Beschluss vom 05.03.2003 -
BVerwG 8 B 163.02ECLI:DE:BVerwG:2003:050303B8B163.02.0

Beschluss

BVerwG 8 B 163.02

  • VG Potsdam - 04.04.2002 - AZ: VG 1 K 5427/97

In der Verwaltungsstreitsache hat der 8. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 5. März 2003
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. M ü l l e r und die Richter am Bundesverwaltungsgericht
K r a u ß und G o l z e
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nicht-zulassung der Revision in dem Urteil des
  2. Verwaltungsgerichts Potsdam vom 6. Juni 2002 wird zurückgewiesen.
  3. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerde-verfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen, die dieses selbst trägt.
  4. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 500 000 € festgesetzt.

Die Beschwerde ist unbegründet. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, vgl. 1.). Ein Verfahrensmangel (vgl. § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) wird nicht prozessordnungsgemäß dargelegt (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO).
1. Grundsätzlich bedeutsam im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist eine Rechtssache nur dann, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer bisher höchstrichterlich ungeklärten, in ihrer Bedeutung über den der Beschwerde zu-grunde liegenden Einzelfall hinausgehenden entscheidungs-erheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO) zu erwarten ist. Daran fehlt es hier. Die Beschwerde stellt einige Fragen zur Auslegung und Anwendung von § 5 Abs. 1 Buchst. a VermG. Diese Fragen sind teilweise auf den Einzelfall bezogen, ohne eine fallübergreifende Bedeutung aufzuzeigen. Auch lässt die Beschwerde die gebotene Auseinandersetzung mit der vorliegenden Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu § 5 Abs. 1 Buchst. a VermG vermissen. Im Übrigen lassen sich die gestellten Fragen beantworten, ohne dass es hierzu der Durchführung eines Revisionsverfahrens bedarf:
Die Beschwerde hält zunächst für klärungsbedürftig die Frage,
ob im Rahmen des § 5 Abs. 1 a VermG der von dem Verwaltungsgericht in dem Urteil 1 K 5427/97 eingeführte Be-griff des "Gesamtstandortes" es rechtfertigt, einzelne Grundstücksteile eines zum Stichtag am 29. September 1990 einheitlich genutzten Gesamtgrundstückes auch dann von der Restitution auszuschließen, wenn diese einzelnen Teile zum letzten Termin zur mündlichen Verhandlung nicht mehr im öffentlichen Interesse genutzt werden.
Die Beschwerde stellt damit die Frage, inwieweit der Restitu-tionsausschlussgrund des § 5 Abs. 1 Buchst. a VermG auf Teilflächen beschränkt sein kann. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Urteil vom 28. Februar 2001 - BVerwG 8 C 32.99 - Buchholz 428 § 5 VermG Nr. 27 S. 7 <16 f.>) steht der Ausschlussgrund der Rückgabe von Teilflächen eines Grundstücks nicht entgegen, die dem durch § 5 Abs. 1 Buchst. a VermG geschützten öffentlichen Interesse nicht dienen, also von der geänderten Nutzung nicht erfasst oder für sie nicht benötigt werden. Möglich ist somit die Rückgabe von selbstständig nutzbaren Teilflächen, die abgetrennt werden können, ohne dass die im öffentlichen Interesse liegende geschützte Nutzung beeinträchtigt wird. Ob eine Teilfläche für die geschützte Nutzung nicht benötigt wird, bzw. ob bei einer Rückgabe einer Teilfläche die geschützte Nutzung beeinträchtigt wird, bestimmt sich nach den Umständen des Einzelfalls.
Davon geht auch das Verwaltungsgericht sinngemäß aus. Unter Würdigung der Umstände des Einzelfalls kommt es zu dem Ergebnis, dass die streitgegenständlichen Flächen "unerlässlicher Bestandteil" des durch § 5 Abs. 1 Buchst. a VermG geschützten Wissenschaftsstandorts sind und damit, dass sie für diesen benötigt werden.
Ob etwas anderes gilt, wenn nicht die Rückgabe von Teilflächen eines Grundstücks begehrt wird, sondern die Rückgabe eines Grundstücks, das in einen aus mehreren Grundstücken bestehenden "Gesamtstandort" einbezogen ist, kann dahinstehen; denn diese Frage ist hier nicht entscheidungserheblich. Der Kläger begehrt nämlich nicht die Rückübertragung einzelner Grundstücke, sondern die Rückübertragung einzelner - zu einem Grundstück im Sinne des Grundbuchs gehörender - Flurstücke. Dies ergibt sich - trotz der insoweit nicht eindeutigen Formulierungen im verwaltungsgerichtlichen Urteil - aus den vom Beklagten vorgelegten Verwaltungsvorgängen, auf die im Tatbestand des Urteils ausdrücklich Bezug genommen wird.
Weiter hält die Beschwerde für grundsätzlich klärungsbedürftig die Frage,
ob die Nichtnutzung eines zu restituierenden Grund-stückes, welches am 29. September 1990 im Sinne von § 5 Abs. 1 a VermG genutzt war, die Nutzungskontinuität unterbricht, wenn der Leerstand nach dem 29. September 1990 eintritt und zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung fortbesteht, jedoch der Tatsache geschuldet ist, dass das Gebäude im schlechten baulichen Zustand war und der Verfügungsberechtigte diesen schlechten baulichen Zustand nicht beseitigt hat, weil der Verfügungsberechtigte fürchtete, entsprechende Instandsetzungsmaßnahmen vergeblich vorzunehmen im Hinblick auf das Restitutionsverfahren und die befürchtete Rückübertragung des Geländes.
Diese Frage ist allenfalls teilweise entscheidungserheblich. Im vorliegenden Fall geht es allein darum, ob ein generell bestehendes öffentliches Interesse im Sinne des § 5 Abs. 1 Buchst. a VermG Teilflächen nicht erfasst. Insoweit gilt das oben Ausgeführte. Steht auf der weiterhin genutzten Gesamtfläche eines von mehreren Gebäuden leer, kommt es ebenfalls darauf an, ob die Teilfläche, auf der dieses Gebäude steht, für die geschützte Nutzung benötigt wird. Der Leerstand des einzelnen Gebäudes kann dabei ein Indiz für die tatrichterliche Sachverhalts- und Beweiswürdigung sein. Eine allgemeine Aussage, dass die Teilfläche, auf der das leer stehende Gebäude steht, vom Restitutionsausschlussgrund des § 5 Abs. 1 Buchst. a VermG nicht erfasst wird, ist aber nicht möglich.
Weiter hält die Beschwerde für klärungsbedürftig die Frage,
ob eine vor dem Stichtag 29. September 1990 erfolgte umfassende Bebauung, welche auch im Zusammenhang steht, nach wie vor als zusammenhängend bezeichnet werden kann, wenn zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung und auch in Zukunft zu erwarten ist, dass eine zusammenhängende Nutzung der ursprünglich übergreifend erfolgten Bebauung nicht mehr erfolgen wird, sondern die einzelnen Bauteile durch verschiedene Nutzer und in verschiedener Weise ganz unabhängig voneinander genutzt werden und eine zusammenhängende Nutzung auch in Zukunft nicht zu erwarten ist.
Aufgrund der tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts, die von der Beschwerde nicht mit erfolgreichen Verfahrensrügen angegriffen werden (vgl. 2.), stellt sich diese Frage nicht. Im Übrigen stellt § 5 Abs. 1 Buchst. a VermG auf die "Nutzung" und nicht auf den "Nutzer" ab. Ist beispielsweise die Nutzung eines Gebäudes für Zwecke der öffentlichen Verwaltung gemäß § 5 Abs. 1 Buchst. a VermG geschützt, entfällt der Restitutionsausschlussgrund nicht, wenn - bei Fortbestand der Nutzung für Zwecke der öffentlichen Verwaltung - der Nutzer wechselt (vgl. Urteil vom 25. September 2002 - BVerwG 8 C 25.01 - zur Veröffentlichung in der amtlichen Sammlung und in Buchholz 428 vorgesehen, Amtlicher Umdruck S. 10 f.). Dienen Einrichtungen Zwecken der Forschung kann für einen Nutzerwechsel grundsätzlich nichts anderes gelten.
Schließlich hält die Beschwerde für grundsätzlich klärungsbedürftig die Frage,
ob die Prognose, ob weiterhin ein öffentliches Interesse an der Fortnutzung des Standortes besteht, alleine daran geknüpft werden kann, ob der Grundstückszuschnitt eines Gesamtgrundstückes durch Restitution eines Teiles des Grundstückes ungünstiger wird und damit eine unter Umständen wieder aufzunehmende Nutzung im öffentlichen Interesse erschwert wird oder ob im Hinblick auf das zu restituierende Grundstück eine konkrete Prognoseentscheidung für das Grundstück, welches Gegenstand des Restitutionsverfahrens ist, getroffen werden muss, also nicht etwa die ungünstigere Nutzung anderer Teile des Gesamtgrundstückes maßgeblich ist, sondern die konkrete Nutzung des zu restituierenden Grundstückes maßgeblich ist.
Auch hier gilt das oben für die Rückgabe von Teilflächen Ausgeführte. Allgemein muss im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung in der Tatsacheninstanz der Fortbestand des öffentlichen Interesses noch feststellbar sein, um den Restitutionsausschluss weiterhin zu rechtfertigen. Ist in diesem Zeitpunkt dagegen die Schließung einer Einrichtung absehbar, stehen die zur Umnutzung in der Vergangenheit getätigten erheblichen Aufwendungen der Restitution des Grundstücks nicht mehr entgegen (vgl. Urteil vom 28. Februar 2001 - BVerwG 8 C 32.99 - a.a.O. <12 f.> m.w.N.). Nach Lage des Einzelfalls kann diese Prognoseentscheidung für einzelne Teilflächen einer durch § 5 Abs. 1 Buchst. a VermG geschützten Gesamtfläche unterschiedlich ausfallen. Ergibt also beispielsweise die zu treffende Prognoseentscheidung, dass eine Teilfläche künftig für eine Forschungseinrichtung nicht mehr benötigt wird, entfällt der Restitutionsausschlussgrund für diese Teilfläche. Aufgrund der tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts und der tatrichterlichen Sachverhalts- und Beweiswürdigung des Einzelfalls ist hiervon aber im vorliegenden Fall nicht auszugehen.
2. Die geltend gemachte Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO) ist nicht prozessordnungsgemäß dargelegt (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO). Eine Aufklärungsrüge setzt die Darlegung voraus, welche Tatsachen auf der Grundlage der materiellrechtlichen Auffassung des Verwaltungsgerichts ermittlungsbedürftig gewesen wären, welche Beweismittel zu welchen Beweisthemen zur Verfügung gestanden hätten, welches Ergebnis diese Beweisaufnahme voraussichtlich gehabt hätte, inwiefern das verwaltungsgerichtliche Urteil unter Zugrundelegung der materiellrechtlichen Auffassung des Gerichts auf der unterbliebenen Sachaufklärung beruhen kann und dass die Nichterhebung der Beweise vor dem Tatsachengericht rechtzeitig gerügt worden ist oder aufgrund welcher Anhaltspunkte sich die unterbliebene Beweisaufnahme dem Gericht hätte aufdrängen müssen. Dem genügt die Beschwerde nicht. Vielmehr wendet sie sich gegen die Würdigung des vorliegenden Einzelfalls durch das Verwaltungsgericht. Sie benennt überwiegend schon keine Tatsachen, die auf der Grundlage der materiellrechtlichen Auffassung des Verwaltungsgerichts ermittlungsbedürftig gewesen wären. Soweit sie Tatsachen benennt, wird nicht angegeben, welche Beweismittel zur Verfügung gestanden hätten und wieso sich die unterbliebene Beweisaufnahme dem Gericht hätte aufdrängen müssen, obwohl der im erstinstanzlichen Verfahren anwaltlich vertretene Kläger - ausweislich der Sitzungsniederschrift (VG - Akten Bd. II Bl. 299 ff.) - in der mündlichen Verhandlung keinen Beweisantrag gestellt hat.
Selbst wenn man zugunsten der Beschwerde annimmt, sie wolle eine Verletzung des Überzeugungsgrundsatzes (§ 108 Abs. 1 VwGO) rügen, bleibt die Beschwerde ohne Erfolg.
Es gehört zu der dem Tatsachengericht durch § 108 Abs. 1 VwGO übertragenen Aufgabe, sich im Wege der freien Beweiswürdigung unter Abwägung verschiedener Möglichkeiten seine Überzeugung über den entscheidungserheblichen Sachverhalt zu bilden (vgl. etwa Beschluss vom 14. März 1988 - BVerwG 5 B 7.88 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 199 S. 31 <32 f.>). Revisionsrechtlich sind die Grundsätze der Beweiswürdigung dem sachlichen Recht zuzurechnen. Mit Angriffen gegen die Beweiswürdigung kann deswegen ein Verfahrensmangel im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO regelmäßig nicht bezeichnet werden (stRspr; vgl. etwa Beschluss vom 12. Januar 1995 - BVerwG 4 B 197.94 - Buchholz 406.12 § 22 BauNVO Nr. 4 S. 1 <4>). Allenfalls könnte eine Verletzung der Denkgesetze im Rahmen der Tatsachenwürdigung der Vorinstanz als Verfahrensmangel in Betracht gezogen werden (vgl. dazu Urteil vom 19. Januar 1990 - BVerwG 4 C 28.89 - BVerwGE 84, 271 <272 f.>). Ein Tatsachengericht hat aber nicht schon dann gegen die Denkgesetze verstoßen, wenn es nach Meinung des Beschwerdeführers unrichtige oder fern liegende Schlüsse gezogen hat; ebenso wenig genügen objektiv nicht überzeugende oder sogar unwahrscheinliche Schlussfolgerungen; es muss sich vielmehr um einen aus Gründen der Logik schlechthin unmöglichen Schluss handeln (stRspr; Urteil vom 20. Oktober 1987 - BVerwG 9 C 147.86 - Buchholz 310 § 86 Abs. 3 VwGO Nr. 37 S. 1 <4>). Davon kann hier keine Rede sein. Mit einer allgemeinen Kritik an der tatrichterlichen Sachverhalts- und Beweiswürdigung - wie sie die Beschwerde vorbringt - kann ein Verstoß gegen Denkgesetze nicht bezeichnet werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 und § 162 Abs. 3 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf den §§ 13 und 14 GKG.