Beschluss vom 10.05.2016 -
BVerwG 2 B 32.15ECLI:DE:BVerwG:2016:100516B2B32.15.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 10.05.2016 - 2 B 32.15 - [ECLI:DE:BVerwG:2016:100516B2B32.15.0]

Beschluss

BVerwG 2 B 32.15

  • VG Frankfurt am Main - 18.04.2013 - AZ: VG 9 K 620/12.F
  • VGH Kassel - 16.03.2015 - AZ: VGH 1 A 1303/13

In der Verwaltungsstreitsache hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 10. Mai 2016
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Domgörgen
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Hartung und Dr. Günther
beschlossen:

  1. Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 16. März 2015 wird zurückgewiesen.
  2. Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf die Wertstufe bis 25 000 € festgesetzt.

Gründe

1 Die zulässige, auf sämtliche Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO gestützte Beschwerde ist unbegründet.

2 1. Mit Wirkung vom 28. September 2006 wurde die Klägerin zur Studienrätin z. A. ernannt. In der Zeit bis Juli 2011 wurde sie an insgesamt drei Schulen in Frankfurt am Main eingesetzt. Mit Bescheid vom 3. August 2011 verfügte der Beklagte die Entlassung der Klägerin unter Berufung darauf, dass sie sich nicht bewährt habe.

3 Widerspruch, Klage und Berufung hiergegen sind erfolglos geblieben. Der Verwaltungsgerichtshof hat zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, der Beklagte sei zu Recht davon ausgegangen, dass sich die Klägerin auf Dauer als ungeeignet erwiesen habe; die Leiter der drei Schulen, an denen sie während der Probezeit tätig gewesen sei, hätten übereinstimmend gravierende Mängel bei der Durchführung des Unterrichts festgestellt. Der Beklagte habe auch nicht unangemessen lange gezögert, die Entlassung auszusprechen. So habe er zunächst mit Verfügung vom 30. Oktober 2009 die Probezeit bis zum 23. September 2010 verlängert, um der Klägerin noch die Möglichkeit einer Bewährung zu geben. In der Verfügung sei ausdrücklich darauf Bezug genommen worden, dass an den zwei Schulen, an denen die Klägerin bis dahin eingesetzt gewesen sei, ihre Bewährung nicht habe festgestellt werden können. Auch nach dem Ablauf der so verlängerten Probezeit habe der Beklagte die Entscheidung über die Bewährung nicht unangemessen lang verzögert. Zunächst habe die Klägerin nicht auf ihre Bewährung vertrauen dürfen, weil nach dem Bericht der Leiterin der Schule ... vom 13. Juni 2010 klar gewesen sei, dass ihre Eignung bis dahin nicht habe festgestellt werden können. Die Probezeit sei im Dienstgespräch vom 6. August 2010 um ein Jahr bis zum 23. September 2011 verlängert worden. Die Verlängerung der Probezeit bedürfe keiner ausdrücklichen Form. Damit sei die mögliche volle, fünfjährige Probezeit annähernd ausgeschöpft worden.

4 2. Es liegt zunächst kein Verfahrensfehler im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO vor.

5 a) Das Berufungsgericht hat nicht gegen den Grundsatz der freien Beweiswürdigung und der sachgerechten Ausschöpfung des vorhandenen Prozessstoffs (§ 86 Abs. 1, § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) verstoßen, indem es angenommen hat, die Probezeit der Klägerin sei in dem Dienstgespräch am 6. August 2010 ein weiteres Mal verlängert worden. Diese Annahme ist namentlich nicht aktenwidrig.

6 Die Rüge der Aktenwidrigkeit setzt voraus, dass ein zweifelsfreier, ohne weitere Beweiserhebung offensichtlicher Widerspruch zwischen den Feststellungen der Vorinstanz und dem Akteninhalt vorliegt (BVerwG, Beschluss vom 10. Oktober 2001 - 9 BN 2.01 - NVwZ-RR 2002, 140 <141>). Das ist nur der Fall, wenn die tatsächliche Feststellung außerhalb des dem Tatrichter eröffneten Wertungsrahmens liegt (Kraft, in: Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014 § 132 Rn. 49). Sind diese Voraussetzungen nicht erfüllt, steht dem Tatsachengericht ein in § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO wurzelnder Spielraum tatrichterlicher Sachverhalts- und Beweiswürdigung zu.

7 Vor diesem Hintergrund liegt eine Verletzung des Grundsatzes der freien Beweiswürdigung und der sachgerechten Ausschöpfung des vorhandenen Prozessstoffs nicht vor. Der Verwaltungsgerichtshof stützt seine Annahme, dass die Probezeit der Klägerin am 6. August 2010 ein weiteres Mal um ein Jahr verlängert wurde, u.a. darauf, dass ihr jetziger Prozessbevollmächtigter im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht Frankfurt am Main 9 L 2567/11.F im Schriftsatz vom 1. Dezember 2011 ausgeführt hat: "Es trifft zwar zu, dass am 6. August 2010 ein Dienstgespräch geführt wurde. Bei diesem Gespräch wurde der Antragstellerin nur mitgeteilt, dass sie an das ... Gymnasium umgesetzt und die Probezeit um ein weiteres Jahr verlängert werde." Bei einer Auslegung dieses Satzes nach Wortlaut und grammatikalischen Regeln durfte der Verwaltungsgerichtshof diesen so verstehen, dass die Verlängerung der Probezeit bereits in dem Dienstgespräch am 6. August 2010 erfolgt ist. Denn anders als vom Prozessbevollmächtigten der Klägerin angenommen handelt es sich bei der Formulierung "um ein weiteres Jahr verlängert werde" nicht zwingend um eine Formulierung im Futur I, die auf eine nur angekündigte Verlängerung in der Zukunft hindeutete. Wesentlich näher liegt die vom Berufungsgericht vertretene Annahme, es handele sich um eine Formulierung der indirekten Rede im Präsens Passiv. Sie erlaubt damit den vom Verwaltungsgerichtshof gezogenen Schluss, dass die Verlängerung der Probezeit gleichzeitig mit dem Dienstgespräch am 6. August 2010 ausgesprochen worden ist. Zuzugeben ist der Klägerin, dass ihr Prozessbevollmächtigter in demselben Schriftsatz, im folgenden Absatz ausgeführt hat: "Tatsache ist, dass der so angekündigte Verwaltungsakt dann jedenfalls nicht erlassen wurde." Diese Formulierung deutet eher darauf hin, dass - jedenfalls nach der im Schriftsatz vom 1. Dezember 2011 vertretenen Auffassung der Klägerin - am 6. August 2010 die Probezeit noch nicht verlängert worden ist. Keinesfalls folgt aus diesem Schriftsatz aber zweifelsfrei, dass die Probezeit der Klägerin in dem Dienstgespräch am 6. August 2010 nicht verlängert wurde. Der Beteiligtenschriftsatz ist allenfalls geeignet aufzuzeigen, was sein Autor in dem Schriftsatz geäußert hat. Keinesfalls lässt sich einem solchen Schriftsatz die inhaltliche Wahrheit dieser Äußerungen zweifelsfrei entnehmen. Dies zu bewerten ist vielmehr der Kern der richterlichen Beweiswürdigung (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO), deren Verletzung hier geltend gemacht wird.

8 Der Verwaltungsgerichtshof hat seine Überzeugung, dass eine Verlängerung der Probezeit bereits in dem Dienstgespräch am 6. August 2010 ausgesprochen wurde, des Weiteren auf die Widerspruchsbegründung des früheren Prozessbevollmächtigten der Klägerin vom 1. Juli 2011 gestützt. Dort moniert dieser mit Blick auf die dienstliche Beurteilung vom 20. Mai 2011, "dass die ‚dienstliche Beurteilung' nur einen Teil (10 Monate) der (verlängerten) Probezeit von 24 Monaten umfasst (August 2010 bis Mai 2011)". Diese Aussage steht einer Interpretation nicht entgegen, nach der die Verlängerung der Probezeit zuvor ausgesprochen worden ist. Sie stützt vielmehr die Annahme, dass die Probezeit jedenfalls bis Juli 2011 verlängert wurde.

9 Schließlich befasst sich der Verwaltungsgerichtshof mit verschiedenen handschriftlichen Aktenvermerken, von denen einer lautet: "Entscheidung über eine weitere Verlängerung der Probezeit oder Entlassung steht an". Aus dem Zusammenhang mit weiteren handschriftlichen Vermerken, welche die Anlegung der Planstelle an dem vorgesehenen Gymnasium sowie eine Änderung im Verwaltungsprogramm SAP betreffen, schließt der Verwaltungsgerichtshof, dass es sich bei diesen handschriftlichen Vermerken insgesamt um personaltechnische Verwaltung bzw. Buchungen handelt, jedoch nicht statusmäßige Verfügungen angesprochen sind.

10 Indem der Verwaltungsgerichtshof auf die geschilderte Vielzahl in den Akten vorhandener Informationen zurückgreift, um der Frage nachzugehen, ob die Probezeit der Klägerin bereits im Dienstgespräch am 6. August 2010 erneut verlängert wurde, kommt er seiner Aufgabe der freien und umfassenden Beweiswürdigung nach. Hierbei ist unerheblich, ob das Revisionsgericht im Anblick der in den Akten enthaltenen Informationen denselben Schluss gezogen hätte. Revisionsgerichtlich zu beanstanden wäre das gefundene Beweisergebnis des Berufungsgerichts nur dann, wenn es vor dem Hintergrund des Akteninhalts schlechterdings nicht mehr vertretbar wäre. Dies kann angesichts der verschiedenen Inhalte in den vom Verwaltungsgerichtshof in Bezug genommenen Dokumenten, von denen zumindest einige auf die Richtigkeit des vom Berufungsgericht angenommenen Tatgeschehens hindeuten, nicht festgestellt werden.

11 Auch der Umstand, dass der Beklagte im Bescheid vom 3. August 2011 sowie im Widerspruchsbescheid vom 2. Februar 2012 selbst unterschiedliche Zeitpunkte der Beendigung der letzten Verlängerung der Probezeit angibt, zwingt nicht zur Annahme der Aktenwidrigkeit der vom Berufungsgericht festgestellten Probezeitverlängerung. Denn die Verlängerung der Probezeit an sich wird dadurch schon nicht in Zweifel gezogen, sondern bestätigt. Im Übrigen ist angesichts des Umstandes, dass der Verwaltungsgerichtshof die entsprechende Passage des Widerspruchsbescheids vom 2. Februar 2012 selbst auf S. 4 des Urteilsabdrucks zitiert, davon auszugehen, dass er sich dieser Darstellung bewusst war und seine vertretbare (s.o.) Überzeugung trotz dieser abweichenden Darstellung gewonnen hat.

12 b) Es liegt auch keine Überraschungsentscheidung und damit kein Verstoß gegen den Grundsatz rechtlichen Gehörs sowie gegen die gerichtliche Aufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 Satz 1, § 108 Abs. 2 VwGO) vor. Die Klägerin leitet diese daraus her, dass das Berufungsgericht ihren schriftsätzlichen Äußerungen zur Verlängerung der Probezeit (s.o.) eine Bedeutung beigemessen habe, die diesen nicht zu entnehmen sei. Der Sache nach beruht diese Rüge auf demselben Umstand wie diejenige der Aktenwidrigkeit. Insoweit ist aber schon dargelegt worden, dass das Berufungsgericht die schriftsätzlichen Äußerungen der Klägerin in vertretbarer Weise ausgelegt hat. Da diese Äußerungen der Klägerin und ihrem Prozessbevollmächtigten selbstverständlich bekannt waren und die Problematik der Probezeitverlängerung sowohl von dem Verwaltungsgericht als auch vor dem Verwaltungsgerichtshof thematisiert worden war, besteht keine Grundlage für die Annahme einer Überraschungsentscheidung.

13 3. Die von der Klägerin erhobenen Divergenzrügen (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) bauen auf der Unterstellung auf, dass das Berufungsgericht den von ihm seiner Entscheidung zugrunde gelegten Sachverhalt verfahrensfehlerhaft ermittelt hat und dieser entsprechend den Vorstellungen der Klägerin dahingehend anzupassen ist, dass nicht von einer über den 23. September 2010 hinausgehenden Verlängerung der Probezeit auszugehen sei. Da diese Annahme nicht zutrifft (s.o., 2. a), legt die Beschwerde eine Divergenz schon nicht schlüssig dar.

14 4. Die Rechtssache hat auch keine grundsätzliche Bedeutung.

15 Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, wenn sie eine Frage des revisiblen Rechts von allgemeiner, über den Einzelfall hinausreichender Bedeutung aufwirft, die im konkreten Fall entscheidungserheblich ist (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 24. Januar 2011 - 2 B 2.11 - NVwZ-RR 2011, 329 Rn. 5 und vom 9. April 2014 - 2 B 107.13 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 2 VwGO Nr. 20 Rn. 9).

16 a) Grundsätzliche Bedeutung kommt zunächst nicht der von der Klägerin aufgeworfenen Frage zu,
"ob man allein anhand objektiver Kriterien, insbesondere eines unangemessen langen Zeitablaufs seit dem Ende der Probezeit von einem Erlöschen der Entlassungskompetenz des Dienstherrn ausgehen muss oder aber ob man darauf abstellen muss, ob der Beamte darauf vertrauen durfte, dass er sich in der laufbahnrechtlichen Probezeit bewährt hatte und dass er nicht wegen mangelnder Bewährung aus dem Beamtenverhältnis auf Probe entlassen werden würde".

17 Diese Frage bedarf keiner revisionsgerichtlichen Klärung, weil sie nicht entscheidungserheblich ist. Nach der Beschwerdebegründung baut diese Frage ebenfalls auf der Annahme auf, dass die tatsächliche Feststellung des Berufungsgerichts, wonach die Probezeit der Klägerin ein zweites Mal verlängert worden ist, verfahrensfehlerhaft zustande gekommen sei. Da schon diese Annahme unzutreffend ist (s.o., 2. a), kommt es auf die Beantwortung der aufgeworfenen Frage nicht an.

18 b) Der weiterhin durch die Beschwerde aufgeworfenen Frage,
"ob eine Verlängerung der Probezeit eine Verfügung im Sinne von § 106 Hessisches Beamtengesetz (HBG) darstellt und somit nur schriftlich ergehen kann",
kommt schon deswegen keine grundsätzliche Bedeutung zu, weil § 106 HBG im Rahmen des Zweiten Dienstrechtsmodernisierungsgesetzes vom 27. Mai 2013 (GVBl. S. 218) erlassen wurde und gemäß Art. 32 Satz 1 dieses Gesetzes erst zum 1. März 2014 in Kraft getreten ist. Auf die im Raume stehende Verlängerung der Probezeit im Jahr 2010 war diese Vorschrift schon aus Gründen ihrer zeitlichen Geltung nicht anzuwenden.

19 Darüber hinaus käme dieser Frage auch deswegen keine grundsätzliche Bedeutung zu, weil sich die Beantwortung dieser Frage unmittelbar aus dem Gesetz ergibt und von daher keiner revisionsgerichtlichen Überprüfung bedarf. Gemäß § 106 HBG sind Verfügungen und Entscheidungen, die den Beamtinnen und Beamten oder den Versorgungsberechtigten nach den Vorschriften dieses Gesetzes bekanntzugeben sind, zuzustellen, wenn durch sie eine Frist in Lauf gesetzt wird oder Rechte der Beamtinnen und Beamten oder der Versorgungsberechtigten durch sie berührt werden. Danach kommt es maßgeblich darauf an, dass die Bekanntgabepflicht dem Hessischen Beamtengesetz selbst unmittelbar zu entnehmen ist (vgl. v. Roetteken, in: ders./Rothländer, Hessisches Bedienstetenrecht, Bd. IV 4 § 106 HBG Rn. 12). Eine Regelung, wonach die Verlängerung der Probezeit dem Beamten bekanntzugeben ist, enthält das Hessische Beamtengesetz jedoch nicht.

20 Selbst wenn der zum Zeitpunkt der zweiten Verlängerung der Probezeit geltenden Vorgängervorschrift des § 106 HBG, § 184 HBG a.F., eine weitergehende Bedeutung zugekommen sein sollte (vgl. insoweit v. Roetteken, a.a.O., § 106 Rn. 13), könnte hierauf eine grundsätzliche Bedeutung nicht gestützt werden, weil es sich bei dieser Vorschrift um ausgelaufenes Recht handelt. Die Klägerin hat weder dargelegt, dass neben ihrem Fall noch weitere Fälle mit derselben Rechtsproblematik in der Schwebe sind, noch ist dies sonst erkennbar.

21 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 40 und 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 GKG.