Beschluss vom 08.06.2017 -
BVerwG 8 B 24.16ECLI:DE:BVerwG:2017:080617B8B24.16.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 08.06.2017 - 8 B 24.16 - [ECLI:DE:BVerwG:2017:080617B8B24.16.0]

Beschluss

BVerwG 8 B 24.16

  • VG Gera - 16.12.2015 - AZ: VG 6 K 209/13 Ge

In der Verwaltungsstreitsache hat der 8. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 8. Juni 2017
durch den Vizepräsidenten des Bundesverwaltungsgerichts Dr. Christ,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Rublack und
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Seegmüller
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Gera vom 16. Dezember 2015 wird zurückgewiesen.
  2. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 112 343,11 € festgesetzt.

Gründe

I

1 Der Kläger begehrt die Auskehr des Erlöses aus der investiven Veräußerung des Grundstücks T.Straße ... in E. Dessen Alteigentümerin M. B. erklärte 1977 ihren Eigentumsverzicht auf das Grundstück, welches daraufhin 1978 in Eigentum des Volkes überführt wurde. Ihr Erbe R. B. beantragte 1992 die Rückübertragung des Grundstücks und trat diesen Anspruch an den Kläger ab. Dieser legte im Verwaltungsverfahren eine gutachterliche Stellungnahme der Sachverständigen Dipl.-Ing. T. vom 19. Juni 2006 über den baulichen Zustand des auf dem Grundstück errichteten Mehrfamilienwohnhauses zum Zwecke des Nachweises der unmittelbar bevorstehenden Überschuldung des Grundstücks zum Feststellungszeitpunkt 30. März 1978 vor, das eine Gesamtkostensumme notwendiger Instandsetzungsmaßnahmen in Höhe von 48 840,76 M/DDR errechnete. Das Grundstück wurde 2005 mit Zustimmung des Klägers veräußert.

2 Der Beklagte lehnte den Rückübertragungsantrag mit Bescheid vom 27. April 2011 ab und wies den Widerspruch hiergegen mit Widerspruchsbescheid vom 1. März 2013 zurück.

3 Das Verwaltungsgericht hat nach Vernehmung von vier Zeugen in der mündlichen Verhandlung und Einholung schriftlicher Stellungnahmen dreier weiterer Zeugen im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung mit Urteil vom 16. Dezember 2015 entschieden und die Klage abgewiesen. Ein Anspruch des Klägers auf Erlösauskehr nach § 16 Abs. 1 Investitionsvorranggesetz scheitere an der mangelnden Überschuldung des Grundstücks im Sinne des § 1 Abs. 2 VermG. Dem vereinfachend berechneten Einheitswert von maximal 24 100 M/DDR habe zum Zeitpunkt des Eigentumsverzichts 1977 ein unaufschiebbar notwendiger Instandhaltungsbedarf in Höhe von maximal 16 804,48 M/DDR gegenübergestanden. Der Umfang des Instandsetzungsbedarfs lasse sich anhand der Zeugenaussagen und die Kosten dafür aus dem Gutachten der Sachverständigen T. hinreichend sicher ermitteln. Das Verwaltungsgericht hat die Revision nicht zugelassen.

II

4 Die ausschließlich mit Verfahrensrügen (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) begründete Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision hat keinen Erfolg.

5 Der Kläger macht geltend, das Verwaltungsgericht habe gegen den Überzeugungsgrundsatz nach § 108 Abs. 1 VwGO verstoßen, indem es den Prozessstoff selektiv verwertet und seiner Entscheidung allein die Aussagen der Zeugen und das Gutachten des Klägers von 2006 zugrunde gelegt habe. Die im Tatbestand des Urteils noch erwähnte Grobeinschätzung des VEB Kommunale Wohnungsverwaltung E. vom 4. Dezember 1977 über den Bauzustand des Gebäudes, die einen Instandhaltungsbedarf von 25 000 M/DDR ergeben habe, sowie die Bauzustandseinschätzung vom 12. Januar 1980 seien in den Entscheidungsgründen nicht berücksichtigt worden. Aus ihnen hätten sich deutliche Anhaltspunkte für einen erheblichen Instandsetzungsbedarf ergeben.

6 Damit ist eine Verletzung des Überzeugungsgrundsatzes nicht dargetan. Nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO hat das Gericht seiner Überzeugungsbildung das Gesamtergebnis des Verfahrens zugrunde zu legen. Es darf nicht einzelne erhebliche Tatsachen oder Beweisergebnisse aus seiner Würdigung ausblenden. Im Übrigen darf es zur Überzeugungsbildung die ihm vorliegenden Tatsachen und Beweise frei würdigen. Die Einhaltung der verfahrensrechtlichen Grenzen zulässiger Sachverhalts- und Beweiswürdigung ist deshalb nicht schon dann in Frage gestellt, wenn ein Beteiligter das vorliegende Tatsachenmaterial anders würdigt oder aus ihm andere Schlüsse ziehen will als das Gericht. Diese Grenzen sind erst dann überschritten, wenn das Gericht nach seiner Rechtsauffassung entscheidungserheblichen Akteninhalt übergeht oder aktenwidrige Tatsachen annimmt, oder wenn die von ihm gezogenen tatsächlichen Schlussfolgerungen gegen die Denkgesetze verstoßen. Die Beweiswürdigung des Tatsachengerichts darf vom Revisionsgericht nicht daraufhin überprüft werden, ob sie überzeugend ist, ob festgestellte Einzelumstände mit dem ihnen zukommenden Gewicht in die abschließende Würdigung des Sachverhalts eingegangen sind und ob solche Einzelumstände ausreichen, die Würdigung zu tragen. Solche Fehler sind revisionsrechtlich regelmäßig nicht dem Verfahrensrecht, sondern dem materiellen Recht zuzuordnen und können einen Verfahrensmangel deshalb grundsätzlich nicht begründen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 7. Februar 2017 - 6 B 31.16 - juris Rn. 10 m.w.N.).

7 Nach diesem Maßstab musste das Verwaltungsgericht auf die Einschätzungen des VEB Kommunale Wohnungsverwaltung von 1977 in seinen Entscheidungsgründen nicht ausdrücklich eingehen. Es musste auch dessen Bauzustandseinschätzung von 1980 nicht zugrunde legen, da es sie in der Sache für ungeeignet gehalten hat (UA S. 16). Diese Unterlagen bestehen jeweils nur aus einem ein- bzw. doppelseitigen ausgefüllten Formular und weisen keine Details auf, die nicht in der wesentlich ausführlicheren Darstellung des vom Kläger selbst eingereichten und vom Verwaltungsgericht verarbeiteten 17-seitigen Gutachtens der Sachverständigen T. enthalten wären. Vielmehr verweist dieses Gutachten an mehreren Stellen auf die in der Beschwerdebegründung angeführten Unterlagen des VEB und baut seine - in der Gesamtsumme noch wesentlich höhere - Einschätzung des Instandsetzungsbedarfs für den Untersuchungszeitpunkt 1978 ausdrücklich auch auf ihnen auf (S. 4, 11 ff.). Auch der Kläger hatte das von ihm eingereichte Gutachten der Sachverständigen T. von 2006 in seiner Klagebegründung als reale Beurteilung der notwendigen Instandsetzungskosten bezeichnet (S. 8). Weder die Grobeinschätzung 1977 noch die Bauzustandseinschätzung 1980 waren daher gesondert für die Entscheidungsfindung des Verwaltungsgerichts erheblich. Sie hatten in das umfassendere Gutachten von 2006 Eingang gefunden. Dem Verwaltungsgericht kann eine Nichtberücksichtigung der beiden Unterlagen schon deshalb nicht vorgeworfen werden, weil es sie mittelbar durch seine Auseinandersetzung mit dem umfassenderen Gutachten von 2006 in weiterverarbeiteter Gestalt in seine Entscheidungsfindung einbezogen hat.

8 Dass die Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts gegen die Gesetze des Denkens und der Logik verstieße, legt die Beschwerdebegründung nicht dar. Auch der vom Kläger geltend gemachte Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO ist nicht gegeben. Soweit der Kläger kritisiert, das Verwaltungsgericht habe den Umfang der notwendigen Instandsetzungsarbeiten allein aus den Zeugenaussagen und nicht aus den genannten Gutachten bzw. Einschätzungen abgeleitet, greift er die dem materiellen Recht zuzurechnende Beweiswürdigung des Gerichts an. Damit lässt sich der von ihm gerügte Verfahrensmangel nicht begründen.

9 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG.