Beschluss vom 07.01.2008 -
BVerwG 2 B 103.07ECLI:DE:BVerwG:2008:070108B2B103.07.0

Beschluss

BVerwG 2 B 103.07

  • OVG Berlin-Brandenburg - 21.06.2007 - AZ: OVG 82 D 3.06

In der Verwaltungsstreitsache hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 7. Januar 2008
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Albers
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Müller und Groepper
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 21. Juni 2007 wird zurückgewiesen.
  2. Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

1 Die Beschwerde ist unbegründet. Weder betrifft die angegriffene Entscheidung eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), noch beruht sie auf einem Verfahrensfehler (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).

2 1. Der Sache kommt keine grundsätzliche Bedeutung zu.

3 Vor dem Hintergrund, dass das Berufungsgericht in dem angegriffenen Urteil die Entfernung des Beklagten aus dem Beamtenverhältnis bestätigt hat, weil er schuldhaft in 18 Zeiträumen mit 57 Arbeitstagen dem Dienst unerlaubt ferngeblieben sei, hält der Beklagte die Rechtsauffassung des Berufungsgerichts für grundsätzlich klärungsbedürftig, nach der verminderter Schuldfähigkeit keine die disziplinarische Maßnahme mindernde Wirkung zukommt, wenn das Dienstvergehen in der Verletzung einer elementaren, selbstverständlichen und einfach zu befolgenden Pflicht wie der Dienstleistungspflicht besteht. Mit diesen Ausführungen wendet sich die Beschwerde nach Art einer Revision gegen die Rechtsauffassung des Berufungsgerichts, legt aber keine klärungsbedürftige Rechtsfrage dar.

4 Hiervon abgesehen kann die vermeintliche Frage auch deshalb nicht zur Zulassung der Revision führen, weil der Beklagte nicht darlegt, wieso sie klärungsbedürftig ist. Hierzu hätte es einer Auseinandersetzung mit der gefestigten Rechtsprechung des Disziplinarsenats des Bundesverwaltungsgerichts bedurft, die diesen Satz in ständiger Rechtsprechung vertreten hat. Die bloße Kennzeichnung dieser Rechtsprechung als „unrichtig“ genügt nicht, nachdem sie auch vom Bundesverfassungsgericht mehrfach gebilligt worden ist. Statt dessen ist die Beschwerde bestrebt, darzulegen, das Berufungsgericht habe die Frage nicht geklärt, ob sich der Beklagte in einer als unlösbar empfundenen Konfliktlage befunden habe und damit nur vermindert schuldfähig gewesen sei. Sollten diese Ausführungen so zu verstehen sein, die tatsächlichen Voraussetzungen des als klärungsbedürftig bezeichneten Rechtssatzes hätten gar nicht vorgelegen, weil sich der Beklagte keiner „einfach zu befolgenden Pflicht“ entzogen habe, so käme es auf die revisionsgerichtliche Überprüfung des Rechtssatzes nicht an. Sollte das Beschwerdevorbringen jedoch so zu verstehen sein, das Berufungsgericht halte die Klärung der verminderten Schuldfähigkeit zu Unrecht nicht für entscheidungserheblich, so liegt darin ein Angriff gegen die Rechtsauffassung des Berufungsgerichts, aber keine den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO in Verbindung mit § 69 BDG genügende Darlegung eines Zulassungsgrundes.

5 Richtig ist allerdings, dass das Berufungsgericht mit seiner Rechtsauffassung von der des Bundesverwaltungsgerichts abweicht. Denn nach der Rechtsprechung des Senats (vgl. Urteil vom 3. Mai 2007 - BVerwG 2 C 30.05 - NVwZ 2007, 1196, Rn. 33 ff.) kann wegen der von den Bemessungsvorgaben gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2 bis 4 BDG geforderten prognostischen Gesamtwürdigung die Frage, ob der Beamte im Zustand erheblich verminderter Schuldfähigkeit im Sinne von §§ 20, 21 StGB gehandelt hat, auch bei sog. Zugriffsdelikten nicht schematisch als unbeachtlich behandelt werden. Erst recht gilt dies für andere Dienstvergehen. Der danach möglichen Divergenz (Zulassungsgrund nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) kommt indessen keine entscheidungserhebliche Bedeutung zu. Denn das Berufungsgericht hat, wie sogleich auszuführen sein wird, in verfahrensrechtlich nicht zu beanstandender Weise keine tatsächlichen Feststellungen getroffen, die darauf hindeuten könnten, der Beklagte habe in dem hier zu betrachtenden Zeitraum von mehr als einem Jahr (Januar 2002 bis März 2003) an insgesamt 57 Arbeitstagen, an denen er dem Dienst ferngeblieben ist, an einer krankhaften seelischen Störung, einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung oder einer schweren anderen Abartigkeit gelitten und dadurch nur in erheblich vermindertem Maße die Fähigkeit besessen, das Unrecht seiner Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln (vgl. §§ 20, 21 StGB). Vielmehr ist das Berufungsgericht, wie sich aus seinen Darlegungen (UA S. 23 f.) entnehmen lässt, von der unverminderten Schuldfähigkeit des Beklagten ausgegangen. Darauf, welche Folgen für die Bestimmung der Disziplinarmaßnahme aus einer erheblich verminderten Schuldfähigkeit herzuleiten wären, käme es daher in einem Revisionsverfahren nicht an.

6 2. Auch die Verfahrensrügen greifen nicht durch.

7 Die Beschwerde erhebt den Vorwurf, das Berufungsgericht habe es unter Verletzung seiner Aufklärungspflicht unterlassen, der Frage nachzugehen, ob der Beklagte an den festgestellten Fehltagen dienstunfähig gewesen sei. Soweit es seine Dienstfähigkeit angenommen habe, beruhe diese Annahme auf der Verletzung des Überzeugungsgrundsatzes. Als näher aufzuklärende Tatsache bezeichnet die Beschwerde ferner die „Selbstwahrnehmung und Selbsteinschätzung (des Beklagten) der ihn in Bezug auf die Abwesenheitszeiten vom Dienst motivierenden Umstände sowie seines objektiven Gesundheitszustandes“. Zu diesem Zweck hätte das Berufungsgericht den behandelnden Psychotherapeuten ebenso als Zeugen anhören müssen wie die Ärzte, die den Beklagten im Zeitraum 2001 bis 2003 behandelt hatten.

8 Die gerügten Verfahrensverstöße lassen sich nicht feststellen. Das Berufungsgericht hat sich eingehend mit der Frage beschäftigt, weshalb in den von ihm festgestellten Zeiträumen der Beklagte dem Dienst ferngeblieben ist. Es ist unter Würdigung sämtlicher ihm zur Verfügung stehender Erkenntnismittel einschließlich der Einlassungen des Beklagten selbst sowie nach Auswertung der vom Beklagten vorgelegten privatärztlichen Bescheinigungen sowie der gutachtlichen Stellungnahme der beim Amts- und Vertrauensärztlichen Dienst des Gesundheitsamtes S.-Z. tätigen Ärztin Dr. B. zu der Überzeugung gelangt, dass die Fehlzeiten des Beklagten nicht oder jedenfalls nicht in erheblichem Umfang auf Erkrankungen beruhten, die jeweils zur Dienstunfähigkeit geführt hatten, sondern der Betreuung seines Sohnes geschuldet waren, zu der sich der Beklagte nach der Trennung von seiner Frau in einem festen Rhythmus verpflichtet hatte. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts bestand eine auffällige Übereinstimmung zwischen den Fehlzeiten und den festgelegten Betreuungszeiträumen. Das Berufungsgericht hat im Einzelnen begründet, weshalb es den Ausführungen der Ärztin Dr. B. Glauben geschenkt hat, die den Beklagten am 16. April 2003 mit negativem Ergebnis untersucht hatte. Nachdem der Beklagte dieser Ärztin gegenüber selbst eingeräumt hatte, die von ihm vorgelegten Atteste seiner Ärzte seien im Wesentlichen Gefälligkeitsatteste, konnte das Berufungsgericht auch ohne Verletzung seiner Aufklärungspflicht davon absehen, diese Ärzte als Zeugen über den Gesundheitszustand des Beklagten zu befragen. Das Berufungsgericht hat damit auch seine Pflicht nicht verletzt, seine Entscheidung auf seine freie, aus dem Gesamtergebnis gewonnene Überzeugung zu stützen (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO, § 3 BDG).

9 Zur „Selbstwahrnehmung“ und „Selbsteinschätzung“ des Beklagten bedurfte es keiner weiteren Aufklärung durch das Berufungsgericht, weil der Beklagte nicht gehindert war, über diese inneren Tatsachen alles vorzutragen, was er für wesentlich hielt; dem angegriffenen Urteil ist nicht zu entnehmen, dass das Berufungsgericht den Beklagten in diesem Recht verkürzt oder dass es seine Darlegungen nicht zur Kenntnis genommen hat.

10 Das Berufungsgericht war auch nicht verpflichtet, den in der Beschwerde als nicht ausschließbare Geschehensalternativen geschilderten Möglichkeiten von Amts wegen nachzugehen und hierüber durch Einholung weiterer medizinischer Befunde Beweis zu erheben, weil diese Möglichkeiten nach Lage der Dinge fernlagen. Ebenso wenig musste es der Frage nachgehen, ob der Beklagte darauf vertrauen konnte, dienstunfähig zu sein. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts war die Dienstunfähigkeit des Beklagten nur vorgetäuscht und mit relevanten medizinischen Symptomen nicht belegbar. Ist das Verhalten eines Beamten im Hinblick auf die von ihm geschilderte familiäre Situation (Trennung von der Ehefrau, Betreuung des 1993 behindert geborenen Sohnes) nachvollziehbar und schlüssig und decken sich äußere Fakten und innere Beweggründe so bruchlos, wie es den Feststellungen des Berufungsgerichts zufolge beim Beklagten der Fall war, so besteht für das Gericht keine Pflicht, einer ins Blaue hinein aufgestellten Behauptung, wie hier der Behauptung verminderter Zurechnungsfähigkeit, nachzugehen, für die sich im festgestellten Sachverhalt nicht die mindesten Anhaltspunkte finden lassen.

11 3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 77 Abs. 4 BDG. Das Verfahren ist gerichtsgebührenfrei (§ 78 Abs. 1 Satz 1 BDG).