Urteil vom 09.01.2007 -
BVerwG 2 WD 20.05ECLI:DE:BVerwG:2007:090107U2WD20.05.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Urteil vom 09.01.2007 - 2 WD 20.05 - [ECLI:DE:BVerwG:2007:090107U2WD20.05.0]

Urteil

BVerwG 2 WD 20.05

In dem gerichtlichen Disziplinarverfahren hat der 2. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts in der nichtöffentlichen Hauptverhandlung am 9. Januar 2007 an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesverwaltungsgericht Golze,
Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Widmaier.
Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Deiseroth
sowie
Oberstleutnant Reichenauer,
Leutnant Schünke
als ehrenamtliche Richter,
Leitender Regierungsdirektor ...
als Vertreter des Bundeswehrdisziplinaranwalts,
Rechtsanwalt ..., ...,
als Verteidiger
Geschäftsstellenverwalterin ...
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:

  1. Auf die Berufung des früheren Soldaten wird das Urteil der 6. Kammer des Truppendienstgerichts Nord vom 30. Juni 2005 aufgehoben.
  2. Der frühere Soldat hat ein Dienstvergehen begangen.
  3. Das Verfahren wird eingestellt.
  4. Die Kosten des Verfahrens und die dem früheren Soldaten erwachsenen notwendigen Auslagen werden dem Bund auferlegt.

Gründe

I

1 Der 34 Jahre alte frühere Soldat erlangte 1994 die allgemeine Hochschulreife. Aufgrund seiner Bewerbung für den freiwilligen Dienst in der Bundeswehr wurde er mit Wirkung vom 1. Juli 1995 in das Dienstverhältnis eines Soldaten auf Zeit berufen. Mit Wirkung vom 22. September 1995 wurde er zunächst als Anwärter für die Laufbahngruppe der Unteroffiziere, am 1. April 1996 dann als Anwärter für die Laufbahn der Offiziere der Reserve des Truppendienstes zugelassen.

2 Die auf zwei Jahre festgesetzte Dienstzeit endete mit Ablauf des 31. März 1997. Anschließend absolvierte der frühere Soldat eine Ausbildung zum Versicherungsfachmann. Diesen Beruf übte er bis zum 31. Dezember 2002 aus. Seit dem 1. Januar 2003 ist er angestellter Verkaufsleiter in der Versicherungswirtschaft und leitet eine Gruppe mit etwa zehn selbständigen Außendienstmitarbeitern.

3 In der Zeit vom 18. bis 22. Oktober 1999 sowie vom 31. Oktober bis 30. November 2001 leistete er Einzelwehrübungen ab.

4 Zum Leutnant der Reserve wurde der frühere Soldat mit Wirkung vom 1. April 1998 ernannt.

5 Als Grundwehrdienstleistender war er am 3. April 1995 zur 3./P...Btl ... in M. einberufen worden. In der Zeit vom 25. September 1995 bis 16. Februar 1996 nahm er erfolgreich am Unteroffizierlehrgang militärfachlicher Teil Geschützdienst bei der 4./P...Btl ... in D. teil. Den Zugführerlehrgang Reserveoffizieranwärter/Offizieranwärter Rohrartillerie Geschützdienst an der A... in I. in der Zeit vom 8. Oktober bis 6. Dezember 1996 absolvierte er mit der Abschlussnote „befriedigend. Den 19. Reserveoffizierlehrgang an der O... in H. schloss er mit der Offizierprüfung („befriedigend“) ab.

6 In der letzten „Beurteilung bei Wehrübungen“ vom 22. Januar 2002, die an Stelle des sich für befangen haltenden Disziplinarvorgesetzten durch den damaligen Bataillonskommandeur, den Zeugen Oberstleutnant i.G. W., erstellt wurde, erhielt er viermal die Wertung „3“ und siebenmal die Wertung „4“. In der freien Beschreibung wurde u.a. ausgeführt, dass er ein nach außen korrekt auftretender Offizier sei, der seine Aufgabe als Zugführer in der Allgemeinen Grundausbildung bereitwillig und verantwortungsfreudig angetreten habe. Während der Truppenwehrübung habe er stets Einsatzbereitschaft und persönliches Engagement gezeigt. Es sei ihm aber nicht gelungen, das Vertrauen der ihm unterstellten Ausbilder zu gewinnen. Obwohl er sich in bemerkenswerter Weise um die ihm unterstellten Rekruten gekümmert habe, habe er bei Gesprächen mit ihm unterstellten Ausbildern - laut deren Aussagen - durch entsprechende Äußerungen erkennen lassen, dass es an der Bereitschaft mangele, den jungen wehrpflichtigen Untergebenen als eigenständige Persönlichkeit ernst zu nehmen. Der nächsthöhere Vorgesetzte gab mangels ausreichender eigener Erkenntnisse keine Stellungnahme dazu ab.

7 In der erstinstanzlichen Hauptverhandlung hat Major K., zur Zeit der Wehrübung Disziplinarvorgesetzter des früheren Soldaten, als Leumundszeuge über ihn u.a. ausgesagt, dass er dessen Leistungen, in Noten ausgedrückt, mit „3“ bewerte. Der frühere Soldat habe im Dienst keine hervorstechenden Leistungen gezeigt. Leistungsmäßig sei er im unteren Drittel der Offiziere einzustufen. Als Schwäche sei sein Alkoholkonsum zu bezeichnen.

8 Ausweislich der Auskunft vom 13. November 2006 liegen keine Eintragungen im Zentralregister vor. Der frühere Soldat ist berechtigt, das Leistungsabzeichen Truppendienst der Stufe III (Gold) zu tragen.

9 Der ledige Soldat lebt in einer festen Partnerschaft mit seiner Lebensgefährtin. Er erzielt monatliche Nettoeinkünfte von ca. 2 500 bis 3 000 €. Seine wirtschaftlichen Verhältnisse sind nach seinen Angaben geordnet.

II

10 Mit Verfügung vom 22. August 2002, die dem früheren Soldaten am 24. August 2002 zugestellt wurde, leitete der Amtschef des Personalamts der Bundeswehr nach vorheriger Anhörung des früheren Soldaten das gerichtliche Disziplinarverfahren gegen ihn ein. In der Anschuldigungsschrift vom 30. März 2004, ihm zugestellt am 14. April 2004, wird ihm folgender Sachverhalt als Dienstvergehen zur Last gelegt:
„1. Am Vormittag des 03.11.2001, zu einem näher nicht mehr bekannten Zeitpunkt, sagte er als Ausbilder der Formalausbildung des ihm unterstellten III. Zuges der 4./P...Btl ... in der H.-Kaserne in M. im Beisein von SU Michael W. und SU Arne v. Wi., bezogen auf die auszubildenden Rekruten: ‚Die machen wir jetzt fertig, lassen Sie die Rekruten vorm Block antreten und dann immer rein-raus.’
2. Am Nachmittag des 03.11.2001 brüllte er als Leitender der Waffenausbildung der Rekruten des ihm unterstellten III. Zuges der 4./P...Btl ... in der H.-Kaserne in M. im Beisein von SU Michael W. und U Stefan B. und bei Anwesenheit von namentlich nicht bekannten auszubildenden Rekruten den SU Arne v. Wi., der die Ausbildung an der von ihm geleiteten Station gemäß vorgesehenem Zeitplan eingestellt hatte, mit den Worten: ‚SU v. Wi. zu mir! Los zu mir, schneller, schneller, los, los, zu mir,’ so laut an, dass alle anderen Soldaten des III. Zuges und auch des Nachbarzuges es hörten. Als SU Arne v. Wi. vor ihm stand, brüllte er ihn mit unveränderter Lautstärke an: ‚Was fällt Ihnen ein, die Ausbildung einfach einzustellen?’ Dann befahl er SU Arne v. Wi., an seinen Platz in der Gruppe zurückzukehren und die Ausbildungsstation wieder aufzubauen.
3. Am 04.11.2001, am frühen Vormittag, zu einem näher nicht mehr bekannten Zeitpunkt, als Leiter einer Ausbildungsbesprechung des III. Zuges der 4./P...Btl ... in der H.-Kaserne in M., bezeichnete er im Beisein von OFw Sven H., SU Michael W., SU Arne v. Wi. und U Stefan B., nicht näher bekannte leistungsschwache Soldaten der 4./P...Btl ..., insbesondere des ihm unterstellten III. Zuges, als ‚KVD-Anwärter’ und sagte: ‚Die kleinen Versager, die gehen alle zur FU 6, zur Clippo.’ Zudem äußerte er bei dieser Besprechung im Beisein des SU Arne v. Wi. sowie des U Stefan B., bezogen auf einzelne, näher nicht bekannte leistungsschwache Soldaten der benannten Einheit: ‚Die kleine Made kriegen wir auch noch klein’ und ‚Der kleine Stricher hat hier nichts mehr zu lachen, dem reißen wir den Arsch auf.’
4. Am 15.11.2001, gegen etwa 22.00 Uhr, im UBR der 4./P...Btl ... in der H.-Kaserne in M., bezeichnete er im Beisein von OFw Nils Oliver L. und OFw Kai M. die ihm unterstellten Soldaten des III. Zuges als „Pisser“, „Wichser“ und „Arschlöcher“.
5. Am 20.11.2001, gegen etwa 11.00 Uhr, während des Rückmarsches vom ÜbRaum XI in der H.-Kaserne auf Höhe des Hubschrauberlandeplatzes K., in der Nähe von M., bezeichnete er im Beisein von OFw Nils Oliver L., OFw Niels K. und OFw Sven H., einzelne leistungsschwache, nicht näher bekannte Soldaten der 4./P...Btl ..., als ‚genetischen Abfall’ und ‚menschlichen Müll’.
6. Am 22.11.2001, zwischen etwa 11.30 Uhr und 12.30 Uhr, auf der Standortschießanlage des P...Btl ... in M., sagte er zu OFw Jörg K. und SU Thorsten E., dass er davon ausginge, als nächsterreichbarer Offizier entsprechende Entscheidungen zur Unterstützung treffen zu können, wenn Olt Sch. nächste Woche beim Schießen gebunden sei und der Batteriechef 4./Pz...Btl ... an der H... sei. Dabei sagte er unter anderem, dass es kein Problem darstelle, den Dienstplan zu verlängern. Zudem äußerte er, bezogen auf näher nicht bekannte, seiner Verantwortung dann möglicherweise zugeordnete oder ihm unterstellte Soldaten, ‚Ich werde es auskosten, die kleinen Arschlöscher werden es dann spüren,’ und ‚Die sollen sich wunder(n), wenn ich nächste Woche Chef bin.’
7. Im Zeitraum vom 31.10. bis 23.11.2001, zu einem näher nicht mehr bekannten Zeitpunkt, in der H.-Kaserne in M. wurde er von StFw Jürgen S. mindestens zwei Mal auf seinen für die ersten Tage der Ausbildung den Rekruten gegenüber zu lauten Führungsstil angesprochen. In diesen Gesprächen bezeichnete er ihm unterstellte, näher nicht bekannte Soldaten gegenüber StFw Jürgen S. mit den Worten: ‚Diese Stricher’ und ‚Diese kleinen Maden’ und äußerte mehrfach, ‚dass früher alles anders gewesen sei’ und ‚Dass das nicht mehr seine Armee sei.’
8. Zwischen dem 31.10. und 23.11.2001, zu näher nicht mehr bekannten Zeitpunkten, in der H.-Kaserne in M., verwendete er OFw Niels K. gegenüber mehrfach den Begriff ‚Fickfehler’, wenn er über einzelne, näher nicht bekannten Rekruten sprach.“

11 Die 6. Kammer des Truppendienstgerichts Nord hat dem früheren Soldaten mit Urteil vom 30. Juni 2005 wegen eines Dienstvergehens den Dienstgrad „Leutnant der Reserve“ aberkannt.

12 Der frühere Soldat habe „durch sein Verhalten“ vorsätzlich und schuldhaft gegen die Dienstpflichten verstoßen, als Offizier bei Äußerungen die Zurückhaltung zu wahren, die erforderlich ist, um das Vertrauen als Vorgesetzter zu erhalten (§ 10 Abs. 6 SG), die Würde, die Ehre und die Rechte des Kameraden zu achten (§ 12 Satz 2 SG) sowie der Achtung und dem Vertrauen gerecht zu werden, die sein Dienst als Soldat erfordert (§ 17 Abs. 2 Satz 1 SG). Er habe sich dadurch eines Dienstvergehens schuldig gemacht. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe Bezug genommen.

13 Gegen das ihm am 7. Juli 2005 zugestellte Urteil hat der frühere Soldat durch Schreiben seines Verteidigers vom 5. August 2005, per Fax eingegangen am selben Tag, beim Truppendienstgericht Nord - 6. Kammer - unbeschränkt Berufung eingelegt. In der Berufungshauptverhandlung hat er die Berufung mit Zustimmung des Vertreters des Bundeswehrdisziplinaranwalts auf die Maßnahmebemessung beschränkt.

14 Zur Begründung hat er im Wesentlichen vorgetragen: Das Urteil sei aufzuheben, weil die darin ausgesprochene Aberkennung des Dienstgrades „Leutnant der Reserve“ nach der maßgeblichen Rechtslage unzulässig sei. Die von der Truppendienstkammer zugrunde gelegte Regelung des § 66 WDO sei erst durch das Zweite Gesetz zur Neuordnung des Wehrdisziplinarrechts in die Wehrdisziplinarordnung eingeführt worden und ab dem 1. Januar 2002 in Kraft getreten. Sämtliche hier zur Beurteilung anstehenden Sachverhalte hätten sich im Jahr 2001, also davor ereignet. Eine auf § 66 WDO gestützte Verurteilung widerspreche damit dem Rückwirkungsverbot des Art. 103 Abs. 2 GG, das auch für die Verhängung von Disziplinarmaßnahmen gelte. Dies habe das Bundesverfassungsgericht nach der Entscheidung von 11. Juni 1969 (BVerfGE 26, 186 <203>) in ständiger Rechtsprechung festgestellt. Da bei Angehörigen der Reserve eine Dienstgradherabsetzung für Offiziere gemäß § 62 WDO nur bis zum niedrigsten Offiziersdienstgrad in Betracht komme und er, der frühere Soldat, lediglich den niedrigsten Offiziersdienstgrad bekleide, habe das Truppendienstgericht eine Disziplinarmaßnahme nicht aussprechen dürfen. Vielmehr sei das Verfahren bei Feststellung eines Dienstvergehens einzustellen.

III

15 1. Die Berufung ist zulässig. Sie ist statthaft, ihre Förmlichkeiten sind gewahrt (§ 115 Abs. 1 Satz 1, § 116 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 WDO).

16 2. Das Rechtsmittel ist vom früheren Soldaten in der Berufungshauptverhandlung mit Zustimmung des Vertreters des Bundeswehrdisziplinaranwalts wirksam auf die Bemessung der Disziplinarmaßnahme beschränkt worden. Der Senat hat daher die Tat- und Schuldfeststellungen sowie die rechtliche Würdigung der Truppendienstkammer seiner Entscheidung zugrunde zu legen (§ 91 Abs. 1 Satz 1 WDO i.V.m. § 327 StPO).

17 Aufgrund der für den Senat verbindlichen Tatfeststellungen der Truppendienstkammer ist davon auszugehen, dass es während der von dem früheren Soldaten in der Zeit vom 31. Oktober bis zum 30. November 2001 abgeleisteten Wehrübung, in der er in der Allgemeinen Grundausbildung als Zugführer des III. Zuges der 4./P...Btl ... in M. eingesetzt wurde, „zu den ihm in den Anschuldigungspunkten 1 bis 8 vorgeworfenen Tathandlungen“ kam, die der frühere Soldat „als in objektiver und subjektiver Hinsicht richtig einräumte“ und dass damit „der angeschuldigte Sachverhalt“ feststeht.

18 Ferner steht aufgrund der wirksam erfolgten Berufungsbeschränkung fest, dass sich der frühere Soldat „durch sein Verhalten“ eines „Dienstvergehens schuldig gemacht (§ 23 Abs. 1 SG)“ hat, weil er „vorsätzlich und schuldhaft gegen seine Dienstpflichten verstieß, als Offizier bei seinen Äußerungen die Zurückhaltung zu wahren, die erforderlich ist, um das Vertrauen als Vorgesetzter zu erhalten (§ 10 Abs. 6 SG), die Würde, die Ehre und die Rechte des Kameraden zu achten (§ 12 Satz 2 SG) sowie der Achtung und dem Vertrauen gerecht zu werden, die sein Dienst als Soldat erfordert (§ 17 Abs. 2 Satz 1 SG)“.

19 Der Senat ist an diese Tat- und Schuldfeststellungen sowie die von der Truppendienstkammer vorgenommene rechtliche Würdigung gebunden. Ob diese in jeder Hinsicht rechtsfehlerfrei getroffen worden sind, kann und darf aufgrund der wirksam erfolgten Berufungsbeschränkung und der dadurch insoweit eingetretenen Teilrechtskraft im Berufungsverfahren nicht mehr untersucht werden (stRspr, vgl. u.a. Urteil vom 2. Dezember 1969 - BVerwG 1 WD 7.69 -; Dau, WDO, 4. Aufl. 2003, § 116 Rn. 20; Meyer-Goßner, StPO, 49. Aufl. 2006, § 318 Rn. 31 und § 327 Rn. 5 f. jeweils m.w.N.).

20 Der Senat lässt offen, ob im Hinblick darauf, dass sich die von der Truppendienstkammer vorgenommene rechtliche Würdigung lediglich pauschal auf das „Verhalten“ des früheren Soldaten bezieht, ohne dabei hinsichtlich der einzelnen acht Anschuldigungspunkte und der unterschiedlichen Tathandlungen zu differenzieren und ohne jeweils näher darzulegen und zu begründen, welche Tatbestandsmerkmale insoweit im Einzelnen erfüllt sind, die materiellen Voraussetzungen für eine Zurückverweisung nach § 121 Abs. 2 WDO vorliegen (vgl. dazu u.a. Urteil vom 1. Juli 2003 - BVerwG 2 WD 34.02 - BVerwGE 118, 262 = Buchholz 235.01 § 108 WDO 2002 Nr. 2 = NZWehrr 2004, 36; Dau, a.a.O., § 121 Rn. 5 i.V.m. § 120 Rn. 5). Denn er macht jedenfalls von der durch diese Vorschrift ihm eröffneten Ermessensbefugnis zur Zurückverweisung im berechtigten Interesse des Soldaten an einem baldmöglichen Abschluss des Verfahrens und im Hinblick auf das für gerichtliche Disziplinarverfahren geltende Beschleunigungsgebot (§ 17 WDO) keinen Gebrauch, zumal der frühere Soldat nach anwaltlicher Beratung durch seinen Verteidiger in der Berufungshauptverhandlung gegen die tatsächlichen Feststellungen und die von der Truppendienstkammer vorgenommene rechtliche Würdigung keine Einwände erhoben hat.

21 Auf dieser Grundlage hat der Senat unter Beachtung des Verschlechterungsverbotes (§ 91 Abs. 1 Satz 1 WDO i.V.m. § 331 Abs. 1 StPO) lediglich über die angemessene Disziplinarmaßnahme zu befinden.

22 3. Ungeachtet dessen, dass der frühere Soldat im festgestellten Umfang ein Dienstvergehen begangen hat, ist die Verhängung der an sich gebotenen gerichtlichen Disziplinarmaßnahme einer Herabsetzung um (zumindest) zwei Dienstgrade von Gesetzes wegen nicht zulässig (§ 61 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 57 Abs. 1 Satz 1 der im Tatzeitraum bis zum 31. Dezember 2001 geltenden Fassung der WDO - WDO a.F.). Daher ist das Verfahren nach § 123 Satz 3 i.V.m. § 108 Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 WDO einzustellen sowie festzustellen, dass der frühere Soldat ein Dienstvergehen begangen hat.

23 Art und Maß einer zu verhängenden Disziplinarmaßnahme sind abhängig von der Eigenart und Schwere des Dienstvergehens, seinen Auswirkungen, dem Maß der Schuld, der Persönlichkeit, der bisherigen Führung sowie den Beweggründen des (früheren) Soldaten (§ 38 Abs. 1 i.V.m. § 58 Abs. 7 WDO).

24 a) Die „Eigenart und Schwere“ eines Dienstvergehens bestimmen sich nach dem Unrechtsgehalt der Verfehlung, mithin also nach der Bedeutung der verletzten Pflichten. Danach wiegt das Dienstvergehen des früheren Soldaten schwer.

25 Sein besonderer Unrechtsgehalt ist dadurch gekennzeichnet, dass der frühere Soldat mehrfach in erheblichem Maße gegen die Pflicht zur Kameradschaft (§ 12 Satz 2 SG) verstoßen hat, indem er in beleidigenden und teils menschenverachtenden Worten (wie „kleine Maden“, „<kleine> Stricher“, „Pisser“, „Wichser“, „Arschlöcher“, „genetischer Abfall“, „menschlicher Müll“, „Fickfehler“) dienstgradniedrigeren Kameraden seine Geringschätzung der Rekruten der Batterie kundtat.

26 Bereits die durch eine ehrverletzende Äußerung begangene Verletzung der Kameradschaftspflicht hat erhebliches Gewicht. Zu den Rechten, deren Schutz ein Soldat gemäß § 6 Satz 1 SG in Anspruch nehmen kann, gehört die Achtung seiner persönlichen Ehre. Ein Soldat kann danach verlangen, dass seine persönliche Ehre, sein Ansehen und sein Ruf als Bürger und Soldat im Rahmen der Gesetze uneingeschränkt respektiert und nicht geschädigt werden. Dieser Ehrenschutz, der dem Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zuzuordnen ist und seine Grundlage in der verfassungsrechtlich verbürgten Achtung der Menschenwürde und der freien Persönlichkeitsentfaltung findet (Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG), ist notwendig auch auf die Wahrung des Ansehens in der Öffentlichkeit gerichtet sowie darauf, nicht einer ehrverletzenden Kritik oder Äußerung ohne rechtfertigenden Grund ausgesetzt zu werden (vgl. Beschlüsse vom 23. April 1980 - BVerwG 1 WB 265.77 - BVerwGE 73, 4 <6> m.w.N. und vom 22. Dezember 2004 - BVerwG 1 WB 30.04 -). Namentlich dürfen Äußerungen nicht die Grenzen überschreiten, die das Strafrecht zum Schutz der persönlichen Ehre festlegt. Danach liegt ein Angriff auf die persönliche Ehre im Sinne einer Beleidigung, vor der § 185 StGB schützen soll, vor, wenn dem Betroffenen oder gegenüber Dritten in Bezug auf ihn die eigene Missachtung oder Nichtachtung zum Ausdruck gebracht wird.

27 Dies ist vorliegend der Fall. Denn die Äußerungen des früheren Soldaten in den Anschuldigungspunkten 3, 4, 5, 6, 7 und 8 (wie „kleine Maden“, „<kleine> Stricher“, „Pisser“, „Wichser“, „<kleine> Arschlöcher“, „genetischer Abfall“, „menschlicher Müll“, „Fickfehler“) wiesen durchweg einen ehrverletzenden Inhalt auf, indem sie den sittlichen und personalen Geltungswert (vgl. dazu Urteile vom 29. Juni 2006 - BVerwG 2 WD 26.05 - DokBer 2007, 20 und vom 4. Mai 2006 - BVerwG 2 WD 9.05 - DÖV 2006, 1005; OLG Oldenburg, Urteil vom 18. Januar 1963 - 1 Ss 323/62 - NJW 1963, 920; BayObLG, Beschluss vom 25. April 1980 - RReg 3 St 140/78 - NJW 1980, 1969; Lenckner in: Schönke/Schröder, StGB, 27. Aufl. 2006, § 185 Rn. 2 m.w.N.) der betroffenen Rekruten der Batterie negierten. Der sittliche (moralische) Geltungswert wird einer Person abgesprochen, wenn ihr ein unsittliches oder rechtwidriges Verhalten vorgeworfen oder angesonnen wird oder wenn ihr sonst die moralische Integrität generell oder in einer bestimmten Richtung abgesprochen wird (z.B. „Dieb“, „Verbrecher“, „Charakterschwein“). Der personale Geltungswert einer Person wird in Zweifel gezogen oder negiert, wenn das Opfer mit dem Vorwurf elementarer menschlicher Unzulänglichkeiten oder Schwächen (z.B. „Schwachsinniger“, „Krüppel“) konfrontiert wird, um es als menschliches Wesen abzuwerten und damit zu missachten.

28 Darüber hinaus lag in den Worten „genetischer Abfall“ und „menschlicher Müll“ (Anschuldigungspunkt 5) sowie „Fickfehler“ (Anschuldigungspunkt 8) zugleich auch ein Angriff auf die Menschenwürde der betroffenen Rekruten und geht damit über eine „bloße“ Ehrverletzung hinaus. Dies wiegt besonders schwer. Die Menschenwürde, die nach Art. 1 Abs. 1 GG „unantastbar“ (Satz 1) und von „aller staatlicher Gewalt“ zu achten und zu schützen ist (Satz 2), wird verletzt, wenn die in Rede stehende Äußerung oder Handlung gegenüber dem Betroffenen eine Verachtung oder Geringschätzung des diesem kraft seines Person-Seins zukommenden Wertes zum Ausdruck bringt. Dem liegt die Vorstellung vom Menschen als einem geistig-sittlichen Wesen zugrunde, das darauf angelegt ist, in Freiheit sich selbst zu bestimmen und sich zu entfalten. Diese Freiheit versteht das Grundgesetz allerdings nicht als diejenige eines isolierten und selbstherrlichen, sondern als die eines gemeinschaftsbezogenen und gemeinschaftsgebundenen Individuums. Dies bedeutet, dass auch in der Gemeinschaft grundsätzlich jeder Einzelne als gleichberechtigtes Glied mit Eigenwert anerkannt werden muss. Es widerspricht der menschlichen Würde, den Menschen zum bloßen Objekt im Staate zu machen. Die Maxime „der Mensch muss immer Zweck an sich selbst bleiben“ gilt uneingeschränkt für alle Rechtsgebiete, auch für den Bereich der Streitkräfte (vgl. u.a. Urteile vom 21. Juni 2005 - BVerwG 2 WD 12.04 - EuGRZ 2005, 636 <646> = NJW 2006, 77 und vom 4. Mai 2006 a.a.O. m.w.N.).

29 Nach der strafgerichtlichen Rechtsprechung ist bei Äußerungsdelikten ein Angriff auf die Menschenwürde verwirklicht, wenn der angegriffenen Person „ihr Lebensrecht als gleichwertige Persönlichkeit in der staatlichen Gemeinschaft“ bestritten wird und sie als „unterwertiges Wesen“ behandelt wird (vgl. dazu allgemein BGH, Urteil vom 19. Januar 1989 - 1 StR 641/88 - BGHSt 36, 83 ff.). Das „Menschentum“ des Angegriffenen muss zur Tatbestandsverwirklichung bestritten oder relativiert, der Betroffene im Kernbereich seiner Persönlichkeit getroffen werden.

30 Dies war hier der Fall. Die angeführten Ausdrücke charakterisierten nach ihrem objektiven Bedeutungsgehalt die gemeinten Rekruten als „unterwertige Wesen“. Es wurde zum Ausdruck gebracht, dass sie als Menschen wenig oder nichts wert seien, dass es besser wäre, wenn sie nicht gezeugt und nicht geboren worden wären. Damit wurde ihr Lebensrecht als gleichwertige Persönlichkeiten in Frage gestellt und mithin missachtet.

31 Die Pflichtverletzung erhält zudem dadurch ein besonderes Gewicht, dass der frühere Soldat als Zugführer Vorgesetzter der betroffenen Soldaten war (§ 1 Abs. 5 Satz 2 SG a.F. i.V.m. § 1 Abs. 1 VorgV). Er trug zudem zum Zeitpunkt der Dienstpflichtverletzungen einen Dienstgrad, der kraft Gesetzes (§ 1 Abs. 5 Satz 2 SG a.F. i.V.m. § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VorgV) seine Vorgesetzteneigenschaft gegenüber den betroffenen Soldaten der Kompanie begründete. Eine ehrverletzende und entwürdigende Behandlung eines Untergebenen, die kriminelles Unrecht darstellt (§ 185 StGB), ist gerade für einen Soldaten in Vorgesetztenstellung ein sehr ernst zu nehmendes Fehlverhalten, auch wenn sie „lediglich“ in verbaler Form und - wie hier - in Abwesenheit des Betroffenen erfolgt. Die nach Art. 1 GG zu achtende und zu schützende Würde des Menschen ist von Verfassungs wegen in jeder Hinsicht unantastbar und bedarf im militärischen Bereich mit seiner streng hierarchischen Gliederung besonderer Beachtung.

32 Auch die festgestellte Verletzung der in § 10 Abs. 6 SG normierten Pflicht eines Offiziers, innerhalb und außerhalb des Dienstes bei seinen Äußerungen die Zurückhaltung zu wahren, die erforderlich ist, um das Vertrauen als Vorgesetzter zu erhalten, sowie der in § 17 Abs. 2 Satz 1 SG normierten Pflicht jedes Soldaten, der Achtung und dem Vertrauen gerecht zu werden, die sein Dienst als Soldat erfordert, wiegt schwer.

33 Daran ändert nichts, dass der Senat bisher in ständiger Rechtsprechung davon ausgegangen ist, die Vorschrift des § 10 Abs. 6 SG, gegen deren Verfassungsmäßigkeit angesichts der Einschränkbarkeit des Grundrechts der Meinungsäußerungsfreiheit (Art 5 Abs. 1 GG) der Soldaten nach Art. 17a GG und § 6 Satz 2 SG keine durchgreifenden Bedenken bestehen (vgl. dazu auch BVerfG, Beschluss vom 18. Februar 1970 - 2 BvR 746/68 - BVerfGE 28, 55 <62 f.> = NZWehrr 1970, 177), finde nur in Fällen Anwendung, in denen es um einen „Kampf der Meinungen“, um „eine geistige Auseinandersetzung“ gehe, „die immer ein Argumentieren, einen Austausch von Gedanken“ voraussetze (vgl. u.a. Urteil vom 20. Mai 1981 - BVerwG 2 WD 9.80 - BVerwGE 73, 187 <191 f.>; ebenso Scherer/Alff, SG, 7. Aufl. 2003 § 10 Rn. 63). Denn der Senat ist auch insoweit aufgrund der erfolgten Berufungsbeschränkung an die rechtliche Würdigung der Truppendienstkammer gebunden, wonach der frühere Soldat mit seinem Verhalten (in allen acht Anschuldigungspunkten) § 10 Abs. 6 SG verletzt hat. Zudem hält der Senat an seiner bisherigen Auslegung nicht mehr fest. Die Vorschrift des § 10 Abs. 6 SG erfasst nach ihrem eindeutigen Wortlaut - uneingeschränkt - alle „Äußerungen“ der näher bezeichneten Art innerhalb und außerhalb des Dienstes, wobei allerdings die Schutzwirkungen des Art. 5 Abs. 1 GG zu beachten sind. Auch ehrverletzende und diffamierende Äußerungen sind jedenfalls „Äußerungen“, die gegen die Pflicht zur Zurückhaltung verstoßen (vgl. dazu auch Peterson, NZWehrr 1991, 12). Dafür spricht insbesondere der Normzweck der Vorschrift. Sie soll verhindern helfen, dass Vorgesetzte ihre dienstliche Autorität selbst untergraben (vgl. dazu BVerfG, Beschluss vom 18. Februar 1970 a.a.O.); sie verlangt die Zurückhaltung bei (allen) Äußerungen, „um das Vertrauen als Vorgesetzter zu erhalten“. Dieser Zweck besteht unabhängig davon, ob die in Rede stehende Äußerung im Rahmen eines inhaltlichen Meinungsstreits oder durch völlig unsachliche, ehrverletzende oder gar die Würde des Untergebenen missachtende Äußerungen ohne Bezug auf einen inhaltlichen Meinungsstreit erfolgt.

34 Es geht bei den in § 10 Abs. 6 SG und in § 17 Abs. 2 Satz 1 SG normierten Dienstpflichten nicht um bloße Nebenpflichten. Denn beide haben wegen ihres funktionellen Bezugs zur Erfüllung des grundgesetzmäßigen Auftrages der Streitkräfte und zur Gewährleistung des ordnungsgemäßen militärischen Dienstbetriebs erhebliche Bedeutung. Ein Soldat, insbesondere ein Vorgesetzter, bedarf der Achtung seiner Kameraden und Untergebenen sowie des Vertrauens seiner militärischen Vorgesetzten, um seine Aufgabe so zu erfüllen, dass der gesamte Ablauf des militärischen Dienstes gewährleistet ist (vgl. Urteile vom 16. Dezember 2004 - BVerwG 2 WD 15.04 - und vom 4. Mai 2006 a.a.O. <insoweit nicht veröffentlicht>).

35 Die Schwere und Eigenart des Dienstvergehens des früheren Soldaten sind auch dadurch gekennzeichnet, dass sich seine Pflichtverletzungen gegen in der Allgemeinen Grundausbildung befindliche Rekruten und damit gegen eine besonders schutzbedürftige Zielgruppe richteten bzw. diese trafen. Die betroffenen Soldaten hatten ihren Dienst erst kurze Zeit vorher angetreten. Sie unterstanden seiner Befehlsgewalt. Der frühere Soldat musste damit rechnen, dass sie angesichts der Kürze ihrer bisherigen Dienstzeit und ihres Ausbildungsstandes noch nicht hinreichend mit den ihnen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten vertraut waren, um sich wirksam und nachdrücklich in der geeigneten und gebotenen Form schwerwiegender Pflichtverletzungen der in Rede stehenden Art wirksam zu erwehren.

36 Zu Lasten des früheren Soldaten fällt des Weiteren erschwerend ins Gewicht, dass er die in Rede stehenden Pflichtverletzungen nicht nur einmal beging, sondern in ähnlicher Form mehrfach in einem Zeitraum, der sich im Oktober/ November 2001 über mehrere Wochen hin erstreckte. Von einem einmaligen Missgriff oder „Ausrutscher“ konnte keine Rede sein.

37 Mit seinem Fehlverhalten hat der frühere Soldat insgesamt nicht das von einem Vorgesetzten gemäß § 10 Abs. 1 SG verlangte Beispiel in Haltung und Pflichterfüllung, sondern im Gegenteil ein außerordentlich schlechtes Beispiel gegeben. Das muss er sich zurechnen lassen.

38 b) Die Auswirkungen des Dienstvergehens waren gravierend. Durch das Fehlverhalten wurden nicht nur die Ehre und Würde der davon betroffenen Soldaten erheblich verletzt. Zu Lasten des früheren Soldaten sind auch die negativen Auswirkungen seines Dienstvergehens auf den Dienstbetrieb sowie auf die Personalplanung und die Personalführung im P...Btl ... zu berücksichtigen. Nach Bekanntwerden der Pflichtverletzungen mussten durch die zuständigen Disziplinarvorgesetzten angesichts der Vielzahl der zu vernehmenden Zeugen und der lange Zeit fehlenden Aufklärungs- und Mitwirkungsbereitschaft des früheren Soldaten umfangreiche Ermittlungen durchgeführt werden, die nach den glaubhaften Angaben des damals als Bataillonskommandeur damit befassten Zeugen W. mehrere Tage und Nächte in Anspruch nahmen. Aufgrund der Vorfälle musste der frühere Soldat zudem noch während der Wehrübung nach dem Dafürhalten der zuständigen Vorgesetzten von seiner Funktion als Zugführer entbunden und für die verbleibende Zeit anderweitig im Bataillonsstab eingesetzt werden.

39 c) Die des Weiteren bei der Maßnahmebemessung zu berücksichtigende Schuld des früheren Soldaten ist vor allem dadurch gekennzeichnet, dass er nach den getroffenen Feststellungen seine Pflichten (wiederholt) vorsätzlich verletzte.

40 Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass er zum Zeitpunkt des Dienstvergehens in seiner Schuldfähigkeit im Sinne des § 21 StGB eingeschränkt oder gar im Sinne des § 20 StGB schuldunfähig war, sind nicht ersichtlich. Auch der frühere Soldat hat dies nicht geltend gemacht.

41 Selbst wenn angesichts des während der Wehrübung erfolgten häufigen Alkoholgenusses des früheren Soldaten vom Vorliegen der Voraussetzungen des § 21 StGB auszugehen wäre, wäre die erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit des früheren Soldaten auf eine selbst verschuldete Trunkenheit zurückzuführen. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. u.a. Beschluss vom 27. Januar 2004 - 3 StR 479/03 - NStZ 2004, 495), der der Senat (Urteile vom 24. November 2005 - BVerwG 2 WD 32.04 - NVwZ 2006, 608 = NZWehrr 2006, 127 und vom 16. Mai 2006 - BVerwG 2 WD 3.05 - NZWehrr 2006, 252) folgt, kommt in solchen Fällen eine Strafrahmenverschiebung nach den §§ 21, 49 Abs. 1 StGB in der Regel nicht in Betracht. Im Falle selbstverschuldeter Trunkenheit und dadurch bewirkter verminderter Schuldfähigkeit eine Maßnahmemilderung vorzunehmen, käme letztlich einer Prämierung des Fehlverhaltens nahe. Das lässt das Gesetz nicht zu (Urteile vom 24. November 2005 a.a.O. und vom 16. Mai 2006 a.a.O.).

42 Sonstige Milderungsgründe in den Umständen der Tat, die die Schuld des Soldaten mindern würden, liegen nicht vor. Sie sind nach der ständigen Rechtsprechung des Senats (vgl. dazu u.a. Urteile vom 1. Juli 2003 - BVerwG 2 WD 51.02 - und vom Urteil vom 24. November 2005 a.a.O. <insoweit nicht veröffentlicht> m.w.N.) dann gegeben, wenn die Situation, in der der Soldat versagt hat, von so außergewöhnlichen Besonderheiten gekennzeichnet war, dass ein an normalen Maßstäben orientiertes Verhalten nicht mehr erwartet und daher auch nicht vorausgesetzt werden konnte. Als solche Besonderheiten sind unter anderem ein Handeln in einer ausweglos erscheinenden, unverschuldeten wirtschaftlichen Notlage, die auf andere Weise nicht zu beheben war, ein Handeln unter schockartig ausgelöstem psychischem Zwang oder unter Umständen anerkannt worden, die es als unbedachte, im Grunde persönlichkeitsfremde Augenblickstat eines ansonsten tadelfreien und im Dienst bewährten Soldaten erscheinen lassen, sowie ein Handeln in einer körperlichen oder seelischen Ausnahmesituation (stRspr, vgl. u.a. Urteile vom 16. Oktober 2002 - BVerwG 2 WD 23.01 , 32.02 - BVerwGE 117, 117 <124> und vom 24. November 2005 a.a.O. <insoweit nicht veröffentlicht> m.w.N.). Die Voraussetzungen für das Vorliegen dieser Milderungsgründe sind hier ersichtlich nicht erfüllt. Ebenso ist nicht erkennbar, dass der frühere Soldat mit einer außergewöhnlichen situationsgebundenen Erschwernis bei der Erfüllung eines dienstlichen Auftrags belastet war (Urteil vom 6. Mai 2003 - BVerwG 2 WD 29.02 - BVerwGE 118, 161 = Buchholz 235.01 § 107 WDO 2002 Nr. 1 <insoweit nicht veröffentlicht>). Anhaltspunkte für ein den früheren Soldaten teilweise entlastendes Mitverschulden von Vorgesetzten - etwa im Hinblick auf eine nicht hinreichende Wahrnehmung der Dienstaufsicht (vgl. Urteile vom 17. Oktober 2002 - BVerwG 2 WD 14.02 - Buchholz 236.1 § 12 SG Nr. 19 = NZWehrr 2003, 127) und vom 16. Mai 2006 a.a.O.) - sind nicht ersichtlich.

43 d) Zu den Beweggründen für sein Fehlverhalten hat sich der frühere Soldat in der Berufungshauptverhandlung explizit nicht äußern wollen. Er hat jedoch gleichzeitig im Rahmen seiner sonstigen Einlassungen gegenüber dem Senat mehrfach zum Ausdruck gebracht, dass seinem Verhalten eine (damals) besonders selbstzentrierte und unkritische Eigeneinschätzung seiner Person zugrunde lag, die es ihm nach seinen Worten schwer machte, zwischen „Selbstbild“ und „Fremdbildern“ zu unterscheiden. Er ging - auch im Dienst - davon aus, wenn er etwas für richtig halte, müsse dies von anderen ebenso gesehen und akzeptiert werden. Nach dem vom Senat in der Berufungshauptverhandlung von ihm gewonnenen persönlichen Eindruck wollte der frühere Soldat bei Begehung seiner Pflichtverletzungen mit seinen von ihm damals offenbar als „Kraftausdrücken“ verstandenen Verbalinjurien einem starken Geltungsbedürfnis Rechnung tragen, um damit Aufmerksamkeit auf sich zu lenken und seinem Selbstwertgefühl Ausdruck zu verleihen. Wurde seinem Willen nicht entsprochen, reagierte er mit Verärgerung und Unbeherrschtheit. Dabei hatte - jedenfalls im Tatzeitraum während der Wehrübung - offenbar auch der von ihm eingeräumte regelmäßige und nicht unerhebliche Alkoholkonsum für ihn eine enthemmende Wirkung und verringerte seine Bereitschaft zur notwendigen Selbstbeherrschung. Diese für sein Dienstvergehen maßgebliche Motivationslage wirkt sich nicht zugunsten des früheren Soldaten aus.

44 e) Zugunsten des früheren Soldaten spricht dagegen, dass er disziplinar- und strafrechtlich nicht vorbelastet ist und dass er seit dem Jahre 1996 berechtigt ist, das Abzeichen für Leistungen im Truppendienst in Gold zu tragen.

45 Allerdings wurden seine dienstlichen Leistungen während der Wehrübung, die in der Beurteilung vom 22. Januar 2002 sowie in der in die Berufungshauptverhandlung eingeführten Aussage des Leumundszeugen Major K. vor dem Truppendienstgericht zum Ausdruck kommen, allenfalls durchschnittlich bewertet.

46 f) Bei der gebotenen Gesamtwürdigung des Fehlverhaltens des früheren Soldaten ist nach der ständigen Rechtsprechung des Senats davon auszugehen, dass bei einer durch einen Vorgesetzten begangenen ehrverletzenden und/oder entwürdigenden Behandlung Untergebener im Regelfall die Dienstgradherabsetzung um einen oder mehrere Dienstgrade, in schweren Fällen sogar die Höchstmaßnahme verwirkt ist (vgl. zuletzt Urteile vom 17. März 2004 - BVerwG 2 WD 17.03 - NZWehrr 2005, 38 m.w.N., vom 26. Oktober 2005 - BVerwG 2 WD 33.04 - NZWehrr 2006, 161 = NVwZ 2006, 947, vom 4. Mai 2006 a.a.O. m.w.N. und vom 16. Mai 2006 a.a.O. <insoweit nicht veröffentlicht>). Dieser Maßstab gilt im Regelfall auch bei ehrverletzenden und/oder entwürdigenden Äußerungen (vgl. dazu Urteil vom 4. Mai 2006 a.a.O. m.w.N.). Eine weniger gravierende Disziplinarmaßnahme kommt lediglich bei leichteren Pflichtverletzungen oder bei Vorliegen besonderer Milderungsgründe in Betracht (vgl. etwa Urteil vom 4. Mai 2006 a.a.O.).

47 Ein solcher minderschwerer Fall liegt hier nicht vor. Das Dienstvergehen ist durch eine Vielzahl von Dienstpflichtverletzungen (ähnlicher Art) sowie zusätzlich durch eine besondere Derbheit und zum Teil einen menschenverachtenden Charakter des Sprachgebrauchs gekennzeichnet. Besondere Milderungsgründe in den Umständen der Tat oder in der Person greifen nicht ein. Die Einsicht des früheren Soldaten in den Unrechtscharakter seines Fehlverhaltens stellte sich erst sehr spät ein. Auch das dienstliche Leistungsbild fällt nicht zugunsten des früheren Soldaten ins Gewicht.

48 Angesichts dessen erscheint - unter Abwägung aller be- und entlastenden Aspekte - an sich eine Dienstgradherabsetzung um zumindest zwei Dienstgrade als geboten und angemessen. Eine solche Dienstgradherabsetzung ist jedoch im Falle des früheren Soldaten, der als Leutnant der Reserve den untersten Dienstgrad der Laufbahngruppe der Offiziere trägt, nach dem Gesetz nicht zulässig. Gleichzeitig ist auch die Verhängung der Höchstmaßnahme nicht geboten und nicht zulässig.

49 Maßgebend dafür ist die zum Tatzeitpunkt (Oktober/November 2001) geltende Regelung des § 61 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 57 Abs. 1 Satz 1 WDO a.F., die bis zum 31. Dezember 2001 in Kraft war. Dagegen findet die nunmehr geltende Regelung des § 58 Abs. 3 WDO keine Anwendung.

50 Zwar ist in der Wehrdisziplinarordnung nicht ausdrücklich geregelt, ob im Falle eines vor dem 1. Januar 2002 und damit vor dem Inkrafttreten der Neufassung begangenen Dienstvergehens die zum Tatzeitpunkt geltende Regelung oder aber die gegenwärtige Fassung der Wehrdisziplinarordnung Anwendung finden soll. Es liegt insoweit eine Regelungslücke vor, weil die Wehrdisziplinarordnung weder in ihrer (einzigen) Überleitungsnorm (§ 147 WDO) noch sonst eine solche Konstellation geregelt hat. Diese ist planwidrig, da weder aus dem Wortlaut des § 147 WDO noch aus der Systematik der Schlussvorschriften (§§ 143 - 148 WDO) die Absicht des Gesetzgebers zu einer abschließenden Regelung entnommen werden kann. Ebenso wenig ergibt sich diese aus der Entstehungsgeschichte zur Neuordnung des Wehrdisziplinarrechts (BTDrucks 14/4660, S. 38 zu Nr. 94 <§ 139a>) oder aus dem Normzweck des § 147 WDO. Es muss deshalb davon ausgegangen werden, dass der Gesetzgeber keine der Vorschrift des § 2 Abs. 1 und 3 StGB vergleichbare Regelung in die Wehrdisziplinarordnung aufgenommen hat, weil er diese Konstellation nicht bedacht hatte oder nicht für regelungsbedürftig hielt.

51 Diese planwidrige Regelungslücke ist verfassungskonform durch analoge Anwendung des § 2 Abs. 1 und 3 StGB zu schließen.

52 Nach der Regelung des § 2 Abs. 1 StGB, der in materieller Hinsicht im Hinblick auf Art. 103 Abs. 2 GG Verfassungsrang zukommt (vgl. Tröndle/Fischer, StGB, 53. Aufl. 2006, § 2 Rn. 2), bestimmen sich die (Kriminal-)Strafe und ihre Nebenfolgen nach dem Gesetz, das zur Zeit der Tat gilt. Art. 103 Abs. 2 GG bezieht sich nicht nur auf Kriminalstrafen, sondern - allerdings mit gewissen Einschränkungen, die sich aus der Natur des Rechtsgebiets ergeben - auch auf ehrengerichtliche und „Disziplinarstrafen“ (BVerfG, Beschluss vom 11. Juni 1969 - 2 BvR 518/66 - BVerfGE 26, 186 <203, 204> m.w.N.; BVerwG, Urteil vom 1. Juli 1992 - BVerwG 2 WD 14.92 - BVerwGE 93, 269 = NZWehrr 1993, 72). Die „Disziplinarstrafe“ stimmt, so sehr sie sich im Übrigen von der Kriminalstrafe unterscheidet, mit dieser darin überein, dass sie eine missbilligende hoheitliche Reaktion auf ein schuldhaftes Verhalten ist. Art. 103 Abs. 2 GG soll auch im Bereich des Disziplinarrechts solche hoheitlichen Reaktionen voraussehbar machen. Wenn das Gesetz, das bei Beendigung der Tat gilt, vor der Entscheidung des Gerichts geändert worden ist, ist nach § 2 Abs. 3 StGB „das mildeste Gesetz“ anzuwenden (sog. Meistbegünstigungsklausel; vgl. dazu u.a. Lackner/ Kühl, StGB, 25. Aufl. 2004, § 2 Rn. 3 m.w.N.). Die Vorschrift des § 2 Abs. 3 StGB bezweckt, dem Täter, wenn das spätere Recht für den Täter günstiger ist als das zum Tatzeitpunkt geltende Recht, die neue (mildere) Bewertung des Gesetzgebers nicht vorzuenthalten. Diese Beweggründe treffen - ungeachtet der unterschiedlichen Zwecke des Strafrechts und des Disziplinarrechts - wegen des Sanktionscharakters auch auf das Disziplinarrecht zu. Eine insoweit unterschiedliche Behandlung eines Soldaten im Disziplinarrecht einerseits und im Strafrecht andererseits wäre mit Art. 3 Abs. 1 GG nicht vereinbar. Es ist kein nachvollziehbarer Grund ersichtlich, warum ein Soldat bei einer erfolgten, im Ergebnis für ihn günstigen Gesetzesänderung im Disziplinarrecht in dieser Hinsicht schlechter zu behandeln sein sollte als ein zu verurteilender Straftäter. § 2 Abs. 3 StGB ist deshalb auch im Wehrdisziplinarrecht entsprechend anzuwenden.

53 Für eine (analoge) Anwendung des § 2 Abs. 3 StGB ist erforderlich, dass die einschlägige Vorschrift der Wehrdisziplinarordnung, die bei Tatbeendigung galt, vor der gerichtlichen Entscheidung geändert wurde. Das ist vorliegend der Fall, weil zur Zeit der spätesten Dienstpflichtverletzung (spätestens) am 23. November 2001 (Anschuldigungspunkte 7 und 8) noch § 61 Abs. 1 WDO a.F. anzuwenden war und weil nach Inkrafttreten der Neufassung der Wehrdisziplinarordnung am 1. Januar 2002 nun § 58 Abs. 3 WDO die maßgebende Norm ist.

54 Als Rechtsfolge ist damit das mildeste Gesetz anzuwenden. Darunter ist dasjenige zu verstehen, das im konkreten Einzelfall die dem Täter - bzw. hier dem früheren Soldaten - günstigste Beurteilung zulässt. Auf einen abstrakten Vergleich kommt es dabei nicht an (Lackner/Kühl, a.a.O.; Eser in: Schönke/ Schröder, StGB, 27. Aufl. 2006, § 2 Rn. 30 m.w.N.; Tröndle/Fischer, StGB, 53. Aufl. 2006, § 2 Rn. 10). Deshalb ist im vorliegenden Fall darauf abzustellen, ob die seit dem 1. Januar 2002 geltende Vorschrift des § 58 Abs. 3 WDO gegenüber dem nach § 2 Abs. 1 StGB (analog) grundsätzlich anzuwendenden § 61 Abs. 1 Satz 1 WDO a.F. das mildere Gesetz ist. Nur dann wäre die aktuell geltende Vorschrift des § 58 Abs. 3 WDO anwendbar.

55 Dies ist jedoch zu verneinen. Dabei ist im vorliegenden Fall davon auszugehen, dass hier - aus den oben dargelegten Gründen - an sich eine Dienstgradherabsetzung geboten und angemessen ist.

56 Sowohl § 61 Abs. 1 Satz 1 WDO a.F. als auch § 58 Abs. 3 Nr. 1 WDO sehen bei früheren Soldaten („Angehörige der Reserve“) die Zulässigkeit einer Dienstgradherabsetzung vor. Während diese nach § 58 Abs. 3 Nr. 1 WDO i.V.m. § 62 Abs. 1 Satz 1 und 2 WDO - ohne Ausnahme - lediglich bis zum niedrigsten Offiziersdienstgrad zulässig ist, war nach § 61 Abs. 1 WDO a.F. in Satz 2 eine vom Regelfall des Satzes 1 abweichende unbeschränkte Dienstgradherabsetzung nur für den Fall vorgesehen, dass - fiktiv - bei einem Berufssoldaten oder Soldaten auf Zeit eine Entfernung aus dem Dienst gerechtfertigt gewesen wäre. Im Gegensatz dazu eröffnet § 58 Abs. 3 Nr. 2 WDO darüber hinaus weitergehend die Möglichkeit einer gänzlichen Aberkennung des Dienstgrades, die es bis zum Inkrafttreten der Neufassung der Wehrdisziplinarordnung am 1. Januar 2002 noch nicht gab. § 58 Abs. 3 WDO ist danach nicht die mildere Vorschrift. Denn sie sieht - bei gleicher Einstufung - gegenüber § 61 Abs. 1 WDO a.F. jedenfalls keine günstigere Maßnahmebemessung vor.

57 Nach § 61 Abs. 1 Satz 2 a.F. wäre damit zwar - anders als nach der im vorliegenden Fall nicht anwendbaren Vorschrift des § 58 Abs. 3 WDO - keine Aberkennung des Dienstgrades des früheren Soldaten zulässig. Jedoch dürfte nach § 61 Abs. 1 Satz 2 WDO a.F. auch bei einem Leutnant der Reserve eine Herabsetzung des Dienstgrades über die Beschränkungen des § 57 Abs. 1 Satz 1 WDO a.F. („bis zum niedrigsten Offizierdienstgrad“) hinaus bis in einen Mannschaftsdienstgrad nur dann verhängt werden, wenn bei einem Berufssoldaten oder Soldaten auf Zeit die Entfernung aus dem Dienstverhältnis gerechtfertigt wäre. An dieser Voraussetzung fehlt es jedoch im vorliegenden Fall.

58 Die Verhängung der Höchstmaßnahme wäre, wenn es sich bei dem früheren Soldaten um einen Soldaten auf Zeit oder um einen Berufssoldaten handeln würde, bei der Gesamtwürdigung aller be- und entlastenden Umstände nicht geboten gewesen. Der Senat hat nicht feststellen können, dass der frühere Soldat auch in Anbetracht der Schwere des Dienstvergehens, der Schuld und der eingetretenen Auswirkungen seines Fehlverhaltens - bei fiktiver Betrachtung - als Soldat auf Zeit oder als Berufssoldat für den Dienstherrn untragbar wäre. Letzteres wäre (nur) dann der Fall, wenn der frühere Soldat durch sein Dienstvergehen bei der gebotenen objektiven Betrachtung das Vertrauen des Dienstherrn in seine persönliche Integrität und Zuverlässigkeit und damit eine zentrale Grundlage des Dienstverhältnisses in besonders grobem Maße erschüttert und letztlich zerstört hätte (vgl. u.a. Urteil vom 19. Juli 1995 - BVerwG 2 WD 9.95 - BVerwGE 103, 265 = Buchholz 236.1 § 7 SG Nr. 4 = NZWehrr 1996, 164, vom 6. Mai 2003 a.a.O. und vom 27. November 2003 - BVerwG 2 WD 6.03 -). Daran fehlt es hier.

59 Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung dieser Frage ist dabei der Zeitpunkt, zu dem das Wehrdienstgericht nach Maßgabe der § 58 Abs. 7 i.V.m. § 38 Abs. 1 WDO über die Verhängung der gebotenen gerichtlichen Disziplinarmaßnahme zu entscheiden hat. Zu diesem Zeitpunkt hat der Senat bei der gebotenen objektiven Betrachtung nicht (mehr) feststellen können, dass gegenwärtig von einer besonders groben Erschütterung oder gar von einer Zerstörung des Vertrauens des Dienstherrn in die persönliche Integrität und Zuverlässigkeit des früheren Soldaten auszugehen ist, die bei einem Soldaten auf Zeit oder einem Berufssoldaten die Verhängung der Höchstmaßnahme in Gestalt der Entfernung aus dem Dienstverhältnis erforderlich machen würde.

60 Dagegen spricht bereits der Inhalt der vom damaligen Bataillonskommandeur, dem Zeugen Oberstleutnant i.G. W., unter dem 22. Januar 2002, also nach dem während der Wehrübung erfolgten Dienstvergehen über den früheren Soldaten verfassten Beurteilung („Beurteilung bei Wehrübungen“). Darin wird zwar zum Ausdruck gebracht, der frühere Soldat habe trotz seiner guten Kenntnis der persönlichen Situation der ihm während der Wehrübung unterstellten Rekruten und seines erfolgreichen Bemühens, sich im Einzelfall um diese zu kümmern, „bei Gesprächen mit ihm unterstellten Ausbildern - laut deren Aussagen - durch entsprechende Äußerungen erkennen lassen, dass es (bei ihm) an der Bereitschaft“ mangele, „den jungen wehrpflichtigen Untergebenen als eigenständige Persönlichkeit ernst zu nehmen“. Zu Recht hat der Vertreter des Bundeswehrdisziplinaranwalts in der Berufungshauptverhandlung unter Hinweis auf diese Beurteilung sowie die damit übereinstimmenden Bekundungen des von der Truppendienstkammer vernommenen Zeugen Major K. sowie des vom Senat vernommenen Zeugen Oberstleutnant i.G. W. auch darauf hingewiesen, dass sich in dem von dem früheren Soldaten im Tatzeitraum Oktober/November 2001 gezeigten Fehlverhalten erkennbar ein eklatanter Mangel in der Fähigkeit offenbarte, Menschen zu führen. Zugleich wird dem früheren Soldaten in dieser Beurteilung vom 22. Januar 2002 - in Kenntnis seines vorerwähnten Fehlverhaltens und seiner Schwächen bei der Menschenführung - jedoch attestiert, „das während der Wehrübung gezeigte Leistungsbild in Verbindung mit seiner sehr guten geistigen Auffassungsgabe“ befähigten ihn „eher zu einer Tätigkeit im Stabsdienst bzw. zur Führung einer Teileinheit - vergleichbar dem Beobachtungstrupp - denn eines Zuges“. Damit übereinstimmend unterbreitete der Zeuge W. in seiner Eigenschaft als beurteilender Bataillonskommandeur in Abschnitt H. dieser Beurteilung vom 22. Januar 2002 „Verwendungsvorschläge“, die erkennen lassen, dass er auch damals noch eine weitere Verwendung des früheren Soldaten als Offizier in der Bundeswehr als möglich ansah. Anderenfalls hätte er von Verwendungsvorschlägen jeder Art Abstand genommen. Konkret schlug er vor, den früheren Soldaten bei einer „Mob-Verwendung“ als S 2-Offizier im Bataillon oder auf „vergleichbare(n) Dienstposten“, als Beobachtungsoffizier Artillerie oder auf dem Offiziersdienstposten eines „FUO II“ einzusetzen. Er hielt ihn damit aus seiner Sicht als beurteilender Disziplinarvorgesetzter für eine weitere Verwendung als Offizier in der Bundeswehr jedenfalls nicht für generell ungeeignet und dem Dienstherrn unzumutbar. In der Berufungshauptverhandlung hat der Zeuge W. seine damalige Bewertung bestätigt und ausgeführt, er habe den früheren Soldaten für Stabsverwendungen weiterhin als verwendungsfähig und einsetzbar eingeschätzt. Gleichzeitig hat er allerdings zum Ausdruck gebracht, wenn sich die damals gegen den früheren Soldaten erhobenen Vorwürfe vor Gericht bestätigen sollten, hätten damals sowohl die „Divisionsebene“ als auch er den Soldaten für Wehrübungen und möglicherweise auch als Soldaten auf Zeit für „nicht mehr tragbar“ gehalten. Näher begründet hat er dies allerdings nicht.

61 Entscheidend ist jedoch, dass es nach den Feststellungen, die der Senat aufgrund des Ergebnisses der Berufungshauptverhandlung zur Persönlichkeit des früheren Soldaten getroffen hat, zum hier allein maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Senats an hinreichenden Anhaltspunkten für die Schlussfolgerung fehlt, die persönliche Integrität und die Zuverlässigkeit des früheren Soldat seien (auch heute noch) in einem solchen Maße in Frage gestellt, dass jedes Vertrauen des Dienstherrn in eine künftig ordnungsgemäße Dienstausübung in besonderem Maße erschüttert oder gar zerstört sei.

62 Bei der Beurteilung der Persönlichkeit des früheren Soldaten ist zu berücksichtigen, dass er durch seinen Verteidiger - nach anfänglichem Bestreiten nahezu aller Vorwürfe - im Frühjahr 2005 noch vor Beginn der Verhandlung vor der Truppendienstkammer sämtliche ihm zur Last gelegten Anschuldigungspunkte „in objektiver und subjektiver Hinsicht“ eingeräumt hat und jedenfalls seitdem sein Fehlverhalten nicht mehr in Zweifel zieht oder bagatellisiert. Nach dem vom früheren Soldaten gewonnenen persönlichen Eindruck des Senats war dieses Geständnis zunächst zwar möglicherweise nicht primär von Reue und Einsicht geprägt, sondern - verfahrenstaktisch - eher darauf ausgerichtet, eine Einstellung des Verfahrens zu erreichen.

63 Der frühere Soldat hat jedoch in der Berufungshauptverhandlung durch sein besonnenes und glaubwürdiges Auftreten sowie seine glaubhaften Einlassungen dem Senat die hinreichende Überzeugung vermittelt, dass er - auch aufgrund seiner zwischenzeitlichen beruflichen Erfahrungen - offenkundig einen erheblichen persönlichen Reifungsprozess durchlaufen hat, der ihn zu einer realistischeren Einschätzung seiner Persönlichkeit, seiner Fehlhandlungen und zur Einsicht in die für ihn daraus zu ziehenden Konsequenzen geführt hat. Die Ergebnisse und Auswirkungen dieses erfolgten Reifungsprozesses für die Persönlichkeit des früheren Soldaten haben sich ersichtlich hinreichend stabilisiert. Sie lassen nicht erwarten, dass er bei einer erneuten dienstlichen Verwendung in der Bundeswehr sein früheres Verhalten fortsetzen würde. Er hat unumwunden eingeräumt, dass sein angeschuldigtes Verhalten im Tatzeitraum gegenüber seinen damaligen Untergebenen „nicht in Ordnung“ und "unakzeptabel" gewesen sei und dass es ihm sehr leidtue. Er könne sich dafür heute „nur entschuldigen“. Es sei allerdings für ihn „nicht so einfach“ gewesen, sich selbst die Verantwortlichkeit für die von ihm gemachten schwerwiegenden Fehler einzugestehen. Er habe erst lernen müssen, die Tragweite seines Fehlverhaltens realistisch und sachgerecht zu bewerten. Dies habe ihn bis heute schwer belastet, was durch die lange Verfahrensdauer und die damit verbundenen Ungewissheiten noch verstärkt worden sei. Der Senat hat keine konkreten Anhaltspunkte dafür gewinnen können, dass der frühere Soldat diese Entwicklung seiner Persönlichkeit lediglich vorgespiegelt hat. Seine Einlassungen waren in sich schlüssig, widerspruchsfrei und von großer Ernsthaftigkeit und Nachdenklichkeit bestimmt. Auf Einwände und Nachfragen ist er jeweils konkret eingegangen, auch wenn er dabei Schwächen und Unsicherheiten einräumen musste. Für den Senat ist auf der Grundlage der in der Berufungshauptverhandlung getroffenen Feststellungen und des vom früheren Soldaten gewonnenen persönlichen Eindrucks deutlich erkennbar geworden, dass dieser aus seinem Fehlverhalten nicht nur beruflich, sondern auch in seinem Verhältnis zur Bundeswehr die notwendigen Schlussfolgerungen gezogen hat. Bei der gebotenen objektiven Betrachtung liegen angesichts dessen zum gegenwärtigen Zeitpunkt in Ansehung des im Jahre 2001 erfolgten, mithin mehr als fünf Jahre zurückliegenden Dienstvergehens für den Dienstherrn keine hinreichenden Gründe vor, die persönliche Integrität und Zuverlässigkeit des früheren Soldaten (weiterhin) als in besonderem Maße erschüttert oder gar als zerstört zu betrachten. Im Rahmen der erforderlichen Gesamtwürdigung ist der Senat deshalb zu der Überzeugung gelangt, dass damit die Voraussetzungen des § 61 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 1 WDO a.F. nicht (mehr) vorliegen, sodass bei der an sich gebotenen Herabsetzung des Dienstgrades die Beschränkung des § 57 Abs. 1 Satz 1 WDO a.F. eingreift. Da der frühere Soldat als Leutnant der Reserve bereits den niedrigsten Offiziersdienstgrad seiner Laufbahn trägt, ist mithin eine Dienstgradherabsetzung nach dem Gesetz ausgeschlossen.

64 Angesichts dessen ist das angefochtene Urteil der Truppendienstkammer aufzuheben und das Verfahren nach § 123 Satz 3 i.V.m. § 108 Abs. 3 Satz 1 WDO einzustellen.

65 4. Gemäß § 138 Abs. 3 Alt. 2 i.V.m. Abs. 4 WDO sind dem Bund die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen, der auch die dem Soldaten darin erwachsenen notwendigen Auslagen zu tragen hat (§ 140 Abs. 1 Alt. 2 WDO).