Beschluss vom 05.01.2007 -
BVerwG 1 B 63.06ECLI:DE:BVerwG:2007:050107B1B63.06.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 05.01.2007 - 1 B 63.06 - [ECLI:DE:BVerwG:2007:050107B1B63.06.0]

Beschluss

BVerwG 1 B 63.06

  • Hessischer VGH - 01.03.2006 - AZ: VGH 8 UE 3766/04.A

In der Verwaltungsstreitsache hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 5. Januar 2007
durch die Vizepräsidentin des Bundesverwaltungsgerichts Eckertz-Höfer
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Hund und Richter
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Beteiligten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 1. März 2006 wird zurückgewiesen.
  2. Der Beteiligte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

1 Die auf eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und einen Verfahrensfehler (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.

2 1. Die Beschwerde macht geltend (Beschwerdebegründung unter II., S. 3 ff.), die Entscheidung verstoße gegen die Pflicht aus § 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO, in dem Urteil die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen seien. Es äußere sich nämlich „weder ausdrücklich noch nach dem Kontext der Urteilsgründe“ zu der „vorgreiflichen Frage, ob bzw. weshalb durch den vorliegenden Folgeantrag die formellen Voraussetzungen gemäß § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens erfüllt“ seien. So sei bereits im Hinblick auf die unverzichtbare Darlegung der Wahrung der Drei-Monats-Frist des § 51 Abs. 3 VwVfG nicht erkennbar, dass Wiederaufgreifensgründe schlüssig vorgebracht seien, und zwar weder im Hinblick auf eine Änderung der Sach- und Rechtslage durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 10. August 2000 noch zu der nichtehelichen Schwangerschaft bzw. Mutterschaft.

3 Mit diesem Vorbringen wird der behauptete Verfahrensmangel nicht aufgezeigt. Die Begründungspflicht des § 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO verlangt in Erfüllung des Gebots der Gewährung rechtlichen Gehörs zwar, dass in den Entscheidungsgründen die wesentlichen tatsächlichen Umstände und rechtlichen Erwägungen wiedergegeben werden, die das Gericht bestimmt haben, die Voraussetzungen für seine Entscheidung als erfüllt anzusehen (vgl. etwa Beschluss vom 9. Mai 2003 - BVerwG 1 B 217.02 - juris unter Bezugnahme auf Beschluss vom 1. September 1997 - BVerwG 8 B 144.97 - Buchholz 406.11 § 128 BauGB Nr. 50). Nicht aus jedem Schweigen der Urteilsgründe zu Einzelheiten des Prozessstoffs ist aber der Schluss zu ziehen, das Gericht habe den Vortrag der Beteiligten nicht zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen. Grundsätzlich ist vom Gegenteil auszugehen. Nur wenn sich aus den Umständen des Einzelfalls deutlich ergibt, dass das Gericht dieser Verpflichtung nicht nachgekommen ist, kommt eine Gehörsverletzung und ein Verstoß gegen die formelle Begründungspflicht des § 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO in Betracht (vgl. Beschluss vom 18. September 2003 - BVerwG 1 B 433.02 - juris und vom 5. Februar 1999 - BVerwG 9 B 797.98 - Buchholz 310 § 108 Abs. 2 VwGO Nr. 4). Das ist namentlich der Fall, wenn sich die Begründung der angefochtenen Entscheidung erkennbar nicht auf das gesamte entscheidungserhebliche Vorbringen der Beteiligten erstreckt, wobei das Gericht jedoch nicht auf alle Einzelheiten des Parteivortrags eingehen muss und die Entscheidungsgründe insgesamt zu würdigen sind.

4 Nach diesem Maßstab lässt sich eine Verletzung der Begründungspflicht aus § 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO im vorliegenden Fall nicht feststellen. Das ergibt sich schon daraus, dass das Berufungsgericht bei verständiger Würdigung der Entscheidungsgründe keine weitergehenden Ausführungen zu § 51 Abs. 1 und 3 VwVfG machen musste. Es hat nämlich die Bestätigung der Verpflichtung der Beklagten zur Flüchtlingsanerkennung nach dem Hauptantrag, der ursprünglich auf Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG gerichtet war, ausdrücklich auf die am 1. Januar 2005 in Kraft getretene Neufassung des § 60 Abs. 1 AufenthG gestützt und mithin neues Recht angewandt. Damit setzt sich die Beschwerde nicht auseinander; sie wendet insoweit lediglich ein, dass sich die Klägerin nicht selbst auf die „Rechtsänderung durch Schaffung des § 60 Abs. 1 Satz 4 Buchst. c AufenthG berufen“ habe. Darauf kommt es indessen nicht an.

5 2. Die Beschwerde bezeichnet als grundsätzlich bedeutsam die Rechtsfrage (Beschwerdebegründung unter III. 1, S. 6), „ob eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts generell einer Änderung der Rechtslage im Sinne des § 51 Abs. 1 VwVfG gleichzusetzen ist, oder ob dies jedenfalls in Asylsachen der Fall ist, wenn die bisherige fachgerichtlich vertretene Sicht maßgeblich modifiziert wird“. Abgesehen davon, dass die Rechtsfrage in der Rechtsprechung des Senats - jedenfalls im Hinblick auf den hier nur in Rede stehenden Anspruch auf Flüchtlingsanerkennung nach § 60 Abs. 1 AufenthG - rechtsgrundsätzlich geklärt ist (vgl. den Beschluss vom 24. Mai 1995 - BVerwG 1 B 60.95 - Buchholz 316 § 51 VwVfG Nr. 32), verkennt die Beschwerde, dass sich diese Frage wegen der Anwendung des neuen § 60 Abs. 1 AufenthG - wie unter 1. ausgeführt - in dem angestrebten Revisionsverfahren nicht stellen würde.

6 3. Die Beschwerde sieht weiter als grundsätzlich bedeutsam die Frage an (Beschwerdebegründung unter III. 2, S. 6 ff. <8>), „wie weit die Ausschlusswirkung des § 28 Abs. 2 AsylVfG greift und welche in den Zurechnungsbereich des Schutzsuchenden fallenden Nachfluchtgründe insgesamt erfasst sein sollen, mögen diese auch in gewissem Umfang atypisch und möglicherweise in einem allerdings nicht nach außen wirkenden Ansatz noch im Heimatland angelegt gewesen sein“. Damit greift sie die vom Berufungsgericht vorgenommene Bewertung und Einschätzung (vgl. zusammenfassend UA S. 16) an, dass die „derzeit 22 Jahre alte unverheiratete Klägerin als Mutter zweier nicht ehelicher Kinder verschiedener Väter bei einer Rückkehr nach Afghanistan ohne männliche Begleitung und ohne familiären Schutz einer an ihr Geschlecht anknüpfenden konkret auf ihre Person zielenden Bedrohung ihres Lebens, ihrer körperlichen Unversehrtheit oder ihrer Freiheit mit hinreichender Sicherheit ausgesetzt wäre“ und deshalb einen Anspruch auf Flüchtlingsanerkennung gemäß § 60 Abs. 1 AufenthG habe. Letztlich wendet sie sich in erster Linie gegen die Feststellung und Würdigung des Sachverhalts einschließlich der Gefahrenprognose und die rechtliche Subsumtion unter § 60 Abs. 1 AufenthG im vorliegenden Einzelfall. Eine bestimmte fallübergreifend klärungsfähige und klärungsbedürftige Frage zur Auslegung und Anwendung des § 28 Abs. 2 AsylVfG, den das Berufungsgericht seinerseits nicht in den Blick genommen hat, kann sie damit nicht aufzeigen. Wie das vom Berufungsgericht als entscheidungserheblich angesehene „unislamische Verhalten“ der Klägerin rechtlich zu bewerten und ob es unter § 28 Abs. 2 AsylVfG zu subsumieren ist, kann unter den vorliegenden Umständen nicht losgelöst vom entschiedenen Einzelfall betrachtet werden.

7 4. Die von der Beschwerde schließlich noch angesprochene Frage zur Auslegung des § 60 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. c AufenthG ist inzwischen rechtsgrundsätzlich entschieden (vgl. Urteil vom 18. Juli 2006 - BVerwG 1 C 15.05 - AuAS 2006, 246 Rn. 23); insoweit kommt eine Zulassung der Revision auch nicht unter dem Gesichtspunkt einer nachträglichen Divergenz in Betracht.

8 Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO).

9 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AslyVfG nicht erhoben, der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 RVG.