Beschluss vom 08.08.2007 -
BVerwG 10 B 79.07ECLI:DE:BVerwG:2007:080807B10B79.07.0

Beschluss

BVerwG 10 B 79.07

  • OVG des Landes Sachsen-Anhalt - 23.11.2006 - AZ: OVG 3 L 315/03

In der Verwaltungsstreitsache hat der 10. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 8. August 2007
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Mallmann, den Richter am Bundesverwaltungsgericht Richter und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Fricke
beschlossen:

  1. Der Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts wird abgelehnt.
  2. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts des Landes Sachsen-Anhalt vom 23. November 2006 wird zurückgewiesen.
  3. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

1 Dem Kläger kann die beantragte Prozesskostenhilfe nicht bewilligt werden, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung aus den nachstehenden Gründen keine Aussicht auf Erfolg hat (§ 166 VwGO i.V.m. § 114 ZPO).

2 Die Beschwerde, die sich auf sämtliche Revisionszulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO stützt, hat keinen Erfolg.

3 1. Die Rechtssache hat nicht die von der Beschwerde behauptete grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Die Beschwerde spricht in diesem Zusammenhang insgesamt acht Fragenkomplexe an, die sich jeweils auf die Situation staatenloser Kurden in Syrien beziehen. Soweit diesem Vorbringen Rechtsfragen zu entnehmen sind, geht die Beschwerde nicht darauf ein, inwieweit diese Fragen in der höchstrichterlichen Rechtsprechung behandelt und geklärt sind und inwiefern anlässlich des Entscheidungsfalles weiterer Klärungsbedarf besteht. Die Beschwerde macht auch nicht oder nur unzureichend ersichtlich, dass sich die angesprochenen Fragen in einem Revisionsverfahren in entscheidungserheblicher Weise stellen würden. Dies hat der Senat zu sieben der acht Fragenkomplexe auf entsprechende Rügen der Prozessbevollmächtigten des Klägers in dem Beschluss vom 27. Juni 2007 - BVerwG 10 B 30.07 (früher: 1 B 98.06 ) - im Einzelnen ausgeführt. Hierauf wird Bezug genommen.

4 Der neue, achte Fragenkomplex bezieht sich - wie andere Grundsatzrügen - auf einen Sachverhalt, der im Wesentlichen mit der 1962 in Syrien durchgeführten Volkszählung zusammenhängt. So hält die Beschwerde (Nr. 1.3 der Beschwerdebegründung) für klärungsbedürftig, „ob die Frage nach der Zielgerichtetheit einer Maßnahme lediglich bei der Konsequenz vorangegangenen staatlichen Tuns anknüpfen darf oder ob der Gesamtzusammenhang, also auch das vorangegangene Tun, mit zu würdigen ist“. Auch diese Frage würde sich - von allem anderen abgesehen - in einem Revisionsverfahren nicht stellen. Denn das Berufungsgericht ist auf der Grundlage seiner tatsächlichen Feststellungen, die von der Beschwerde nicht mit durchgreifenden Verfahrensrügen angegriffen worden sind (vgl. dazu unten unter 3.) und das Revisionsgericht deshalb binden (§ 137 Abs. 2 VwGO), zu der Überzeugung gelangt, dass für den Kläger, ein Mitglied der Gruppe staatenloser, „nichtregistrierter“ Kurden in Syrien, keine politische Verfolgungsgefahr besteht, selbst wenn die 1962 erfolgte Ausbürgerung bzw. Nichtregistrierung ein Akt politischer Verfolgung gewesen sein sollte (vgl. UA S. 11 f. und 22 f.).

5 2. Die von der Beschwerde geltend gemachte Divergenz der Berufungsentscheidung zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts liegt nicht vor (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO). Der Senat nimmt auch in diesem Zusammenhang Bezug auf seinen Beschluss vom 27. Juni 2007. Denn die von der Beschwerde nunmehr erhobenen Divergenzrügen entsprechen den Divergenzrügen in dem früheren Verfahren.

6 3. Ohne Erfolg macht die Beschwerde Verfahrensmängel geltend (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Der unter Nr. 3.1, 3.3 und 3.4 der Beschwerdebegründung erhobene Vorwurf, das Berufungsgericht habe wesentliches Vorbringen des Klägers nicht hinreichend erwogen, trifft nicht zu. Auch dies hat der Senat in seinem Beschluss vom 27. Juni 2007 auf entsprechende Rügen der Prozessbevollmächtigten des Klägers bereits dargelegt (dort zu Nr. 3.1, 3.2 und 3.3 der Beschwerdebegründung).

7 Unter Nr. 3.2 der Beschwerdebegründung rügt die Beschwerde eine Verletzung des rechtlichen Gehörs, weil es sich bei der Entscheidung des Berufungsgerichts um eine Überraschungsentscheidung handele; der Kläger habe nicht wissen können, dass das Berufungsgericht davon ausgehen würde, dass ca. 120 000 Kurden nach 1945 illegal nach Syrien eingewandert seien. Eine solche Gehörsverletzung zeigt die Beschwerde indessen nicht in einer den Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO entsprechenden Weise auf. Aus dem Recht auf rechtliches Gehör folgt - auch in der Ausprägung, die dieses Recht in § 86 Abs. 3 VwGO gefunden hat - keine allgemeine Frage- und Aufklärungspflicht des Gerichts. Die Beschwerde macht nicht ersichtlich, inwieweit hier eine Hinweispflicht bestanden haben soll. Im Übrigen hat das Berufungsgericht entgegen der Auffassung der Beschwerde angenommen, dass viele Kurden bereits vor 1945 ihren ständigen Aufenthalt auf dem Gebiet der heutigen Republik Syrien hatten, dies aber nicht belegen konnten (UA S. 9 und 10). Die syrische Regierung habe behauptet, dass es sich bei den Kurden, die 1962 als Ausländer erfasst bzw. nicht registriert worden seien, um Flüchtlinge bzw. nach 1945 Zugewanderte gehandelt habe; einen Nachweis hierfür sei die Regierung jedoch schuldig geblieben (UA S. 11). Auch die Familie des Klägers habe sich bereits vor 1945 auf dem Gebiet des heutigen Syriens aufgehalten (UA S. 12). Auch soweit die Beschwerde in diesem Zusammenhang geltend macht, das Gericht habe wesentliches Vorbringen des Klägers nicht zur Kenntnis genommen, zeigt es eine Gehörsverletzung nicht schlüssig auf.

8 Ohne Erfolg rügt die Beschwerde schließlich, dass das Berufungsgericht Beweisanträge des Klägers abgelehnt und dadurch dessen Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt habe. Die Beschwerde bezieht sich zunächst auf den Antrag, darüber Beweis zu erheben, dass es nach der Unabhängigkeit Syriens nicht mehr in nennenswertem Umfang eine Einwanderung von Kurden oder anderen Ethnien aus der Türkei oder dem Irak gegeben habe. Die Beschwerde zeigt in diesem Zusammenhang nicht auf, dass das Berufungsgericht, das diesen Antrag wegen fehlender Entscheidungserheblichkeit abgelehnt hat, damit verfahrensfehlerhaft vorgegangen ist. Namentlich setzt sich die Beschwerde nicht hinreichend damit auseinander, dass das Berufungsgericht, wie ebenfalls ausgeführt, zu der Überzeugung gelangt ist, dass für den Kläger keine politische Verfolgungsgefahr besteht, selbst wenn das Vorgehen des syrischen Staates bei der Volkszählung 1962 ein Akt politischer Verfolgung gewesen sein sollte.

9 Entsprechendes gilt für den Beweisantrag zu klären, dass es eine Vorgabe des syrischen Staates für die Durchführung der Volkszählung 1962 gegeben habe, die Zahl der Kurden mit syrischer Staatsangehörigkeit vor allem im Grenzgebiet zur Türkei und dem Irak um mindestens 100 000 zu verringern. Auch hier zeigt die Beschwerde nicht hinreichend auf, dass die Frage für das Berufungsgericht entgegen dessen Auffassung bei der Ablehnung des Beweisantrags entscheidungserheblich war.

10 Unschlüssig ist auch die Rüge hinsichtlich des Antrags auf Beweiserhebung darüber, dass die syrische Arabisierungspolitik nach wie vor nicht beendet sei. Das Berufungsgericht hat den Antrag u.a. mit der Begründung abgelehnt, es verfüge insoweit bereits über hinreichende Erkenntnismittel. Die Beschwerde legt nicht dar, aus welchen Gründen es ermessensfehlerhaft gewesen sein soll, dass das Berufungsgericht von der Einholung weiterer sachverständiger Stellungnahmen und Auskünfte abgesehen hat. Im Übrigen ist das Berufungsgericht nicht davon ausgegangen, dass die syrische Arabisierungspolitik beendet sei. Es hat eine sachverständige Stellungnahme, in der von einer „anhaltenden Arabisierungspolitik“ die Rede ist, seiner Entscheidung ausdrücklich, wenn auch mit Einschränkungen zugrunde gelegt (UA S. 22). Auch hinsichtlich der weiteren in der Beschwerdebegründung angeführten Beweisanträge zeigt die Beschwerde nicht in einer den gesetzlichen Darlegungsanforderungen entsprechenden Weise auf, dass die Ablehnung gegen Verfahrensrecht verstößt.

11 Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO).

12 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylVfG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 RVG.