Beschluss vom 04.09.2008 -
BVerwG 2 B 23.08ECLI:DE:BVerwG:2008:040908B2B23.08.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 04.09.2008 - 2 B 23.08 - [ECLI:DE:BVerwG:2008:040908B2B23.08.0]

Beschluss

BVerwG 2 B 23.08

  • VGH Baden-Württemberg - 28.01.2008 - AZ: VGH 4 S 2970/06

In der Verwaltungsstreitsache hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 4. September 2008
durch die Richter am Bundesverwaltungsgericht Groepper und Dr. Heitz sowie
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Thomsen
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 28. Januar 2008 wird zurückgewiesen.
  2. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 5 000 € festgesetzt.

Gründe

1 Die auf den Revisionszulassungsgrund des Verfahrensmangels gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO gestützte Beschwerde ist nicht begründet. Der vom Kläger geltend gemachte Verfahrensmangel liegt nicht vor.

2 In dem Berufungsurteil hat der Verwaltungsgerichtshof Beihilfeansprüche des Klägers für Wahlleistungen gegen Zahlung von monatlich 13 € mit der Begründung abgelehnt, der Kläger habe die hierfür erforderliche Erklärung gegenüber der Beihilfestelle nicht innerhalb der Ausschlussfrist vom 1. April bis 31. August 2004, sondern erst am 22. September 2004 abgegeben. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sei nicht möglich. Die Versäumnis einer Ausschlussfrist sei nach dem Grundsatz von Treu und Glauben nur dann unbeachtlich, wenn der Betroffene während des Fristenlaufs aus von ihm nicht zu vertretenden Gründen zu keinem Zeitpunkt in der Lage gewesen sei, die fristgebundene Handlung vorzunehmen und er dies nach Wegfall des Hinderungsgrundes unverzüglich nachgeholt habe. Dies gehe aus dem Vorbringen des Klägers nicht hervor.

3 Mit der Beschwerdebegründung rügt der Kläger einen Verstoß gegen § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Der Verwaltungsgerichtshof habe seinem Urteil nicht den gesamten Prozessstoff zugrunde gelegt; das Urteil beruhe auf einem Irrtum über eine entscheidungserhebliche Tatsache. Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens stehe fest, dass das Hinweisschreiben vom Juni 2004 frühestens gegen Mitte Juli 2004 beim Kläger eingegangen sein könne. Daher sei die Tatsachenfeststellung des Verwaltungsgerichtshofs unrichtig, der Kläger habe auf dieses Schreiben noch im Juni 2004 reagieren können, weil er in diesem Monat Dienst getan habe.

4 Gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Dieser Grundsatz der freien Beweiswürdigung (Überzeugungsgrundsatz) verpflichtet das Gericht, den gesamten Prozessstoff wie etwa Beweismittel, Erklärungen der Verfahrensbeteiligten, Akteninhalt oder gerichtskundige Tatsachen in die Entscheidungsfindung einzubeziehen und ihren Aussage- und Beweiswert zu bestimmen. Sofern keine gesetzlichen Beweisregeln bestehen, ist das Gericht bei der Würdigung der verschiedenen Bestandteile des Prozessstoffes lediglich an Logik (Denkgesetze) und Naturgesetze gebunden und muss gedankliche Brüche und Widersprüche vermeiden (Urteil vom 3. Mai 2007 - BVerwG 2 C 30.05 - Buchholz 310 § 108 Abs. 1 VwGO Nr. 50; stRspr). Ein Verstoß gegen § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO liegt vor, wenn das Gericht bei seiner Beweiswürdigung von einem unrichtigen oder unvollständigen Sachverhalt ausgeht (Urteil vom 2. Februar 1984 - BVerwG 6 C 134.81 - BVerwGE 68, 338 <339> =
Buchholz 448.0 § 25 WehrPflG Nr. 147; Beschluss vom 4. August 2006 - BVerwG 2 B 35.06 - juris Rn. 4; stRspr).

5 Danach kann die Verfahrensrüge keinen Erfolg haben, weil der Verwaltungsgerichtshof nicht gegen den Grundsatz der freien Beweiswürdigung verstoßen hat. Denn er hat keine Feststellung des Inhalts getroffen, der Kläger habe auf das Hinweisschreiben vom Juni 2004 noch in diesem Monat reagieren können. Vielmehr hat er seiner Würdigung der tatsächlichen Umstände den Vortrag des Klägers zugrunde gelegt, das Schreiben sei „ca. 10 Tage vor seinem Aufenthalt in der Fachklinik“ eingegangen (Seite 14, am Anfang des zweiten Absatzes des Urteilsumdrucks). Weiterhin hat er ausgeführt, dieser habe sich vier Wochen und einen Tag in der Klinik aufgehalten; der Aufenthalt habe bis zum 20. August 2004 gedauert (Seite 14, am Ende des ersten Absatzes des Urteils-umdrucks). Einen Anhaltspunkt für die Annahme, nach der Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs hätten die zehn Tage zwischen Posteingang und Beginn des Klinikaufenthalts im Juni 2004 gelegen, enthalten die Urteilsgründe nicht. Der Verweis auf die Dienstfähigkeit des Klägers bis 25. Juni 2004 (Seite 14, zweiter Absatz des Urteilsumdrucks) bezieht sich ersichtlich auf dessen Gesundheitszustand in der Zeit bis zum Aufenthalt in der Klinik, nicht auf den Zeitpunkt des Eingangs des Hinweisschreibens.

6 Der Verwaltungsgerichtshof hat dem Kläger die Fristversäumnis aus zwei selbstständig tragenden Erwägungen zugerechnet: Zum einen hat er angenommen, der Kläger sei in den ungefähr zehn Tagen zwischen Eingang des Schreibens und Beginn des stationären Klinikaufenthalts gesundheitlich in der Lage gewesen, das Schreiben zur Kenntnis zu nehmen und darauf zu reagieren. Zum anderen hat er dem Kläger zur Last gelegt, für die Zeit seiner Erkrankung und häuslichen Abwesenheit keine Vorkehrungen für die Bearbeitung eingehender Post getroffen zu haben. Nach der tragenden Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichtshofs über die Bedeutung der Erklärungsfrist und die Rechtsfolgen ihrer Versäumung rechtfertigt es diese zweite Erwägung für sich genommen, den Kläger an der Fristversäumnis festzuhalten. In der Beschwerdebegründung hat der Kläger weder den rechtlichen Ansatz des Verwaltungsgerichtshofs noch dessen tatsächliche Feststellung in Frage gestellt, er habe bis zum Fristablauf am 31. August 2004 keine Vorkehrungen für die Bearbeitung seiner Post getroffen, obwohl er dazu gesundheitlich imstande gewesen sei.

7 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 2 GKG.