Beschluss vom 06.12.2011 -
BVerwG 10 B 35.11ECLI:DE:BVerwG:2011:061211B10B35.11.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 06.12.2011 - 10 B 35.11 - [ECLI:DE:BVerwG:2011:061211B10B35.11.0]

Beschluss

BVerwG 10 B 35.11

  • OVG des Landes Sachsen-Anhalt - 25.05.2011 - AZ: OVG 3 L 374/09

In der Verwaltungsstreitsache hat der 10. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 6. Dezember 2011
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Berlit,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Beck und
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Kraft
beschlossen:

  1. Der Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts wird abgelehnt.
  2. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts des Landes Sachsen-Anhalt vom 25. Mai 2011 wird verworfen.
  3. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

1 Dem Kläger kann die beantragte Prozesskostenhilfe nicht bewilligt werden, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine Aussicht auf Erfolg hat (§ 166 VwGO i.V.m. § 114 ZPO).

2 Die Beschwerde des Klägers ist unzulässig. Sie legt die geltend gemachten Revisionszulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache und eines Verfahrensmangels (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO) nicht in einer Weise dar, die den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO genügt.

3 1. Die Beschwerde hält die Frage für grundsätzlich klärungsbedürftig,
ob die Wiedereinreiseverweigerung staatenloser Kurden durch die syrischen Behörden politische Verfolgung darstellt.

4 Sie trägt vor, die Auffassung des Berufungsgerichts, dass das Wiedereinreiseverbot für Kurden nicht an deren Ethnie anknüpfe, sei, wie auch die gegenteilige erstinstanzliche Entscheidung des Verwaltungsgerichts zeige, umstritten und bedürfe wegen der Vielzahl staatenloser Kurden aus Syrien grundsätzlicher Klärung.

5 Mit diesem Vorbringen ist eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO schon deshalb nicht aufgezeigt, weil es sich bei der aufgeworfenen Frage nicht um eine Rechtsfrage, sondern um eine Tatsachenfrage handelt. Ob die Wiedereinreiseverweigerung für staatenlose Kurden an deren Ethnie anknüpft, kann nur aufgrund der Feststellung und Würdigung der tatsächlichen Verhältnisse in Syrien beantwortet werden und ist einer Klärung im Revisionsverfahren deshalb nicht zugänglich.

6 Gleiches gilt für die vom Kläger weiterhin als grundsätzlich bedeutsam aufgeworfene Frage,
ob unverfolgt ausgereisten Kurden aus Syrien bei einer Rückkehr unter Berücksichtigung der jüngsten seit Frühjahr 2011 andauernden Unruhen in Syrien die konkrete Gefahr droht, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden.

7 Auch diese Frage zielt auf die Feststellung und Würdigung der tatsächlichen Verhältnisse in Syrien und führt nicht auf eine Frage des revisiblen Rechts, die vom Revisionsgericht geklärt werden könnte.

8 2. Soweit die Beschwerde als Verfahrensmangel eine Verletzung des Grundsatzes der Gewährung rechtlichen Gehörs (§ 108 Abs. 2 VwGO, Art. 103 Abs. 1 GG) rügt, genügt ihr Vorbringen ebenfalls nicht den Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO.

9 Die Beschwerde macht hierzu geltend, das Berufungsgericht habe die sich nach ihrer Ansicht aus der Auskunftslage ergebende Rückkehrgefährdung des Klägers nicht unter dem Aspekt des Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2 AufenthG diskutiert, sodass der Kläger nicht wisse, warum dieses Abschiebungsverbot bei ihm nicht vorliegen solle. Hätte das Gericht dies vor der Entscheidung offengelegt, hätte der Kläger auf die sich seiner Ansicht nach aus der Erkenntnislage ergebende Gefährdung hingewiesen, sodass das Gericht ihm gegebenenfalls Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 2 AufenthG zugebilligt hätte.

10 Mit diesem Vorbringen ist eine Verletzung des rechtlichen Gehörs des Klägers nicht dargetan. Die Beschwerde zeigt nicht auf, dass das Berufungsgericht wesentliches Vorbringen des Klägers nicht zur Kenntnis genommen und erwogen hätte. Sie beanstandet lediglich, dass das Gericht aus den von ihm eingeführten Erkenntnisquellen, insbesondere dem Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 27. September 2010 und der Antwort der Bundesregierung vom 26. April 2011 auf eine Kleine Anfrage der Abgeordneten Ulla Jelpke u.a. (BTDrucks 17/5679), nicht die gleichen Schlussfolgerungen gezogen hat wie der Kläger und vor seiner Entscheidung nicht offengelegt hat, dass es die Gefährdungslage anders einschätze. Dabei verkennt die Beschwerde, dass das Gericht grundsätzlich nicht verpflichtet ist, seine Beurteilung der Erkenntnisquellen vorab den Beteiligten mitzuteilen (vgl. etwa Beschluss vom 5. Februar 1999 - BVerwG 9 B 797.98 - Buchholz 310 § 108 Abs. 2 VwGO Nr. 4). Etwas anderes gilt zwar dann, wenn das Berufungsurteil sich ohne einen vorherigen gerichtlichen Hinweis als unzulässige Überraschungsentscheidung darstellen würde, weil das Gericht einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung macht und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der die Beteiligten nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht zu rechnen brauchten (stRspr, vgl. etwa Beschluss vom 25. April 2001 - BVerwG 4 B 31.01 - Buchholz 310 § 117 VwGO Nr. 47 = NVwZ-RR 2001, 798). Dass derartige Umstände hier vorliegen, wird von der Beschwerde aber nicht aufgezeigt und ist auch sonst nicht ersichtlich.

11 Soweit die Beschwerde dahin zu verstehen sein sollte, dass sie auch eine Verletzung der Begründungspflicht im Sinne des § 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO geltend machen will, weil das Berufungsurteil keine ausdrücklichen Ausführungen zum Nichtvorliegen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2 AufenthG enthält, genügt das Vorbringen der Beschwerde ebenfalls nicht den Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO. Das Berufungsgericht hat sich - wenn auch ohne vertiefende Auseinandersetzung - mit den „Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2, 3 und 5 AufenthG“ befasst und unter Verweis auf die Ausführungen zum Flüchtlingsschutz entschieden, es sei „nicht ersichtlich, dass für den nicht vorverfolgt ausgereisten Kläger die Voraussetzungen dieser Abschiebungsverbote vorliegen“ (UA S. 20 f.). Unabhängig davon stellt die fehlende Erörterung einer (weiteren) Rechtsgrundlage für ein Abschiebungsverbot nur dann einen Begründungsmangel und damit zugleich eine Verletzung des rechtlichen Gehörs dar, wenn sich aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe ergibt, dass das Gericht damit wesentliches Vorbringen der Beteiligten und des Streitstoffs unberücksichtigt gelassen hat. Solche Umstände legt die Beschwerde auch nicht mit den Hinweisen auf die in der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage (BTDrucks 17/5679) genannten Referenzfälle von Inhaftierungen bei der Rückführung dar. Denn sie setzt sich nicht damit auseinander, dass das Berufungsgericht sich an anderer Stelle, nämlich im Rahmen der Prüfung der Flüchtlingsanerkennung des Klägers, bereits mit der Frage asylerheblicher Rückkehrgefahren für aus Syrien stammende, unverfolgt ausgereiste „unpolitische“ ehemalige Asylbewerber - wie den Kläger - befasst und diese auch unter Berücksichtigung der seit Frühjahr 2011 andauernden Unruhen, wenn auch ohne explizite Auseinandersetzung mit den in das Verfahren eingeführten Erkenntnismitteln verneint hat (UA S. 18). Allein daraus, dass das Berufungsgericht bei der Prüfung des Hilfsantrags auf subsidiären Abschiebungsschutz im Rahmen des § 60 Abs. 2 AufenthG nicht näher auf entsprechende mögliche Gefahren durch die Behandlung seitens der syrischen (Sicherheits-)Behörden bei der Einreise eingegangen ist, lässt sich unter diesen Umständen ein Verfahrensmangel nicht herleiten, zumal die Beschwerde selbst nicht geltend macht, dass der Kläger sich gegenüber dem Berufungsgericht auf diese Gefahren unter Hinweis auf sein Verständnis der genannten Erkenntnisquellen berufen hat.

12 Soweit nach der Einschätzung des Klägers die nach der Berufungsverhandlung eingetretene neuere Entwicklung in Syrien oder die mit Schriftsatz vom 5. Dezember 2011 mitgeteilten exilpolitischen Aktivitäten aus der Zeit nach Erlass des angefochtenen Urteils Anlass für eine andere Gefahrenprognose geben sollten, bleibt es ihm unbenommen, einen erneuten Schutzantrag beim Bundesamt zu stellen.

13 Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO).

14 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylVfG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 RVG.