Beschluss vom 08.05.2002 -
BVerwG 1 DB 8.02ECLI:DE:BVerwG:2002:080502B1DB8.02.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 08.05.2002 - 1 DB 8.02 - [ECLI:DE:BVerwG:2002:080502B1DB8.02.0]

Beschluss

BVerwG 1 DB 8.02

In dem Verfahren hat der 1. Disziplinarsenat des Bundesverwaltungsgerichts
am 8. Mai 2002
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht
A l b e r s und die Richter am Bundesverwaltungsgericht
M a y e r und Prof. Dr. D ö r i g
beschlossen:

  1. Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Bundesdisziplinargerichts vom 23. November 2001 aufgehoben.
  2. Der Bescheid des Bundesamtes ... vom 25. Mai 2001 wird aufrechterhalten.
  3. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

I


Der Antragsteller ist kommunalpolitisch als Ortsvorsteher für bestimmte Bezirke der Stadt P. tätig. Am 23. Februar 2001 leistete er in der Kernzeit von 8.30 bis 12.35 Uhr keinen Dienst. In der Gleitzeitliste 2/2001 des Bundesamtes ... verneinte er eine Kernzeitverletzung und gab als Begründung für sein Fernbleiben "Ortsvorstehertermin Rathaus P. wg. Goldhochzeit" an. Weil er für diese Tätigkeit entgegen einer Weisung weder Sonderurlaub beantragt noch seinen Vorgesetzten über die Terminswahrnehmung unterrichtet hatte, stellte das Bundesamt ... mit Bescheid vom 25. Mai 2001 den Verlust der Dienstbezüge des Antragstellers für vier Stunden und fünf Minuten am 23. Februar 2001 fest.
In seinem Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 8. Juni 2001 trägt der Antragsteller vor, er habe am 23. Februar 2001 nach dem Aufstehen, wie schon öfter, an Kreislaufstörungen gelitten, die vor den Augen alles verschwommen erscheinen ließen. Dies behebe sich nach einer gewissen Ruhepause wieder. Auch die mit den Sehstörungen einsetzenden Kopfschmerzen ließen dann nach. Anschließend sei er über das Rathaus in P. zum Dienst gefahren und habe zwei Urkunden und zwei Geschenke für einen 90. Geburtstag und eine Diamantene Hochzeit abgeholt, die er am Sonntag, dem 6. Mai 2001 als Ortsvorsteher und gleichzeitig als Vertreter des Bürgermeisters gratulierend überbracht habe. Der Aufenthalt im Rathaus habe etwa acht bis zehn Minuten betragen.
Das Bundesdisziplinargericht hat durch Beschluss vom 23. November 2001 den Verlustfeststellungsbescheid vom 25. Mai 2001 mit der Begründung aufgehoben, die Antragsgegnerin habe den Nachweis schuldhaften Fernbleibens des Antragstellers vom Dienst nicht erbracht. Es bestehe kein Anlass, an der Richtigkeit der Darlegungen des Antragstellers zu zweifeln. Mit Blick auf die Kürze des Unwohlseins habe der Antragsteller ein ärztliches Attest nicht vorlegen müssen. Eine unterlassene Mitteilung der Dienstunfähigkeit am Vormittag des 23. Februar 2001 habe allenfalls disziplinare Relevanz.
Die Antragsgegnerin hat gegen den Beschluss des Bundesdisziplinargerichts Beschwerde eingelegt und wie folgt begründet:
Der Antragsteller habe entgegen mehrfacher mündlicher und schriftlicher Mitteilungen für seine Tätigkeit als Ortsvorsteher am 23. Februar 2001 während der Kernzeit keinen Sonderurlaub beantragt. Sein Fernbleiben habe er in der Gleitzeitliste nur mit dieser Tätigkeit begründet. Erst mit Schreiben vom 8. Juni 2001 habe er sich erstmals auf eine Dienstunfähigkeit berufen. An der Richtigkeit dieser Darstellung bestünden erhebliche Zweifel, sie sei als Schutzbehauptung zu werten. Das Unterlassen der Anzeige der angeblichen Krankheit am 23. Februar 2001 sei ein deutliches Indiz dafür, dass der Antragsteller tatsächlich gar nicht dienstunfähig gewesen sei.
Das Bundesdisziplinargericht hat der Beschwerde durch Beschluss vom 28. März 2002 nicht abgeholfen.

II


Die gemäß § 85 Abs. 5 BDG, § 121 Abs. 5 BDO zulässige Beschwerde hat Erfolg. Das Bundesdisziplinargericht hat den Feststellungsbescheid vom 25. Mai 2001 zu Unrecht aufgehoben.
Nach § 9 Satz 1 BBesG verliert ein Beamter, der ohne Genehmigung dem Dienst schuldhaft fernbleibt, für die Zeit des Fernbleibens seine Dienstbezüge. Der Beamte bleibt dann dem Dienst ungenehmigt fern, wenn er seiner in zeitlicher und örtlicher Hinsicht konkretisierten Dienstleistungspflicht nicht Rechnung trägt und zu der vorgesehenen Zeit nicht an dem vorgesehenen Ort seine dienstliche Tätigkeit erbringt. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats wird ein dienstfähiger Beamter in der Regel nur durch eine wirksame Urlaubsbewilligung oder Freistellung vom Dienst von seiner Dienstleistungspflicht entbunden. Für das unerlaubte Fernbleiben vom Dienst und die daran zwingend geknüpfte Rechtsfolge des Verlustes der Dienstbezüge kommt es nicht darauf an, ob materiell Anspruch auf Urlaub oder Freistellung bestand. Es bedarf vielmehr der ausdrücklichen oder stillschweigenden Entbindung von der Dienstleistungspflicht. Auch zum Zwecke der Wahrnehmung von Aufgaben als Mitglied einer kommunalen Vertretung bedarf ein Beamter hierfür einer Urlaubsgenehmigung. Fehlt eine Genehmigung zum Fernbleiben vom Dienst, tritt ein Verlust der Dienstbezüge nur ausnahmsweise nicht ein, wenn der Beamte aus rechtlich anzuerkennenden Gründen von seiner Dienstleistungspflicht befreit ist (vgl. zu allem Beschluss vom 31. August 2001 in einem den Antragsteller betreffenden Verfahren - BVerwG 1 DB 23.01 -).
Dem Antragsteller war am 23. Februar 2001 unstreitig weder stillschweigend noch ausdrücklich Sonderurlaub für die Wahrnehmung einer kommunalpolitischen Tätigkeit gewährt worden.
Der Antragsteller wäre auch aufgrund einer eine Dienstunfähigkeit begründende Erkrankung berechtigt gewesen, dem Dienst im streitgegenständlichen Zeitraum am 23. Februar 2001 fernzubleiben. Vom Vorliegen einer derartigen Erkrankung ist der Senat jedoch nicht überzeugt. Zwar obliegt dem Dienstherrn die materielle Beweislast für das Vorliegen der Voraussetzungen der Dienstfähigkeit. Eine Verletzung einer Mitwirkungspflicht bewirkt keine Umkehr der Beweislast und kann für sich allein den Verlust der Dienstbezüge nicht herbeiführen. Sie ist jedoch bei der Beweiswürdigung zu berücksichtigen (stRspr, vgl. etwa Beschluss vom 19. Juni 2000 - BVerwG 1 DB 13.00 - <BVerwGE 111, 246, 249 m.w.N.>, Beschluss vom 23. Juli 2001 - BVerwG 1 DB 18.01 -).
Das Unterlassen der Anzeige einer Erkrankung am 23. Februar 2001 stellt unter Würdigung aller einschlägigen Umstände ein erhebliches und in der Gesamtschau für die Überzeugungsbildung des Senats auch hinreichendes Indiz für die Dienstfähigkeit des Antragstellers dar.
Nach dem beim Bundesamt ... bestehenden Meldeverfahren ist der Antragsteller verpflichtet, eine Erkrankung am ersten Arbeitstag unter Angabe der voraussichtlichen Dauer bis spätestens 10.00 Uhr im Vorzimmer des jeweiligen Referatsgruppenleiters anzuzeigen. Hierzu trägt der Antragsteller vor, diese Regelung gelte nur für ganze Tage. Wäre ihm gesagt worden, dass diese Regelung auch gelte, wenn er "wieder sehen könne", hätte er versucht anzurufen. Mit der Auffassung des Bundesamtes ... konfrontiert, für die Meldepflicht sei unerheblich, ob ein Beamter im Laufe des Tages wieder gesund werde und er gehalten gewesen wäre, eine erkennbare krankheitsbedingte Teilabwesenheit bis 10.00 Uhr mitzuteilen, berief sich der Antragsteller darauf, im Falle von Sehstörungen könne er nicht telefonieren. Er sei manchmal nicht in der Lage, sich im Raum zurechtzufinden und könne nur tastenderweise, weil er den Weg kenne, z.B. zur Toilette finden. Er könne nicht die Treppe hinuntergehen und die Ziffern seines sich im Parterre befindenden Telefons lesen. Auf die Erwiderung seines Dienstherrn, die Mitteilung hätte auch durch andere, mit ihm im Haushalt lebende Personen erfolgen können, trägt der Antragsteller mit Schreiben vom 26. September 2001 vor, er sei oft allein zu Hause, so auch im fraglichen Zeitraum, da seine Frau häufig die gemeinsamen Töchter auswärts besuche.
Die Abfolge der Einlassungen des Antragstellers mit der jeweiligen Anpassung an die Argumente seines Dienstherrn macht sein Vorbringen unglaubhaft. Der Senat hält die nachträgliche Behauptung einer Dienstunfähigkeit insbesondere deshalb für nicht glaubhaft, weil der Antragsteller in seinen vielfältigen Stellungnahmen mit keinem Wort auf die ihm vorgehaltene Tatsache eingeht, dass er seine Dienstabwesenheit am 23. Februar 2001 allein mit der Wahrnehmung eines Ortsvorstehertermins wegen einer "Goldhochzeit" begründet hat. Hätte er hierfür, wie später angegeben, nur acht bis zehn Minuten benötigt, wäre die Begründung der Fehlzeit von über vier Stunden mit kommunalpolitischer Tätigkeit nicht verständlich. Bei dem von ihm beschriebenen Krankheitszustand, der sich in der Darstellung mit fast jedem Schriftsatz "verschlimmerte", hätte es sich von selbst aufdrängen müssen, die Fehlzeit am 23. Februar 2001 von Anfang an mit einer Erkrankung zu begründen. Auch fällt auf, dass er am 8. Juni 2001 angab, am 23. Februar 2001 im Rathaus zwei Urkunden und zwei Geschenke für einen 90. Geburtstag und eine Diamantene Hochzeit abgeholt zu haben, die er am 6. Mai 2001 überbracht habe. Auch hier setzt sich der Beamte in verschiedener Hinsicht in Widerspruch zu seiner Begründung in der Gleitzeitliste, einen Termin im Rathaus wegen einer "Goldhochzeit" wahrgenommen zu haben.
Nach alledem ist der Senat davon überzeugt, dass der Antragsteller im streitgegenständlichen Zeitraum schuldhaft, zumindest fahrlässig, dem Dienst ungenehmigt ferngeblieben ist.
Bezüglich der Berechtigung, den Verlust der Dienstbezüge auch für Minuten festzustellen, folgt der Senat der Auffassung des Niedersächsischen Disziplinarhofs, wonach eine derartige Handhabung zulässig ist, wenn insgesamt an einem Tag mindestens eine volle Arbeitsstunde schuldhaft versäumt wurde (Beschluss vom 18. September 2001 - 1 NDH V 2392/01 -). Dies ist hier der Fall.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 113 ff. BDO.