Beschluss vom 09.06.2009 -
BVerwG 8 B 20.09ECLI:DE:BVerwG:2009:090609B8B20.09.0

Beschluss

BVerwG 8 B 20.09

  • VG Berlin - 09.10.2008 - AZ: VG 29 A 59.06

In der Verwaltungsstreitsache hat der 8. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 9. Juni 2009
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Gödel
und die Richterinnen am Bundesverwaltungsgericht Dr. von Heimburg
und Dr. Hauser
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 9. Oktober 2008 wird zurückgewiesen.
  2. Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 20 450 € festgesetzt.

Gründe

1 Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 VwGO liegen nicht vor.

2 1. Eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO lässt sich der Beschwerdebegründung nicht entnehmen. Dazu müsste sie eine bestimmte, höchstrichterlich noch ungeklärte und für die Revisionsentscheidung erhebliche Rechtsfrage des revisiblen Rechts formulieren, der eine allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (Beschluss vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 <n.F.> VwGO Nr. 26 S. 14). Diese Anforderungen sind nicht schon erfüllt, wenn eine Frage noch nicht höchstrichterlich entschieden wurde. Ist sie anhand der üblichen Auslegungsregeln auf der Grundlage der vorhandenen Rechtsprechung ohne weiteres zu beantworten, erfordert ihre Klärung nicht die Durchführung eines Revisionsverfahrens (Beschlüsse vom 28. Mai 1997 - BVerwG 4 B 91.97 - Buchholz 407.4 § 5 FStrG Nr. 10 und vom 24. August 1999 - BVerwG 4 B 72.99 - BVerwGE 109, 268 <270> = Buchholz 310 § 60 VwGO Nr. 228).

3 a) Nach diesen Kriterien ist nicht klärungsbedürftig, ob zu den Mitteln des Unternehmens bei einer Anteilsschädigung im Sinne des § 3 Abs. 1 Satz 4 bis 6 VermG auch Mittel gehören, die zwar nicht aus dem Unternehmen selbst, wohl aber aus dem Vermögen des geschädigten Gesellschafters stammten und dem Unternehmen nach der Schädigung im Wege der Kapitalerhöhung vom Schädiger zur Verfügung gestellt wurden. Diese Frage ist aufgrund der vorhandenen Rechtsprechung zu § 3 Abs. 1 Satz 4 bis 6 VermG zu verneinen. Danach umfassen die Mittel des Unternehmens nur das bei der Schädigung bereits vorhandene Betriebsvermögen und den daraus erwirtschafteten organischen Zuwachs (Urteil vom 2. April 2008 - BVerwG 8 C 7.07 - BVerwGE 131, 79 Rn. 25 = Buchholz 428 § 3 VermG Nr. 69). Diese Definition knüpft an die Vermögenszuordnung im Zeitpunkt der Schädigung an. Zum damaligen Betriebsvermögen zählen nur Gegenstände, die dem Unternehmensträger selbst gehörten. Davon zu unterscheiden ist das Vermögen der geschädigten Anteilsinhaber. Auch wenn ihnen neben ihrer Unternehmensbeteiligung weiteres Vermögen entzogen wurde, ist dieses weder mit dem ursprünglichen Betriebsvermögen (teil-)identisch, noch lässt es sich bei einem späteren Zufluss als organisch erwirtschafteter Ertrag daraus ableiten. Unerheblich ist dafür, ob zum sonstigen Vermögen Anteile an weiteren Unternehmen gehörten, und inwieweit die Gesellschafter dieses Vermögen selbst in das betroffene Unternehmen hätten einbringen können. Entscheidend ist allein, dass eine solche Investition bis zum Schädigungszeitpunkt nicht vorgenommen wurde. Eine Kapitalerhöhung aus dem sonstigen entzogenen Vermögen geschädigter Gesellschafter steht daher einer Kapitalerhöhung aus den ursprünglichen Mitteln des Unternehmens einschließlich des organischen Zuwachses nicht gleich.

4 Etwas anderes folgt nicht aus der Erwägung, eine erhebliche Kapitalzufuhr „von Außen“ schließe einen Erwerb mit (ursprünglichen) Mitteln des Unternehmens aus (vgl. Urteil vom 2. April 2008 a.a.O. Rn. 28 f.). Zum einen wird damit keine notwendige Bedingung für das Verneinen eines solchen Erwerbs formuliert. Zum anderen bezeichnet das Kriterium der Zufuhr „von Außen“ keine persönliche Distanz des Kapitalgebers zum Unternehmen, sondern nur die Unableitbarkeit der Kapitalerhöhung aus dessen ursprünglichen, bei der Schädigung schon vorhandenen Mitteln. Es veranschaulicht, dass die Kapitalerhöhung weder daraus noch aus dem Umschlag dieses Vermögens, sondern aus sonstigen, außerhalb liegenden Quellen finanziert wurde (vgl. a.a.O. Rn. 28). In diesem Sinne fließen Vermögensgegenstände geschädigter Anteilsinhaber, die ihnen über die Beteiligung hinaus entzogen und dem betroffenen Unternehmen später zugeführt wurden, diesem als „Fremdmittel“ von „außen“ zu. Die Schädigung solcher Vermögenswerte kann selbstständige Restitutionsansprüche der Geschädigten auslösen, nicht jedoch den Umfang der Restitution wegen der Anteilsschädigung beeinflussen.

5 Der Einwand der Beschwerde, Sinn und Zweck des § 3 Abs. 1 Satz 4 VermG verlangten eine Wiederherstellung der wirtschaftlichen Eigentümerposition, führt zu keinem anderen Ergebnis. Sie verkennt, dass die Wiederherstellung sich nur auf den jeweils entzogenen Vermögenswert bezieht, und der Gesetzgeber mit dem rückerstattungsrechtlichen Ziel der Wiedergutmachung nicht auch die rückerstattungsrechtliche Regelungstechnik übernommen hat (vgl. Urteile vom 26. Juni 1997 - BVerwG 7 C 53.96 - Buchholz 428 § 3 VermG Nr. 18 S. 17 f. und vom 2. April 2008 a.a.O. Rn. 26, 29). § 3 Abs. 1 Satz 4 VermG begründet keinen allgemeinen Surrogationsanspruch (Beschluss vom 5. August 2004 - BVerwG 7 B 9.04 - Buchholz 428 § 3 VermG Nr. 51 S. 45 f.). Er lässt nicht zu, eine bloße Zusammenfassung verschiedener Vermögenswerte in einer Hand als ein Unternehmen, oder eine Bündelung von Anteilen an verschiedenen Unternehmen als eine Unternehmensbeteiligung zu behandeln.

6 b) Nicht klärungsbedürftig ist auch die zweite von der Beschwerde für grundsätzlich bedeutsam gehaltene Frage, ob bei einem nachträglichen Erwerb im Sinne des § 3 Abs. 1 Satz 4 VermG ursprüngliche Mittel des Unternehmens nur deshalb nicht mehr als solche „berücksichtigungsfähig“ seien, weil nach der Schädigung eine die Kapitalstruktur wesentlich verändernde Kapitalerhöhung vorgenommen wurde. Bereits aus dem Urteil vom 2. April 2008 (a.a.O. Rn. 25, 28 ff.) ergibt sich, dass eine die Kapitalstruktur wesentlich verändernde Kapitalerhöhung eine Bruchteilsrestitution später erworbener Gegenstände auch insoweit ausschließt, als in dem erhöhten Grundkapital noch ursprüngliche Mittel des Unternehmens enthalten sind. Das verdeutlicht die Erwägung, eine solche Kapitalerhöhung löse die Verbindung zu den ursprünglichen Mitteln des Unternehmens und führe zu einer qualitativen, die Zurechnung ausschließenden Veränderung (a.a.O. Rn. 28). Die Unterbrechung des Zurechnungszusammenhangs setzt also weder einen völligen Verbrauch der ursprünglichen Mittel des Unternehmens voraus, noch deren völliges Ersetzen durch neu eingebrachtes Kapital. Deshalb kann ein Erwerb mit Mitteln des Unternehmens auch fehlen, wenn zum ursprünglichen Betriebsvermögen gehörende Bezugsrechte die strukturverändernde Kapitalerhöhung erst ermöglichten (Beschluss vom 16. September 2008 - BVerwG 8 C 9.08 - ZOV 2009, 43 <44>).

7 c) Die dritte von der Beschwerde als rechtsgrundsätzlich dargestellte Frage, ob für die Wesentlichkeit einer Änderung der Kapitalstruktur allein auf eine Verdreifachung des Grundkapitals abgestellt werden könne, ohne die Höhe der zugeführten Mittel, die Bedeutung der Kapitalerhöhung in Relation zu früheren Kapitalerhöhungen vor der Schädigung sowie andere Merkmale der Unternehmensidentität zu berücksichtigen, ist weder klärungsfähig noch klärungsbedürftig. Das angegriffene Urteil stellt nicht auf eine Verdreifachung des Grundkapitals ab, sondern geht von einer Verfünffachung aus. Eine Verdreifachung war nur Gegenstand des Urteils des Senats vom 2. April 2008 (a.a.O. Rn. 32), das nicht mit der Beschwerde angegriffen werden kann. Wie der Beschluss vom 16. September 2008 (a.a.O. S. 44) im Einzelnen erläutert, ergibt sich bereits aus dem zitierten Urteil des Senats (a.a.O. Rn. 25, 28 ff.), dass eine nicht aus den ursprünglichen Mitteln des Unternehmens ableitbare Vervielfachung des Grundkapitals ausreicht, eine wesentliche Veränderung der Kapitalstruktur zu begründen, ohne dass eine weitergehende Prüfung der Identität oder Vergleichbarkeit des Unternehmens mit dem früheren Unternehmen erforderlich wäre. Ebenso wenig kommt es auf die absolute Höhe der Kapitalzufuhr an, da für die Vervielfachung allein das Verhältnis des erhöhten Grundkapitals zur ursprünglichen Kapitalgrundlage maßgeblich ist. Gleichgültig sind auch Art und Umfang etwaiger Kapitalerhöhungen im Zeitraum vor der Schädigung. Der Vergleich der nachträglich veränderten mit der ursprünglichen Kapitalstruktur bezieht sich auf die Struktur der ursprünglichen Mittel des Unternehmens, und damit auf die Struktur des Betriebsvermögens im Zeitpunkt der Schädigung. Wie diese Struktur entstand, ist unerheblich.

8 Neue einschlägige und möglicherweise relevante Gesichtspunkte, die eine Klärung in einem weiteren Revisionsverfahren geboten erscheinen ließen, hat die Beschwerde nicht vorgetragen. Der nicht näher konkretisierte Vorwurf der Verfassungswidrigkeit genügt dazu nicht.

9 2. Die Revision ist auch nicht wegen Divergenz im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO zuzulassen. Dazu müsste die Beschwerde einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz benennen, mit dem die Vorinstanz einem in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts aufgestellten ebensolchen, die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts tragenden Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat (Beschluss vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 [n.F.] VwGO Nr. 26 S. 14). Das ist nicht geschehen.

10 a) Eine Divergenz zum Urteil vom 2. April 2008 oder dem Beschluss vom 16. September 2008 (jeweils a.a.O.) ist nicht dargelegt. Beide Entscheidungen gehen auf die Frage, wie eine Kapitalerhöhung aus sonstigen entzogenen Mitteln geschädigter Gesellschafter zu beurteilen ist, nicht ein. Eine nur mögliche Abweichung kann keine Divergenz begründen. Eine tatsächliche Abweichung legt die Beschwerde auch mit dem Hinweis auf die - ihrerseits nicht divergenzfähige - Entscheidung des BoR Herford vom 21. Juli 1954 - BOR 52/422 - (RzW 1954, 323) nicht dar. Der Beschluss vom 16. September 2008 (a.a.O. Rn. 11, insoweit nicht abgedruckt in ZOV 2009, 43 ff.) erläutert lediglich, dass diese Entscheidung keine Kapitalerhöhung, sondern eine bloße Kapitalzuführung betraf, ohne die Erwägungen zur hypothetischen Finanzierbarkeit eines Kapitalzuflusses durch den geschädigten Gesellschafter zu übernehmen. Die verwaltungsgerichtliche Ablehnung einer anteiligen Bruchteilsrestitution in Höhe des Anteils der ursprünglichen Mittel des Unternehmens am vervielfachten Grundkapital widerspricht ebenfalls nicht der bisherigen Rechtsprechung.

11 Mit dem Vorwurf, das Verwaltungsgericht habe § 3 Abs. 1 Satz 6 VermG nicht „in vollem Umfang“ angewendet, legt die Beschwerde keine - nachträgliche - Divergenz zum Beschluss des Senats vom 16. September 2008 (a.a.O.) dar. Sie benennt keinen vom Verwaltungsgericht aufgestellten, von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts abweichenden Rechtssatz, sondern rügt nur die - vermeintlich - unzutreffende Anwendung der im Beschluss erläuterten Grundsätze.

12 b) Das als Divergenzentscheidung angeführte Urteil vom 26. November 2003 - BVerwG 8 C 10.03 - (BVerwGE 119, 232 = Buchholz 428 § 1 Abs. 6 VermG Nr. 23) betrifft nicht § 3 Abs. 1 Satz 6 VermG, sondern § 1 Abs. 6 VermG i.V.m. Art. 3 REAO. Eine Divergenz zum Urteil vom 26. Juni 1997 - BVerwG 7 C 53.96 - (a.a.O.) ist ebenfalls nicht dargelegt. Mit der von der Beschwerde zitierten Umschreibung der rückerstattungsrechtlichen Rechtslage wird kein divergenzfähiger Rechtssatz aufgestellt. Im Übrigen erläutert das Urteil, dass § 3 Abs. 1 Satz 4 VermG eine vergleichbare Wiedergutmachung allein durch Zulassen eines Durchgriffs erreichen will. Zu wesentlichen Änderungen der Kapitalstruktur des betroffenen Unternehmens verhält die Entscheidung sich nicht.

13 3. Die erhobenen Verfahrensrügen können ebenfalls nicht zum Erfolg führen. Mit dem Vorbringen, das Verwaltungsgericht habe § 3 Abs. 1 Satz 6 VermG übergangen, rügt die Beschwerde keinen Verfahrensverstoß, sondern die Anwendung einer materiellen (Beweislast-) Regelung. Eine Verletzung der Aufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO), des Grundsatzes rechtlichen Gehörs (§ 108 Abs. 2 VwGO, Art. 103 GG) oder des Überzeugungsgrundsatzes (§ 108 Abs. 1 VwGO) ist nicht ordnungsgemäß nach § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO dargelegt. Auf den von der Beschwerde für aufklärungsbedürftig gehaltenen anteiligen Verbleib ursprünglicher Mittel im erhöhten Grundkapital kam es nach der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts wegen einer wesentlichen Veränderung der Kapitalstruktur des Unternehmens nicht mehr an. Ein Übergehen entscheidungserheblichen Vorbringens ist nicht dargelegt. Auch eine Verletzung des Überzeugungsgrundsatzes hat die Beschwerde nicht ordnungsgemäß gerügt. Da die Tatsachen- und Beweiswürdigung grundsätzlich dem materiellen Recht zuzuordnen ist, könnte nur eine denkfehlerhafte Indizienbeweiswürdigung einen Verfahrensfehler begründen. Der Vorwurf unlogischer Schlussfolgerungen betrifft jedoch nicht die Tatsachenebene, sondern die Anwendung des § 3 Abs. 1 Satz 6 VermG. Indem die Beschwerde zur Widerlegung der Vermutung den Nachweis verlangt, dass „überhaupt keine“ Mittel des Unternehmens zum Erwerb verwendet wurden, wendet sie sich gegen die Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts, die den Nachweis einer wesentlichen Änderung der Kapitalstruktur genügen lässt.

14 Von einer weiteren Begründung wird nach § 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO abgesehen.

15 4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 47, 52 Abs. 1 GKG.