Urteil vom 08.12.2004 -
BVerwG 1 D 32.03ECLI:DE:BVerwG:2004:081204U1D32.03.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Urteil vom 08.12.2004 - 1 D 32.03 - [ECLI:DE:BVerwG:2004:081204U1D32.03.0]

Urteil

BVerwG 1 D 32.03

  • BDiG, Kammer VII - ... -, - 23.10.2003 - AZ: BDiG VII VL 9/02 -

In dem Disziplinarverfahren hat das Bundesverwaltungsgericht, Disziplinarsenat,
in der nichtöffentlichen Hauptverhandlung am 8. Dezember 2004,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesverwaltungsgericht
A l b e r s ,
Richterin am Bundesverwaltungsgericht
H e e r e n ,
Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. M ü l l e r ,
Regierungshauptsekretär Thomas S t a r c k
und Postbetriebsassistentin Cornelia D i e d r i c h s e n
als ehrenamtliche Richter
sowie
Postdirektor ...
als Vertreter der Einleitungsbehörde
und
Justizangestellte ...
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
für Recht erkannt:

  1. Auf die von der Einleitungsbehörde fortgeführte Berufung des Bundesdisziplinaranwalts wird das Urteil des Bundesdisziplinargerichts, Kammer VII - ... -, vom 23. Oktober 2003 mit Ausnahme der Kostenentscheidung aufgehoben.
  2. Der Postbetriebsassistent ... wird aus dem Dienst entfernt.
  3. Ihm wird ein Unterhaltsbeitrag in Höhe von 20 vom Hundert seines erdienten Ruhegehalts auf die Dauer von sechs Monaten bewilligt.
  4. Der Beamte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

I


1. Der Bundesdisziplinaranwalt hat den am ... geborenen Beamten am 12. Februar 2002 sowie mit Nachtrag vom 9. Juli 2003 angeschuldigt, dadurch ein Dienstvergehen begangen zu haben,
dass er vom 1. Juli 1999 bis zum 7. August 2000 schuldhaft ungenehmigt dem Dienst ferngeblieben ist.
2. Das Bundesdisziplinargericht hat durch Urteil vom 23. Oktober 2003 entschieden, dass die jeweiligen Dienstbezüge des Beamten auf die Dauer von 60 Monaten um 1/25 gekürzt werden. Es hat seiner Entscheidung folgenden Sachverhalt und folgende rechtliche Würdigung zugrunde gelegt:
Der Beamte war früher im Postumschlagsbereich beschäftigt. Aus Rationalisierungsgründen wurde er am ... in die Abteilung ... (Auslieferung, Zustellung) umgesetzt. Am 7. Januar 1998 meldete sich der Beamte krank und wurde dem Vertragsarzt Dr. M. vorgestellt, der am 16. Januar 1998 sofortige Dienstfähigkeit feststellte. Auch in der Folgezeit erkrankte der Beamte mehrfach und wurde daher der Betriebsärztin Frau A. zur arbeitsmedizinischen Untersuchung vorgestellt. Sie kam in ihrer Stellungnahme vom 10. November 1998 zu dem Ergebnis, es liege ein Bandscheibenvorfall und eine Bandscheibenvorwölbung im Lendenbereich vor, die für die anhaltenden Beschwerden ursächlich seien. Während der Orthopäde Dr. P. uneingeschränkte Einsatzfähigkeit feststellte, kam die Betriebsärztin A. zu der Einschätzung, dass eine Besserung innerhalb von weiteren sechs Monaten eintreten werde.
Da der Beamte weiterhin krankheitsbedingt nicht zum Dienst erschien, wurde er am 26. Mai 1999 erneut der Betriebsärztin A. vorgestellt. Sie kam mit Gutachten vom 1. Juni 1999 zu der Einschätzung, dass unter bestimmten Voraussetzungen keine gesundheitlichen Bedenken gegen einen dienstlichen Einsatz bestünden. Zwar könne der Beamte körperlich schwere und anhaltend mittelschwere Arbeiten nicht mehr leisten. Ein Einsatz in der Briefzustellung sei aber möglich. Das Heben und Tragen von Gegenständen über 15 kg sei ausgeschlossen. Der Beamte nahm sodann am 11. Juni 1999 den Dienst wieder auf, meldete sich jedoch am 12. Juni 1999 wieder krank. Daraufhin wurde er dem Vertragsarzt Dr. M. erneut vorgestellt, der mit Stellungnahme vom 18. Juni 1999 den Beamten für sofort dienstfähig und als Zusteller leistungsfähig erklärte.
Nach Aufforderung erschien der Beamte sodann am 29. Juni 1999 zum Dienst. Er meldete sich am 30. Juni 1999 fernmündlich krank und trat seinen Dienst erst am 8. August 2000 wieder an. Daraufhin verfügte der Leiter der Niederlassung ... der Deutschen Post AG mit Bescheid vom 6. Juli 1999 den Verlust der Dienstbezüge ab dem 1. Juli 1999.
Sowohl das Bundesdisziplinargericht (Beschluss vom 1. März 2000) als auch das Bundesverwaltungsgericht (Beschluss vom 19. Juli 2000 - BVerwG 1 DB 15.00 ) haben diesen Verlustfeststellungsbescheid aufrechterhalten. Das Bundesverwaltungsgericht hat ausgeführt, es bestehe keine Veranlassung, an der Objektivität der postbetriebs- und vertragsärztlichen Stellungnahmen zu zweifeln. In der Diagnose stimmten diese mit den Feststellungen der den Beamten behandelnden Ärzte überein. In diesem Fall komme nach der Rechtsprechung des Senats den betriebs- und vertragsärztlichen Stellungnahmen größerer Beweiswert zu. Insgesamt sei den überzeugenden Gutachten des Vertragsarztes Dr. M. und der Betriebsärztin A. zu folgen.
Der Beamte - so die Vorinstanz - habe durch sein Fernbleiben vom Dienst in der Zeit vom 1. Juli 1999 bis zum 7. August 2000 gegen die ihm obliegende Pflicht aus § 73 Abs. 1 Satz 1 BBG verstoßen, wonach er dem Dienst nicht ohne Genehmigung seines Dienstvorgesetzten fernbleiben dürfe. Zur Überzeugung des Gerichts stehe fest, dass der Beamte in der fraglichen Zeit zwar unter einer Gesundheitsbeeinträchtigung gelitten, diese letztlich jedoch keine Dienstunfähigkeit im Hinblick auf die von ihm zu erbringende Leistung als Briefzusteller bedeutet habe. Das Gericht schließe sich somit den Stellungnahmen der begutachtenden Ärzte an, wonach der Beamte - wenn auch unter Einschränkungen - dienstfähig gewesen sei. Im objektiven Tatbestand decke sich diese Einschätzung auch mit den Beschlüssen der zuvor erkennenden Gerichte im Verlustfeststellungsverfahren.
Allerdings sei das Gericht - so die Vorinstanz - der Auffassung, dass der Beamte nur fahrlässig gehandelt habe. Wenn auch festzustellen sei, dass dem Beamten die Einstellung seiner Dienststelle bekannt gewesen sei, wonach er Dienst hätte leisten müssen, so könnten doch keine Anhaltspunkte dafür festgestellt werden, dass er in Kenntnis der mangelnden Berechtigung zum Fernbleiben vom Dienst gehandelt habe. Vielmehr sei der Beamte nicht nur nach seiner Einlassung von seinen behandelnden Ärzten krankgeschrieben worden und habe auch Betriebsärztin A. eingeschränkte Dienstfähigkeit festgestellt, sondern er sei darüber hinaus auch von dem ihn beratenden Rechtsanwalt dahingehend unterrichtet worden, dass er wegen der hier diagnostizierten Krankheit keinen Dienst leisten könne. Während der gesamten Zeit des Fernbleibens habe der Beamte Behandlungen und Therapien durchgeführt sowie Schmerzmittel eingenommen. Auch die erneute Erkrankung von September 2003 belege, dass bei dem Beamten erhebliche Beeinträchtigungen vorlägen und offensichtlich auch in der vergangenen Zeit schon vorgelegen hätten. Unter Berücksichtigung der gesamten Umstände komme das Gericht daher zu der Erkenntnis, dass der Beamte nicht im Bewusstsein einer mangelnden Berechtigung dem Dienst ferngeblieben, sondern vielmehr fest davon ausgegangen sei, dass er dienstunfähig sei und daher seinen Dienst nicht ableisten könne und müsse. Da er diese insbesondere auf den rechtsanwaltlichen Beratungen beruhende fehlerhafte Einsicht aber durch weitere Aufklärung bei seiner Dienststelle hätte beseitigen können, habe er fahrlässig gehandelt.
Der Beamte habe trotz andauernder gesundheitlicher Beeinträchtigung seit August 2000 seinen Dienst nicht nur ordnungsgemäß versehen, sondern sei seinen Dienstleistungspflichten nach Maßgabe der letzten Beurteilung von Januar 2003 "hervorragend" nachgekommen. Er habe dabei seine nach wie vor anhaltenden gesundheitlichen Probleme zurückgestellt und seinen Dienst als Briefzusteller wahrgenommen. Insgesamt sei daher davon auszugehen, dass das Mahnungsbedürfnis eine Maßnahme mit Außenwirkung nicht erforderlich mache. Die zu verhängende Gehaltskürzung sei allerdings mit der höchstmöglichen Laufzeit von 60 Monaten zu bemessen, um dem Beamten durch die Kürzung der jeweiligen Dienstbezüge vor Augen zu führen, dass er die seit August 2000 vorhandene Einsicht in die Erbringung der Dienstleistungspflicht auch weiterhin umzusetzen habe.
3. Hiergegen hat der Bundesdisziplinaranwalt rechtzeitig Berufung eingelegt und beantragt,
das Urteil des Bundesdisziplinargerichts aufzuheben und den Beamten aus dem Dienst zu entfernen.
Zur Begründung macht er im Wesentlichen geltend:
Das Bundesdisziplinargericht habe zu Recht festgestellt, dass der Beamte durch sein Fernbleiben vom Dienst in der Zeit vom 1. Juli 1999 bis zum 7. August 2000 objektiv gegen die ihm obliegende Pflicht aus § 73 Abs. 1 Satz 1 BBG verstoßen habe. Hinsichtlich des Schuldvorwurfs sei allerdings entgegen der vom Gericht geäußerten Auffassung nicht von fahrlässigem, sondern von zumindest bedingt vorsätzlichem Fehlverhalten auszugehen.
Der zur Begründung des Fahrlässigkeitsvorwurfs maßgeblich herangezogene Hinweis auf die falsche Beratung durch den Prozessbevollmächtigten des Beamten, der diesem gegenüber eine Pflicht zur Dienstleistung verneint habe, stehe nicht mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung im Einklang. Hiernach dürfe sich kein Beamter auf diesbezügliche Aussagen seines Prozessbevollmächtigten verlassen; denn dieser sei kein Mediziner und könne die Frage der Dienstfähigkeit sowie die darauf beruhende Verpflichtung zur Dienstleistung nicht verbindlich entscheiden. Bleibe ein Beamter dem Dienst in diesem Fall fern, nehme er die Möglichkeit, trotz Dienstfähigkeit seiner Pflicht zur Dienstleistung nicht nachzukommen, billigend in Kauf. Auch der konkrete Geschehensablauf lasse keinen Raum für die Annahme eines nur fahrlässigen Fehlverhaltens.
Der Beamte sei mit Schreiben seiner Dienststelle vom 9. November 1998 und 23. Juni 1999, letzteres also nur wenige Tage vor seinem Fernbleiben, darüber belehrt worden, dass keine weiteren privatärztlichen Dienstunfähigkeitsbescheinigungen mehr akzeptiert würden. Ihm sei sogar im März 1998 eine Missbilligung wegen ungenehmigten Fernbleibens vom Dienst ausgesprochen und der Wegfall seiner Dienstbezüge für die Zeit vom 24. bis 28. Januar 1998 festgestellt worden. Beide Bescheide seien u.a. damit begründet, dass er die Mitteilung missachtet habe, dass der Dienstherr Krankschreibungen seines Privatarztes nicht mehr anerkenne. Dem Beamten sei auch die Annahme seiner Dienstfähigkeit durch die Postbetriebsärztin A., des Orthopäden Dr. P. und des Vertragsarztes Dr. M. bekannt gewesen, die ihn alle auch körperlich untersucht hätten.
Wenn er trotzdem allein aufgrund seiner Beschwerdeangaben bei Dr. E. von diesem über einen so langen Zeitraum immer wieder Dienstunfähigkeitsbescheinigungen ausgestellt erhalten habe, teilweise sogar ohne Behandlung, hätte ihm klar sein müssen, dass er sich allein auf die Vorlage dieser Bescheinigungen nicht hätte verlassen dürfen. Er habe mit der Möglichkeit rechnen müssen, für die Briefzustellung grundsätzlich noch dienstfähig zu sein.

II


Die von der Einleitungsbehörde fortgeführte Berufung des Bundesdisziplinaranwalts (vgl. dazu Urteil vom 20. Januar 2004 - BVerwG 1 D 33.02 -) ist begründet und führt zur Entfernung des Beamten aus dem Dienst.
Das Disziplinarverfahren ist nach bisherigem Recht, das heißt auch nach In-Kraft-Treten des Bundesdisziplinargesetzes am 1. Januar 2002 nach den Verfahrensregeln und -grundsätzen der Bundesdisziplinarordnung fortzuführen (vgl. zum Übergangsrecht z.B. Urteil vom 20. Februar 2002 - BVerwG 1 D 19.01 - NVwZ 2002, 1515).
Das Rechtsmittel ist unbeschränkt eingelegt. Die Einleitungsbehörde greift die vom Bundesdisziplinargericht gewählte Schuldform an. Die Bestimmung der richtigen Schuldform ist nicht nur für die Maßnahmemessung, sondern zugleich - als so genannter doppelrelevanter Umstand - für die Schuldfrage, also für den subjektiven Disziplinartatbestand des Dienstvergehens von Bedeutung (stRspr: vgl. etwa Urteil vom 11. Dezember 2001 - BVerwG 1 D 2.01 -). Der Senat hat deshalb den Sachverhalt selbst festzustellen und disziplinarrechtlich zu würdigen.
1. Aufgrund der zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemachten Beweismittel geht der Senat in weitgehender Übereinstimmung mit dem Bundesdisziplinargericht sowie den im Verlustfeststellungsverfahren vom Senat mit Beschluss vom 19. Juli 2000 - BVerwG 1 DB 15.00 - getroffenen Feststellungen, die der Beamte im Berufungsverfahren nicht mehr substantiiert bestreitet, von einer zumindest eingeschränkten Dienstfähigkeit des Beamten in dem angeschuldigten Zeitraum des Fernbleibens vom Dienst aus. Das ergibt sich aus Folgendem:
Die Postbetriebsärztin A. hatte den Beamten bereits im September 1998 untersucht und kannte seine Beschwerden im Rückenbereich. Als Ergebnis ihrer erneuten Untersuchung am 26. Mai 1999 stellte sie in ihrem Gutachten vom 1. Juni 1999 die Diagnose "rezidivierende Kreuzschmerzen bei einem im Oktober 1998 aufgetretenen Bandscheibenvorfall". Zur Vorgeschichte führte sie aus, der Beamte habe bereits in den vergangenen Jahren gelegentlich über Kreuzschmerzen geklagt, die sich im Oktober 1998 unter Belastung verstärkt hätten, besonders bei längerem Gehen, Treppensteigen und beim Aufstehen. Als Befund stellte sie seinerzeit einen geringen Beckentiefstand links fest, aber eine ausreichende und schmerzfreie Beweglichkeit der Wirbelsäule und keine neurologischen Ausfallzeichen. Bezogen auf die Tätigkeit des Beamten hielt sie ihn für vollschichtig in der Briefzustellung einsatzfähig, wegen seiner eingeschränkten Belastbarkeit solle das Heben und Tragen von Gegenständen über 15 kg jedoch ausgeschlossen werden. Der Beamte war nach den Feststellungen der Postbetriebsärztin A. für körperlich schwere und anhaltend mittelschwere Arbeiten in einseitiger, gebückter und rumpfverdrehter Körperhaltung auf Dauer nicht mehr geeignet. In normaler Körperhaltung, im Gehen, Stehen, Sitzen und beim Fahrradfahren könne der Beamte aber leichte bis mittelschwere Arbeiten verrichten; ein Einsatz in der Briefzustellung sei für ihn leistbar.
Diese ausführliche und nachvollziehbare Diagnose ist nach einer Untersuchung des Beamten durch den Postvertragsarzt und Betriebsmediziner Dr. M. am 18. Juni 1999 bestätigt worden; zuvor hatte bereits der Orthopäde Dr. P. in einem Gutachten vom 4. November 1998 bei dem Beamten einen übereinstimmenden Befund erhoben; auch er hielt ihn in der Briefzustellung für uneingeschränkt einsetzbar.
Auch aus der von dem Beamten vorgelegten Bescheinigung des ihn behandelnden Orthopäden Dr. H. vom 25. Mai 1999 ergibt sich nichts anderes.
Sowohl mit Schreiben vom 9. November 1998 als auch vom 23. Juni 1999 hatte die Dienststelle den Beamten darüber unterrichtet, dass sie künftig keine weiteren privatärztlichen Dienstunfähigkeitsbescheinigungen mehr akzeptieren werde. Gleichwohl hat der Beamte in dem Anschuldigungszeitraum weitere Dienstunfähigkeitsbescheinigungen des Arztes für Allgemeinmedizin Dr. E. ohne jede Diagnose eingereicht. Die von ihm in der erstinstanzlichen Verhandlung zu den Akten gereichte Bescheinigung - undatiert - der Dres. S. ist wenig aufschlussreich, da sich hieraus keine relevanten Daten für den Anschuldigungszeitraum ergeben.
Der Senat hat keine Veranlassung, an der Objektivität der postbetriebs- und vertragsärztlichen Stellungnahmen zu zweifeln. In der Diagnose stimmen sie mit den Feststellungen der den Beamten behandelnden Ärzte überein. Kommen betriebs- und vertragsärztliche Stellungnahmen einerseits und privatärztliche Atteste andererseits bezüglich desselben Krankheitsgeschehens zu unterschiedlichen Ergebnissen hinsichtlich der Dienstfähigkeit eines Beamten, kommt nach der Rechtsprechung des Senats ersteren grundsätzlich höherer Beweiswert zu (so z.B. Beschlüsse vom 9. Juli 1999 - BVerwG 1 DB 18.99 - und vom 14. Februar 2000 - BVerwG 1 DB 9.99 -). Hierfür sind die in der Regel im Vergleich zu einem Privatarzt besseren Kenntnisse eines Betriebs- oder Vertragsarztes bezüglich der betrieblichen Belange und der von dem Beamten zu verrichtenden Tätigkeit sowie seine größere Erfahrung bei der Beurteilung der Dienstfähigkeit maßgebend. Ob und wann einer Gesundheitsstörung Krankheitswert beizumessen ist, mag ein Privatarzt, zumal ein Facharzt besser beurteilen können. Ob und wann hingegen eine Störung mit Krankheitswert die Dienstfähigkeit beeinträchtigt, ist eine Frage, deren Entscheidung sachgerechter ein in arbeitsmedizinischen Fragen fachkundiger Betriebsarzt oder Vertragsarzt treffen kann. Die von dem Beamten vorgelegten Dienstunfähigkeitsbescheinigungen enthalten keinerlei Diagnosen und sind bereits von daher nicht geeignet, die fundierten postbetriebsärztlichen Beurteilungen in Frage zu ziehen, zumal der Hausarzt Dr. E. offensichtlich keine fachorthopädische Zusatzausbildung besitzt, ja den Beamten nicht einmal orthopädisch behandelt, ihn vielmehr an den Orthopäden Dr. H. überwiesen hat. Dr. H. wiederum hat dem Beamten am 25. Mai 1999 nur bescheinigt, dass seine "körperliche Belastbarkeit eingeschränkt" sei. Eben davon sind auch die Betriebsärzte ausgegangen.
2. Der nach alledem zumindest eingeschränkt dienstfähige Beamte ist dem Dienst jedenfalls im Zeitraum vom 5. April bis zum 7. August 2000, das heißt über vier Monate auch bedingt vorsätzlich unerlaubt ferngeblieben (§ 73 Abs. 1 Satz 1 BBG); auf bewusste Fahrlässigkeit kann er sich insoweit nicht mit Erfolg berufen. Bewusste Fahrlässigkeit und bedingter Vorsatz sind insoweit deckungsgleich, als der Handelnde die Verwirklichung eines gesetzlichen Tatbestandes weder anstrebt noch für sicher hält. Er hält sie nur für möglich. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, der sich der Senat anschließt, unterscheiden sich die Schuldformen darin, dass der bewusst fahrlässig Handelnde mit der als möglich erkannten Folge nicht einverstanden ist und deshalb ernsthaft und nicht nur vage auf ihren Nichteintritt vertraut, während der bedingt vorsätzlich Handelnde mit dem Eintreten des schädlichen Erfolges in der Weise einverstanden ist, dass er ihn billigend in Kauf nimmt oder sich um des erstrebten Zieles willen wenigstens mit ihm abfindet, mag ihm auch der Erfolgseintritt an sich unerwünscht sein (Urteil vom 9. April 2002 - BVerwG 1 D 17.01 - m.w.N.).
Im vorliegenden Fall ist der Beamte nach der Überzeugung des Senats jedenfalls ab dem 5. April 2000, als ihm der seinen Rechtsschutzantrag im Verlustfeststellungsverfahren ablehnende Beschluss des Bundesdisziplinargerichts vom 1. März 2000 zugestellt worden ist, zumindest bedingt vorsätzlich dem Dienst ferngeblieben. Der Beamte war bereits mit Schreiben seiner Dienststelle vom 9. November 1998 und 23. Juni 1999 darüber belehrt worden, sie werde keine weiteren privaten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen mehr akzeptieren. Ihm war sogar im März 1998 eine Missbilligung wegen unerlaubten Fernbleibens vom Dienst ausgesprochen und der Wegfall seiner Dienstbezüge für die Zeit vom 24. bis 28. Januar 1998 festgestellt worden. Beide Bescheide waren u.a. damit begründet, er habe die Mitteilung missachtet, dass die Post Krankschreibungen seines behandelnden Arztes nicht mehr anerkennen werde. Schon aufgrund dieser deutlichen Ermahnungen und Hinweise hätte dem Beamten mit Realschulabschluss - trotz anders lautender Ratschläge seines damaligen Bevollmächtigten - klar sein müssen, dass er sich auf die Vorlage der privatärztlichen Krankschreibungen seiner Hausärzte Dr. E. und Dr. Sch.-... nicht verlassen durfte, zumal er die Umstände des Zustandekommens seiner Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen kannte: Krankschreibungen wegen orthopädischer Beschwerden erfolgten nicht durch den behandelnden Orthopäden Dr. H., sondern durch den Hausarzt, und zwar weitgehend, wie der Beamte einräumte, ohne eigene Untersuchung, sondern nur auf die Schilderungen des Beamten hin.
Jedenfalls ab dem 5. April 2000 nahm er die Möglichkeit, trotz (eingeschränkter) Dienstfähigkeit seiner Pflicht zur Dienstleistung nicht nachzukommen, zumindest billigend in Kauf. Als juristischer Laie wusste er nunmehr, dass auch das Bundesdisziplinargericht unter Hinweis auf die ständige Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts wegen der Vorrangigkeit der postbetriebs- und vertragsärztlichen Stellungnahmen von seiner Dienstfähigkeit und damit Dienstleistungspflicht ausging. Wenn sich der Beamte unter diesen Umständen weiter einseitig auf die abweichenden Ratschläge seines Anwalts verließ und nicht zum Dienst erschien, handelte der zumindest bedingt vorsätzlich; er ging damit ein großes Risiko ein, das sich zu seinem Nachteil realisiert hat (vgl. dazu auch Urteil vom 29. Oktober 1981 - BVerwG 1 D 50.80 - BVerwGE 73, 263 <285>; und Beschluss vom 19. Juni 2000 - BVerwG 1 DB 13.00 - 111, 246 <254>; ob wegen falscher Beratung eventuell Regressansprüche bestehen, ist hier nicht zu entscheiden).
3. Das bedingt vorsätzlich begangene Dienstvergehen (§ 77 Abs. 1 Satz 1 BBG) wiegt sehr schwer und führt zur Entfernung des Beamten aus dem Dienst.
Das Gebot überhaupt zum Dienst zu erscheinen, ist Grundpflicht eines jeden Beamten. Ohne die Dienstleistung ihrer Mitarbeiter wäre die Verwaltung nicht im Stande, die ihr gegenüber der Allgemeinheit obliegenden Aufgaben zu erfüllen. Deshalb kann einem Beamten, der ohne triftigen Grund nicht zum vorgeschriebenen Dienst erscheint, nicht mehr das Vertrauen entgegengebracht werden, das für eine berufliche Zusammenarbeit unerlässlich ist. Verweigert ein Beamter den Dienst für einen längeren Zeitraum, so ergibt sich die Notwendigkeit, das Beamtenverhältnis einseitig zu lösen, regelmäßig schon aus der Dauer der Dienstverweigerung selbst sowie aus dem Umstand, dass das Erfordernis der Dienstleistung und damit die Bedeutung ihrer Unterlassung für jedermann leicht zu erkennen ist. Setzt sich der Beamte gleichwohl über diese Erkenntnis hinweg, offenbart er ein so hohes Maß an Verantwortungslosigkeit, Pflichtvergessenheit und Mangel an Einsicht in die Notwendigkeit einer geordneten Verwaltung, dass in aller Regel das Vertrauensverhältnis zum Dienstherrn zerstört ist (stRspr: vgl. etwa Urteil vom 25. November 1998 - BVerwG 1 D 19.97 -).
Ausgehend von diesen Grundsätzen hat der Senat die Höchstmaßnahme stets in den Fällen ausgesprochen, in denen der Beamte ununterbrochen oder in Teilschritten annähernd vier Monate - wie hier - oder gar länger unerlaubt vorsätzlich dem Dienst ferngeblieben war (z.B. Urteile vom 12. Juni 1997 - BVerwG 1 D 10.95 - und vom 10. Juni 1998 - BVerwG 1 D 39.96 -). Schon bei einem schuldhaft ungenehmigten Fernbleiben vom Dienst von ununterbrochen ca. sieben Wochen bewegt sich die zu verhängende Maßnahme - je nach den Umständen des Einzelfalles - im Grenzbereich zwischen Dienstentfernung und Degradierung, wenn der Beamte vorsätzlich gehandelt hat (Urteil vom 22. April 1991 - BVerwG 1 D 62.90 - BVerwGE 93, 78 = DokBerB 1991, 189).
Diesem schwerwiegenden Dienstvergehen stehen keine durchgreifenden Milderungsgründe gegenüber - und werden vom Beamten auch nicht geltend gemacht -, die eine andere Entscheidung rechtfertigen könnten. Dies gilt auch im Hinblick auf die zuletzt positive Beurteilung des Beamten, der bereits vier Jahre nach seiner Ernennung zum Lebenszeitbeamten schwer versagt hat.
4. Die Entfernung des Beamten aus dem Dienst ist nicht unverhältnismäßig. Das aus dem verfassungsrechtlichen Rechtsstaatsprinzip folgende Verhältnismäßigkeitsgebot beansprucht auch bei der Verhängung von Disziplinarmaßnahmen Geltung (vgl. BVerfGE 46, 17). Danach muss die dem Einzelnen staatlicherseits auferlegte Belastung geeignet und erforderlich sein, um den angestrebten Zweck zu erreichen. Darüber hinaus darf der Eingriff seiner Intensität nach nicht außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache und den von dem Betroffenen hinzunehmenden Einbußen stehen. Die Entfernung eines Beamten aus dem Dienst als disziplinarische Höchstmaßnahme verfolgt neben der Wahrung des Vertrauens in die pflichtgemäße Aufgabenerfüllung durch die öffentliche Verwaltung den Zweck der Generalprävention. Ist durch das Gewicht des Dienstvergehens und mangels Milderungsgründen das Vertrauen zerstört und kann deshalb nicht davon ausgegangen werden, der Beamte werde dem Gebot, seine Aufgaben pflichtgemäß zu erfüllen, Rechnung tragen, erweist sich die Entfernung aus dem Dienst als geeignete und erforderliche Maßnahme, den aufgezeigten Zwecken der Disziplinarmaßnahme Geltung zu verschaffen. So verhält es sich regelmäßig bei unerlaubtem Fernbleiben vom Dienst über einen längeren Zeitraum. Sie ist auch angemessen. Insoweit sind abzuwägen das Gewicht des Dienstvergehens und der dadurch eingetretene Vertrauensschaden einerseits und die mit der Verhängung der Höchstmaßnahme einhergehenden Belastungen andererseits. Ist das Vertrauensverhältnis gänzlich zerstört, erweist sich die Entfernung aus dem Dienst als angemessene Reaktion auf das Dienstvergehen. Die Auflösung des Dienstverhältnisses beruht dann auf der schuldhaften Pflichtverletzung durch den Beamten und ist diesem daher als eine für alle öffentlich-rechtlichen und privaten Beschäftigungsverhältnisse vorhersehbare Rechtsfolge derartiger Pflichtverletzungen zuzurechnen (stRspr: vgl. Urteil vom 7. März 2001 - BVerwG 1 D 14.00 - m.w.N.). Dabei ist in die Abwägung einzustellen, dass der Beamte mit der Entfernung aus dem Dienst keineswegs auf Dauer ohne Versorgung dasteht; denn er ist in der Rentenversicherung nachzuversichern (§ 8 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. Abs. 2 SGB VI).
5. War nach alledem die Entfernung des Beamten aus dem Dienst unabweisbar, so kann ihm gemäß § 77 Abs. 1 BDO ein Unterhaltsbeitrag bewilligt werden. Eines solchen Unterhaltsbeitrages ist der Beamte nicht unwürdig und unter Zugrundelegung seiner gegenwärtigen finanziellen Verhältnisse in der zuerkannten Höhe auch bedürftig. Für die Höhe des Unterhaltsbeitrages kommt es auf die (noch) aktuellen Regelsätze des Bundessozialhilfegesetzes und auf die Familienverhältnisse des Beamten an; das Einkommen der Ehefrau ist anzurechnen. Der Unterhaltsbeitrag dient dazu, dem Beamten den durch den Wegfall der Dienstbezüge notwendig gewordenen Übergang in einen anderen Beruf oder in eine andere Art der finanziellen Existenzsicherung zu erleichtern. Diesem Zweck liegt die Erwartung zugrunde, dass sich der Beamte nachweisbar und in ausreichendem Maße, das heißt fortlaufend um die Aufnahme einer anderen Erwerbstätigkeit oder um eine andere Art der Sicherung seiner finanziellen Grundlagen bemüht. Der Senat macht vorsorglich darauf aufmerksam, dass sich die Bemühungen um einen neuen Arbeitsplatz nicht auf die Meldung beim Arbeitsamt (Agentur für Arbeit) als arbeitssuchend beschränken dürfen. Der Beamte ist gehalten, sich fortwährend zum Beispiel auf Arbeitsplatzangebote in den Tageszeitungen oder im Internet zu bewerben und auch selbst, beispielsweise durch eigene Stellengesuche, initiativ zu werden. Der Nachweis dieser Bemühungen und deren Erfolglosigkeit sind auch Voraussetzung einer etwaigen Weiterbewilligung des Unterhaltsbeitrags gemäß § 110 Abs. 2 BDO nach Antragstellung bei dem jetzt zuständigen Verwaltungsgericht Hamburg (vgl. zur Rechtslage nach dem am 1. Januar 2002 in Kraft getretenen Bundesdisziplinargesetz: Senatsbeschlüsse vom 15. Januar 2002 - BVerwG 1 DB 34.01 - Buchholz 235 § 110 BDO Nr. 10 = ZBR 2002, 436 = DokBerB 2002, 95 und vom 19. Oktober 2004 - 1 DB 5.04 -).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 114 Abs. 1 Satz 1 BDO.