Beschluss vom 07.10.2004 -
BVerwG 1 B 121.04ECLI:DE:BVerwG:2004:071004B1B121.04.0

Beschluss

BVerwG 1 B 121.04

  • OVG Mecklenburg-Vorpommern - 01.06.2004 - AZ: OVG 2 L 261/02

In der Verwaltungsstreitsache hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 7. Oktober 2004
durch die Vizepräsidentin des Bundesverwaltungsgerichts
E c k e r t z - H ö f e r und die Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. M a l l m a n n und Prof. Dr. D ö r i g
beschlossen:

  1. Der Antrag des Klägers, ihm Prozesskostenhilfe zu bewilligen und einen Rechtsanwalt beizuordnen, wird abgelehnt.
  2. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 1. Juni 2004 wird zurückgewiesen.
  3. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Dem Kläger kann die beantragte Prozesskostenhilfe nicht bewilligt werden, denn die beabsichtigte Rechtsverfolgung bietet aus den nachstehenden Gründen keine Aussicht auf Erfolg (§ 166 VwGO i.V.m. § 114 ZPO).
Die auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und das Vorliegen von Verfahrensmängeln (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) gestützte Beschwerde ist, soweit sie nicht schon unzulässig ist, jedenfalls unbegründet.
1. Die Rüge der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache entspricht nicht den sich aus § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO ergebenden Darlegungsanforderungen. Eine solche Rüge setzt voraus, dass eine klärungsfähige und klärungsbedürftige Rechtsfrage aufgeworfen wird. Eine solche lässt sich der Beschwerde nicht entnehmen. Die von ihr aufgeworfenen Fragen nach der Bereitschaft und Fähigkeit der für die Gewährleistung von Sicherheit im Irak zuständigen Organe, Verfolgungshandlungen Dritter namentlich gegen Rückkehrer in den Irak effektiv zu verhindern und der Rückkehrgefährdung irakischer Flüchtlinge im Übrigen (Beschwerdebegründung Ziffer II, S. 6), zielen nicht auf Rechtsfragen. Sie betreffen vielmehr vorrangig die Klärung tatsächlicher Verhältnisse und die Würdigung tatsächlicher Feststellungen und rechtfertigen damit nicht die Zulassung einer Grundsatzrevision.
2. Die von der Beschwerde gerügte Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO) (Beschwerdebegründung Ziffer 1, S. 1 ff.) wird von dieser ebenfalls nicht in einer den gesetzlichen Erfordernissen (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO) entsprechenden Weise dargelegt. Zwar trifft es zu, dass das Berufungsgericht den Ad-hoc-Bericht des Auswärtigen Amtes vom 7. Mai 2004 und die Länderanalyse der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 24. Mai 2004 nicht zur Entscheidungsfindung herangezogen hat. Auch sind die mit Asylsachen befassten Verwaltungsgerichte nach der Rechtsprechung des Senats grundsätzlich gehalten, sich von Amts wegen zu vergewissern, ob ein neuer Lagebericht des Auswärtigen Amtes zur Verfügung steht und asylrechtlich erhebliche Änderungen der politischen Verhältnisse in dem betreffenden Land beschreibt (Beschluss vom 9. Mai 2003 - BVerwG 1 B 217.02 - Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 329 = InfAuslR 2003, 359). Unabhängig davon, dass der erwähnte Ad-hoc-Bericht des Auswärtigen Amtes dem Nichtabhilfebeschluss des Berufungsgerichts vom 11. August 2004 zufolge diesem zum Zeitpunkt seiner Entscheidung nicht vorgelegen hat, zeigt die Beschwerde aber nicht schlüssig auf, dass sich aus dem Ad-hoc-Bericht entscheidungserhebliche Änderungen der tatsächlichen Verhältnisse im Irak ergeben. Hinsichtlich der genannten Länderanalyse der Schweizerischen Flüchtlingshilfe macht die Beschwerde nicht geltend, im Berufungsverfahren auf dessen Berücksichtigung hingewirkt zu haben. Sie zeigt auch nicht - wie erforderlich - auf, dass sich seine Berücksichtigung dem Berufungsgericht hätte aufdrängen müssen. Namentlich macht die Beschwerde nicht ersichtlich, inwiefern sich aus der "Länderanalyse" die zur Überwindung der Sperrwirkung des § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG erforderliche Gefahr für den Kläger ergibt, im Falle seiner Abschiebung gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert zu sein. Vielmehr gibt die Beschwerde selbst den Inhalt der neueren von ihr ausgewerteten Berichte dahin wieder, dass die Sicherheitslage "unberechenbar" sei, dass Zivilpersonen einer "ernsthaften Bedrohung" ausgesetzt und "eine hohe Zahl von Opfern" zu beklagen seien. Damit und mit ihrem weiteren Vorbringen zeigt sie eine erhebliche, nicht jedoch die nach der Rechtsprechung erforderliche extreme Gefahrenlage auf.
Der mit der Beschwerde weiter gerügte Gehörsverstoß im Sinne von § 108 Abs. 2 VwGO liegt ebenfalls nicht vor (Beschwerdebegründung Ziffer 2, S. 4). Zwar dürfen die Gerichte ihrer Entscheidung nur solche Tatsachen zugrunde legen, die ordnungsgemäß in das Verfahren eingeführt wurden. Feststellungen, die in einem anderen Gerichtsverfahren getroffen wurden - hier zur möglichen Gefährdung zurückkehrender Iraker - unterliegen vor ihrer Übernahme als Tatsachenfeststellung dem Gebot, dazu rechtliches Gehör zu gewähren. Die von dem angefochtenen Beschluss zitierten Entscheidungen anderer Oberverwaltungsgerichte werden - wie sich aus den Beschlussgründen ergibt - aber nicht als Quelle für bestimmte Tatsachenfeststellungen benannt, sondern als Beleg für eine "in der aktuellen Rechtsprechung vertretene Auffassung" (BA S. 4), der sich das Berufungsgericht anschließt. Derartige Nachweise für eine gleichlautende Rechtsprechung bedürfen jedoch keiner Einführung in das Verfahren, wie sie für Erkenntnismittel über Tatsachen erforderlich ist.
Ohne Erfolg rügt die Beschwerde ferner einen Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 EMRK, der in dem vom Berufungsgericht gewählten Verfahren nach § 130 a VwGO und dem damit verbundenen Verzicht auf eine mündliche Verhandlung liegen soll (Beschwerdebegründung Ziffer 3, S. 4 ff.). In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist geklärt, dass Art. 6 Abs. 1 EMRK in asyl- und ausländerrechtlichen Verfahren der vorliegenden Art keine Anwendung findet (vgl. Urteil vom 14. März 2002 - BVerwG 1 C 15.01 - Buchholz 310 § 130 a VwGO Nr. 58 m.w.N.). Entgegen der Rechtsauffassung der Beschwerde (Beschwerdebegründung S. 5) ist ein derartiger Rechtsstreit auch nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte nicht als Streit über "zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen" im Sinne von Art. 6 Abs. 1 EMRK anzusehen (vgl. EGMR, Große Kammer, Urteil vom 5. Oktober 2000 - Nr. 39652/98 - Maaouia - InfAuslR 2001, 109; Urteil vom 12. Juli 2001 - Nr. 44759/98 - Ferrazzini - NJW 2002, 3453; Meyer-Ladewig, EMRK, 1. Aufl. 2003, Art. 6 Rn. 9). Im Übrigen steht es im Regelfall im Ermessen des Berufungsgerichts, eine Entscheidung nach § 130 a Satz 1 VwGO zu treffen, die nur auf sachfremde Erwägungen und grobe Fehleinschätzungen überprüfbar ist (vgl. Beschluss vom 3. Februar 1999 - BVerwG 4 B 4.99 - Buchholz 310 § 130 a VwGO Nr. 33 = NVwZ 1999, 1109). Einen solchen Ermessensfehler legt die Beschwerde nicht dar. Zwar wurde auch in erster Instanz keine mündliche Verhandlung durchgeführt. Das beruhte aber darauf, dass der Prozessbevollmächtigte des Klägers hierauf verzichtet hat. Im Berufungsverfahren wurde der Kläger zu dem vom Gericht beabsichtigten Verfahren nach § 130 a VwGO ebenfalls angehört und hat dem nicht widersprochen, sondern sich auf weiteren Vortrag zur Sach- und Rechtslage beschränkt. Besondere Umstände, die das gewählte Verfahren als ermessensfehlerhaft erscheinen lassen könnten - etwa wegen einer notwendigen Glaubwürdigkeitsbeurteilung durch Anhörung des Klägers in einer mündlichen Verhandlung - sind nicht dargelegt und auch sonst nicht ersichtlich.
Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 VwGO).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83 b AsylVfG nicht erhoben; der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 Satz 1 RVG.