Beschluss vom 10.07.2017 -
BVerwG 20 F 3.17ECLI:DE:BVerwG:2017:100717B20F3.17.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 10.07.2017 - 20 F 3.17 - [ECLI:DE:BVerwG:2017:100717B20F3.17.0]

Beschluss

BVerwG 20 F 3.17

  • VG Ansbach - 06.02.2017 - AZ: VG AN 4 K 16.00043

In der Verwaltungsstreitsache hat der Fachsenat des Bundesverwaltungsgerichts für Entscheidungen nach § 99 Abs. 2 VwGO
am 10. Juli 2017
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Rubel und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Brandt und Dr. Fleuß
beschlossen:

  1. Die Sperrerklärung des beigeladenen Bundesministeriums des Innern vom 29. November 2013 i.d.F. ihrer Ergänzung vom 31. März 2016 ist rechtswidrig, soweit sie sich auf den einleitenden Teilabschnitt, die Teilabschnitte I.1., I.2., III., IV., V. Abs. 1 und Abs. 3, VI. Abs. 1 und Abs. 2, VII. sowie die Anlage 4 des Kapitels "Sicherheit" der Dienstanweisung "Asylverfahren" des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Stand: 7/2014) bezieht.
  2. Im Übrigen wird der Antrag des Klägers abgelehnt.

Gründe

I

1 Der Kläger begehrt mit dem dem Zwischenverfahren zugrunde liegenden Rechtsstreit auf der Grundlage des Informationsfreiheitsgesetzes des Bundes von der Beklagten Zugang zu dem als "Verschlusssache - Nur für den Dienstgebrauch" eingestuften Kapitel "Sicherheit" der Dienstanweisung "Asylverfahren" (im Folgenden: Dienstanweisung) des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt).

2 Mit Beschluss vom 3. September 2013 gab das Verwaltungsgericht als Gericht der Hauptsache der Beklagten auf, unter anderem das betreffende Kapitel der Dienstanweisung mit Ausnahme zweier Anlagen zum Kapitel "Sicherheit" vollständig und ungeschwärzt vorzulegen.

3 Mit Sperrerklärung vom 29. November 2013 verweigerte das beigeladene Bundesministerium des Innern die Vorlage der ungeschwärzten Akten. Die Bekanntgabe des geschwärzten Inhalts des betreffenden Kapitels der Dienstanweisung würde dem Wohl des Bundes Nachteile bereiten. Die betreffenden Teile der Kapitel seien ihrem Wesen nach geheim zu halten. Die Abwägung der staatlichen Interessen mit den Individualinteressen des Klägers ergebe, dass das staatliche Geheimhaltungsinteresse das öffentliche und private Interesse an einem Informationszugang wegen der hierdurch drohenden schwerwiegenden Nachteile für das Wohl des Bundes überwiege. Durch eine Offenlegung würde die Erfüllung der verfassungsmäßig legitimierten staatlichen Aufgaben des Bundesamtes wie auch, soweit das Kapitel "Sicherheit" betroffen sei, der Sicherheitsbehörden in erheblicher Weise beeinträchtigt. Ein Bekanntwerden des Kapitels "Sicherheit" liefe überdies sowohl den Sicherheitsinteressen der Bundesrepublik Deutschland als auch einer effektiven Zusammenarbeit des Bundesamtes mit den Strafverfolgungsbehörden zuwider. Mit Beschluss vom 26. März 2015 bestätigte das Verwaltungsgericht die Entscheidungserheblichkeit der Unterlagen mit Ausnahme von Anlagen zum Kapitel "Sicherheit" und legte die Sache auf Antrag des Klägers dem Bundesverwaltungsgericht vor.

4 Der beschließende Senat stellte mit Beschluss vom 30. November 2015 - 20 F 7.15 - die Rechtswidrigkeit der Sperrerklärung vom 29. November 2013 fest. Zur Begründung führte er hinsichtlich des Kapitels "Sicherheit" aus, es sei nicht erkennbar, dass die dort vorgenommenen Schwärzungen insgesamt von § 99 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 VwGO gedeckt seien. Dies gelte insbesondere in Bezug auf die geltend gemachten Gefahren einer Manipulation des Aussageverhaltens und eines "Heranspielens" von Agenten ausländischer Nachrichtendienste an die deutschen Sicherheitsbehörden, aber auch soweit auf die Geheimhaltungsbedürftigkeit der Kriterien für eine Übermittlungspflicht des Bundesamtes und etwaiger Vorgaben für die Zusammenarbeit mit den Strafverfolgungsorganen abgestellt werde. Hingegen sei der Verweigerungsgrund des § 99 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 VwGO in Betracht zu ziehen, soweit die Schwärzungen Hinweise auf behördeninterne Zuständigkeiten, konkrete Kommunikationswege und Besonderheiten der Aktenführung beträfen. Indes fehle es an tragfähigen Ermessenserwägungen, die differenzierend auf das unterschiedliche Gewicht an der Geheimhaltung der geschwärzten Inhalte eingingen.

5 Nachdem das Verwaltungsgericht der Beklagten unter Bezugnahme auf seine Beschlüsse vom 3. September 2013 und vom 26. März 2015 nochmals die Vorlage der Unterlagen aufgegeben hatte, ergänzte der Beigeladene unter dem 31. März 2016 seine Sperrerklärung vom 29. November 2013, soweit sie das Kapitel "Sicherheit" betrifft. Eine vollständige und ungeschwärzte Offenlegung würde die Arbeit sowohl der Sicherheitsbehörden als auch des Bundesamtes erheblich beeinträchtigen. Eine Offenlegung, welche Beobachtungsobjekte seitens der Nachrichtendienste von besonderem Interesse seien und wie damit bei der Bearbeitung der Asylverfahren umgegangen werde, beeinträchtigte die Funktionsfähigkeit der Sicherheitsbehörden. Eine Beeinträchtigung der Aufgabenerfüllung sowohl des Bundesamtes als auch der Sicherheitsbehörden wäre auch die Folge einer durch eine Offenlegung zu besorgenden Anpassung des Aussageverhaltens des Antragstellers. Eine derartige Manipulation ließe den Verfolgungsvortrag für die deutschen Sicherheitsbehörden wertlos werden. Zugleich erleichterte sie es fremden Nachrichtendiensten, Agenten an die deutschen Sicherheitsbehörden "heranzuspielen". Durch die Offenlegung würden zudem Hinweise auf behördliche Zuständigkeiten, konkrete Kommunikationswege sowie Besonderheiten der Aktenführung kundgetan. Das Interesse des Bundes an der Geheimhaltung der geschwärzten Teile des Inhalts des Kapitels "Sicherheit" überwiege in sämtlichen Fällen das Interesse des Klägers an der Offenlegung.

6 Auf Antrag des Klägers hat das Verwaltungsgericht die Sache mit Beschluss vom 6. Februar 2017 dem Fachsenat vorgelegt.

II

7 Der Antrag des Klägers, die Rechtswidrigkeit der Sperrerklärung des Beigeladenen vom 29. November 2013 in der Fassung ihrer Ergänzung vom 31. März 2016 festzustellen, ist mit Blick auf die mit Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 6. Februar 2017 bekräftigte Entscheidungserheblichkeit des zurückgehaltenen Vorgangs zulässig. Er ist jedoch nur zum Teil begründet.

8 1. Die Weigerung der Beklagten, dem Verwaltungsgericht den Inhalt des einleitenden Teilabschnitts und der Teilabschnitte I.1., I.2., III., IV., V. Abs. 1 und Abs. 3, VI. Abs. 1 und Abs. 2, VII. sowie der Anlage 4 des Kapitels "Sicherheit" der Dienstanweisung "Asylverfahren" des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Stand: 7/2014) vollständig und ungeschwärzt vorzulegen, steht nicht im Einklang mit dem geltend gemachten Weigerungsgrund des § 99 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 VwGO. Insoweit wird die Sperrerklärung den Anforderungen an die Darlegung im Falle der Offenlegung zu besorgender Nachteile für das Wohl des Bundes weiterhin nicht gerecht.

9 Dass der Zugang zu den von der Teilschwärzung des einleitenden Teilabschnitts erfassten Informationen zu Zielen und - allgemein gefasst - Zuständigkeiten der Zusammenarbeit zwischen den Behörden und zu Rückmeldungen im Einzelfall die Integrität des Asylverfahrens mit hinreichender Wahrscheinlichkeit beeinträchtigte, mithin eine nicht nur theoretische Möglichkeit bestünde, dass Asylantragsteller bei Kenntnisnahme von der Information ihr Aussageverhalten im Interesse eines ihnen günstigen Verfahrensausganges hieran anpassen (BVerwG, Beschluss vom 30. November 2015 - 20 F 7.15 - juris Rn. 10 f. m.w.N.), ist nicht zu erkennen. Allerdings kann die Erwähnung konkreter Zuständigkeiten im Interesse einer ungehinderten Zusammenarbeit mit den Sicherheitsbehörden geheim gehalten werden.

10 Des Weiteren ist in keiner Weise ersichtlich, dass die Aufhebung der Schwärzungen in den Teilabschnitten I.1. und I.2. Rückschlüsse darauf zuließe, welche Beobachtungsobjekte für die Nachrichtendienste von besonderem Interesse sind und wie damit bei der Bearbeitung umgegangen werden soll. Denn in den geschwärzten Sätzen wird lediglich auf Kriterienkataloge der Nachrichtendienste als einer Arbeitserleichterung verwiesen, ohne deren Inhalt zu offenbaren.

11 Desgleichen fehlt es an einer substantiierten Darlegung, dass die Aufhebung der Schwärzung des Teilabschnitts V. Abs. 1 - ausgenommen Angaben zu konkreten Aufgabenzuweisungen - und Abs. 3 und die Offenlegung der in den Teilabschnitten VI. Abs. 1 und Abs. 2 sowie VII. enthaltenen Angaben im vorstehenden Sinne Nachteile für das Wohl des Bundes begründeten.

12 Entsprechendes gilt - wiederum abgesehen von Angaben zu Aufgabenzuweisungen und internen Zuständigkeitsbestimmungen - für die Schwärzung der Teilabschnitte III. und IV. Die ergänzte Sperrerklärung zeigt nicht auf, dass die dem Beschluss des Senats vom 30. November 2015 - 20 F 7.15 - (juris Rn. 22) zugrunde liegende Einschätzung fehlerhaft ist.

13 Ebenso wenig lässt die Sperrerklärung erkennen, dass der Weigerungsgrund des § 99 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 VwGO eine vollständige Zurückhaltung der in Anlage 4 enthaltenen "Konzeption zur Bekämpfung des Asylmissbrauchs" gebietet. Die Durchsicht der Anlage bestätigt die Einschätzung des Beigeladenen nicht, ein vollständiges Zurückhalten der Anlage sei zur Vermeidung erheblicher Nachteile für das Wohl des Bundes (vgl. BVerwG, Beschluss vom 30. November 2015 - 20 F 7.15 - juris Rn. 11) geboten. Eine Zurückhaltung scheidet insbesondere aus, soweit zur Erläuterung der Zusammenarbeit des Bundesamtes mit den Strafverfolgungsbehörden auf den Inhalt gesetzlicher Bestimmungen und öffentlich zugänglicher Verwaltungsvorschriften verwiesen wird (BVerwG, Beschluss vom 30. November 2015 - 20 F 7.15 - juris Rn. 21).

14 Dass die betreffenden Teilabschnitte im Sinne des § 99 Abs. 1 Satz 2 Alt. 3 VwGO ihrem Wesen nach geheim zu halten sind, wird in der Sperrerklärung nicht ausgeführt.

15 2. Demgegenüber erweist sich die Sperrerklärung als rechtmäßig, soweit die Schwärzungen die Teilabschnitte I.5., II., V. Abs. 2 und VI. Abs. 3 sowie die Anlage 1 des Kapitels "Sicherheit" betreffen.

16 Die Bekanntgabe des Inhalts der genannten Teilabschnitte sowie der Anlage 1 ist, vor allem im Rahmen einer umfassenden Gesamtschau, geeignet, die zukünftige Erfüllung der Aufgaben der Sicherheitsbehörden einschließlich deren Zusammenarbeit mit anderen Behörden zu erschweren, weil sich daraus Rückschlüsse auf die Arbeitsweise ableiten lassen. Eine Teilschwärzung kommt nicht in Betracht.

17 Zutreffend geht die Sperrerklärung insoweit davon aus, dass das Interesse des Bundes an der Geheimhaltung das Interesse des Klägers an der Offenlegung der Informationen überwiegt.