Beschluss vom 07.11.2013 -
BVerwG 8 B 15.13ECLI:DE:BVerwG:2013:071113B8B15.13.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 07.11.2013 - 8 B 15.13 - [ECLI:DE:BVerwG:2013:071113B8B15.13.0]

Beschluss

BVerwG 8 B 15.13

  • VG Frankfurt/Oder - 17.01.2013 - AZ: VG 4 K 841/11

In der Verwaltungsstreitsache hat der 8. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 7. November 2013
durch den Vizepräsidenten des Bundesverwaltungsgerichts
Prof. Dr. Dr. h.c. Rennert,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Deiseroth und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Rudolph
beschlossen:

  1. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
  2. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 44 006,25 € festgesetzt.

Gründe

I

1 Der Kläger ist durch Erbschein ausgewiesener Erbe nach dem 1998 verstorbenen Hans Joachim S., der seinerseits Richard S. beerbt hatte. Er wendet sich mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 17. Januar 2013 ergangenen Urteil des Verwaltungsgerichts Frankfurt (Oder). Mit diesem ist die Klage mit dem auf § 1 Abs. 6 VermG gestützten Antrag abgewiesen worden, den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides des Amtes zur Regelung offener Vermögensfragen des Landkreises Oder-Spree vom 12. März 2002 in der Fassung des Widerspruchsbescheides des Beklagten vom 8. Februar 2011 zu verpflichten, dem Kläger das 7 041 qm große Grundstück in B., eingetragen im Grundbuch von B., Band ..., Blatt ..., Flur ..., Flurstück ... zurück zu übertragen.

2 Das Grundstück, auf dem sich damals das Hotel „E.“ befand, war von Richard S. mit Kaufvertrag vom 12. Dezember 1938 an den NS-Volkswohlfahrt e.V. zu einem Kaufpreis von 380 000 RM veräußert worden. Von dem NS-Volkswohlfahrt e.V. war es 1940 zunächst an einen anderen Verein und 1944 von diesem an Kurt P. zu einem Kaufpreis von 556 269,20 RM weiter veräußert worden, der dann nach dem Ende des NS-Regimes aufgrund des SMAD-Befehls Nr. 124 vom 30. Oktober 1945 enteignet wurde. Das Grundstück wurde in Volkseigentum überführt. Als Rechtsträger wurde am 14. Januar 1949 der Rat der Gemeinde B. eingetragen. Aufgrund des Vermögenszuordnungsbescheides des Präsidenten der Oberfinanzdirektion Cottbus vom 10. August 2000 ist die Gemeinde B. seit dem 26. September 2000 als Eigentümerin im Grundbuch eingetragen.

3 Den Rückübertragungsantrag des Rechtsvorgängers des Klägers vom 20. September 2000 lehnte der Landrat des Landkreises Oder-Spree als damals zuständige Behörde mit Bescheid vom 12. März 2002 ab. Diesen Bescheid hob auf den Widerspruch des Klägers hin die nunmehr zuständig gewordene Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 29. März 2006 auf und übertrug das Grundstück an die Erben nach Hans Joachim S. zurück. Auf die dagegen erhobene Klage der Gemeinde B. hob das Verwaltungsgericht Frankfurt (Oder) mit Urteil vom 16. Oktober 2008 - VG 4 K 1095/06 - den Widerspruchsbescheid vom 29. März 2006 auf. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision wies das Bundesverwaltungsgericht mit Beschluss vom 28. Mai 2009 - BVerwG 8 B 27.09 - zurück.

4 Daraufhin lehnte die Beklagte mit ihrem Widerspruchsbescheid vom 8. Februar 2011 nunmehr den Widerspruch des Klägers vom 12. April 2002 gegen den Ausgangsbescheid vom 12. März 2002 ab und verwies zur Begründung auf das rechtskräftige Urteil des Verwaltungsgerichts Frankfurt (Oder) vom 16. Oktober 2008. Auf die dagegen erhobene Klage ist das hier angegriffene Urteil des Verwaltungsgerichts Frankfurt (Oder) ergangen.

II

5 Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die allein erhobene Verfahrensrüge (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO), mit der eine Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO) und des Anspruchs auf rechtliches Gehör (§ 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) geltend gemacht wird, erfüllt schon nicht die Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO; jedenfalls ist sie unbegründet.

6 1. Eine Aufklärungsrüge im Hinblick auf § 86 Abs. 1 VwGO setzt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts die Darlegung voraus, welche Tatsachen auf der Grundlage der materiell-rechtlichen Auffassung der Vorinstanz ermittlungsbedürftig gewesen wären, welche Beweismittel zu welchen Beweisthemen zur Verfügung gestanden hätten, welches Ergebnis diese Beweisaufnahme voraussichtlich gehabt hätte, inwiefern das verwaltungsgerichtliche Urteil unter Zugrundelegung der materiell-rechtlichen Auffassung des Gerichts auf der unterbliebenen Sachaufklärung beruhen kann und dass die Nichterhebung der Beweise vor dem Tatsachengericht rechtzeitig gerügt worden ist oder aufgrund welcher Anhaltspunkte sich die unterbliebene Beweisaufnahme dem Gericht hätte aufdrängen müssen (stRspr, vgl. z.B. Beschlüsse vom 13. Januar 2009 - BVerwG 9 B 64.08 - Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 372 S. 20 und vom 5. März 2010 - BVerwG 5 B 7.10 - Buchholz 310 § 133 <n.F.> VwGO Nr. 94 S. 11 f. m.w.N.). Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht.

7 a) Der Kläger, der in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht keinen Beweisantrag gestellt hat, macht geltend, das von ihm vorgelegte Privatgutachten vom 5. Januar 2011 (Neumann & Kamp, Historische Projekte) hätte für das Verwaltungsgericht Veranlassung sein müssen, „weitere historische Aufklärung zu betreiben“ und insbesondere ein weiteres historisches Sachverständigengutachten einzuholen. Dabei verkennt der Kläger, dass das von ihm formulierte Beweisthema („Unterlag der Rechtsvorgänger des Klägers Richard S. zum Zeitpunkt der Veräußerung der E. der vom Kläger behaupteten politischen Verfolgung“) nicht auf die Klärung einer Tatsachenfrage, sondern auf eine Rechtsfrage gerichtet ist. Diese zu beantworten ist Sache des Gerichts, nicht aber eines Sachverständigen. Soweit mit der Beschwerde unabhängig davon allgemein geltend gemacht wird, das Verwaltungsgericht habe es unterlassen, „weitere historische Aufklärung zu betreiben“, lässt die Beschwerdebegründung jedenfalls nicht erkennen, auf welches konkrete Beweisthema und welches Beweismittel dieses Vorbringen zielt, welches Ergebnis die von ihm vermisste Beweisaufnahme voraussichtlich gehabt hätte sowie inwiefern das angegriffene Urteil unter Zugrundelegung der materiell-rechtlichen Auffassung des Verwaltungsgerichts auf der vom Kläger vermissten Sachaufklärung beruhen kann.

8 b) Auch soweit der Kläger geltend macht, das Verwaltungsgericht habe entgegen seiner Beweisanregung im Schriftsatz vom 2. Januar 2013 keine Ermittlungen „zum Verkehrswert für Grundstücke nebst aufstehendem Hotel“ vorgenommen und insbesondere nicht geklärt, ob der vom damaligen Eigentümer Richard S. und dem Käufer vereinbarte Kaufpreis den seinerzeit bei der Veräußerung eines Hotelbetriebs üblichen „Goodwill“ enthalten habe, ist ein Verstoß gegen § 86 Abs. 1 VwGO nicht ersichtlich. Nach der insoweit maßgeblichen Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts rechtfertigt selbst ein Vorenthalten der Vergütung für den „Goodwill“ nicht den Schluss auf eine politische Verfolgung des Veräußerers. Denn die Höhe des Kaufpreises enthalte keinerlei konkrete Aussage über die Motive des Verkäufers, weil die Ursachen für einen für den Verkäufer ungünstigen Preis mannigfaltig sein könnten (UA S. 14). Hinreichende Anhaltspunkte für eine politische Verfolgung des Verkäufers und ein daraus resultierender Zwangsverkauf des streitgegenständlichen Grundstücks hätten vorliegend nicht festgestellt werden können (UA S. 9 ff.). Insbesondere der damalige Bericht in der Heimatpresse über den Ablauf des von dem Verkäufer Richard S. aus Anlass des Verkaufs seinerzeit organisierten Abschiedsfestes mit lobpreisenden Reden von Repräsentanten und Amtsträgern des NS-Regimes spreche gegen eine politische Verfolgung und einen daraus resultierenden Zwangsverkauf der Liegenschaft. Auf der Grundlage dieser Rechtsauffassung kam es auf die vom Kläger vermisste gerichtliche Feststellung eines für den Kaufpreis maßgeblichen oder nicht maßgeblichen „Goodwill“ nicht an. Ein gegen § 86 Abs. 1 VwGO verstoßender Aufklärungsmangel ist nicht erkennbar.

9 2. Mit dem Vorbringen des Klägers, das Verwaltungsgericht habe erstmals in der Begründung des angegriffenen Urteils ausgeführt, die Höhe des vereinbarten Kaufpreises enthalte keine Aussage über die Motive des Verkäufers, wird auch kein Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör dargelegt.

10 Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts folgt aus dem Anspruch auf rechtliches Gehör in der Ausprägung, den er in § 86 Abs. 3 VwGO gefunden hat (zur Rückführbarkeit des § 86 Abs. 3 VwGO auf das Gebot der Gewährung rechtlichen Gehörs vgl. etwa die Urteile vom 21. April 1977 - BVerwG 5 CB 7.74 - Buchholz 310 § 138 Ziff. 3 VwGO Nr. 28 S. 9 f., vom 29. Juli 1977 - BVerwG 4 C 21.77 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 98 S. 20 f. und vom 9. August 1978 - BVerwG 7 C 79.77 u.a. - Buchholz 310 § 86 Abs. 3 VwGO Nr. 25 S. 15), keine Pflicht des Gerichts zur umfassenden Erörterung aller entscheidungserheblichen Gesichtspunkte. Das Tatsachengericht ist nicht verpflichtet, die Beteiligten schon in der mündlichen Verhandlung auf seine Rechtsauffassung oder die beabsichtigte Würdigung des Prozessstoffes hinzuweisen und offenzulegen, wie es seine Entscheidung im Einzelnen zu begründen beabsichtigt. Denn die tatsächliche und rechtliche Würdigung ergibt sich regelmäßig erst aufgrund der abschließenden Beratung nach der mündlichen Verhandlung (vgl. z.B. Beschluss vom 27. November 2008 - BVerwG 5 B 54.08 - Buchholz 310 § 86 Abs. 3 VwGO Nr. 60 Rn. 8 m.w.N.). Eine Ausnahme hiervon gilt dann, wenn das Gericht bei seiner Entscheidung auf einen rechtlichen Gesichtspunkt oder auf eine bestimmte Bewertung des Sachverhalts abstellen will, mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht zu rechnen braucht (stRspr, vgl. z.B. Beschluss vom 27. November 2008 a.a.O. Rn. 8; BVerfG, Beschlüsse vom 19. Mai 1992 - 1 BvR 986/91 - BVerfGE 86, 133 <144> und vom 7. Oktober 2003 - 1 BvR 10/99 - BVerfGE 108, 341 <345 f.>). Das war hier aber schon deshalb nicht der Fall, weil die Beklagte in ihrem Schriftsatz vom 7. Januar 2013 (S. 2, zweiter Absatz) zur fehlenden Relevanz der Angemessenheit des Kaufpreises für die Frage einer politischen Verfolgung des Verkäufers näher Stellung genommen hatte. Der anwaltlich vertretene Kläger hatte hinreichend Gelegenheit, sich hierzu seinerseits schriftsätzlich oder in der mündlichen Verhandlung zu äußern. Wenn er hiervon keinen Gebrauch gemacht haben sollte, kann er dies nicht dem Gericht anlasten.

11 Von einer weiteren Begründung sieht der Senat gemäß § 133 Abs. 5 Satz 2 VwGO ab.

12 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.