Beschluss vom 04.05.2006 -
BVerwG 4 B 19.06ECLI:DE:BVerwG:2006:040506B4B19.06.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 04.05.2006 - 4 B 19.06 - [ECLI:DE:BVerwG:2006:040506B4B19.06.0]

Beschluss

BVerwG 4 B 19.06

  • OVG Rheinland-Pfalz - 16.01.2006 - AZ: OVG 8 A 11271/05

In der Verwaltungsstreitsache hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 4. Mai 2006
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Paetow
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Gatz und Dr. Jannasch
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Beklagten und der Beigeladenen zu 2 und 3 gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz vom 16. Januar 2006 wird zurückgewiesen.
  2. Der Beklagte und die Beigeladenen zu 2 und 3 tragen die Gerichtskosten und die außergerichtlichen Kosten der Klägerin im Beschwerdeverfahren zu je einem Drittel. Im Übrigen trägt jeder Beteiligte seine außergerichtlichen Kosten selbst.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 38 346,90 € festgesetzt.

Gründe

1 Die auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 2 VwGO gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg. Die Rechtssache hat weder die grundsätzliche Bedeutung, die ihr die Beschwerde beimisst, noch weicht das Berufungsurteil von einer höchstrichterlichen Entscheidung ab.

2 Die von der Beschwerde aufgeworfene Frage nach der Reichweite des Gebots der Rücksichtnahme ist einer grundsätzlichen Klärung nicht zugänglich; denn es hängt wesentlich von den jeweiligen Umständen ab, welche Anforderungen das Gebot der Rücksichtnahme begründet (vgl. BVerwG, Urteil vom 28. Oktober 1993 - BVerwG 4 C 5.93 - Buchholz 406.19 Nachbarschutz Nr. 120). Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung desjenigen ist, dem die Rücksichtnahme im gegebenen Zusammenhang zugute kommt, umso mehr kann er an Rücksichtnahme verlangen. Je verständlicher und unabweisbarer die mit dem Vorhaben verfolgten Interessen sind, umso weniger braucht derjenige, der das Vorhaben verwirklichen will, Rücksicht zu nehmen. Bei diesem Ansatz, den auch die Vorinstanz gewählt hat (UA S. 10), kommt es für die sachgerechte Beurteilung des Einzelfalles wesentlich auf eine Abwägung zwischen dem an, was einerseits dem Rücksichtnahmebegünstigten und andererseits dem Rücksichtnahmepflichtigen nach Lage der Dinge zuzumuten ist (BVerwG, Urteil vom 18. November 2004 - BVerwG 4 C 1.04 - NVwZ 2005, 328 <330>). Das Berufungsgericht hat ermittelt, wie sich die Errichtung der geplanten Windenergieanlage auf den Flugbetrieb am Segelfluggelände Ludwigshafen-Dannstadt im Einzelnen auswirkt (UA S. 11 ff.), und ist zu dem Ergebnis gelangt, dass die Beeinträchtigungen des Flugbetriebs in Abwägung mit der Privilegierung des Vorhabens grundsätzlich zumutbar seien (UA S. 16). Die Beschwerde sieht dies anders. Sie meint, dass die Interessenabwägung zu Lasten der Klägerin hätte ausfallen müssen. Für deren Vorhaben gebe es nämlich in unmittelbarer Nähe einen leicht realisierbaren Alternativstandort, an dem jegliche Beeinträchtigung des Flugbetriebes ausgeschlossen wäre. Mit einer bloßen Urteilskritik nach Art einer Berufungsbegründung lässt sich der Zulassungsgrund des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO freilich nicht dartun.

3 Die Divergenzrüge greift nicht durch. Das Berufungsgericht hat weder ausdrücklich noch sinngemäß einen abstrakten Rechtssatz aufgestellt, der dem Rechtssatz im Senatsurteil vom 18. November 2004 - BVerwG 4 C 1.04 - (a.a.O.) widerspricht, für die sachgerechte Beurteilung des Einzelfalles komme es wesentlich auf eine Abwägung zwischen dem an, was einerseits dem Rücksichtnahmebegünstigten und andererseits dem Rücksichtnahmeverpflichteten nach Lage der Dinge zuzumuten sei. Entgegen der Darstellung der Beschwerde findet sich im Berufungsurteil nicht der Rechtssatz, dass sich ein nicht standortgebundenes privilegiertes Vorhaben gegenüber einer vorhandenen bestandsgeschützten Nutzung immer dann durchsetzt, wenn diese nicht notwendig vereitelt wird. Der Rechtssatz, zwar möge in Fällen, in denen die Zulassung eines nicht standortgebundenen privilegierten Vorhabens die Fortsetzung einer vorhandenen bestandsgeschützten Nutzung notwendig vereitele, die fehlende Standortbindung neben dem Prioritätsaspekt zu einem Verzicht auf das privilegierte Vorhaben nötigen (UA S. 16), hat einen anderen Inhalt. In ihm spricht sich das Berufungsgericht tendenziell für den Vorrang einer bestandsgeschützten Nutzung für den Fall aus, dass diese durch das hinzutretende Vorhaben vereitelt wird. Ihm lässt sich aber keine Vorgabe dafür entnehmen, wie die Interessen im Rahmen der Abwägung zu gewichten sind, wenn das privilegierte Vorhaben und eine vorhandene bestandsgeschützte Nutzung prinzipiell nebeneinander existieren können.

4 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 159 Satz 1 VwGO i.V.m. § 100 Abs. 1 ZPO, § 162 Abs. 3 VwGO und die Streitwertentscheidung auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.