtert ist; das Gericht muss sich in seinem Urteil nicht mit jedem Vorbringen auseinandersetzen, sondern darf sich auf die Gründe beschränken, die für seine Entscheidung leitend gewesen sind. Darum ist der Schluss von der Nichtbehandlung eines Vorbringens in den Entscheidungsgründen auf die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör nur unter der Voraussetzung zulässig, dass das betreffende Vorbringen nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts entscheidungserheblich war (BVerfGE 86, 133 <146>). Daran fehlt es hier.
Das Verwaltungsgericht hat angenommen, dass das in Rede stehende, im Eigentum einer ungeteilten Erbengemeinschaft stehende Grundstück nicht von einer Maßnahme gemäß § 1 VermG betroffen war. Das Grundstück ist damit ohne Schädigung der Erbengemeinschaft aus dem Nachlassvermögen ausgeschieden. Das bedeutet, dass die Restitution des Grundstücks zugunsten einzelner Miterben ebenso wie die Wiederherstellung der Erbengemeinschaft nach § 4 Abs. 1 VermG ausgeschlossen ist, weil andernfalls die nicht von einer Schädigung betroffenen Mitberechtigten entgegen dem Grundsatz der Konnexität gesetzeswidrig begünstigt würden (vgl. Urteil vom 20. September 2001 - BVerwG 7 C 4.01 - Buchholz 428 § 4 Abs. 1 VermG Nr. 7 m.w.N.). Durch die von den Klägern als unlautere Machenschaft bewertete Bestellung einer Abwesenheitspflegerin für die vermeintlich unbekannten Erben nach der Mitberechtigten Toni M. wurden allein die Kläger betroffen. Auch wenn berücksichtigt wird, dass für die Erben nach den im Bundesgebiet lebenden Mitberechtigten Alfred und Rudolf M. ebenfalls eine Abwesenheitspflegschaft angeordnet wurde, führten diese Maßnahmen in ihrer Gesamtheit nicht zu einer Schädigung der Erbengemeinschaft als solcher. Zu der Erbengemeinschaft nach Hermann M. gehörte außer den Rechtsnachfolgern der genannten Mitberechtigten und einem in Volkseigentum stehenden, aus einer Schädigung anderer Mitberechtigter hervorgegangenen Anteil von drei Zehntel des Nachlasses die Rechtsnachfolgerin des Mitberechtigten Arno M. und Mutter der Klägerin zu 1, Frau Helene M., die bei der Grundstücksenteignung in der DDR lebte, von keiner Abwesenheitspflegschaft betroffen war und an dem Abschluss des notariellen Vertrags vom 26. März 1990 über die Auseinandersetzung der Entschädigungsberechtigten untereinander sowie mit der Hypothekengläubigerin persönlich mitgewirkt hat.
Hiernach kann keine Rede davon sein, dass die behauptete unlautere Machenschaft bei der Anordnung der Abwesenheitspflegschaft auf den enteignungsbedingten Eigentumsverlust der Erbengemeinschaft durchschlug, die Enteignung also mit anderen Worten auf der manipulativen Pflegerbestellung beruhte. Dieser Vorgang ist vielmehr, wie selbst die Beschwerde einräumt, "von der (im angegriffenen Urteil) gewürdigten Maßnahme nach dem Baulandgesetz zu trennen". Anders als die Beschwerde meint, hat dies die im angegriffenen Urteil zwar nicht ausgesprochene, aber der Sache nach vorausgesetzte Rechtsfolge, dass es nach der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts weder auf die Anordnung der Abwesenheitspflegschaft noch auf die Behandlung des von der Klägerin zu 1 gestellten Erbscheinsantrags durch das Nachlassgericht ankam. Die unterlassene Würdigung des entsprechenden Klagevorbringens in den Gründen der angegriffenen Entscheidung verletzt deshalb nicht den Anspruch der Kläger auf rechtliches Gehör.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 159 Satz 2 und § 162 Abs. 3 VwGO, die Streitwertfestsetzung beruht auf § 14 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.