Beschluss vom 06.01.2011 -
BVerwG 5 B 52.10ECLI:DE:BVerwG:2011:060111B5B52.10.0

Beschluss

BVerwG 5 B 52.10

  • VG Berlin - 29.09.2010 - AZ: VG 29 K 201.10

In der Verwaltungsstreitsache hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 6. Januar 2011
durch den Vizepräsidenten des Bundesverwaltungsgerichts Hund,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Berlit und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Stengelhofen
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 29. September 2010 wird zurückgewiesen.
  2. Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 22 699 € festgesetzt.

Gründe

1 Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision ist nicht begründet. Die geltend gemachten Revisionszulassungsgründe (§ 132 Abs. 2 VwGO) liegen nicht vor.

2 1. Die Revision ist nicht wegen der geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung der Rechtsfrage zuzulassen,
„ob der Erlass eines Bescheides nach § 10 Abs. 1 Nr. 11 EntschG den vorherigen Erlass eines Bescheides gemäß § 33 Abs. 1 Satz 1 VermG über den Grund der Entschädigung (Entschädigungsgrundlagenbescheid) voraussetzt, welcher die Berechtigung des die ausgeschlossene Restitution beantragenden oder die Entschädigung wählenden Antragstellers nach § 2 VermG an dem beantragten ehemals volkseigenen Grundstück feststellt“.

3 Denn es folgt - jedenfalls für die im vorliegenden Verfahren zugrunde liegende Fallkonstellation - unmittelbar aus dem Gesetz und bedarf nicht der Klärung in einem Revisionsverfahren, dass es für die Festsetzung der Abführungspflicht hinsichtlich eines von § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 EntschG erfassten Grundstücks nicht notwendig eines vorherigen Bescheides über Grund und Höhe der Entschädigung nach § 33 Abs. 1 Satz 1 VermG bedarf.

4 Nach dem Wortlaut des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 EntschG ist der Veräußerungserlös aus dem in der Reglung näher bezeichneten Verkauf ehemals volkseigenen Grund und Boden dann abzuführen, „wenn die Rückübertragung nach § 4 des Vermögensgesetzes ausgeschlossen oder wegen der Wahl von Entschädigung entfallen ist“. Weitere Voraussetzungen für die Abführung des Veräußerungserlöses, insbesondere eine Entscheidung nach § 33 Abs. 1 Satz 1 VermG werden in § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 EntschG nicht genannt. Dies folgt auch nicht daraus, dass nach § 33 Abs. 1 Satz 1 VermG über Grund und Höhe der Entschädigung zu entscheiden ist, wenn die Rückübertragung ausgeschlossen ist oder der Antragsteller Entschädigung gewählt hat, also auch in den Fällen, in denen nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 EntschG der Veräußerungserlös abzuführen ist.

5 Nach der Systematik oder der Entstehungsgeschichte fehlt ebenfalls jeder Anhaltspunkt dafür, dass die Abführungspflicht nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 EntschG an die Entscheidung nach § 33 Abs. 1 Satz 1 VermG gekoppelt ist. Solche Anhaltspunkte werden über die Rechtsbehauptung hinaus, dass dies der Fall sei, von der Klägerin auch nicht bezeichnet. Warum die Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts, nach der das Gesetz „insoweit als Voraussetzung lediglich den Ausschluss der Rückübertragung nach § 4 VermG und nicht den Erlass eines diese Tatbestandsmerkmale feststellenden Bescheides“ formuliere, in revisionsgerichtlich klärungsbedürftiger Weise zweifelhaft sein könnte, erschließt sich aus dem sonstigen Vorbringen der Klägerin nicht. Aus der auch vom Verwaltungsgericht herangezogenen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 EntschG (Urteil vom 14. Februar 2008 - BVerwG 5 C 19.07 - m.w.N.) ergibt sich zwar, dass die Nutzungsrechtsinhaber an Immobilien, deren Rückgabe an den privaten Alteigentümer nach § 4 Abs. 2 Satz 1 VermG gerade wegen dieses redlichen Erwerbs des Nutzungsrechts ausgeschlossen ist, über die Abführungspflicht mit ihrem Kaufpreis für die hinzuerworbenen (früher volkseigenen) Grundstücksflächen wenigstens einen Teil der Entschädigung für die nicht mehr rückgabeberechtigten Alteigentümer mitfinanzieren sollen (s.a. BTDrucks 12/4887 S. 37; Rodenbach, in: Rädler/Raupach/Bezzenberger, Vermögen in der ehemaligen DDR, Teil 3 A IV, Stand Dez. 2004, Vorbemerkung zum Entschädigungsgesetz, Rn. 52). Diese Zielsetzung des Gesetzes bewirkt aber nicht, dass zwischen der Abführungspflicht und der Entschädigung eine direkte Abhängigkeit besteht und die Abführungspflicht nur in dem Umfange besteht, in dem dem Entschädigungsfonds bereits Aufwendungen entstanden sind (oder noch entstehen werden).

6 Davon zu trennen ist die revisionsgerichtlich nicht abstrakt klärungsfähige Frage, welche Anforderungen im Einzelfall an die Feststellung zu stellen sind, ob die materiellrechtliche Tatbestandsvoraussetzung vorliegt, dass die „Rückübertragung nach § 4 des Vermögensgesetzes ausgeschlossen oder wegen der Wahl von Entschädigung entfallen“ sei. Ein Bescheid nach § 33 Abs. 1 Satz 1 VermG kann die Rechtslage insoweit allerdings verbindlich klären. Es bestehen aber auch keine Bedenken dagegen, wie das Verwaltungsgericht auf den Bescheid des Landesamtes zur Regelung offener Vermögensfragen vom 7. Januar 1999 abzustellen.

7 2. Die Revision ist auch nicht mit Blick auf die Rüge, das Urteil des Verwaltungsgerichts enthalte aktenwidrige Tatsachenfeststellungen, wegen eines Verfahrensfehlers (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) zuzulassen.

8 2.1 Die Verfahrensrüge, das Gericht habe den Sachverhalt „aktenwidrig“ festgestellt, betrifft den Grundsatz der freien Beweiswürdigung und das Gebot der sachgerechten Ausschöpfung des vorhandenen Prozessstoffs (vgl. § 86 Abs. 1, § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Sie bedingt die schlüssig vorgetragene Behauptung, zwischen den in der angegriffenen Entscheidung getroffenen tatsächlichen Annahmen und dem insoweit unumstrittenen Akteninhalt sei ein Widerspruch gegeben. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts liegt eine solche aktenwidrige Tatsachenfeststellung, die einen Verstoß gegen § 108 Nr. 1 Satz 1 VwGO darstellen würde, indes nur dann vor, wenn zwischen den in der angegriffenen Entscheidung getroffenen tatsächlichen Annahmen und dem insoweit unumstrittenen Akteninhalt ein so offensichtlicher Widerspruch besteht, dass es einer weiteren Beweisaufnahme zur Klärung des richtigen Sachverhalts nicht bedarf (vgl. Beschluss vom 19. November 1997 - BVerwG 4 B 182.97 - Buchholz 406.11 § 153 BauGB Nr. 1).

9 2.2 Schon diesen Darlegungsanforderungen wird die Beschwerde nicht gerecht. Mit der Rüge der Aktenwidrigkeit zielt die Klägerin der Sache nach gegen die Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts, dass der Tatbestand des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 EntschG nicht notwendig den Erlass eines Entschädigungsgrundlagenbescheides nach § 33 Abs. 1 Satz 1 VermG erfordere, und unterstellt auf der Grundlage ihrer gegenteiligen Rechtsauffassung dem Verwaltungsgericht Feststellungen, die dieses so gerade nicht getroffen hat.

10 Darüber hinaus ist eine Aktenwidrigkeit auch in der Sache nicht erkennbar. Auch die Klägerin bezweifelt nicht, dass in dem Bescheid vom 7. Januar 1999 eine Rückgabe des Grundstücks, in Bezug auf das der Verkaufserlös abgeführt werden soll, abgelehnt worden ist und dass Grund hierfür der Ausschlusstatbestand des § 4 Abs. 2 EntschG (redlicher Erwerb) gewesen ist. Das Verwaltungsgericht hat auch nicht verkannt, dass die Berechtigung der B. Immobilien Ost GmbH an dem streitbefangenen Grundstück nur dem Grunde nach festgestellt worden ist. Dies steht mit dem Bescheid vom 7. Januar 1999, mit dem ein Antrag auf Rückgabe eines einzelnen bestimmten Grundstücks beschieden wurde, im Einklang. Dieser Bescheid bejaht die Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 Satz 4 ff. VermG „in Höhe der noch festzulegenden Beteiligung“ und führt in der Begründung aus, dass die B. Immobilien Ost GmbH hinsichtlich der den freien Gewerkschaften entzogenen Beteiligungen an der G. „Berechtigte im Sinne von § 1 Abs. 6 i.V.m. § 3 Abs. 1 S. 4 ff. VermG“ sei, verneint jedoch einen „Anspruch auf Rückgabe eines der entzogenen Beteiligung entsprechenden Bruchteilseigentum an dem Grundstück“, „weil der Ausschlusstatbestand des redlichen Erwerbs vorliegt“ (II.1 der Gründe). Auf dieser Grundlage ist - entgegen der Annahme der Klägerin - die Bewertung des Verwaltungsgerichts nicht als - gar offenkundig - aktenwidrig zu beanstanden, der Teilbescheid vom 7. Januar 1999 verhalte sich dem Grunde nach auch zu der (anteiligen) Berechtigung gerade an dem Grundstück, dessen Rückübertragung beantragt worden war. Dass in dem Teilbescheid vom 7. Januar 1999 bereits eine Entscheidung gemäß § 33 Abs. 1 Satz 1 VermG über die Entschädigung liege, hat das Verwaltungsgericht nicht festgestellt.

11 Unabhängig davon legt die Beschwerde nicht dar, dass und aus welchen Gründen die Bewertung des Verwaltungsgerichts in der Sache unzutreffend ist, die B. Immobilien Ost GmbH sei mit einer bestimmten Quote Berechtigte nach § 3 Abs. 1 Satz 4 VermG an den ehemaligen Grundstücken der G., und dass daher der geltend gemachte Verfahrensfehler entscheidungserheblich sei. Dass kein Bescheid über den Grund der Entschädigung nach § 33 Abs. 1 Satz 1 VermG ergangen ist, ersetzt diese Darlegung nicht; denn nach der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts, die insoweit zugrunde zu legen ist, erfordert der Tatbestand des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 EntschG einen solchen Bescheid nicht.

12 3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG.