Beschluss vom 08.06.2011 -
BVerwG 9 B 23.11ECLI:DE:BVerwG:2011:080611B9B23.11.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 08.06.2011 - 9 B 23.11 - [ECLI:DE:BVerwG:2011:080611B9B23.11.0]

Beschluss

BVerwG 9 B 23.11

  • VGH Baden-Württemberg - 09.12.2010 - AZ: VGH 7 S 3291/08

In der Verwaltungsstreitsache hat der 9. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 8. Juni 2011
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Storost und
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Christ und Prof. Dr. Korbmacher
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg - Flurbereinigungsgericht - vom 9. Dezember 2010 wird zurückgewiesen.
  2. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 5 000 € festgesetzt.

Gründe

1 Die auf grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache und Verfahrensmängel (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO) gestützte Beschwerde kann keinen Erfolg haben.

2 1. Die Gehörsrüge genügt nicht den Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO.

3 Die Beschwerde macht geltend, der Anspruch auf rechtliches Gehör sei verletzt, weil dem Kläger keine Akteneinsicht in die Verwaltungsvorgänge des Beklagten gewährt worden sei. Der Rechtsvorgänger des Klägers habe im April 2009 telefonisch Akteineinsicht beantragt. Dieser Antrag sei nicht beschieden worden, vielmehr sei der Rechtsvorgänger des Klägers aufgefordert worden, den Antrag schriftlich zu stellen und näher zu begründen, weshalb es ihm bereits zweimal nicht möglich gewesen sei, die Akten beim Amtsgericht Aalen einzusehen. Diese Anforderung sei unzulässig; der Verwaltungsgerichtsordnung lasse sich kein Schriftformerfordernis für den Antrag auf Akteneinsicht entnehmen.

4 Damit hat die Beschwerde eine Gehörsverletzung nicht hinreichend dargetan. Sie lässt außer Acht, dass nicht jede Ablehnung eines Antrags auf Akteneinsicht aus sich heraus eine Verletzung des rechtlichen Gehörs begründet. Ob dies der Fall ist, bemisst sich vielmehr nach den Umständen des Einzelfalles (vgl. Urteile vom 23. August 1968 - BVerwG 4 C 235.65 - BVerwGE 30, 154 <157 f.> und vom 3. November 1987 - BVerwG 9 C 235.86 - Buchholz 310 § 100 VwGO Nr. 5 S. 4 f.; Beschluss vom 10. Oktober 1989 - BVerwG 9 B 268.89 - Buchholz 310 § 132 VwGO Nr. 276 S. 18 f.). So sind die Beteiligten etwa im Interesse der Prozessökonomie gehalten, rechtzeitig vor der mündlichen Verhandlung Akteneinsicht zu nehmen und alle sich hierzu bietenden zumutbaren Möglichkeiten zu nutzen. Kommt ein Beteiligter dieser Mitwirkungslast nicht nach, kann sein Antrag auf Akteneinsicht jedenfalls dann ohne Verletzung des rechtlichen Gehörs abgelehnt werden, wenn bei einer Stattgabe die Erledigung des Rechtsstreits verzögert würde. Ferner kann ein Einsichtsgesuch abgelehnt werden, wenn Anhaltspunkte für eine rechtsmissbräuchliche Ausübung des Akteneinsichtsrechts bestehen (vgl. Urteil vom 3. November 1987 a.a.O. S. 4). Ausgehend davon lässt die Beschwerde keinen Verstoß gegen das rechtliche Gehör erkennen.

5 Nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs hatten sowohl der Kläger als auch dessen Rechtsvorgänger vor der mündlichen Verhandlung mehrfach Gelegenheit, die dem Flurbereinigungsgericht vorliegenden Verwaltungsakten einzusehen. Danach wurden die Akten bereits am 12. Januar 2009 an das Amtsgericht Aalen übersandt, um den Rechtsvorgängern des Klägers Gelegenheit zur Einsichtnahme zu geben. Diese Gelegenheit wurde nicht wahrgenommen, wobei nur einer der Rechtsvorgänger - der Vater des Klägers - auf gesundheitliche Probleme verwies. Daraufhin wurden die Verwaltungsakten nochmals an das Amtsgericht Aalen übersandt. Wiederum fand keine Akteneinsicht statt, ohne dass dem Gericht hierfür eine Begründung gegeben wurde. Auch dem Kläger selbst wurde im Rahmen eines vorläufigen Rechtsschutzverfahrens im August/September 2009 Gelegenheit zur Einsicht in die hier einschlägigen Akten beim Amtsgericht Aalen gewährt. Stattdessen verlangte der Kläger vom Amtsgericht, die umfangreichen Akten vollständig zu kopieren. Nachdem das Amtsgericht dieses Ansinnen abgelehnt hatte, sah der Kläger von einer Einsichtnahme ab. Daraufhin wies das Flurbereinigungsgericht den Kläger im vorläufigen Rechtsschutzverfahren im September 2009 darauf hin, dass er die Verwaltungsakten in den Räumen der Geschäftsstelle einsehen und dort ggf. auf seine Kosten Kopien von konkret bezeichneten Aktenbestandteilen anfertigen lassen könne. Auch dieses Angebot hat der Kläger nicht genutzt.

6 Die Beschwerde zeigt nicht auf, weshalb trotz dieser - von ihr nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen - Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs keine zumutbare Gelegenheit zur Akteneinsicht vor der mündlichen Verhandlung bestanden haben sollte. Der Hinweis auf ein fehlendes Schriftformerfordernis für den Antrag auf Akteneinsicht ist in diesem Zusammenhang irrelevant. Im Übrigen bestanden nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs Anhaltspunkte dafür, dass das Recht auf Akteneinsicht rechtsmissbräuchlich gehandhabt wurde. Es war daher sachgerecht, dass der Rechtsvorgänger des Klägers vom Gericht aufgefordert wurde, den Antrag schriftlich zu stellen und näher zu begründen, weshalb die Akteneinsicht beim Amtsgericht Aalen bereits zweimal nicht wahrgenommen werden konnte.

7 2. Auch die Aufklärungsrügen (§ 86 Abs. 1 VwGO) bleiben ohne Erfolg.

8 Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts braucht die Tatsacheninstanz unsubstantiierten Beweisanträgen nicht nachzugehen. Unsubstantiiert sind nicht nur Beweisanträge, die das Beweisthema nicht hinreichend konkretisieren, sondern auch Beweisanträge, die erkennbar ohne jede tatsächliche Grundlage erhoben worden sind. Zwar darf eine unter Beweis gestellte Behauptung nicht schon deshalb als unerheblich behandelt werden, weil sie nicht auf einem Wissen des Behauptenden, sondern auf einer Vermutung beruht. Einer erkennbar „aus der Luft gegriffenen“ und ohne Auseinandersetzung mit Gegenargumenten „ins Blaue hinein“ aufrechterhaltenen Behauptung braucht das Gericht jedoch nicht nachzugehen. Beweisermittlungs- oder -ausforschungsanträge, die so unbestimmt sind, dass im Grunde erst die Beweisaufnahme selbst die entscheidungserheblichen Tatsachen und Behauptungen aufdecken könnte, begründen keine Pflicht zur gerichtlichen Beweisaufnahme (vgl. Beschluss vom 29. März 1995 - BVerwG 11 B 21.95 - Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 266 S. 10 f. m.w.N.). Gemessen daran kann der Beschwerde kein Aufklärungsmangel entnommen werden.

9 Hinsichtlich des Beweisantrags Nr. 1 (Vernehmung des Zeugen K.) hat der Verwaltungsgerichtshof ausgeführt, bereits die Begründung des Beweisantrags mache deutlich, dass es sich um einen unzulässigen Ausforschungsbeweisantrag handele. Zudem habe der Kläger nicht dargelegt, welches Ergebnis von der Beweisaufnahme erwartet werden könne. Die Beschwerde zeigt nicht auf, dass dem Beweisantrag entgegen der Einschätzung des Verwaltungsgerichtshofs tatsächliche Anknüpfungspunkte zugrunde lagen. Der bloße Hinweis, dem Kläger sei es erkennbar darum gegangen, den Zeugen mit der Behauptung zu konfrontieren, dass die Böden der Grundstücke des Klägers manipuliert worden seien, um schlechtere Wertermittlungsergebnisse zu erzielen, gibt hierfür nichts her.

10 Hinsichtlich des Beweisantrags Nr. 2 (Vernehmung des Zeugen F.) übersieht die Beschwerde, dass der Verwaltungsgerichtshof diesen nicht allein mit der Begründung abgelehnt hat, für die unter Beweis gestellten Behauptungen spreche nicht wenigstens eine gewisse Wahrscheinlichkeit. Das Gericht hat ferner unter Bezugnahme auf entsprechende vage Formulierungen des Beweisantrags („fast aller Bodenproben“, „Vorgänge“, „teilweise beobachtet“) darauf abgestellt, dass der Beweisantrag nicht hinreichend konkretisiert habe, welche einzelnen Wahrnehmungen der angebotene Zeuge in Bezug auf das Beweisthema selbst gemacht haben soll. Damit hat das Gericht die Anforderungen an den Tatsachenvortrag nicht überspannt, wie die Beschwerde meint. Denn nur auf der Grundlage der geforderten Angaben kann das Gericht prüfen, ob die beantragte Beweisaufnahme durch Vernehmung des Zeugen zur Aufklärung des entscheidungserheblichen Sachverhalts beitragen kann (vgl. Beschluss vom 29. Juni 2001 - BVerwG 1 B 131.00 - Buchholz 310 § 98 VwGO Nr. 63 S. 19). Ohne Erfolg verweist die Beschwerde in diesem Zusammenhang darauf, dass es sich bei dem Kläger sowie seinem Vater als Vertreter in der mündlichen Verhandlung um „juristische Laien“ handele. Es bedarf keiner näheren Erörterung, ob das Gericht in solchen Fällen auf eine hinreichende Substantiierung des Beweisantrags hinwirken muss. Denn den von der Beschwerde nicht angegriffenen Ausführungen des Verwaltungsgerichtshofs kann entnommen werden, dass die Substantiierung des Beweisantrags in der mündlichen Verhandlung angesprochen wurde. Danach konnte der Vater des Klägers jedoch nicht darlegen, welche Grundstücke von den behaupteten Bodenmanipulationen betroffen sind, obwohl er angegeben hatte, dass er die Grundstücke abgefahren und hierbei die „bewusst ausgetauschte Erde“ entdeckt habe. Im Übrigen verhält sich die Beschwerde auch nicht zu der weiteren maßgeblichen Erwägung des Gerichts, dass nicht nachvollziehbar dargelegt worden sei, wie es dem Zeugen möglich gewesen sein sollte, die innere Tatsache eines „gezielten Zusteuerns“ von Teilnehmern auf die für eine Entnahme von Bodenproben vorbereiteten Stellen zu beobachten.

11 Den auf Einholung eines Sachverständigengutachtens zum Beweis der Tatsache, „dass die Wertermittlungsergebnisse der Grundstücke des Klägers unzutreffend sind“, gerichteten Beweisantrag Nr. 5 hat der Verwaltungsgerichtshof abgelehnt, weil die Richtigkeit der bereits vorliegenden sachverständigen Beurteilung der Bodenproben nicht substantiiert in Frage gestellt worden sei. Auch diese Beweiserhebung beziehe sich auf die rein spekulative und ohne einen greifbaren tatsächlichen Anhaltspunkt „ins Blaue hinein“ aufgestellte Behauptung einer Manipulation der Erdlöcher, aus denen die Bodenproben entnommen worden seien. Die Beschwerde legt auch im Zusammenhang mit ihren Rügen gegen die Ablehnung des Beweisantrags Nr. 5 nicht hinreichend dar, dass diese Einschätzung des Verwaltungsgerichtshofs fehlerhaft ist. Soweit sie geltend macht, der Zeuge F. hätte im Falle einer Vernehmung „eventuelle Aussagen treffen können, die die Manipulation hätten nachweisen können mit der Folge, dass ein erneuter Sachverständigenbeweis zu erheben gewesen wäre“, ist auf die obigen Ausführungen zu verweisen.

12 3. Die Beschwerde wirft als grundsätzlich bedeutsam die Fragen auf:
„Liegt ein Tätigwerden in einem Verwaltungsverfahren im Sinne des § 20 Abs. 1 LVwVfG dann nicht vor, wenn nicht entscheidungsbezogene technische Hilfen von dem Beteiligten erbracht werden?
Liegt ein Tätigwerden im Sinne des § 20 Abs. 1 LVwVfG nicht vor, wenn der Beteiligte auf Weisung des von der Behörde herangezogenen Sachverständigen handelt?“

13 Diese Fragen rechtfertigen mangels Entscheidungserheblichkeit nicht die Zulassung der Revision. Im Falle einer mehrfachen, die Entscheidung jeweils selbständig tragenden Begründung des angefochtenen Urteils bedarf es zur Zulässigkeit der Beschwerde in Bezug auf jede dieser Begründungen eines geltend gemachten und vorliegenden Zulassungsgrundes (Beschluss vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 VwGO <n.F.> Nr. 26 S. 15). Daran fehlt es hier. Der Verwaltungsgerichtshof hat eine formelle Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides nicht allein deshalb verneint, weil die Mitwirkung von Teilnehmern des Flurbereinigungsverfahrens bei der Entnahme der Bodenproben nicht als „Tätigwerden“ im Sinne des § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 LVwVfG angesehen werden könne. Vielmehr hat das Gericht insoweit maßgeblich auch darauf abgestellt, dass eine - unterstellte - unzulässige Mitwirkung der Teilnehmer des Flurbereinigungsverfahrens nach § 46 LVwVfG nicht zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung führe, weil sie diese in der Sache nicht beeinflusst habe. Denn die von der Widerspruchsbehörde stichprobenweise entnommenen Bodenproben hätten das Ergebnis der Wertermittlung bestätigt. Diese Annahme greift die Beschwerde nicht an.

14 4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO; die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 52 Abs. 2, § 47 Abs. 1 und 3 GKG.