Beschluss vom 04.09.2003 -
BVerwG 4 B 76.03ECLI:DE:BVerwG:2003:040903B4B76.03.0

Beschluss

BVerwG 4 B 76.03

  • Schleswig-Holsteinisches OVG - 21.05.2003 - AZ: OVG 4 KS 5/02

In der Verwaltungsstreitsache hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 4. September 2003
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. P a e t o w
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. R o j a h n und G a t z
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts vom 21. Mai 2003 wird zurückgewiesen.
  2. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 70 000 € festgesetzt.

Die auf sämtliche Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg. Aus dem Beschwerdevorbringen ergibt sich nicht, dass die Revision wegen der behaupteten grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache, wegen einer Abweichung des angefochtenen Urteils von einer höchstrichterlichen Entscheidung oder wegen eines Verfahrensfehlers zuzulassen ist.
1.a) Die Beschwerde hält für grundsätzlich klärungsbedürftig, ob Lärmberechnungen für eine Straße die zulässige oder die tatsächlich zu erwartende Höchstgeschwindigkeit zugrunde zu legen ist. Diese Frage führt nicht zur Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, weil sie sich ohne weiteres mit dem Gesetz und der vorhandenen Rechtsprechung beantworten lässt. Nach § 3 Satz 1 16. BImSchV vom 12. Juni 1990 (BGBl I S. 1036) ist der Beurteilungspegel für Straßen nach Anlage 1 zu berechnen. Diese verweist auf die Richtlinien für den Lärmschutz an Straßen, Ausgabe 1990 (RLS-90). Hiernach ist die Stärke der Schallimmission von einer Straße oder einem Fahrstreifen aus der Verkehrsstärke, dem LKW-Anteil, der zulässigen Höchstgeschwindigkeit, der Art der Straßenoberfläche und der Gradiente zu berechnen (RLS-90 Nr. 4.0). Zu Unrecht hält die Beschwerde dem Berechnungsmodus entgegen, dass Geschwindigkeitsbegrenzungen häufig nicht eingehalten würden. Wie der Senat bereits entschieden hat, ist verkehrswidrigem Verhalten mit den Mitteln des Straßenverkehrsrechts zu begegnen (vgl. Urteil vom 23. November 2001 - BVerwG 4 A 46.99 - Buchholz 406.25 § 43 BImSchG Nr. 19).
Auch bei Lärmberechnungen für Straßen ohne Geschwindigkeitsbegrenzung ist nicht, wie die Beschwerde meint, von der Geschwindigkeit auszugehen, die nach dem Stand der Fahrzeugtechnik und den örtlichen Gegebenheiten erreichbar ist. Vielmehr folgt aus Nr. 4.4.1.1.2 RLS-90, dass für PKW eine zulässige Höchstgeschwindigkeit von 130 km/h und für LKW von 80 km/h in Ansatz zu bringen ist. Das Straßenbauamt R. hat in seiner lärmtechnischen Untersuchung vom 15. Dezember 2000, die Bestandteil des Planfeststellungsbeschlusses geworden ist, angenommen, dass die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf der B 76 zwischen der Anschlussstelle Gettorf Süd und dem Ende der Ausbaustrecke, also in dem vierspurigen Straßenabschnitt, für PKW 120 km/h beträgt. Worauf diese Prämisse beruht, ist nicht ersichtlich. Sie erscheint unzutreffend, da ausweislich des Planfeststellungsbeschlusses (S. 66) die Anordnung einer Geschwindigkeitsbegrenzung durch die Straßenverkehrsbehörde nicht vorgesehen ist und eine normative Höchstgrenze fehlt (vgl. § 3 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. c Satz 2 StVO). Ein etwaiger, vom Oberverwaltungsgericht nicht markierter Fehler würde die Zulassung der Revision aber nicht rechtfertigen, da § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht auf die "Richtigkeit" der vorinstanzlichen Entscheidung zielt.
b) Die Revision ist auch nicht zur Klärung der Frage zuzulassen, ob durch den Neubau einer Straße in der Nähe eines Gewerbegrundstücks im Außenbereich im gleichen Maße ein rechtlich ungeschützter Lagevorteil entfällt wie in dem vom Bundesverwaltungsgericht bereits entschiedenen Fall des baubedingten Abrückens der Straße von einem Gewerbebetrieb. Das Oberverwaltungsgericht hat dem Anspruch des Klägers auf Entschädigung für die Beeinträchtigung des Betriebs seiner Ferienwohnanlage durch das Heranrücken der planfestgestellten Straße entgegengehalten, dass der mit Wohnbebauung im Außenbereich unter dem Aspekt größerer Ruhe und Abgeschiedenheit verbundene Lagevorteil nicht Bestandteil des nach Art. 14 GG geschützten Grundeigentums, sondern rein faktischer Natur ist, ferner keinen Anspruch darauf vermittelt, von einem Straßenbauvorhaben in der Nachbarschaft verschont zu bleiben und sich im Falle des Heranrückens der Straßentrasse daraus kein vom Vorhabenträger auszugleichender Vermögensnachteil - etwa auch in Gestalt von Umsatzeinbußen - ableiten lässt. Das entspricht der Auffassung des Senats in der Entscheidung vom 24. Mai 1996 - BVerwG A 39.95 - (NJW 1997, 142 ff.), die im angefochtenen Urteil zitiert ist. Hat das Bundesverwaltungsgericht eine aufgeworfene Frage bereits entschieden, bedarf es einer Erläuterung, weshalb die Frage eine erneute revisionsgerichtliche Beurteilung erfordert. Es genügt nicht, dass die Beschwerde - wie hier - lediglich ihre abweichende Rechtsauffassung ohne jegliche Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts darlegt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 27. August 1997 - BVerwG 1 B 145.97 - Buchholz 310 § 58 VwGO Nr. 67).
c) Die Frage, ob ein Anspruch auf Entschädigung wegen einer planungsbedingten Unmöglichkeit bzw. Unzumutbarkeit einer bis zur Heranführung einer Bundesstraße zulässigerweise ausgeübten Nutzung eines Grundstücks im Außenbereich in Form eines Ferienbetriebs besteht, wenn es keine anderen wirtschaftlichen Nutzungsmöglichkeiten gibt, nötigt ebenfalls nicht zur Zulassung der Grundsatzrevision. Sie würde sich in dem angestrebten Revisionsverfahren nicht stellen, weil das Oberverwaltungsgericht zutreffend ermittelt hat, dass die Lärmbeeinträchtigungen, welche die beanstandete Straßenführung der B 76 für die Ferienanlage des Klägers mit sich bringt, den Grad der Unzumutbarkeit nicht erreichen. Nach § 2 Abs. 1 Nr. 3 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 16. BImSchV liegt die Grenze, bis zu der Lärmimmissionen ohne Ausgleich hinzunehmen sind, für Anlagen im Außenbereich mit der Schutzbedürftigkeit derjenigen des Klägers bei 64 db(A) am Tage und 54 db(A) in der Nacht. Sie wird nach den Feststellungen im angefochtenen Urteil "bei weitem" nicht erreicht werden. Dies gilt übrigens auch für den Fall, dass die Lärmberechnung fehlerhaft sein sollte. Die Berücksichtigung einer zulässigen Höchstgeschwindigkeit für PKW von 130 km/h statt 120 km/h hätte nicht zur Folge, dass die jetzt auf 57,4 db(A) am Tage und 50 db(A) in der Nacht prognostizierten Werte die in § 2 Abs. 1 Nr. 3 16. BImSchV gezogene Grenze überschritten. Unterhalb der einfach-gesetzlichen Zumutbarkeitsschwelle besteht - dies sei abschließend bemerkt - auch kein Anspruch auf Lärmschutzmaßnahmen (vgl. BVerwG, Urteil vom 6. Juni 2002 - BVerwG 4 A 44.00 - Buchholz 316 § 74 VwVfG Nr. 59; Urteil vom 30. Mai 1984 - BVerwG 4 C 58.81 - BVerwGE 69, 256 <275>).
2. Die Beschwerde macht eine Abweichung des angefochtenen Urteils von verschiedenen Urteilen des Senats geltend. Ihre Rüge ist unzulässig, weil sie den Darlegungserfordernissen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO nicht genügt. Der Revisionszulassungsgrund der Abweichung (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) liegt nur vor, wenn die Vorinstanz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift mit einem ihre Entscheidung tragenden Rechtssatz zu einem in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts aufgestellten ebensolchen Rechtssatz in Widerspruch tritt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 20. Dezember 1995 - BVerwG 6 B 35.95 - NVwZ-RR 1996, 712). Der Tatbestand der Divergenz muss in der Beschwerdebegründung nicht nur durch Angabe der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, von der abgewichen sein soll, sondern auch durch Darlegung der miteinander unvereinbaren Rechtssätze bezeichnet werden. Hieran lässt es die Beschwerde fehlen. Sie arbeitet keine Rechtssätze aus dem Berufungsurteil heraus, die von Rechtssätzen aus den Urteilen des Senats vom 14. April 1978 - BVerwG 4 C 68.76 - (DVBl 1978, 618), vom 16. September 1993 - BVerwG 4 C 9.91 - (BRS 55 Nr. 163) und vom 24. Mai 1996 (a.a.O.) abweichen, sondern beanstandet eine fehlerhafte Umsetzung der Senatsrechtsprechung auf den zu entscheidenden Fall. (Angebliche) Subsumtionsmängel sind indes nicht mit einer Divergenz im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO gleichzusetzen.
3.a) Die Beschwerde beklagt als Verfahrensfehler einen Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens und das Gebot der Berücksichtigung entgegenstehender höchstrichterlicher Rechtsprechung. Sie wirft dem Oberverwaltungsgericht vor, die in der Klageschrift erwähnte Entscheidung des Senats vom 16. September 1993 (a.a.O.) nicht beachtet zu haben. Der Senat kann offen lassen, ob dieses Versäumnis - sein Vorliegen unterstellt - überhaupt als Verfahrensmangel (in Gestalt der Verletzung rechtlichen Gehörs) zu werten ist; denn das vorinstanzliche Urteil beruht darauf nicht. Die Klage ist ohne Erfolg geblieben, weil die maßgeblichen Grenzwerte in § 2 Abs. 1 Nr. 3 der 16. BImSchV in der Ferienanlage des Klägers nicht überschritten werden. Dieses Ergebnis wird durch die Entscheidung vom 16. September 1993 nicht in Frage gestellt.
b) Der Umstand, dass das Oberverwaltungsgericht dem Vortrag des Klägers zur Reichweite des Art. 14 Abs. 1 GG nicht gefolgt ist, vermag einen Verfahrensmangel nicht zu begründen. Ein Fehler bei der Bestimmung des Schutzbereichs der Norm wäre dem sachlichen Recht zuzuordnen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO und die Streitwertfestsetzung auf § 14 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.