Beschluss vom 05.09.2003 -
BVerwG 8 B 74.03ECLI:DE:BVerwG:2003:050903B8B74.03.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 05.09.2003 - 8 B 74.03 - [ECLI:DE:BVerwG:2003:050903B8B74.03.0]

Beschluss

BVerwG 8 B 74.03

  • VG Gera - 10.09.2002 - AZ: VG 3 K 1724/97 GE

In der Verwaltungsstreitsache hat der 8. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 5. September 2003
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. M ü l l e r ,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. P a g e n k o p f
und die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. von H e i m b u r g
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Gera vom 10. September 2002 wird zurückgewiesen.
  2. Die Kläger tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst trägt.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 112 420 € festgesetzt.

Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Weder liegen die gerügten Verfahrensmängel vor, noch kommt der Rechtssache die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung zu.
1. Das angegriffene Urteil leidet nicht unter Verfahrensmängeln (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Insbesondere gilt die Entscheidung nicht als nicht mit Gründen versehen im Sinne des § 138 Nr. 6 VwGO, weil sie nicht binnen fünf Monaten abgefasst und der Geschäftsstelle übergeben worden wäre (vgl. Beschluss vom 27. April 1993 - GmS-OGB 1/92 - BVerwGE 92, 367). Ausweislich der Gerichtsakten wurde die Urteilsformel am 10. September 2002 von den an der Entscheidung beteiligten Richtern unterschrieben und am 11. September 2002 der Geschäftsstelle übergeben. Dass diese auf telefonische Nachfragen des Klägerbevollmächtigten am 14. und 18. November 2002 nicht in der Lage gewesen sei, die Urteilsformel mitzuteilen, stellt keinen Verfahrensfehler dar. Die vollständigen und unterzeichneten Urteilsgründe sind ausweislich eines Aktenvermerks am 10. Februar 2003 zum Urkundsbeamten der Geschäftsstelle gelangt und somit binnen fünf Monaten schriftlich niedergelegt worden. Der Zeitpunkt der Zustellung an die Beteiligten ist für die Frage der rechtzeitigen Begründung des Urteils nicht maßgeblich (vgl. Beschluss vom 26. April 1999 - BVerwG 8 B 67.99 - Buchholz 428 § 3 VermG Nr. 30 S. 2 <6 f.>).
Das Verwaltungsgericht hat auch nicht durch mangelnde Sachaufklärung den Amtsermittlungsgrundsatz (§ 86 Abs. 1 VwGO) verletzt und den Klägern den Anspruch auf rechtliches Gehör (§ 108 Abs. 2 VwGO) versagt. In dem angegriffenen Urteil wird detailliert dargelegt, nach welchem Maßstab die möglicherweise zu einer Überschuldung führenden notwendigen Instandsetzungsmaßnahmen zu beurteilen sind, warum Modernisierungsmaßnahmen - so auch der Einbau von Schrankbädern - nicht zu berücksichtigen sind und welcher Instandsetzungsbedarf nach den Bekundungen der einvernommenen Zeugen für das Mehrfamilienhaus auf dem streitgegenständlichen Grundstück bestand. Es ist kein Verstoß gegen die Aufklärungspflicht, sondern eine Frage der Beweiswürdigung, wenn das Verwaltungsgericht hinsichtlich der zum Zeitpunkt des Eigentumsverlustes im Jahr 1976 bestehenden Mängel stärker auf die Aussagen der damals das Haus bewohnenden Zeugen als auf das 1993 erstellte Sachverständigengutachten abstellt. Unter Würdigung der Zeugenaussagen ist das Verwaltungsgericht zu dem Ergebnis gekommen, dass für die Zeit um 1976 herum ein Handwerkereinsatz größeren Ausmaßes nicht erforderlich war, jedenfalls - auch unter Berücksichtigung des privaten Gutachtens der Kläger - keine Instandsetzungsmaßnahmen in einer Höhe notwendig waren, die ein Überschuldungsrisiko begründen könnten. Das Verwaltungsgericht konnte deshalb rechtsfehlerfrei auch den hilfsweise in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisantrag ablehnen, zumal der Antrag, "Beweis darüber zu erheben, dass die berücksichtigungsfähigen Aufwendungen im Zeitpunkt des Eigentumsverzichts ... höher als 20 000 M gewesen sind ..." ohne Angabe eines Beweismittels und der konkret zu berücksichtigenden Aufwendungen und zu belegenden Tatsachen als unzulässiger Ausforschungsbeweis anzusehen war.
2. Der Sache kommt auch die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) nicht zu. Grundsätzlich bedeutsam in diesem Sinne ist eine Rechtssache nur dann, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer bisher höchstrichterlich ungeklärten, in ihrer Bedeutung über den der Beschwerde zugrunde liegenden Einzelfall hinausgehenden klärungsbedürftigen Rechtsfrage des revisiblen Rechts zu erwarten ist. Daran fehlt es hier.
Die Beschwerde bezeichnet die Fragen als grundsätzlich bedeutsam:
1. Indiziert eine von der Gebäudewirtschaft unmittelbar nach dem Übergang in Volkseigentum vorgenommene bauliche Maßnahme die Zugehörigkeit der dafür getätigten Aufwendungen zu den im Rahmen der Überschuldungsprüfung berücksichtigungsfähigen Kosten verbunden mit dem Gebot weiterer Sachverhaltsaufklärung durch das VG?
2. Kann eine - normative - Grundausstattung im volkseigenen oder genossenschaftlichen Wohnungsbau als in der Bevölkerung als angemessen/üblich und notwendig geltend, von zeitgemäßen Wohnbedürfnissen gefordert sowie auch der weiteren angemessenen Bewohnbarkeit und Vermietbarkeit dienend erachtet bzw. insoweit herangezogen werden?
3. Kann eine - normative - Grundausstattung im volkseigenen oder genossenschaftlichen Wohnungsbau als tauglicher Maßstab des Ausstattungsstandards, dessen Schaffung zu im Rahmen der Überschuldungsprüfung relevanten berücksichtigungsfähigen Kosten führt, erachtet bzw. insoweit herangezogen werden?
4. Ist die Anordnung über die Ausstattung der Wohnungen im volkseigenen und genossenschaftlichen Wohnungsbau vom 10. Juli 1973 nebst Anlage als Maßstab im vorgenannten Sinne - ggf. analog - anwendbar?
Die Fragen sind durch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt bzw. lassen sich auch ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens beantworten. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sind bei der Beurteilung der Überschuldung im Sinne des § 1 Abs. 2 VermG die Aufwendungen zu berücksichtigen, die im Zeitpunkt des Eigentumsverzichts für Instandsetzungsmaßnahmen zur Sicherung der bestimmungsgemäßen Nutzbarkeit der Immobilie unaufschiebbar notwendig gewesen wären, aber vom Eigentümer aufgrund der ökonomischen Zwangslage unterlassen wurden (Urteil vom 16. März 1995 - BVerwG 7 C 39.93 - BVerwGE 98, 87 <90>). Dabei gehören Modernisierungsmaßnahmen grundsätzlich nicht zu dem notwendigen Instandsetzungsbedarf. Etwas anderes gilt, wenn sie durch staatliche Anordnung oder vertraglich vorgeschrieben waren oder wenn sich die Ausstattung des Hauses auf einem derart niedrigen Niveau befand, dass die Räume auch unter Berücksichtigung der Verhältnisse in der DDR nicht zumutbar bewohnt werden konnten (BVerwGE a.a.O. S. 97).
Von dieser Rechtsprechung ist auch das Verwaltungsgericht in dem angefochtenen Urteil ausgegangen. Dass der streitige Einbau von Schrankbädern eine Modernisierungsmaßnahme ist, wird von der Beschwerde nicht in Frage gestellt. Dass die "Anordnung über die Ausstattung von Wohnungen im volkseigenen oder genossenschaftlichen Wohnungsbau" nicht als staatliche Anordnung im Sinne der Rechtsprechung für Wohnungen im Privateigentum anzusehen ist, kann auch ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens festgestellt werden. Staatliche Anordnungen im Sinne dieser Rechtsprechung sind nur individuelle Verpflichtungen eines privaten Hauseigentümers zu konkreten Maßnahmen. Die für volkseigene oder genossenschaftliche Wohnungen vorgesehene Grundausstattung galt schon dem Geltungsanspruch der Regelung nach nicht für private Wohnungen. Sie kann weder direkt noch analog als geforderter Mindeststandard für alle Wohnungen angesehen werden, da der Normgeber für private Wohnungen keine Regelungsabsicht hatte und auch sonst zwischen diesen und volkseigenen/genossenschaftlichen Wohnungen differenziert wurde. Dass Modernisierungsmaßnahmen auch von den Bewohnern privateigener Wohnungen für notwendig oder erwünscht gehalten wurden, führt nicht zu der Annahme, dass sie staatlich angeordnet oder vertraglich vorgeschrieben waren. Auch die Tatsache, dass nach dem Eigentumsverzicht Modernisierungsmaßnahmen von der Gebäudewirtschaft durchgeführt wurden, zwingt nicht zu der Annahme, dass sich die Ausstattung des Hauses auf einem derart niedrigen Niveau befand, dass die Räume auch unter Berücksichtigung der Verhältnisse in der DDR nicht zumutbar bewohnt werden konnten.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO; die Entscheidung über den Streitwert beruht auf §§ 13, 14 GKG.