Beschluss vom 08.05.2003 -
BVerwG 7 B 33.03ECLI:DE:BVerwG:2003:080503B7B33.03.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 08.05.2003 - 7 B 33.03 - [ECLI:DE:BVerwG:2003:080503B7B33.03.0]

Beschluss

BVerwG 7 B 33.03

  • VG Leipzig - 19.11.2002 - AZ: VG 7 K 131/97

In der Verwaltungsstreitsache hat der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 8. Mai 2003
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht
S a i l e r und die Richter am Bundesverwaltungsgericht
K l e y und H e r b e r t
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Beigeladenen gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Leipzig vom 19. November 2002 wird zurückgewiesen.
  2. Der Beigeladene trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 400 000 € festgesetzt.

Die Klägerin beansprucht nach dem Vermögensgesetz (VermG) die Rückübertragung eines Grundstücks, das von der jüdischen Eigentümerin fünf Monate vor ihrer Auswanderung nach Argentinien durch notariellen Kaufvertrag vom 26. August 1933 an einen Rechtsvorgänger des Beigeladenen veräußert worden war und nach Ausreise des Beigeladenen aus der DDR im Jahr 1953 in Volkseigentum überführt wurde. Der Beigeladene und die Klägerin meldeten 1990 und 1991 Rückübertragungsansprüche an, die Klägerin allerdings unter Angabe des Vornamens des Ehemanns der jüdischen Eigentümerin und unter unrichtiger Bezeichnung der Hausnummer bei zutreffender Angabe des Nachnamens und des Straßennamens. Die Beklagte übertrug das Grundstück in einem Verfahren, an dem die Klägerin nicht beteiligt war, durch Bescheid vom 12. Juni 1992 an den Beigeladenen zurück. Nachdem die Klägerin im November 1993 ihre Angaben zum Vornamen der jüdischen Voreigentümerin und zur Hausnummer des Anwesens berichtigt hatte, lehnte die Beklagte deren Rückübertragungsantrag unter Hinweis auf die Bestandskraft des Bescheids vom 12. Juni 1992 ab. Der nach erfolglosem Widerspruch erhobenen Klage hat das Verwaltungsgericht stattgegeben, weil der Anspruch bei Berücksichtigung des auslegungsfähigen Inhalts des Anmeldeschreibens rechtzeitig angemeldet worden, der Bescheid vom 12. Juni 1992 der Klägerin gegenüber mangels deren Beteiligung nicht bestandskräftig geworden und der einschlägige Schädigungstatbestand (§ 1 Abs. 6 VermG i.V.m. Art. 3 Abs. 2 REAO) wegen des engen zeitlichen Zusammenhangs zwischen der Veräußerung und der erkennbar verfolgungsbedingten Auswanderung erfüllt sei. Das Verwaltungsgericht hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen. Die hiergegen eingelegte Beschwerde des Beigeladenen hat keinen Erfolg.
Die Revision ist nicht wegen der geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zuzulassen (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Die von der Beschwerde aufgeworfene Frage, ob eine Anmeldung, bei der sowohl die Person des Berechtigten als auch die Hausnummer des Grundstücks unrichtig angegeben wurden, im Sinne des § 30 a VermG fristwahrend wirken konnte, beantwortet sich aufgrund einer Auslegung des Anmeldeschreibens im Einzelfall und entzieht sich darum einer rechtsgrundsätzlichen Klärung. Die generellen Anforderungen an die Wirksamkeit einer Anmeldung sind in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt (vgl. Urteil vom 5. Oktober 2000 - BVerwG 7 C 8.00 - Buchholz 428 § 30 VermG Nr. 21 = VIZ 2001, 150 m.w.N.). Das Verwaltungsgericht hat seine Auffassung, dass das Anmeldeschreiben sowohl hinsichtlich der Person als auch in Bezug auf den beanspruchten Vermögensgegenstand individualisierbar sei, auf der Grundlage dieser Rechtsprechung begründet. Einen darüber hinausgehenden Bedarf an rechtsgrundsätzlicher Klärung zeigt die Beschwerde nicht auf.
Auch die behaupteten Verfahrensfehler führen nicht zur Zulassung der Revision (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Der gerügte Aufklärungsmangel (§ 86 Abs. 1 VwGO) besteht nicht. Soweit die Beschwerde beanstandet, dass das Verwaltungsgericht seine Annahme einer verfolgungsbedingten Auswanderung allein auf deren zeitlichen Zusammenhang mit der Veräußerung des Grundstücks gestützt und die Aufklärung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Ehemanns der Eigentümerin unterlassen habe, geht ihr Vorbringen an den Gründen der angegriffenen Entscheidung vorbei. Besondere Umstände, die die Verfolgungsbedingtheit der Grundstücksveräußerung überwiegend wahrscheinlich machten (vgl. Urteil vom 24. August 2000 - BVerwG 7 C 85.99 - Buchholz 428 § 1 Abs. 6 VermG Nr. 7), hat das Verwaltungsgericht darin gesehen, dass das in Rede stehende Grundstück das Wohngrundstück der jüdischen Eigentümerin und ihres Ehemannes gewesen sei, dass die Grundstückseigentümerin Deutschland verlassen habe, bevor die in ihrem Auftrag betriebene Versteigerung der gesamten Wohnungseinrichtung durchgeführt gewesen sei, dass ihr Ehemann bereits drei Monate vor ihr unter dem Vorwand einer Geschäftsreise nach Argentinien ausgewandert sei und dass die Zollfahndungsstelle in ihrem Ermittlungsbericht aus dem Jahr 1937 eine devisenrechtlich illegale Verbringung eines Teils des Inlandsvermögens der Eheleute ins Ausland angenommen habe. Die schlechte wirtschaftliche Lage des Ehemanns der jüdischen Grundstückseigentümerin hat das Verwaltungsgericht nicht übersehen, ihr jedoch keine die Verfolgungsbedingtheit der Auswanderung entkräftende Bedeutung beigemessen, weil der Verkauf des Wohngrundstücks damit nicht in Zusammenhang gestanden habe.
Hiernach bedurfte es keiner weiteren Aufklärung der Vermögenssituation des Ehemanns, da Inhalt und Ausmaß der gebotenen Sachaufklärung durch die materiellrechtliche Auffassung des Gerichts bestimmt werden. Auch die Angemessenheit des bei der Grundstücksveräußerung vereinbarten Kaufpreises war aus der rechtlichen Sicht des Verwaltungsgerichts für die Frage, ob die Ursächlichkeit der Verfolgung für den Abschluss des Kaufvertrags aufgrund anderer Tatsachen im Sinne des Art. 3 Abs. 2 REAO überwiegend wahrscheinlich war, nicht entscheidungserheblich. Die Angriffe der Beschwerde gegen diese Rechtsauffassung richten sich gegen die Auslegung und Anwendung des materiellen Rechts und sind damit nicht geeignet, die Verfahrensrüge zu begründen. Mangels Entscheidungserheblichkeit der Angemessenheit des Kaufpreises bedurfte es zu diesem Thema auch weder der Einholung eines Obergutachtens noch der Anhörung des vom Verwaltungsgericht beauftragten Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung.
Der Vorwurf der Beschwerde, das Verwaltungsgericht habe gegen die Erörterungspflicht (§ 104 Abs. 1 VwGO) verstoßen und unter Verletzung des rechtlichen Gehörs ein Überraschungsurteil erlassen, ist unbegründet. Laut Verhandlungsprotokoll hat die Kammervorsitzende in der mündlichen Verhandlung vom 19. November 2002 die Sach- und Rechtslage mit den Beteiligten erörtert und namentlich darauf hingewiesen, dass das Gericht von einer Anhörung des Sachverständigen absehe, "weil andere Tatsachen i.S.v. Art. 3 Abs. 2 REAO eine ungerechtfertigte Entziehung beweisen bzw. für eine ungerechtfertigte Entziehung sprechen dürften". Angesichts dessen konnte der Beigeladene, der in der Verhandlung anwaltlich vertreten war, durch eine auf diesen rechtlichen Gesichtspunkt gestützte Entscheidung nicht überrascht sein. Es wäre Sache seines Prozessbevollmächtigten gewesen, eine Vertagung des Verhandlungstermins oder die Einräumung einer Schriftsatzfrist zu beantragen, wenn er durch den rechtlichen Hinweis der Vorsitzenden überrascht worden sein sollte. Da der Beigeladene von diesen Möglichkeiten, sich rechtliches Gehör zu verschaffen, keinen Gebrauch gemacht hat,
bleibt seine Gehörsrüge ohne Erfolg (Urteil vom 22. August 1985 - BVerwG 3 C 17.85 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 175).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 und 3 VwGO, die Streitwertfestsetzung beruht auf § 14 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.