Urteil vom 07.12.2004 -
BVerwG 1 D 14.03ECLI:DE:BVerwG:2004:071204U1D14.03.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Urteil vom 07.12.2004 - 1 D 14.03 - [ECLI:DE:BVerwG:2004:071204U1D14.03.0]

Urteil

BVerwG 1 D 14.03

  • BDiG, Kammer XVI - ... -, - 25.02.2003 - AZ: BDiG XVI VL 12/02 -

In dem Disziplinarverfahren hat das Bundesverwaltungsgericht, Disziplinarsenat,
in der nichtöffentlichen Hauptverhandlung am 7. Dezember 2004,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesverwaltungsgericht
A l b e r s ,
Richterin am Bundesverwaltungsgericht
H e e r e n ,
Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. M ü l l e r ,
Regierungshauptsekretär Thomas S t a r c k
und Postbetriebsassistentin Cornelia D i e d r i c h s e n
als ehrenamtliche Richter
sowie
Regierungsdirektor ...
als Vertreter der Einleitungsbehörde,
Rechtsanwalt ...
als Verteidiger
und
Justizangestellte ...
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
für Recht erkannt:

  1. Auf die Berufung des Polizeiobermeisters im BGS ...
  2. wird das Urteil des Bundesdisziplinargerichts, Kammer XVI
  3. - ... -, vom 25. Februar 2003 aufgehoben.
  4. Der Beamte wird freigesprochen.
  5. Die Kosten des Verfahrens und die dem Beamten hierin erwachsenen notwendigen Auslagen trägt der Bund.

I


1. Der Bundesdisziplinaranwalt hat den am ... in K. geborenen Beamten mit Anschuldigungsschrift vom 1. August 2002 angeschuldigt, dadurch ein Dienstvergehen begangen zu haben, dass er
1. dem Dienst vom 18. September bis 23. November 2000 - ausgenommen die Zeit vom 10. bis 17. November 2000 - sowie
2. am 23. Februar 2001 schuldhaft ohne Genehmigung ferngeblieben ist und
3. dem Dienst seit dem 7. Mai 2001 schuldhaft ungenehmigt und ohne Vorlage eines ärztlichen Attests und ohne sich in irgendeiner Weise bei seiner Dienststelle zu entschuldigen, fernbleibt.
2. Das Bundesdisziplinargericht hat durch Urteil vom 25. Februar 2003 entschieden, dass der Beamte ohne Bewilligung eines Unterhaltsbeitrags aus dem Dienst entfernt wird. Es hat seine Entscheidung wie folgt begründet:
Nachdem der Beamte bereits seit dem 31. Oktober 1998 unter Vorlage von privatärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen keinen Dienst mehr geleistet hatte, wurde mit sozialmedizinischem Gutachten vom 25. August 2000 festgestellt, dass er vorläufig nur noch für die Verwendung im allgemeinen Verwaltungsdienst gesundheitlich geeignet sei. Mit Verfügung vom 14. September 2000 wurde er daraufhin zum 18. September 2000 zur Grenzschutzverwaltungsstelle A. abgeordnet. Die Abordnungsverfügung und das sozialmedizinische Gutachten wurden dem Beamten am 18. September 2000 durch Niederlegung beim Postamt B. zugestellt. Das niedergelegte Schreiben wurde von dem Beamten allerdings erst am 3. November 2000 abgeholt, wie sich aus einer Auskunft der zuständigen Postniederlassung ergibt. Er trat dennoch seinen Dienst am 3. November 2000 nicht an, sondern versuchte am 8. und 9. November 2000 bei der Leiterin des Sanitätsdienstes des AFZ West, Frau Dr. B., eine dienstliche Krankschreibung zu erhalten. Die Ärztin hielt ihn jedoch für grundsätzlich dienstfähig, wies ihn aber zur stationären Behandlung ab 10. November 2000 in die Rheinische Landesklinik Bonn ein. Am 17. November 2000 brach der Beamte die dortige Behandlung ab und versuchte erneut, am 21. November 2000 bei Dr. B. und am 22. November 2000 beim Leiter des Sanitätsdienstes BGSASTA, Dr. W., Krankschreibungen zu erreichen. Das wurde jedoch von beiden Ärzten abgelehnt, weil diese ihn grundsätzlich für dienstfähig hielten. Für die Zeit vom 24. November 2000 bis 8. Januar 2001 erhielt der Beamte auf seinen Antrag Erholungsurlaub.
In der Folgezeit leistete der Beamte wieder Dienst, blieb diesem jedoch am 23. Februar 2001 mit der Begründung fern, er habe persönliche Angelegenheiten erledigen müssen. Ein nachträglicher Antrag auf Gewährung von Urlaub für diesen Tag wurde von der Dienststelle abgelehnt und lediglich Urlaub für die Zeit vom 27. Februar bis 2. März 2001 gewährt.
Seit dem 7. März 2001 bleibt der Beamte ohne Angabe von Gründen und ohne Vorlage von ärztlichen Attesten seinem Dienst fern. Auf dienstliche Schreiben hat er nicht mehr reagiert. Zu den Anhörungen im Disziplinarverfahren ist er nicht erschienen.
Bereits mit Verfügung vom 17. Oktober 2000 hatte der Präsident des Bundesgrenzschutzpräsidiums ... den Verlust der Dienstbezüge des Beamten ab dem 18. September 2000 bis auf weiteres festgestellt. Den hiergegen gerichteten Antrag auf Entscheidung des Bundesdisziplinargerichts wies dieses mit Beschluss vom 27. Juni 2001 wegen Verfristung als unzulässig zurück. Der Anspruchsverlust endete am 23. November 2000 durch die Gewährung von Erholungsurlaub.
Für den 23. Februar 2001 und ab 7. Mai 2001 wurde dann erneut mit Verfügung vom 19. Juni 2001 der Verlust der Dienstbezüge des Beamten gemäß § 9 Bundesbesoldungsgesetz festgestellt. Einen Rechtsbehelf hat der Beamte hiergegen nicht eingelegt.
In dem Urteil wird sodann weiter ausgeführt:
Der Beamte habe spätestens ab dem 3. November 2000 gewusst, dass er jedenfalls für den allgemeinen Verwaltungsdienst dienstfähig sei und, worauf das Anschreiben an den Beamten ausdrücklich hinweise, dass das sozialmedizinische Gutachten gegenüber den von ihm vorgelegten privatärztlichen Attesten grundsätzlich höheren Beweiswert habe.
Spätestens ab diesem Zeitpunkt - so die Vorinstanz - hätte er seinen Dienst also wieder aufnehmen müssen. Zumindest in der Zeit vom 4. bis zum 9. November 2000 sei er daher schuldhaft ungenehmigt dem Dienst ferngeblieben, ebenso nach Abbruch seiner stationären Behandlung. Ab dem 24. November habe er Urlaub gehabt.
Außerdem sei ihm schuldhaftes ungenehmigtes Fernbleiben am 23. Februar 2001 vorzuwerfen; denn an diesem Tag sei er, wie er gewusst habe, dienstfähig gewesen und habe nur private Angelegenheiten zu verrichten gehabt. Auch nachträglich sei ihm für diesen Tag kein Urlaub genehmigt worden.
Schließlich bleibe der Beamte - so die Vorinstanz - seit dem 7. Mai 2001, d.h. seit fast zwei Jahren, ungenehmigt schuldhaft seinem Dienst fern. Anhaltspunkte für das Vorliegen von Dienstunfähigkeit oder gar das Vorliegen von Schuldunfähigkeit seien nicht vorhanden, auch wenn zu vermuten sei, dass der Beamte ein Alkoholproblem habe. Offensichtlich sei es ihm, der seitdem keinerlei Bezüge mehr erhalte, aber gelungen, eine anderweitige Beschäftigung zu finden und seinen Lebensunterhalt auf diese Weise sicherzustellen. Jedenfalls habe er sich gegen den Verlust seiner Dienstbezüge nicht gewehrt und sei im Übrigen auch sonst nicht mehr mit seiner Dienststelle in Kontakt getreten.
Das Bundesdisziplinargericht hat die Handlungsweise des Beamten als vorsätzlich schuldhafte Verletzung seiner Pflichten, sich mit voller Hingabe seinem Beruf zu widmen, seinem Dienst nicht ohne Genehmigung fernzubleiben und sich im Dienst achtungs- und vertrauenswürdig zu verhalten, gewertet. Insgesamt stelle das Verhalten des Beamten ein einheitliches innerdienstliches Dienstvergehen dar, das zu seiner Entfernung aus dem Dienst führen müsse. Das Gebot, überhaupt zum Dienst zu erscheinen, sei die ohne weiteres einsehbare Grundpflicht eines jeden Beamten. Ein Beamter, der für einen längeren Zeitraum den Dienst verweigere, offenbare ein so hohes Maß an Verantwortungslosigkeit, Pflichtvergessenheit und Mangel an Einsicht in die Notwendigkeit einer geordneten Verwaltung, dass in aller Regel seine Entfernung aus dem Dienst die Folge sein müsse. Im vorliegenden Fall habe der Beamte das zu seinem Dienstherrn bestehende öffentlich-rechtliche Dienst- und Treueverhältnis durch sein fast zweijähriges Fernbleiben zerstört. Seine Entfernung aus dem Beamtenverhältnis im Wege des Disziplinarverfahrens bestätige somit lediglich die bereits von ihm selbst vollzogene Trennung von seinem Dienstherrn.
Unter diesen Umständen sei seinem ehemaligen Dienstherrn auch die Gewährung eines Unterhaltsbeitrags nach Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zuzumuten.
3. Gegen dieses Urteil hat der Beamte durch seinen Verteidiger rechtzeitig Berufung eingelegt mit dem Antrag, ihn im Dienst zu belassen, hilfsweise ihm einen Unterhaltsbeitrag nach Beendigung des Dienstverhältnisses zu gewähren. Zur Begründung führt der Verteidiger des Beamten im Wesentlichen aus:
Der im erstinstanzlichen Urteil geschilderte Sachverhalt zeige Auffälligkeiten, die zu Zweifeln Anlass gäben, ob der Beamte schuldfähig sei. Das sozialmedizinische Gutachten vom 25. August 2000 nehme hierzu nicht Stellung. Es beziehe sich auf ein psychiatrisches Gutachten der Ärzte in der Landesklinik Dres. M. und F. und der in der gleichen Landesklinik tätigen Psychologin C. Der Inhalt dieser Gutachten sei dem Verteidiger nicht bekannt und auch dem Beamten nicht zur Kenntnis gebracht worden. Das sozialmedizinische Gutachten habe vorgesehen, dass eine weitere Begutachtung des Beamten im September 2001 erfolgen solle, allerdings nur mit dem Ziel zu prüfen, ob der Beamte die gesundheitliche Eignung für den Polizeivollzugsdienst wieder erlangt habe. Zu dieser Begutachtung sei es nicht
gekommen. Der Beamte habe weder auf die Einleitungsverfügung vom 20. September 2001 noch auf weitere Schriftstücke reagiert, die ihn in der Folgezeit in wahrscheinlich wirksamer Weise erreicht haben müssten. Der Beamte habe sich in der
gesamten Zeit, also auch schon vor dem 7. Mai 2001 um nichts mehr gekümmert. Im Mai 2002 sei ein Selbstmordversuch des Beamten hinzugekommen; er stelle ein weiteres Indiz für seine mangelnde Schuldfähigkeit dar. Es werde daher beantragt,
zur Frage der Schuldfähigkeit des Beamten ein Sachverständigengutachten einzuholen.
Aufgrund des Beweisbeschlusses vom 5. April 2004 hat der Senat bei dem Psychiater und Neurologen Dr. M., Rheinische Kliniken B., ein Sachverständigengutachten zur Dienst- und Schuldfähigkeit des Beamten für die Zeit ab 7. Mai 2001 eingeholt. Die Diplom-Psychologin und Psychotherapeutin C., Rheinische Kliniken B., hat den Beamten gemäß dem ergänzenden Beweisbeschluss des Senats vom 7. Juni 2004 neuropsychologisch begutachtet. Der Sachverständige Dr. M. hat das von ihm unter dem 8. November 2004 erstellte Gutachten in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat erläutert und hinsichtlich der zu 1. und 2. angeschuldigten Fernbleibenszeiträume ergänzt.

II


Die Berufung des Beamten ist begründet und führt zu seinem Freispruch gemäß § 87 Abs. 1 Satz 1, § 76 Abs. 2 BDO.
Das Disziplinarverfahren ist nach bisherigem Recht, d.h. auch nach In-Kraft-Treten des Bundesdisziplinargesetzes am 1. Januar 2002 nach den Verfahrensregeln und -grundsätzen der Bundesdisziplinarordnung fortzuführen (vgl. zum Übergangsrecht z.B. Urteil vom 20. Februar 2002 - BVerwG 1 D 19.01 - NVwZ 2002, 1515).
Die Berufung ist unbeschränkt eingelegt. Der Beamte beantragt Freispruch wegen Schuldunfähigkeit. Er wendet sich damit gegen die erstinstanzlichen Feststellungen zum subjektiven Disziplinartatbestand. Der Senat hat deshalb den Sachverhalt selbst festzustellen und disziplinarrechtlich zu würdigen.
1. Hinsichtlich des äußeren Geschehensablaufs der Tatvorwürfe in den Anschuldigungspunkten 1 bis 3 geht der Senat von den Feststellungen in dem angefochtenen Urteil aus, die der Beamte mit seiner Berufung nicht in Frage gestellt hat.
2. Dieser feststehende Sachverhalt erfüllt jedoch ganz überwiegend schon nicht den objektiven - und im Übrigen nicht den subjektiven - Tatbestand des unerlaubten Fernbleibens vom Dienst gemäß § 73 Abs. 1 Satz 1 BBG. Denn der Beamte ist jedenfalls ab Anfang November 2000 krankheitsbedingt dienstunfähig. Zwar wird ihm im Anschuldigungspunkt 1 zum Vorwurf gemacht, bereits ab dem 18. September 2000, das heißt nach seiner Abordnung zur Grenzschutzverwaltungsstelle A. unberechtigt keinen Dienst mehr geleistet zu haben. Tatsächlich hatte der Beamte jedoch erst am 3. November 2000 (Freitag) Kenntnis erlangt von der angeordneten Abordnung ab dem 18. September 2000 und der damit verbundenen neuen Dienstleistungsverpflichtung, als er das an ihn gerichtete und bei der Post niedergelegte Schreiben abgeholt hat. Ein schuldhaft unerlaubtes Fernbleiben vom Dienst hinsichtlich dieser geänderten Dienstleistungsverpflichtung kommt daher erst ab dem 6. November 2000 (Montag) in Betracht (vgl. dazu auch Beschluss vom 18. September 2002 - BVerwG 1 DB 13.02 - Buchholz 240 § 9 BBesG Nr. 23 = NvWZ-RR 2003, 289 = ZBR 2003, 174). Spätestens zu diesem Zeitpunkt war der Beamte aber nach der Überzeugung des Senats nicht mehr dienstfähig; damit entfällt für die nachfolgenden Anschuldigungszeiträume der objektive Dienstvergehenstatbestand.
a) Nach ständiger Rechtsprechung des Senats liegt ein unerlaubtes Fernbleiben vom Dienst im Sinne von § 73 Abs. 1 Satz 1 BBG nicht vor, wenn der Beamte dienstunfähig und damit berechtigt ist, keinen Dienst zu leisten. Ein Beamter ist dienstunfähig, wenn er in körperlicher oder geistiger Hinsicht nicht in der Lage ist, die mit seinem funktionellen Amt im abstrakten Sinne bei einer bestimmten Behörde verbundenen Dienstaufgaben ordnungsgemäß zu erfüllen. Maßstab für die Dienstunfähigkeit ist somit nicht der zuletzt innegehabte Dienstposten (konkretes Amt im funktionellen Sinne), sondern das Amt zum Beispiel als Oberamtsrat, Fernmeldesekretär oder Werkmeister. Dienstunfähigkeit liegt erst dann vor, wenn der Beamte die Pflichten keines der für sein statusrechtliches Amt vorgesehenen Dienstposten innerhalb der Behörde mehr erfüllen kann (vgl. Urteil vom 9. Oktober 2001 - BVerwG 1 D 50.00 - Buchholz 232 § 73 BBG Nr. 24 m.w.N.).
b) Nach dem Ergebnis der in der Hauptversammlung durchgeführten Beweisaufnahme steht fest, dass der Beamte in den angeschuldigten Fernbleibenszeiträumen ab Anfang November 2000 nicht in der Lage war und ist, die mit dem Amt eines Polizeiobermeisters im BGS (Besoldungsgruppe A 8 BBesG) verbundenen Aufgaben zu erfüllen, und zwar auch nicht im Rahmen seiner sozialmedizinisch festgestellten nur eingeschränkten Verwendungsfähigkeit für den allgemeinen Verwaltungsdienst.
Der Sachverständige Dr. M., Arzt für Psychiatrie, Neurologie, forensische Psychiatrie und Oberarzt an den Rheinischen Kliniken in B., hat in der Hauptverhandlung vor dem Senat auf der Grundlage seines 128seitigen nervenärztlichen Gutachtens vom 8. November 2004 im Wesentlichen dargelegt, dass der Beamte, klassifiziert nach "ICD-10", an einer organischen Persönlichkeitsstörung, einem Abhängigkeitssyndrom von Alkohol - mit entsprechenden hirnorganischen und sozialen Folgeschäden - sowie rezidivierend an schweren depressiven Episoden leidet. Ursache hierfür seien vor allem ein erhöhter Alkoholkonsum (spätestens seit 1994) sowie seit etwa Anfang 1998 eine krankhafte Veränderung des Gehirns in Form einer disseminierten Marklagerstörung, mit großer Wahrscheinlichkeit auf dem Hintergrund einer durchgemachten Enzephalitis. Anlass des siebentägigen stationären Aufenthalts des Beamten im November 2000 in der allgemein-psychiatrischen Abteilung der Rheinischen Kliniken in B. sei vornehmlich eine damals schwere depressive Episode gewesen, die sich bereits seit Jahren rezidivierend mit sich steigernden Schweregraden aufgebaut gehabt habe. Die Schwere der Erkrankung des Beamten beruhe darauf, dass sich die verschiedenen Krankheitsbilder gegenseitig verstärkt hätten, wobei insbesondere Teile des Gehirns mit Exekutivfunktion betroffen gewesen seien. Der Sachverständige kommt dann zum Ergebnis, dass die Auswirkungen der Erkrankung auf Denken, Antrieb und Handeln (insbesondere Konzentrationsfähigkeit) nicht nur zur Dienstunfähigkeit des Beamten ab Mai 2001 geführt hat, sondern dass dieser bereits ab Anfang November 2000 nicht mehr in der Lage war, entsprechend seiner Amtsstellung einer Verwaltungstätigkeit mit geringem bis mittlerem Leistungsdruck nachzukommen.
Der Senat hat sich dieser nachvollziehbaren, widerspruchsfreien und überzeugenden Beurteilung des forensisch erfahrenen Sachverständigen angeschlossen, die auf der Krankengeschichte des Beamten, den von dem Gutachter selbst erhobenen Befunden einschließlich der wiederholten, eingehenden psychiatrischen Untersuchung des Beamten sowie den beigezogenen Arztberichten beruht; die Befunderhebungen des Sachverständigen sowie dessen Beurteilung werden gestützt durch das psychologische Gutachten der Diplom-Psychologin C. vom 28. Juni 2004. In Übereinstimmung mit dem Sachverständigen ist der Senat der Auffassung, dass der Beamte jedenfalls ab Anfang November 2000 nicht mehr dienstfähig war und ist. Den Aufzeichnungen der damals behandelnden Ärztin Dr. M. ist überdies zu entnehmen, dass sie am 2. November 2000 ein "sehr depressiv" vermerkt hat, was darauf schließen lässt, wie der Sachverständige nachvollziehbar gefolgert hat, dass schon damals eine schwere depressive Episode stattgefunden hat, der ein entsprechender Verlauf vorausgegangen sein muss.
Zwar hatten der Sachverständige und der Facharzt Dr. F. in ihrem 22seitigen psychiatrischen Gutachten vom 21. Juni 2000 für den Sozialmedizinischen Dienst aufgrund der Untersuchungsergebnisse vom Frühjahr 2000 den Beamten als "noch eingeschränkt dienstfähig" eingestuft; dem war das sozialmedizinische Gutachten vom 25. August 2000 gefolgt. Dieses damalige fachärztliche Urteil steht jedoch dem hier für den späteren Zeitraum zugrunde liegenden Untersuchungsergebnis nicht entgegen. Bereits die Tatsache, dass das spätere Sachverständigengutachten auf einer wesentlich breiteren Datengrundlage erstellt worden ist, sich wesentlich intensiver mit der Krankengeschichte des Beamten befasst hat und deshalb nicht nur wesentlich umfangreicher geworden ist, sondern auch zu genauer differenzierten Krankheitsbildern nach "ICD-10" geführt hat, spricht für die Richtigkeit der hier zugrunde gelegten Beurteilung. Zudem ist zu berücksichtigen, dass das Gutachten vom 21. Juni 2000 noch von einer Fortsetzung der klinisch eingeleiteten medikamentösen antidepressiven Therapie sowie einer psychotherapeutischen Behandlung ausging - was dann nicht der Fall war - und eine abschließende Beurteilung der dienstlichen Verwendungsfähigkeit des Beamten auf einen späteren Zeitpunkt - frühestens nach 12 Monaten - zurückgestellt hatte; eine solche Untersuchung fand ebenfalls nicht statt. Damit ging das frühere Gutachten prognostisch von Voraussetzungen aus, die alsbald wieder entfallen sind, vom sozialmedizinischen Dienst seit dem Festhalten an der prognostischen Aussagen des Gutachtens aber entweder ebenso stillschweigen wie unzutreffend als fortwirkend unterstellt worden oder aber in ihrer grundlegenden Bedeutung für die Prognose verkannt worden sind. Unter diesen Umständen ist das hier zugrunde gelegte Untersuchungsergebnis des Sachverständigen nicht angreifbar. Dieser hat nachvollziehbar ausgeführt, dass sein damaliges Urteil "eingeschränkte Dienstfähigkeit" nur vorläufige Bedeutung hatte, da es an die Durchführung der für erforderlich gehaltenen Therapie gebunden war.
Das fachärztliche Untersuchungsergebnis des Sachverständigen steht auch im Einklang mit Erkenntnissen der forensischen Psychiatrie, wonach ausgeprägte depressive Episoden dazu führen, dass die berufliche und soziale Funktionsfähigkeit mehr oder weniger vollständig unterbrochen wird. Während akuter depressiver Phasen - wie hier schon im November 2000 - besteht Arbeitsunfähigkeit, die durch die affektive Symptomatik bedingt ist (vgl. dazu Beschluss vom 9. November 2000 - BVerwG 1 D 8.96 - m.w.N.).
Weiteres Indiz für die krankheitsbedingte Dienstunfähigkeit des Beamten ab November 2000 sind Verhaltensauffälligkeiten, die auch als psychopathologische Auffälligkeiten im dienstlichen und privaten Umfeld des Beamten beobachtet werden konnten. Er war nicht mehr in der Lage, seine Angelegenheiten zu regeln, sich zum Beispiel zeitgerecht bei Ärzten zu melden, um sich krankschreiben zu lassen und ärztliche Untersuchungstermine wahrzunehmen. In der Verhandlung vor dem Senat hat sich der Beamte hierzu unwiderlegbar dahin eingelassen, er habe damals viel getrunken und sich um nichts mehr gekümmert; am 23. Februar 2001 (Anschuldigungspunkt 2) sei er körperlich und seelisch nicht mehr in der Lage gewesen, zum Dienst zu gehen. Die Feststellung des Verlustes seiner Dienstbezüge hat er zuletzt "widerstandslos" hingenommen. Auch im Privatbereich gab der Beamte zunehmend das Bild eines Menschen ab, der - mit den Worten des Sachverständigen - "aus den Lebensbezügen herausfiel". Dies zeigt sich unter anderem an der Trennung von seiner ersten Ehefrau am 31. Januar 2000 (Scheidung seit 30. November 2001), der Kündigung seiner Wohnung am 8. Februar 2001 (Räumungsurteil vom 26. Juni 2001), dem Verlust seines Dienstausweises am 21. Februar 2001, der unterlassenen dienstlichen Meldung seines Umzugs von B. nach Br. sowie dem weitgehenden Verlust früherer sozialer Kontakte. Die Schwere seiner Erkrankung wird schließlich auch an dem Umstand deutlich, dass er im Jahre 2002 einen Suizidversuch unternahm.
Nach alledem war der Beamte in allen drei Anschuldigungspunkten vom Vorwurf des unerlaubten Fernbleibens vom Dienst freizusprechen.
3. Auf die weitere Frage, ob der Freispruch auch auf Schuldfähigkeit im Sinne des § 20 StGB gestützt werden könnte, kommt es daher nicht mehr an.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 113 ff. BDO.